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was nicht erst bewiesen zu werden braucht. Zunächst lassen sich nun meines Erachtens diese beiden Extreme geistiger Anlage nicht in dieser Weise in Vergleichung setzen. Schwachsinnige sind tatsächlich körperlich oder geistig oder auch in beider Hinsicht organisch defekt, was entweder schon für den Laien alsbald deutlich wird oder doch in schwierigen Fällen durch ärztliche Untersuchung und Beobachtung wohl beinahe immer unzweifelhaft festgestellt werden kann. Gewisse Dinge sind hier eben nicht vorhanden, können auch über ein bestimmtes Maß hinaus auf keine Weise entwickelt werden; zwischen Kindern dieser Art und solchen von sogenannter Durchschnittsbegabung kann eine ziemlich scharfe Grenze gezogen werden, die aber durch jene in den Organen liegenden Faktoren bestimmt wird. Anders ist das Verhältnis der 'hervorragend Befähigten' zu dem Durchschnitt. Die Grenze ist gerade in der Zeit der Entwicklung, mit der wir bei Petzoldts Vorschlägen immer zu rechnen haben, durchaus schwankend, abgesehen von ganz besonderen Fällen kaum mit Sicherheit bestimmbar, und gerade hierin lag ja ein wesentlicher Grund gegen seinen ganzen Gedankenkreis. Schüler, die auf der Schule, sogar in Prima noch, für begabt gehalten wurden, enttäuschten nach dem Abgange oft völlig; andere, die nur für Mittelgut galten, nahmen später eine ungeahnte selbständige Entwicklung. Wägen und Messen ist hier ungleich schwieriger. Doch angenommen einmal, in einzelnen großen Städten träten zusammen zehn solcher Sonderschulen für Befähigte in die Wirklichkeit, wem würden sie in erster Linie zugute kommen? Natürlich in der Mehrzahl der Fälle den Eltern und Schülern dieser Städte selbst, während doch bei einer großgedachten und durchgeführten sozialen Einrichtung alles darauf ankäme, nun wirklich die Edelsten der Nation auch aus den kleinen Orten, in deren Stille sich manches Talent bildet, dem hohen Ziele zuzuführen; es wäre doch unsozial, wenn der Besuch der Sonderschulen ein Monopol der Großstädter werden sollte. Und doch würde es tatsächlich so kommen, was gerade von Petzoldt sehr bedauert werden müßte. Heute schickt der Pastor oder Arzt auf dem Dorfe oder aus der Landstadt die Söhne auf das Gymnasium der nächsten Kleinstadt, oft mit schweren Opfern. Hinfort würden auch die Eltern begabter Kinder in Klein- und Mittelstädten, die schon eine oder mehrere höhere Schulen haben, sich weiterhin dazu entschließen müssen, jedes Jahr ein paar tausend Mark hinzugeben, um ihren Söhnen den Besuch der Sonderschulen zu ermöglichen. In zahlreichen Fällen werden sie es nicht können manchmal, bei der Verantwortung so früher Entscheidung über die Zukunft der Ihrigen, auch nicht wollen, und gerade diese tüchtigen Elemente, die nicht schon in jungen Jahren unter den vielfach schädigenden Einflüssen der Großstadt verbildet worden sind, würden oft der Schulelite entzogen werden; manche Verstimmung würde entstehen, manche Verbitterung erzeugt werden. Denn daß mittlere oder gar kleinere Städte Sonderschulen gründen könnten und würden, scheint so gut wie ausgeschlossen. Manche von ihnen, besonders solche, die in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts infolge des allgemeinen Rufes nach höherer Bildung voreilig Vollanstalten gegründet haben, müssen schon Opfer genug für je eine höhere Schule bringen, die oft nur unter

