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fördern. Man muß selbst, wie ich vor 20 Jahren, unvermittelt vor den jüngst dem Perserschutt der Akropolis abgewonnenen Skulpturen, in der kreisrunden Orchestra des Theaters von Epidauros, auf dem eben erst ausgegrabenen Burghügel von Tiryns, oder später vor den sidonischen Sarkophagen in Konstantinopel gestanden haben, um zu ermessen, wie verblüffend der Eindruck dieser völlig unerwarteten Erscheinungen wirkte. Unablässig arbeitet seitdem die ewig junge Wissenschaft der Archäologie mit verfeinerten Mitteln der Kritik und Technik daran, die neuen Denkmäler in den alten Bestand einzugliedern und die aus ihnen. erwachsenden Probleme zu lösen.

Während es aber früher oft langer Zeit bedurfte, bis ihre Ergebnisse in den allgemeinen Besitz der Gebildeten übergingen, sorgt jetzt die geschäftige Tagespresse überraschend schnell dafür, unterstützt durch die Möglichkeit, in leicht und billig herzustellenden Reproduktionen die neuesten. Funde selbst ihren Lesern vor Augen zu stellen. Dadurch wird das Interesse für das klassische Altertum erfreulicherweise auch in vielen wach erhalten, die sonst seiner Wertschätzung kritisch oder gar verneinend gegenüberstehen.

Es ist daher eine ebenso dankbare wie verantwortungsreiche Aufgabe, wenn ein Werk wie das vorliegende es unternimmt, einen neuen Kanon klassischer Bildwerke aufzustellen, der den Gebildeten im allgemeinen und der Schule im besonderen das zeigen und erläutern soll, was die heutige Wissenschaft als hervorragend charakteristisch und in seiner Art mustergültig anerkennt, sei es daß die altbewährten Werke in eine neue Beleuchtung gerückt werden, sei es daß neue ihnen ebenbürtig oder überlegen zur Seite treten. Beiden Anforderungen ist das Buch, dessen glänzende Vorzüge und außerordentliche Brauchbarkeit für Schule und Haus wir bei seinem ersten Erscheinen nach Gebühr gewürdigt haben (Bd. II S. 522 f. 526 ff.), jetzt in erhöhtem Maße gerecht geworden.

Statt der 52 Tafeln und 11 Textabbildungen der ersten Auflage bietet die zweite 56 große und 37 kleinere Bilder, welche zusammen 65 Kunstwerke dar

stellen. Auch sind mehrere der alten Tafeln durch bessere ersetzt, so die Medusa Rondanini, die sich, von ihrer Unterlage losgelöst, fast gespenstisch von dem schwarzen Grunde abhebt, die Niobe, deren Gesicht nicht mehr, wie meist auf den Abbildungen, durch den schnurrbartartigen Schatten auf der Oberlippe entstellt wird, und die Pasquinogruppe nach einem Abguß, der durch den gehobenen Kopf des Menelaos den Eindruck des Ganzen wesentlich verändert.

Überhaupt ist es zu billigen, daß die Herausgeber in einigen Fällen von ihrem Grundsatz, nur Aufnahmen nach den Originalen zu bringen, abgewichen sind, wenn es galt, ein Werk möglichst so, wie es ursprünglich aus der Hand des Meisters hervorgegangen war, wiederzugeben. Trotz der erheblichen Erweiterung umfaßt übrigens das Buch infolge des sparsameren Druckes nur vier Seiten mehr als früher, und der Preis brauchte nur unmerklich erhöht zu werden (von 4 Mk. auf 4,50 Mk.).

