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aufgibt, da denke ich oft, daß früher oder später, wenn von jenen Herren nicht mehr die Rede sein wird, man einen neuen und höher gestellten Lehrbegriff, wie ich ihn durch die Philosophie der Offenbarung vorzubereiten _ver= suchte, als alleinige Auskunft wird erkennen müssen.‘1

Es war der Wunsch König Friedrich Wilhelm's IV. von Preußen, daß Schelling in Berlin den schlechten antireligiösen Geist durch seine Philosophie bekämpfe, daß er mit derselben auftrete gegen ‚die Drachensaat des Hegel'schen Pantheismus, der flachen Vielwisserei und der Auflösung häuslicher Zucht2. Aber die

1 Schelling machte bekanntlich die genealogische Entdeckung, daß ,der Apostel Paulus der erste Protestant gewesen und als die älteste Urkunde, die der Protestantismus für sich aufzuweisen habe, gleichsam ‚als die magna charta desselben das zweite Capitel des Briefs an die Galater anzusehen' sei. Sämmtliche Werke Abth. II. Bd. 4, S. 310. In seiner,Philosophie der Offenbarungʻ spricht er übrigens den denkwürdigen Satz aus: Dem katholicismus muß zugestanden werden, er hatte die Sache und hat sie noch jezt; sein Verdienst ist, diese, den geschichtlichen Zusammenhang mit Christo bewahrt zu haben. Nur fehle es der katholischen Kirche an dem rechten Ver= ständniß dieser Sache, die erst durch die Kirchentrennung und insbesondere durch Schelling's Philosophie der Offenbarung zu erreichen sei. Vergl. die trefflichen Auffäße über Schelling und das Verhältniß seiner Philosophie zu der christlichen Theologie in den Histor.-polit. Blättern Bd. 11, 585–601. 753-769 und Bd. 47, 119–137. 172-192. Die,Zugeständnisse“, welche Schelling der katholischen Kirche machte, waren übrigens Schuld daran, daß ihn die gestrengen Anti-Römer' für einen halben Krypto-Katholiken hielten. Neuerdings ist ihm diese Ehre wieder zu Theil geworden. in dem Leben Joukoffsky's von C. von Seidlik, wo er S. 175 bis 176 zu den Abtrünnigen' gezählt wird, welche im Alter,mit dem Römischen Katholicismus koquettirten'.

2 Vergl. Aus Schelling's Leben 3, 36.

Schelling'sche Philosophie war so hohen Aufgaben nicht gewachsen, so wenig wie irgend eine Philosophie solchen gewachsen ist. Schelling lebte in Berlin in äußerer wie innerer Abgeschiedenheit, ohne große Freudigkeit für die Dinge der Gegenwart und mit Aussichten auf die Zukunft, wie er sie einmal in einem Briefe aussprach: Etwas mögen zu dieser innern Abgeschiedenheit, der mehr und mehr auch die äußere entspricht, die Zeiten beitragen, wo mir nicht etwa bloß Deutschland, sondern die ganze Welt au bout de son latin scheint und alle Völker in jener Spannung und Erwartung der Dinge, die da kommen sollen, daß sie für die Gegenwart wie in einem Zustand von Erspiration sind, gerade wie ihn der Herr als vorausgehend dem legten Welttage beschreibt.' 1

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In dieser Beziehung hatte Schelling am Ende seines Lebens dieselben Ueberzeugungen wie der buddhistische Philosoph Arthur Schopenhauer, der ebenfalls, je mehr er ein= sah, wie machtlos die Philosophie zur Heilung der Gegenwart' sei, das Weltende nahe glaubte und in der,grenzenlosen Oede seines Daseins für sich persönlich kein anderes Heilmittel kannte, als unsägliche Menschenverachtung und die Härte des Stolzes, mit dem er sein Herz wie mit einem Panzer umgab‘. Schopenhauer würde es schon für eine,Contamination' erklärt haben, auch nur seinen Namen mit dem des leeren, dunkeln, dummen Sophisten' Schelling in Verbindung zu bringen.