Beihilfe des Staates notdürftig lebensfähig blieb. Die zahlreichen 'Begabten aus diesen Städten also wären, falls sie nicht gutsituierten Kreisen entstammen, entweder zum Verzicht genötigt oder auf finanzielle Beihilfe aus Mitteln der Sonderschulen bezw. der sie unterhaltenden großen Verwaltungen angewiesen. Und es ließe sich ja denken, daß diese, von dem reinsten sozialen Bestreben erfüllt, dem Ganzen ihres Volkes möglichst zahlreiche, vollwertig ausgebildete Kräfte aus allen Teilen des Landes und allen Schichten der Bevölkerung zuzuführen, an ihren Sonderschulen eine Anzahl von Stipendien (die jetzt an den alten Schulen alten Stils haften) in ausreichender Höhe für den edlen Zweck stifteten; auch der Staat könnte gerade hier helfend eintreten. Indessen werden alle Praktiker solchen Hoffnungen wohl kühl gegenüberstehen (vgl. das oben S. 438 Bemerkte), und so bliebe ein großer Teil Begabter von vornherein von der in der Theorie doch auch ihnen zugedachten Wohltat ausgeschlossen. Der Einwand, der etwa gemacht werden könnte, daß ja auch den Universitäten und anderen Hochschulen aus kleinen Orten Zöglinge aus mittleren und unteren Lebenskreisen zugeführt werden, die den Eltern große Opfer kosten, ist in doppelter Hinsicht nicht stichhaltig. Einmal ist es doch ein großer Unterschied, ob diese ihre Kinder im dreizehnten Lebensjahre noch dazu bei ziemlicher Unsicherheit über die wirkliche Begabung aus dem Hause geben sollen, oder, mit sichrerem Urteil darüber, erst im neunzehnten oder zwanzigsten; und dann ist ja bekannt, daß vielen der letzteren der Hochschulbesuch nur dadurch möglich wird, daß sie sich leider ganz oder teilweise selbst erhalten

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müssen, was in dem anderen Falle wiederum ausgeschlossen wäre.

Auf allen Gebieten des Lebens erhalten wir täglich neue Pläne, Entwürfe, Vorschläge, von Berufenen und Unberufenen. Wir leben in einer reformfrohen Zeit; und das ist gut. Stillstand ist Rückschritt. Viele Dinge sind unmöglich, deren Einführung uns gleichwohl zugemutet wird und gerade auf dem Schulgebiete gibt es deren ja bekanntlich die Fülle. Das Gute aber haben sie fast immer, vorausgesetzt, daß sie von edelster Absicht eingegeben werden und wenigstens ein gut Teil richtiger Beobachtung zeigen, daß sie einmal dazu nötigen, bestehende Zustände, gleichviel auf welchem Gebiete, stets aufs neue zu prüfen, die bessernde Hand anzulegen, wirkliche Schäden abzustellen, Veraltetes auszuscheiden, über vermeintliche Mängel Aufklärung zu schaffen, andrerseits aber gerade dadurch uns darin bestärken, das Wertvolle und Bleibende, das eine lange und stetige Entwicklung uns gebracht hat, festzuhalten, indem wir uns seiner Bedeutung durch Angriffe auf den einen oder anderen wichtigen und wesentlichen Punkt erst recht bewußt werden. In diesem Sinne werden meines Erachtens auch die Petzoldtschen Gedanken und Vorschläge, so sehr auch besonders die letzteren fast überall berechtigten Widerspruch herausfordern, den Schulmännern manche Anregung bieten und also in ihrer Art Gutes stiften.

ZUR PRAXIS DES DEUTSCHEN AUFSATZES, BESONDERS IN DEN

OBEREN KLASSEN

Von HERMANN SCHOTT

II

Es bedarf keiner weiteren Begründung, daß, wie alles auf der Welt, was zu einem gedeihlichen Ende gebracht werden soll, so auch die Erziehung der Jugend zu gutem deutschem Ausdruck nicht nur in positivem Sinn in der richtigen Weise gefördert, sondern auch im negativen von allen Hemmnissen möglichst befreit werden muß. Auf diese Hemmnisse möchte ich noch so kurz als möglich zu sprechen kommen.

Es sind ihrer nach meinen Erfahrungen und Beobachtungen hauptsächlich drei: erstens die noch zu systematische und intensive Pflege der deutschen Grammatik; zweitens der auf die Schüler fortwährend einwirkende Einfluß des mageren, einseitigen und dem deutschen Sprachgefühl vielfach ganz fremden Wortvorrats in ihren fremdsprachlichen (namentlich altsprachlichen) Vokabularien und Übungsbüchern; drittens der allzu eilfertige und jede Sorgfalt in der deutschen Wiedergabe hindernde Betrieb der Klassikerlektüre.