Entsprechend der ganzen Anlage des Werkes ging das Bestreben der Verfasser mehr auf Vertiefung der Eindrücke als auf Vermehrung des Materials. In einer ganzen Reihe von Fällen sind diesmal die Köpfe der Gestalten in vergrößertem Maßstabe beigegeben, und jeder kann sich durch den Augenschein überzeugen, wie glücklich dieses auch von uns (a. a. O. S. 528) befürwortete Verfahren dem Beschauer eine lebendigere Vorstellung von dem Original und seiner Wirkung vermittelt. Vor allem wird jetzt der figurenreiche Alexandersarkophag, dem früher nur zwei Tafeln gewidmet waren, durch vier Tafeln und fünf Einzelbilder der wundervollen Köpfe, soweit es einfarbige Darstellungen vermögen, in seiner ganzen Schönheit zur Anschauung gebracht. Es ist dies um so mehr zu begrüßen, als wir wegen der Bemalung des Originals wohl kaum Gipsabgüsse desselben zu Gesicht bekommen werden. Auch den Kopf eines gefangenen Germanenfürsten von der Marcussäule wird man mit Teilnahme betrachten. Die seelenvolle mütterliche Schönheit der Demeter von Knidos wird manchem Beschauer erst beim Anblick des ergänzten Kopfes aufgehen. Eine gleiche Verstärkung der Wirkung würde auch dem ebenfalls

nasenlosen Eubuleus zugute kommen. Sehr dankenswert ist es ferner, daß neben der Demosthenesstatue der nach Hartwigs glücklichem Fund ergänzte Gipsabguß mit gefalteten Händen steht, und dadurch der fatalen Vorstellung, daß der große Athener eine Rede memorierend dargestellt sei, vorgebeugt wird. Bei der zwiefachen Bedeutung (Virgil und Lessing), welche der Laokoon für die Schule hat, wäre es vielleicht angebracht, auch diese Gruppe in richtiger Ergänzung dem Original beizufügen. Auch könnte man der Pallas von Velletri mit Leichtigkeit den Speer in die gehobene Rechte geben.

Unter den 'Neuerwerbungen' fällt zuerst Myrons Diskobol in die Augen, der eine merkbare Lücke ausfüllt (vgl. a. a. O. S. 527). Und zwar in sehr glücklicher Form; denn er ist einem bronzierten Abguß mit dem in richtiger Haltung aufgesetzten Kopf des Diskobols Lancelotti und ohne Baumstamm nachgebildet, so daß dem Beschauer das Originalwerk Myrons so nahe wie irgend möglich gebracht wird. Wer nur einen Gipsabguß oder selbst den Marmor in Rom gesehen hat, wird fast betroffen sein von der schlanken Geschmeidigkeit dieses Körpers. Durch diese Statue und den Münchener Bronzekopf eines Knabensiegers erfährt der bisher etwas magere Abschnitt über griechische Athletenstatuen eine erfreuliche Vervollständigung. Dasselbe gilt von der historischen Kunst der Römer, die bisher außer der trauernden Barbarin nur durch Stücke der Marcussäule vertreten war: jetzt kann man mit diesen zwei charakteristische Reliefs der trajanischen Triumphalkunst vergleichen. Auch die griechischen und römischen Porträts sind vermehrt worden. Man wird sich freuen, in dem Bronzekopf des vor 20 Jahren in Rom gefundenen hellenistischen Fürsten ein neues Meisterwerk eingeführt zu sehen, und besonders gelungen ist die Wiedergabe des Berliner 'Cäsars' aus Basalt. Die trefflich orientierenden Einleitungen zu den einzelnen Abschnitten boten ungezwungen die Gelegenheit zur Einfügung dieser neuen Bildwerke; immerhin würde es sich empfehlen, einige nähere Angaben über sie in Anmerkungen zu machen.

Natürlich regen sich mancherlei Wünsche, noch dieses oder jenes Werk in den neuen Kanon aufgenommen zu sehen. Die von mehreren Seiten geforderte Hera Ludovisi hat keine Gnade vor den Augen der Herausgeber gefunden: sie gehört eben zu den Skulpturen, die endgültig aus der Reihe der klassischen Werke gestrichen sind. Daß die Ägineten, wenn auch aus besonderem Grunde und nur für diesmal, fehlen, ist zu bedauern, ebenso daß keine Probe des pergamenischen Gigantenkampfes gegeben ist, der jetzt durch seine Neuaufstellung in Berlin wieder aller Augen auf sich gelenkt hat. Auch der Marc - Aurel vom Kapitol wäre in unseren Tagen, wo die Reiterdenkmäler allenthalben aus der Erde wachsen, zum mindesten recht zeitgemäß, um zu zeigen, wie ein monumentales Reiterbild aussieht. Recht instruktiv wäre es ferner, die Niobide Chiaramonti und die entsprechende Florentiner Gestalt einander gegenüber zu stellen, um an einem besonders lehrreichen Beispiel den Unterschied zwischen griechischer und römischer Arbeit zu zeigen. Wer endlich die Mannigfaltigkeit und sinnige Schönheit der attischen Grabreliefs aus eigener Anschauung kennt, sähe gern den beiden Proben wenigstens noch einen abweichenden Typus hinzugefügt; wir würden dafür das herrliche, leider weniger bekannte Reiterrelief der Villa Albani vorschlagen, mit dem sich der oft abgebildete Dexileos nicht entfernt messen kann. RICHARD WAGNER.

