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die Grazie einet fremden Kunst hier gewiß ganz beiz seite trete.

Indessen, wie es sey: fo bleibt Timanthes Bes mählde, felbst bis auf den schreienden Ujar deffels ben*), für Leffing, und selbst der rasende Ajar, die fürchterliche Medea, der leidende Herkules, der feufzende Laokoon; und immer zehn Beispiele gegen ein gegenseitiges bestätigen seinen Saz,,,wie sehr die „griechischen Künstler das Häßliche vermieden, und ,,wie forgfältig, auch in den schwersten Fällen, ,,Schönheit gesucht " Sollte man aber in der neuern Zeit, mit Ausdehnung der Kunst auch über die Grenzen des Schönen, das Wesen derselben haben ándern, und ihr ein neues Cbergefeß:,,Wahr: heit und Ausdruck," geben wollen **)? oder sollte 'diese Uebertragung über die Grenzen des Schönen nicht auch zu unsrer Zeit blos,,Eigenschaft des Geschmacks ,,in der und jener Schule" und also eine Kakozelie seyn, an der es den Griechen bei ihrem Pauson und Poreicus auch nicht fehlte? Die Frage wird sich im Folgenden mehr ergeben.,,Wenn man in einzelnen Fällen den Mahler und Dichter (und also auch die ,,Kunst zwoer Zeiten) mit einander vergleichen will,

*) Lessing_kann`dem Valerius immer glauben, denn auf den schreienden jar fällt in dem Gemähloe nicht das Hauptaugenmerk: und also auch nicht der Mittelpunkt, die Nerve seines Sahes, der das Ganze der Composition, nicht eine Rebens figur treffen will.

**) Laok. p. 10. 28.

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,,so muß man vor allen Dingen wohl zusehen, ob sie ,,beide ihre völlige Freiheit gehabt haben, ob sie ,,ohne allen Zwang auf die höchste Wirkung ihrer ,,Kunst haben arbeiten können.“ *) Und wer hat hier in einer freyern Luft geathmet?

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7.

,,Ein äußerlicher Zwang war bei dem alten Künstler öfters die Religion." Bacchus mit Hörs nern ist Leffingen **) hier das erste Beispiel, das ihn auch scheint auf diese so wahre Ausnahme gebracht zu haben. Bacchus mit Hörnern! in der That, ,,fagt Leffing, sind solche natürliche Hörner eine ,,Schändung der menschlichen Gestalt, und können ,,nur Wesen geziemen, denen man eine Art von ,,Mittelgestalt zwischen Menschen und Thier ertheilte." Und sorgfältiger kann nicht ein Freund bedacht seyn, seinem Freunde die Hörner von der Stirne wegzu= schaffen, als Leffing für seinen schönen Bacchus be= sorgt ist.

Er erklärt sie also zuerst für einen bloßen Stirn= schmuck. ***) Und woher ein Stirnschmuck? Aus der Stelle des Dichters

tibi cum sine cornibus adstas

Virgineum caput est:

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,,Er konnte sich also auch ohne Hörner zeigen, sagt „Leffing, und so waren die Hörner ein Stirnschmuck, ,,den er aufsegen und ablegen konnte." Wie? folgt dies leste Also wohl aus der Stelle Ovids, aus einer feierlichen Anrufung desselben? War Bacchus nicht ein Gott? der sich also auch, wie andere Göt. ter, in mehr als einer Gestalt zeigen, der bald in jungfräulicher Schönheit, bald im fürchterlichen Schlachtgetümmel fürchterlich, bald als ein schöner Jüngling, wie den Seeräubern Homers, erscheinen konnte? Und hatte Bacchus dieß nicht blos mit an: dern Göttern gemein, sondern zu einem ihm eis genen Vorzuge, der Gott von tausend Gestalten (μvgioμogpos) zu seyn, und also auch die unzählig vielen Beinamen zu haben, die ihm Orpheus, die Epigrammatisten, Nonnus u. a. geben? folgts da wohl aus der Stelle Ovids, daß Bacchus δαδικα διμορφος, πολυμορφος, μυριόμορφος werden könne, wenn er feine Hörner ablege,

dadurch

wie ohngefähr eine alte Jungfer ihre falschen Zähne und Brüste? armes Lob! Einem frommen, christe lichen Ehemann mögen seine Hörner einen bloßen Stirnschmuck und eine Krone der Geduld von bes währtem Golde bedeuten: nicht dem mythologischen Bacchus.