Zu 1

Die Forderung einer weniger intensiven und systematischen Pflege der deutschen Grammatik in den unteren Klassen scheint schwer vereinbar mit der Erfahrungstatsache, daß wir auch in den Arbeiten unserer Schüler in den höheren und höchsten Klassen noch so großer grammatischer Unsicherheit begegnen. Allein es ist meine feste Überzeugung, daß diese Unsicherheit eben daher rührt, daß wir in den unteren Klassen zu viel deutsche Grammatik treiben, zu viel insofern, als wir, um dem Prinzip der systematischen Vollständigkeit zu genügen, uns im grammatischen Unterricht mit allzuviel Entbehrlichem befassen und darüber nicht die Zeit finden, das Nötigste und Schwierigste gründlich zu behandeln, und zwar in der Weise, daß wir es gründlich ein üben. Und auch hier lassen wir es an der praktischen Veranschaulichung an der Hand der Lektüre fehlen, an der Erziehung des Sprachgefühls, vor allem der Schärfung des Ohres an klaren, faßlichen Beispielen und mit Benutzung der in der Lektüre vorkommenden praktischen Fälle. Dem systematischen Dozieren, dem Kultus der Regel wird in unbewußter Einwirkung der fremdsprachlichen Methode auch hier viel zu sehr gehuldigt, auch hier wird viel zu wenig die schon oben ausgesprochene Erfahrungstatsache berücksichtigt, daß keine Macht

der Welt die Jugend dahin bringen wird, ihre Muttersprache nach Regeln zu gebrauchen. Alle Versuche es dahin zu bringen scheitern an der durch die Natur bedingten Gewöhnung an induktive Erlernung und zwanglose Anwendung der Muttersprache durch den Menschen. Um ein recht deutliches und uns Lehrern nur zu vertrautes Beispiel anzuführen, so werden wir es aufgrund von Regelanlernung nie und nimmer dahin bringen, daß die Schüler in den bekannten Fällen wie 'mehrere deutsche Fürsten', mit 'manchem treffenden Wort', 'vieler jungen Leute' u. s. w. das Richtige sicher treffen. Ja es gibt sogar kein besseres Mittel, um den Schüler auf diesem kitzligen Gebiet vollends zu verwirren, als wenn man ihm die Sache theoretisch bis ins kleinste klar machen und sie in Regeln fassen will. Denn sie ist im Grunde doch bloß euphonisch und im übrigen aus konventioneller Festsetzung hervorgegangen. Ihre richtige Anwendung beruht also in der Hauptsache auf der richtigen Schulung des Ohres und soweit die schriftliche Anwendung in Betracht kommt auf Aufmerksamkeit. Ersteres wird nur durch die Praxis, durch allmähliche Gewöhnung und einzelne ad hoc vorgenommene intensive Übungen an klaren Beispielen, letzteres nur durch dieselben erzieherischen Mittel der Strafe und Ermahnung erreicht, die wir auch sonst anwenden müssen, um die Schüler zu zwingen sich zusammenzunehmen'.

Natürlich muß den Schülern die Grundregel einmal auseinandergesetzt und bekannt gemacht werden, damit sie sehen, daß die Sache nicht auf reiner Willkür beruht, und damit sie wenigstens ein allgemeines Mittel der Selbstkontrolle haben. Aber in der Hauptsache bleibt uns nichts übrig als der oben bezeichnete Weg der Schulung des Sprachgefühls an praktischen Beispielen.

Außer diesem eben besprochenen Kapitel aus der deutschen Grammatik verlangen nach den Beobachtungen und Aufzeichnungen, die ich mir im Laufe meiner bisherigen Praxis gemacht habe, nur noch folgende einer gründlichen Einzelbehandlung und wirklicher Einübung, damit wir uns in den oberen Klassen nicht mit ihnen aufzuhalten brauchen.

1. Die deutsche consecutio temporum (namentlich bezüglich des Gebrauchs des Plusquamperfekts).1)

2. Die deutsche Moduslehre (besonders in der oratio obliqua).

3. Die Satzzusammenziehung. Die Schüler machen bekanntlich immer wieder den Fehler, daß sie die Zusammenziehung (vornehmlich in relativen Nebensätzen) auch dann vornehmen, wenn die Verschiedenheit der Rektion des Verbums die Zusammenziehung unmöglich macht. Z. B.: 'Das war ein Mann, dem jedermann Achtung zollte und (den) alle liebten'. Oder: 'Die Sinnesart Alexanders d. Gr. war edel und großmütig, konnte aber furchtbar aufbrausen' (statt er konnte aber' -).