Es wäre eine überaus lohnende, belehrende Arbeit, aus den Briefen und Selbstbekenntnissen der ungläubigen Philosophen unseres Jahrhunderts die Aeußerungen, wie sich

1 Aus Schelling's Leben 3, 230.

dieselben gegenseitig,würdigen, als „Blumenlese“ zusammenzustellen. Als Motto würden sich dazu die Worte von Leibniz empfehlen: Mit großer Redegabe sprachen sie von der Erhabenheit und den sittlichenden Wirkungen der Wissenschaft, und beschimpften sich dabei oft gegenseitig so, daß man hätte glauben können, man wäre unter einer aufgeregten Menge auf der Gasse.' 1

1 Was Leibniz von der Philosophie hielt (Augsb. 1761), S. 52.

V. Der Philosoph Arthur Schopenhauer,

aus persönlichem Amgang dargestellt.

Außer der Kirche kein Heil,' schrieb Joseph de Maistre, ,auch keine rechte Lebensfreude, keine Befriedigung der Seele und des Gemüthes. Gerade die geistig begabtesten Männer fühlen, wenn sie dem Unglauben zur Beute geworden, das Elend des Daseins am stärksten; vergebens suchen sie Abhülfe in der Wissenschaft und Kunst, all' ihr Arbeiten ist nur ein Abmühen ohne Ziel und Genuß, ihr Lebensüberdruß nimmt zu mit ihrem Alter, ihr Lebensende entbehrt allen Trostes und ist oft schrecklich und verzweiflungsvoll. Man könnte eine Art Apologie des Christenthums schreiben aus den Lebensgeschichten solcher Männer, unter denen viele sich gar nicht gescheut haben, ihr Unglück, ihre Verzweiflung einzugestehen. 1

Die Wahrheit dieser Worte drängt sich uns mächtig auf, wenn wir das Leben Arthur Schopenhauer's betrachten, eines Mannes, der unzweifelhaft ein bedeutender Denker war, zu den begabtesten Geistern unserer Zeit gehörte, bis in sein hohes Alter hinauf wissenschaftlich thätig blieb und von zahlreichen Stimmen als einer der größten deutschen Weltweisen gepriesen wird. Seine Freunde und Anhänger,

1 Recueil de lettres, pag. 27.

Frauenstädt, Lindner, Asher und Andere, wenden seit seinem Tode ihre Kräfte auf, ihn,auf den Leuchter der Zeit zu erheben, entwickeln die Grundwahrheiten seines Systems', sammeln Lichtstrahlen aus seinen Werken', veröffentlichen seine Briefe und stellen ihn in biographischen Arbeiten,,wie er leibte und lebte', dem deutschen Volke vor 1.

Unter den gleich nach dem Tode des Philosophen er= schienenen biographischen Arbeiten zeichnete sich vor allen die Schrift von Wilhelm Gwinner Arthur Schopenhauer, aus persönlichem Umgang dargestellt durch reichhaltige und zuverlässige Mittheilungen aus 2.

Gwinner, ein langjähriger Freund Schopenhauer's, handelte streng genommen nicht nach dem Willen des Philosophen,,der nicht wollte, daß die äußeren Züge seines Lebens zu seinem Gedächtniß ins Einzelne hinein verfolgt würden'.

1 In einem Auffage ‚A. Schopenhauer und seine Gegner (Un= sere Zeit, deutsche Revue der Gegenwart 56, 686-707, 768-787) sucht Julius Frauenstädt die Philosophie seines Meisters gegen die ihr von Liebmann, Trendelenburg, Haym u. s. w. zur Last ge= legten Widersprüche zu vertheidigen. Schopenhauer's System, meint er am Schluß S. 787, sei troß der Widersprüche, die sich nachweisen ließen, doch werthvoller als alle a priori construirten künst= lichen Systeme der modernen Philosophie.

2 Leipzig 1862. Die von Lindner und Frauenstädt gegen Gwinner herausgegebene Schrift ‚A. Schopenhauer, von ihm, über ihn; ein Wort der Vertheidigung (Berlin 1863) ist nur eine vergröberte Bestätigung der Gwinner'schen Characteristik, dasselbe Bild noch einmal, aber unter dem unbarmherzigen Microscop; alle Flecken und Runzeln werden bis ins Kleinste treu wieder= gegeben, jeder Zug, und die widerwärtigsten am meisten, mit besonderer Beglaubigung versehen. Und das Alles soll zur Vertheidigung des Philosophen dienen. Vergl. R. Haym, Arthur Schopenhauer, in den Preußischen Jahrbüchern 14, 47-48.

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