KUNST UND GESCHICHTE, HERAUSGEGEBEN VON PROF. DR. H. LUCKENBACH. I. TEIL: ABBILDUNGEN ZUR ALTEN GESCHICHTE. 5. VERMEHRTE AUFlage. München und Berlin, R. Oldenbourg 1904. II. TEIL: ABBILDUNGEN ZUR DEUTSCHEN GESCHICHTE. 1903.

Seit wir vor sechs Jahren die zweite Auflage der Abbildungen zur alten Geschichte hier besprachen (II 525 f., 530 f.), haben sich bereits drei neue Auflagen des trefflichen Buches nötig gemacht, ein offenkundiger Beweis, daß die vielfach bekämpfte Schularchäologie sich siegreich Bahn bricht, und daß der Luckenbach' vermöge seiner Reichhaltigkeit und wohldurchdachten Anlage das beste Hilfsmittel für sie ist. Aus dem schmächtigen Heft

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von 64 Seiten mit 161 Bildern ist jetzt ein Buch geworden, das auf 96 Seiten 264 Abbildungen vereinigt, und das trotzdem, dank der Unterstützung der Badischen Behörden, immer noch zu einem überraschend billigen Preise geboten wird.

Freilich wird die Benutzung früherer Auflagen dadurch erheblich erschwert; aber wer möchte es dem unermüdlichen Herausgeber zum Vorwurfe machen, daß er, den Fortschritten der Archäologie folgend, immer wieder das Neueste aus den Werkstätten der Wissenschaft der Schule zugänglich macht? Die fünfte Auflage hebt sich schon äußerlich dadurch von den vorausgehenden ab, daß die Bilder eine. bräunliche Tönung erhalten haben, wodurch namentlich bei den Landschaften und Skulpturen die dunkeln Schatten gemildert erscheinen und eine vornehme Wirkung erzielt wird.

Über Plan und Anordnung des Buches haben wir bereits früher berichtet; jetzt lenkt sich der Blick auf die seitdem eingetretene Verbesserung und Vermehrung. Glücklich war der schon in der dritten Auflage verwirklichte Gedanke, am Schlusse die Römerdenkmäler in Deutschland zu berücksichtigen. Wird doch dem Schüler das ferne Römervolk, mit dem er sich so angelegentlich zu beschäftigen hat, räumlich und geistig näher gerückt, wenn ihm die sichtbaren Spuren, die es auch auf germanischem Boden hinterlassen hat, leibhaftig vor Augen treten. Aus eigener Erinnerung weiß ich, welchen gewaltigen Eindruck die römischen Bäder in Badenweiler in ihrer streng symmetrischen Anlage auf einen Sekundaner machen, und wie eigentümlich es ihn berührt, daß dort auch der Diana des Schwarzwalds (Dianae Abnobae) einst ein Altar errichtet wurde. Und die trotzige Porta Nigra am Eingang in die alte Imperatorenstadt Trier kann sich getrost mit vielen interessanten Ruinen Italiens vergleichen. Auch vom Limes erhält man eine Vorstellung; für die dank kaiserlicher Huld jetzt wieder so bekannt gewordene Saalburg wird sich in einer neuen Auflage vielleicht eine der jüngst bei Perthes erschienenen Tafeln verwenden lassen.