1) Ich weiß nicht, ob es speziell süddeutsche oder noch spezieller bayrische Eigenart ist, daß die Schüler das Plusquamperfektum nur am unrichtigen Ort gebrauchen wollen. Jedenfalls ist das bei uns ein gar nicht auszurottender Fehler.

4. Der Gebrauch des Infinitivs mit 'zu' und 'um zu'. Z. B.: 'Leider kann ich deiner Einladung nicht Folge leisten, denn es ist der bestimmte Wille meines Vaters immer bei ihm zu sein.

5. Deutsche Partizipialkonstruktionen. Z. B.: 'Sehr ermüdet... schien es uns das beste, etwas auszuruhen.'

6. Appositionen. Die Kasusübereinstimmung der Apposition mit dem durch sie näher bestimmten Satzteil wird bekanntlich von den Schülern außerordentlich häufig vernachlässigt, namentlich wenn dieser Satzteil nicht selbst ein Nomen, sondern ein Infinitiv ist. Z. B.: 'Der wackere Mann hielt sich fern von allem Verleumden und Intrigieren, dieses Hauptgeschäft der Höflinge.'

7. Gebrauch der demonstrativen und persönlichen Fürwörter der 3. Person. Ich mache hier nur auf den hinsichtlich der Klarheit der Beziehung oft so mangelhaften Gebrauch von ihr', 'ihm', 'ihn', 'dieser' u. s. w. aufmerksam, ferner auf den bekannten Unfug mit derselbe'. Hierher gehört auch der aus dem Lateinischen und Griechischen stammende häufige Gebrauch von 'jener' in substantivischer Verwendung, die im Deutschen bloß ausnahmsweise und in einzelnen, stehenden Verbindungen, wie 'der und jener', 'dieser und jener' bei gegensätzlicher Korrelation gebraucht werden sollte.

8. Gebrauch der Präpositionen 'durch', 'wegen', 'infolge'. Z. B.: 'Durch den Marsch sind wir müde (statt müde geworden).' 'Wegen des Regens sind die Straßen naß' (statt 'infolge des Regens'). Sonst habe ich nennenswerte Unsicherheiten im Gebrauch der Präpositionen nie getroffen.

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Auf diese acht Punkte das ist meine auf praktischer Erfahrung beruhende feste Überzeugung sollte und könnte sich der grammatische Unterricht (abgesehen von der Orthographie) in der oben beschriebenen überwiegend praktischen Form beschränken. Alles übrige lernen die Schüler entweder von selbst, d. h. schon durch bloße allmähliche Gewöhnung, teils im fremdsprachlichen grammatischen Unterricht, der keineswegs bloß als Grundlage für die Schriftstellerlektüre nötig ist, sondern auch als Mittel der Vertiefung des Könnens der Schüler in ihrer Muttersprache, wie ich dies wohl nicht erst im einzelnen näher zu begründen brauche (vgl. übrigens Teil I, S. 341). Es gibt gar keinen schwereren Irrtum als den, den deutschen grammatischen Unterricht als Vorspann für den fremdsprachlichen zu betrachten, was er recht wohl gelegentlich einmal, aber nie und nimmer grundsätzlich sein kann. Viel eher hat umgekehrt der fremdsprachliche grammatische Unterricht im Dienst deutscher Sprachschulung zu stehen, wodurch sein anderer Zweck, der der Grundlegung für die Klassikerlektüre, in keiner Weise beeinträchtigt wird, wie für jeden Einsichtigen ohne weiteres klar ist.1)

1) Insbesondere die intensiven Übungen in der Unterscheidung der Teile des einfachen und zusammengesetzten Satzes, auf welche in Quinta und Quarta so viel Zeit im deutschen Unterricht verwendet wird, sollte man endlich einmal ruhig aus dem Lehrplan streichen. Sie sind das Zweckloseste und Unfruchtbarste, was es gibt, vorausgesetzt, daß wir uns im Lateinischen die Zeit nehmen die Schüler an das Konstruieren jedes einfachen Satzes und das Schematisieren jedes zusammengesetzten Satzgefüges zu gewöhnen. Und lieber ver

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