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zur Taurischen Iphigenie, G. Pachtikos, eine Sammlung von 260 solchen Volksliedern aus allen Teilen des griechischen Orients mit den Originalmelodien in unserer Notenschrift herausgegeben worden ist, ein Buch, das für die Leser der Neuen Jahrbücher von großem Interesse sein dürfte.'

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Die Singstimmen von G. Pachtikos zur Iphigenie liegen mir jetzt vor (H μɛloποιία τῶν χορικῶν καὶ τῶν κομμῶν Ιφιγενείας τῆς ἐν Ταύροις τοῦ Εὐριπίδου, Athen 1901). Die Komposition ist von der 'Gesellschaft zur Aufführung antiker Dramen' mit dem Preise von 1500 Dr. ausgezeichnet worden. Sie schließt sich meist an griechische Kirchen- und Volksmelodien an und ist in den Chorpartien dreistimmig, mit Orchesterbegleitung für Streichinstrumente versehen. Nicht sungen, sondern gesprochen wird das uélos àñò ouηvñs V. 827-899, die Erkennungsszene; dafür ist nur Instrumentalbegleitung vorgeschrieben, und zwar die Melodie eines anatolischen Tanzliedes von Kappadokien (Anuodn Elinv. ou. Nr. 1), das auch eine Wiedererkennung, von Mann und Frau, schildert und von dem kühnen Patriotismus des Komponisten vermutungsweise auf das Altertum zurückgeführt wird. Die Musik hält sich in den griechischen Tonleitern und macht auf unser Ohr einen fremdartigen, dabei keinen einheitlichen Eindruck. Gelegentlich hört der Kenner Anklänge an die Reste althellenischer Musik heraus wie das Seikiloslied. Es war das Bestreben von Pachtikos, den antiken Rhythmus streng zu wahren; doch ist mir eine lange Reihe von Stellen aufgefallen, wo das nicht geschehen ist, er beherrscht offenbar die altgriechische Metrik nicht ausreichend. Die ganze Tragödie ist mit dieser Melopöie zuerst im Oktober 1901 fünfmal in den Theatern Athens aufgeführt worden, darunter einmal für sämtliche Schüler der athenischen Schulen. 18 junge Mädchen bildeten den Chor, sie hatten zwei Monate lang unermüdlich geprobt. Das fast gänzlich ungekürzte Stück nahm drei Stunden in Anspruch man ersieht daraus, welche Genußfähigkeit im Altertum drei Tetralogien voraussetzten, wie sie dem athenischen Publikum an drei aufeinanderfolgenden Tagen geboten zu werden pflegten. Vgl. L. Bürchner, Neueste Kompositionen der lyrischen und chorischen Gesänge antiker Dramen in der Beilage zur Allg. Zeitung 1903 Nr. 71 S. 562 ff

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ZUR PÄDAGOGISCHEN LITERATUR DES XVIII. JAHRHUNDERTS

Von FELIX v. KozLOWSKI

Daß die pädagogischen Bestrebungen des XVIII. Jahrh. im engen Bunde mit den literarischen Strömungen jener Zeit stehen, ja teilweise direkt mit ihnen zusammenfallen, ist ebenso bekannt wie ihre alle in Betracht kommenden Gebiete umfassende Wirksamkeit. Der universelle Zug des Zeitalters der Humanität konnte nicht auf dem bis dahin fast gänzlich vernachlässigten Gebiete der Erziehung des Landvolkes unwirksam bleiben, von dessen trostlosem geistigen und materiellen Zustande Schriftsteller wie Rochow, Garve, Nikolai u. a. unwiderlegliches Zeugnis ablegen, und auch hier mußte ein notwendiger Niederschlag dieses Strebens in volks- und kinderfreundlichen Schriften zutage treten, von deren übergroßer Menge nur die Rochows und Johann Georg Schlossers literarhistorischen Wert beanspruchen dürfen. Rochows 'Versuch eines Schulbuchs für Kinder der Landleute, oder zum Gebrauch der Dorfschulen' (Berlin 1772) war schon Schlossers 'Katechismus der Sittenlehre für das Landvolk' (Frankfurt 1771) vorangegangen, der, wie Koberstein (Lit.-Gesch. III 496) urteilt, eins der besten Volksbücher' ist, die wir aufzuweisen haben'. Der Schwager Goethes zeigt in diesem Schriftchen eine Gesinnung für die sittlich-religiöse, ökonomische und politische Hebung des Bauernstandes, wie er sie später als badischer Oberamtmann in Emmendingen nicht ohne eine gewisse seiner Natur gemäße eigensinnige Rechthaberei in die Tat umzusetzen versuchte. Wie Rochow verband Schlosser Theorie und Praxis miteinander, blieb aber trotz seiner weiteren Interessen für das niedere wie höhere Erziehungswesen im ganzen ein pädagogischer Dilettant, während jener auf einem beschränkten Felde persönlich erprobte, was er schrieb, und das schrieb, was er persönlich erprobt hatte. Beide, Rochow wie Schlosser, sind Idealisten im Sinne ihrer Zeit, die Aufklärung und Weltverbesserung zum Zwecke allgemeiner Glückseligkeit auf ihr Panier geschrieben hatte, aber der erste schaffte etwas Positives, und der letzte mühte sich in einem fruchtlosen Kampfe mit erfahrenen Schulmännern um Anerkennung von Ideen, welche die Erziehung für die unmittelbare Arbeit des Lebens einseitig betonend bei aller guten Absicht doch mit Recht den Widerspruch herausforderten. Man lese, was mit Bezug hierauf E. Gothein in seiner Schrift Johann Georg Schlosser als badischer Beamter' über den jahrelangen erbitterten Kampf Schlossers mit dem Kirchenrat Sander (S. 56 ff.) erzählt, und man wird mit ihm zugeben, daß dieser Kampf 'einen interessanten Beitrag zur Geschichte der Pädagogik im vorvorigen Jahrhundert bietet. Auf jeden Fall