Die fünfte Auflage ist dann um zwei

Abschnitte bereichert worden, die allgemeines Interesse, nicht bloß in Schulkreisen, für sich in Anspruch nehmen dürfen. Die französischen Ausgrabungen in Delphi sind nicht so schnell und so musterhaft wie seinerzeit die deutschen in Olympia an die Öffentlichkeit getreten. Es ist deshalb mit Freude zu begrüßen, daß Luckenbach unter sachkundiger Mitwirkung Pomptows es gewagt hat, zum ersten Male die Gesamtergebnisse der Grabung weiteren Kreisen vor Augen zu führen. Eine der vorzüglichen Photographien von Lagrange, auf welcher noch das jetzt vom Boden verschwundene Dörfchen Kastri die Stelle des Heiligtums bezeichnet, gibt das in seiner Großartigkeit jedem Besucher unvergeßliche Landschaftsbild wieder. Die aus der Vogelschau gezeichnete Wiederherstellung des ganzen heiligen Bezirks, an der naturgemäß noch manches problematisch bleibt, wird durch den daneben stehenden Grundriß erläutert. Wie man sich die kleineren Bauten, die nur schematisch eingezeichnet werden konnten, etwa vorzustellen hat, erhellt aus den beigegebenen größeren Ansichten von den rekonstruierten Schatzhäusern der Knidier und Athener. Weitere Bilder und die hier besonders nötigen Erklärungen findet man in einem von Luckenbach besonders herausgegebenen Heft: 'Olympia und Delphi' (München und Berlin 1904). Würdig

stellt sich neben diese französische Ausgrabung die letzte größere Errungenschaft, welche auf klassischem Boden deutschem Gelehrtenfleiß und scharfsinn verdankt wird: die von Petersen wiedergewonnene Ara Pacis des Augustus in Rom, auch sie durch eine Gesamtansicht und einige trefflich gelungene Reliefproben deutlich veranschaulicht.

Es würde zu weit führen, alles aufzuzählen, was außerdem noch seit der zweiten Auflage neu hinzugekommen ist; erinnert sei nur an die Darstellung des griechischen und römischen Hausbaues, an die genauen Rekonstruktionen der Akropolistempel (neben denen wir gern ein Bild des heutigen Zustandes sähen, ebenso beim römischen Forum), an die attischen Grabreliefs und die pompejanische Wandmalerei. Hervorhebung verdient auch das Bestreben,

bei einigen Hauptwerken durch möglichst große Bilder den Eindruck zu verstärken. Der Farnesische Stier freilich scheint mir an sich dieser Ehre kaum würdig zu sein; jedenfalls soll er zeigen, bis zu welcher Kühnheit die malerische Kunstrichtung einer späteren Zeit in der Gruppenbildung sich verstieg.

Sollte einmal später eine größere Erweiterung des Werkes in Aussicht genommen werden, so möchten wir eine Berücksichtigung der bis jetzt offenbar mit Absicht ausgeschiedenen Vasenmalerei empfehlen. Es verlohnte wohl der Mühe, die Blicke wieder mehr auf die ganz eigenartige Schönheit ihrer edelsten Erzeugnisse hinzulenken. Und von dem täglichen Leben im griechischen Altertum gibt doch nur sie eine wirkliche Vorstellung. Aber freilich würde die Auswahl nicht leicht sein.

Zu diesem längst bewährten und überall gern gesehenen Buch haben sich 1903 die Abbildungen zur deutschen Geschichte gesellt, und man braucht kein Prophet zu sein, um ihnen das gleiche Prognostikon zu stellen. Denn daß sie eine von vielen schon lange schmerzlich empfundene Lücke ausfüllen, daß wir in ihnen ein vortreffliches Mittel erhalten haben den deutschen Geschichtsunterricht zu beleben und zu vertiefen, bedarf keines Wortes. Der deutsche Schüler, dem wir das klassische Altertum im Bilde näher zu bringen versuchen, hat ein gutes Anrecht darauf, auch in der Kulturwelt des eigenen Volkes, deren Denkmäler ihn in der Heimat umgeben oder ihm auf Ferienreisen entgegentreten, heimisch zu werden. Man glaube doch ja nicht, daß er im allgemeinen erfreuliche Ausnahmen sollen nicht geleugnet werden von selbst darauf kommt, das, woran er täglich vorübergeht, schärfer ins Auge zu fassen und verstehen zu lernen. Und wenn oft darüber geklagt wird, daß manche Partien des deutschen Mittelalters kurz gesagt etwas öde sind oder einer zusammenfassenden Behandlung spröde widerstreben, so ist in der vom Bilde unterstützten kulturgeschichtlichen Betrachtung ein neuer beherrschender Gesichtspunkt von großem Werte gewonnen.