So mögen es wohl keine Bacchus seyn, die mit hervorsprießenden Hörnern dastehen, sondern lieber Faunen *): denn in der That find solche natürliche

*) Laok. p. 104.

Herders B.3.sch. Lit.u.Kunst.IV.

Krit. Wälder,

,,Hörner eine Schändung der menschlichen Gestalt, „und können nur Wesen geziemen, denen man eine ,,Art von Mittelgestalt zwischen Menschen und Thier ,,ertheilt." Mit solchen geziemenden Schlüffen! als wenn Bacchus nicht oft genug diesen und noch ungeziez mendere Namen bekåme: als wenn er nicht oft genug κεραος, δίκερως, χρυσοκέρως, ταυρωπος,

ταυρομετωπος,

ταυροκερως, negao poços, gehörnt, zweigehörnt, goldgehörnt, stiergehörnt hieße! Kurz! die Hörner waren in gewissen De yen ihm wesentlich, und gehörten mit zu einer heiligen Allegorie, in der ihn die Griechen mit von an= dern Völkern, die die Allegorie noch über die Schönheit der menschlichen Gestalt liebten, bekommen hatten.

Ob aber Bacchus in allen *) seinen Tempeln nicht anders, als gehörnt, erschienen, ist wieder auf der andern Seite zu weit, und hat für Lessing keinen Vortheil, als nachher **) seine Errathungskunst zu üben, wo denn alle diese gehörnten Statuen Bacchus geblieben seyn mögen, da wir jeht keine haben? Mir dünkts genug, daß der bei den Dichtern vielgestaltige Bacchus auch bei den Künstlern, auch in seinen Tempeln,,in mancherlei Gestalt" gewesen sey daß, nach der åltern allegorisirenden Mythologie, dem Bacchus die Hörner sehr bedeu tend und also auch für den Werkmeister, der der Religion arbeitete, ein Attribut des Bacchus seyn müssen daß in den bessern Zeiten, da die Griechen

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selbst vieles von ihrer heiligen Allegorie der Schönbeit aufgeopfert, auch die ganz schönen Statuen des Bacchus, insonderheit in seinen Kunstwerken, die besten geworden; und so zerstieben alle Wider= sprüche von selbst.

Ueberhaupt sollte das mehr auf Kunst und Dichts kunst angewandt werden, was die zu verschiede nen Zeiten verschiedene Religion auf beide gewirket. In den ältesten Zeiten, da noch die frema den, von außen überbrachten, Begriffe galten, was ren freilich die Vorstellungen der Götter oft unwår. dig und Jupiter selbst schämte sich nicht, mit beiderlei Geschlecht, mit einem Beile, und in Gestalt eines Mistkäfers zu erscheinen. Bald aber entwölkte fich dieß allegorische Gehirn der Aegypter und Asiaten in der freien griechischen Luft: die unnügen Gez heimnisse und Deutungen in Mythologie, Philoso= phie, Poesie und Kunst wurden unter den Griechen. aus ihren verschlossenen Kammern auf offenen Markt getragen, und Schönheit fing an, das Hauptgeset der Poesie und Kunst, nur bei jeder auf eigne Art, zu werden. Homer, der Sohn eines himmlischen · Genius, ward der Vater schöner Dichter und schöner Künstler und glücklich ist das Land, dem in der sinnlichen Poesie und der noch sinnlichern Kunst, der Geist seiner Zeit in Religion und Sitten und Gelehrsamkeit und Cultur so wenig Zwang auflegt, als Griechenland in seinen schönsten Zeiten. Ich wundre mich, daß Winkelmann in seinen Schriften diese Abstreifung fremder, alter, allegorischer Be. griffe nicht mehr bemerkt, und in ihrer Nugbarkeit

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