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die Uebergriffe des Staates", in Vorschlag brachte und nicht ohne lebhaften Widerstand zahlreiche Unterschriften hervorragender Conferenzmitglieder dafür erwirkte'.

Gegenüber der bureaucratisch-polizeilichen Beaufsichtigung des protestantischen Kirchenthums sah er die Lösung des seitherigen Verhältnisses zwischen Kirche und Staat für kein Uebel an, aber, sagt der Biograph, ,er verzweifelte immer mehr daran, für die Dinge, welche in seinen Augen die dringendsten und wichtigsten waren, die von ihm so sehr ge= wünschte Bundesgenossenschaft der evangelischen Geistlichkeit zu gewinnen. Auch dies Verhältniß trug dazu bei, ihm den Blick in die Zukunft zu trüben und immer mehr die Hoffnung auf eine glückliche Gestaltung unserer Verhältnisse zu nehmen‘.

Wir schließen unsern Aufsag mit einer Stelle aus einem Briefe, den er im Jahre 1855, nach dem Tode seines Freundes von Arnswaldt, schrieb:

Ob Arnswaldt wohl auch für mich gebetet hat? Es ist mir schwer aufs Herz gefallen, daß ich ihn nicht ausdrücklich darum gebeten hatte, dies auf seinem Sterbelager und auch jenseits nach erkämpftem Siege zu thun, — und doch bin ich so überzeugt, daß solche Gebete besonders wirksam sind. Wie ich mich denn mehr und mehr überzeuge, daß es eigentlich nichts Wirksames gibt als Gebet- jedenfalls ist alle Arbeit gar nichts ohne Gebet. Vielleicht werden Sie sich wundern, daß ich das erst jezt lerne; aber da sehen Sie den Tagelöhner!"

In manchen seiner Schriften tritt Huber nicht selten mit schroffen, herben Worten auf, aber sein Inneres war milde und er beugte sich bei ,Leid und Freud' vor dem Allmächtigen in Treue und Demuth.

II. Aus des Geographen Carl Ritter Leben
und Briefen.

Carl Ritter ist der eigentliche Schöpfer der allgemeinen vergleichenden Erdkunde; erst durch ihn und die von ihm begründete Methode erhielt die Geographie die Würde einer Wissenschaft. Dies ist unter den Gebildeten allgemein bekannt. Wenig bekannt dagegen ist das persönliche Wesen des Mannes', der, nach den Worten Friedrich Carl's von Savigny, in stiller, anspruchsloser Wirksamkeit von allem Treiben der großen Welt sich fern hielt und im öffentlichen Leben nie viel von sich reden machte'. Von diesem persön= lichen Wesen gewinnen wir nun eine lebendige Anschauung aus der von Kramer herausgegebenen Biographie 1, die zum größten Theil nach Ritter's eigenen Briefen und Tagebüchern gearbeitet ist.

Die Briefe insbesondere sind in hohem Grade gehalt= voll, characteristisch, belehrend, nicht selten von ungewöhn= licher Herzlichkeit und Anmuth. Der Biograph hätte darum, scheint uns, sich größern Dank erwerben können, wenn er dieselben nicht zerpflückt, sondern sie von Ritter's Jugendjahren an vollständig und im Zusammenhang abgedruckt

1 Carl Ritter. Ein Lebensbild nach seinem handschriftlichen Nachlaß dargestellt von G. Kramer. 2 Bde. Halle 1864. 1871.

und sein Werk etwa nach dem Vorbilde der bekannten Lebensnachrichten über Niebuhr eingerichtet hätte. Wie dieses jezt uns vorliegt, verliert es sehr an Spannung und Reiz durch eine gewisse Breite und Behäbigkeit der Darstellung, durch mannigfache Kleinlichkeiten, und ebenso durch einen etwas salbungsvollen Ton, der wohl nur wenige Leser anmuthet.

Sehr nachlässig ist der Biograph in chronologischen An= gaben; manchmal findet man auf 70-80 Seiten keine Jahreszahlen, sondern aus verschiedenen Jahren nur Tagesangaben, so daß man sich ohne andere Hülfsmittel kaum zurechtfinden kann. Schade ist auch, daß Kramer es nicht für nöthig gehalten, ein geordnetes Verzeichniß der Werke und Abhandlungen Ritter's zu liefern 1.