Der reiche Stoff ist in elf Abschnitte zerlegt. Nach der Vor- und Frühgeschichte

bis auf Karl den Großen (I) wird die Anlage von Dorf und Stadt in Plänen und Ansichten erläutert (II, III). Den breitesten Raum nehmen, wie billig, der Kirchenbau, einschließlich der Klosteranlage, und die Burgen, Schlösser und Fürstensitze ein (IV-VI). Als zweckmäßig erweisen sich dabei die schematisch gezeichneten Kirchen, wie nicht minder die beim Altertum bewährte Methode des Herausgebers, bei größeren Denkmälern, z. B. bei der Marienburg und dem Heidelberger Schloß, Grundriß und Ansicht aus der Vogelschau nebeneinander zu stellen. Gerade diese beiden Hauptwerke, die jetzt wieder im Mittelpunkt des Interesses stehen, werden durch eine Reihe trefflicher Ansichten (12 Seiten) aufs lebendigste veranschaulicht. Zu den vier Kriegergestalten, welche sodann den Wechsel der Bewaffnung von 600 bis 1500 darstellen, möchte man das Gesamtbild einer Schlacht oder eines Turniers hinzuwünschen. Bei den Künsten (VII. Vervielfältigende Künste. VIII. Dürer und Holbein. IX. Plastik) war es natürlich schwer, aus der Fülle des vorhandenen Stoffs eine geeignete Auswahl zu treffen; am besten scheint mir dieselbe bei der Plastik gelungen. Ein glücklicher und noch weiter zu verfolgender Gedanke war es, im Anschluß daran eine Anzahl geschichtlicher Persönlichkeiten wenigstens durch ihre Bildnisse auf Münzen und Schau

münzen zu vergegenwärtigen (X). Ein Anhang (XI) enthält einiges aus der Münzund Wappenkunde.

Es wäre unbillig zu verlangen, daß dieses neue Buch gleich bei seinem ersten Erscheinen die gleichmäßige Vollkommenheit und Abrundung zeigen sollte, in der die Abbildungen zur alten Geschichte jetzt vor uns liegen, zumal da die Auswahl bei der Menge der vorliegenden Denkmäler hier ungleich schwieriger war. Vielleicht ließe sich die fast verwirrende Reichhaltigkeit des Gebotenen an einigen Stellen ohne Schaden einschränken. Am ehesten zu entbehren wäre die Wappenkunde, für die ein besonderes Interesse bei der Jugend wohl nicht vorauszusetzen und auch kaum zu wecken nötig ist. Die an sich lehrreiche Unterweisung über die Technik der vervielfältigenden Künste geht vielleicht,

obwohl sie an die Buchdruckerkunst an- eines Abrisses der lateinischen Lautlehre geschlossen ist, über den Rahmen des Buches hinaus. Empfehlen möchten wir dagegen eine Berücksichtigung des Kunstgewerbes. Da auch hier die Wahl schwer ist, so könnte es vielleicht durch eine Reihe historisch bedeutsamer Stücke vertreten sein; die deutsche Kaiserkrone z. B. dürfte in Abbildungen zur deutschen Geschichte nicht fehlen.

Die Hauptsache aber ist, daß die Schule, im Besitze zweier so vorzüglicher Lehrmittel, nun auch den rechten Gebrauch davon macht, und dies kann, worauf wir erneut hinweisen (vgl. II 533 ff.), nur dann geschehen, wenn jeder Schüler die Bücher selbst in den Händen hat.

RICHARD WAGNER.