Neben diesen Mängeln hat aber die Biographie auch viele Vorzüge, die wir um so höher anschlagen, je seltener sie in neueren Lebensbeschreibungen anzutreffen sind. Wir gestehen, daß wir in der ganzen Arbeit Kramer's, so weit sie sein Eigenthum ist, auch nicht in einer Zeile etwas für ein katholisches Gemüth Anstößiges oder Verlegendes gefunden. Ein tief sittlicher Ernst, eine hohe und edle Auffassung des Lebens geht durch das ganze Werk; das Urtheil ist überall maßvoll und getragen. Dabei macht der Verfasser gar keine Ansprüche für seine Person, und es ist übertrieben bescheiden, wenn er in der Vorrede zum zweiten Bande sagt, daß er gar nicht im Stande gewesen sei, Ritter's Stellung in der Wissenschaft, seine Bedeutung als

1 Diesen von uns bereits im Jahre 1872 in den ‚Histor.-pol. Blättern' 70, 111 gerügten Mängeln hat Kramer auch in einer neuen, durchgesehenen und mit einigen Reisebriefen vermehrten AufLage seines Werkes (Halle 1875) nicht abgeholfen.

Lehrer und Schriftsteller genügend zu characterisiren. Es scheint uns vielmehr, daß er dieses nicht ohne Einsicht und Umsicht gethan und sich auch hierfür ein gewisses Verdienst erworben hat.

Uns beschäftigt hier diese Stellung und Bedeutung nicht: wir haben uns in unseren Mittheilungen lediglich zum Zwecke gesezt, einige wesentliche Züge aus dem Lebensbilde des um die Wissenschaft hochverdienten Mannes vorzuführen und aus seinen Briefen vornehmlich diejenigen Stellen zu beachten, welche von einem über seine Persönlichkeit weit hinausreichenden allgemeinen Werthe find.

Aus diesem Grunde benüßen wir, oft wörtlich, besonders den ersten Band, der bis zum Jahre 1820 reicht, in welchem Jahre Ritter, in den Hafen eingelaufen, seine bis zum Tode fortgesetzte Wirksamkeit in Berlin begann; aus dem zweiten Bande nehmen wir im Einzelnen nur die demselben beigefügten reichhaltigen Reisebriefe zum Vorwurf, da der darstellende Theil dieses Bandes über Ritter's amtliches, geselliges und häusliches Leben für weitere Kreise nichts wesentlich Bedeutsames darbietet.

I.

Carl Ritter wurde am 7. August 1779 zu Quedlin= burg geboren. Sein Vater, fürstlicher Leibarzt der dortigen Aebtissin Amalie (der Schwester des preußischen Königs Friedrich II.), ein wegen seiner Rechtlichkeit, Pflichttreue und Geschicklichkeit allgemein geachteter Mann, starb schon im Jahre 1784 und hinterließ eine völlig mittellose Wittwe. Carl wurde im folgenden Jahre unentgeltlich in die Salzmann'sche Erziehungsanstalt zu Schnepfenthal aufgenommen und blieb dort bis zum Jahre 1796. In Schnepfenthal,

am Fuße des Thüringer Waldes, in einer mit den herr= lichsten Reizen ausgestatteten Landschaft, fand die innige und sinnige Natur des Knaben nach allen Seiten hin die wirksamste Förderung; die Geographie und das Zeichnen wurden schon in frühester Jugend seine Lieblingsfächer; auch Botanik und Mineralogie zogen ihn frühzeitig an. Wie mangelhaft und wie einseitig auch die Salzmann'sche, nach Rousseau'schen Grundsägen eingerichtete Erziehungsmethode in religiöser Beziehung war, so wirkte sie doch durch Bildung und Uebung des Verstandes auf Ritter günstig ein. In leiblicher Beziehung wurde durch Einfachheit in Nahrung und Kleidung, Regelmäßigkeit der Lebensordnung, Gewöhnung an Arbeit und Anstrengung, Ertragung jeglichen Wetters, gymnastische Uebungen, Wanderungen und Reisen die Stählung und Uebung aller Kräfte angestrebt.

Lange Zeit schwankte Ritter, welchen Beruf er ergreifen solle. Endlich entschied er sich im Jahre 1796, ein Erzieher zu werden, studirte zu diesem Zwecke besonders unter Leitung des Pädagogen Niemeyer zwei Jahre in Halle und nahm dann als Neunzehnjähriger eine Informatorstelle beim Kaufmann Hollweg, Geschäftstheilhaber des Bethmann'schen Hauses in Frankfurt am Main, an. Einer der beiden Knaben, welche er dort unterrichtete, war der spätere preußische Mi= nister von Bethmann-Hollweg.

Trefflich schildern uns die Briefe seine pädagogischen Grundsäge, die Schwierigkeiten und die Erfolge seines Berufes. Sie vergegenwärtigen aber auch in lebendigen Zügen das Leben und Treiben in der reichen Kaufmannsstadt gegen Ende des vorigen und im Anfang dieses Jahrhunderts. Sie sind darum zur Kennzeichnung allgemeiner Zustände von großem Werthe.

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