M. NIEDERMANN, SPÉCIMEN D'UN PRÉCIS DE PHONÉTIQUE HISTORIQUE DU LATIN À L'USAGE DES GYMNASES, LYCÉES ET ATHÉNÉES. ESQUISSE LINGUISTIQUE ANNEXÉE AU RAPPORT ANNUEL DU GYMNASE DE LA CHAUX-DE-FONDS SUR L'EXERCICE 1903-1904. La Chaux-de-Fonds 1904. 4°. VIII, 39 S.

Einen neuen, ernsthaften Versuch, den Ergebnissen der neueren Sprachforschung auch im Gymnasialunterricht der alten Sprachen Eingang zu verschaffen, wird man unbedingt begrüßen. Anerkennt man den Grundsatz, daß auch darin für die Schule die Wahrheit besser ist als der Schein, kann man nur darüber im Schwanken sein, wie weit man gehen und wie man das Ziel erreichen wolle. N. wendet sich, wie er mir mitteilt, an die Schüler der oberen Klassen: manches kann indes auch schon im Elementarunterricht behandelt werden, wie dies z. B. mit den Vokalschwächungen bei der Verbalkomposition gewiß an vielen Orten geschieht. Nur ein zusammenfassender Überblick kann die ausschließliche Aufgabe einer höheren Stufe sein. Aber vielleicht würde der Lehrer schon auf der unteren Stufe gelegentlich, wenn auch nur für besonders interessierte Schüler, gern auf eine Darstellung verweisen: von diesem Standpunkt aus sähe man ein derartiges Buch gern auch schon in den Händen der Schüler der unteren Klassen. Diesen könnte man aber freilich noch weniger als den Schülern der oberen Stufe die Anschaffung

zumuten: am zweckmäßigsten wäre es, wenn gleich die Grammatik, die den Schüler auf seinem ganzen Wege begleitet, auch einen Abriß der historischen Lautlehre enthielte; es ist ja auch sonst nicht alles, was eine Grammatik enthält, zur systematischen Einprägung bestimmt (so wird es doch. wohl allgemein mit den Bemerkungen zur Lautlehre in Kaegis griech. Grammatik gehalten). Damit komme ich zu einem anderen Punkte: ich glaube nicht, daß ein Abriß allein der historischen Lautlehre rechte Frucht tragen und Erfolg haben kann. Auch wenn N. sein Buch nur für die oberen Klassen bestimmt, wird er sich vielleicht doch nochmals die Frage vorlegen, ob er außer der Wortbildungslehre, die er mir schon beinahe zugestanden hat, nicht doch auch die Formenlehre in seinen Abriß einbeziehen wolle.1) Freilich sähe ich für obere Klassen, da ich doch einmal am Wünschen bin, noch lieber ein etwas anders geartetes Hilfsmittel: einen Abriß der Etymologie, dem ein Abriß der Laute und Formen, der Wortbildung vorausginge. Sollte es nicht möglich sein, für das Lateinische ein Büchlein zu schaffen in der Art von Detters deutschem Wörterbuch in der Sammlung Göschen? Freilich ist Etymologie ohne Vergleichung nicht möglich, und N. betrachtet es gerade als das Hauptverdienst seiner Arbeit, die Vergleichung völlig ausgeschlossen, alle Erscheinungen aus dem Lateinischen selbst erklärt zu haben. Allerdings hätte auch ein Abriß der Etymologie in erster Linie zusammenzuordnen, was innerhalb des Lateinischen zusammengehört; aber auch vor weiteren Vergleichungen würde ich nicht ängstlich zurückschrecken. Ist das Griechische nicht allen Lateinschülern bekannt, so kennen sie doch die griechischen Buchstaben, oder sollten es, und kennen aus den modernen Sprachen eine Reihe von griechischen Fremdwörtern und treiben auch im französischen

Sprachgebiete Deutsch. Auch einzelne Wörter, besonders geographische Namen,

1) Vgl. das von N. S. VIII erwähnte und von ihm D. L. Z. 1904 besprochene, mir nicht zugängliche Buch von Hale and Buck, A Latin grammar. Boston 1903.

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