aber nehmen Schlossers pädagogische Ansichten und Bestrebungen im Zusammenhange mit seiner anderen weitverzweigten literarischen und teilweise praktischen Tätigkeit auf juristisch-politischem, geschichtlich-philologischem, ästhetisch-philosophischem und religiösem Gebiete eine Stellung ein, die ihnen in einer umfassenden Würdigung des Lebens und Wirkens dieses hervorragenden und interessanten Mannes eine eingehende Betrachtung sichert. Schlossers pessimistisch angelegte Natur hatte die seltene Fähigkeit, den Dingen eine Seite abzusehen, die anderen verborgen geblieben war. Er erzielte daher große Wirkungen in der Opposition; so gehört z. B. seine von der Pädagogik bisher wenig beachtete Kritik der Philanthropine in seinen vier Schreiben an seinen Freund, den Baseler Ratsschreiber Isaak Iselin, zu dem Geistvollsten, was über jene berühmten Erziehungsanstalten gesagt worden ist. Auch hier urteilt der idealistische Pessimist, der zwar das Ideal der Erziehung zum vollkommenen Menschen in Kopf und Herzen trägt, aber sein Jahrhundert zu keiner idealisierten und ganz guten Erziehung für reif erklärt. Ehe Deutschland nicht ganz umgegossen wird, ist eine vollkommene Erziehung das grausamste Geschenk, das man einem Jungen geben kann, den seine Natur nicht selbst vom Fleetditch weg zieht.' Die Philanthropine Basedows und Salis' wollen die Menschen ausrüsten mit aller Menschenkraft, soweit dies physisch und geistig möglich ist, aber diese Menschen sind zu Joch und Wagen verdammt. 'Wie werden sie ausschlagen und springen, wenn sie künftig in Gleis und Furche bleiben sollen; wie werden sie löcken wider den Stachel, bis sie zugrunde gehen!' Ja vielleicht sind die Menschen schon zu weit von der Natur ent fernt, daß je ein Jahrhundert reif werden wird, die Erziehung dem höchsten Menschheitsideale gemäß zu gestalten. Man hört Rousseausche Klänge, aber Schlosser gestaltet alles originell und selbständig.

Nirgends mehr als im XVIII. Jahrh. sind bald und meist dauernd gleichgesinnte Geister in Beziehungen zueinander getreten. Im 93. Handschriftenbande der noch lange nicht ganz ausgeschöpften Gleimschen Familienstiftung zu Halberstadt finden sich fünf ungedruckte Briefe Schlossers und vier Briefe Rochows1) an Gleim, die, teilweise in vieljährigen Abständen voneinander geschrieben, die freundschaftlich gebliebenen Gesinnungen dieser Männer zum Vater Gleim dokumentieren. Rochow hat auch als Domkapitular des hohen Stiftes Halberstadt mit dem Domsekretär und Kanonikus Gleim mancherlei persönliche und amtliche Berührungen gehabt. Aus den Briefen Schlossers, den Gleim persönlich nicht kennen gelernt hat, sei eine Stelle über den oben erwähnten 'Katechismus der Sittenlehre u. s. w.' mitgeteilt: 'Wenn ich mit meinem moralischen Catechismus auch den Entzweck nicht ganz erreichen kan den ich mir vielleicht zu schwärmerisch vor setzte, so ist es mir doch eine unschätzbahre Belohnung daß alle die Männer die ich hochschätze meiner geringen

1) Die Briefe Rochows an Gleim hat Jonas in seinem Buche 'Litterarische Korrespondenz des Pädagogen Friedrich Eberhard von Rochow mit seinen Freunden' (Berlin 1885), unter anderen zerstreut, nach einer aus den Originalen von zweiter Hand gemachten nicht völlig getreuen Kopie abgedruckt.

Arbeit Beyfall schenken. Nicht allein aber das Landvolck auch der feinere Theil der Welt, auch der gelehrte Theil brauchte einen änlichen Catechismus. Jener, damit er sehen lernte, daß der wahre Adel, die wahre Lebensart auf der Tugend beruhe; dieser, daß er endlich einmal aufhöre seine Schüler in dem moral. Feenreich herum zu führen, in welchem es so leicht ist viel, und so schwer etwas zu sagen, wozu ein jeder Leser ein antwortendes Gefühl in seiner Seele fände.'

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Auch zu anderen bedeutenden Pädagogen trat Gleim in Beziehung; es seien nur Basedow, Büsching, Resewitz, der Abt von Kloster Bergen bei Magdeburg, und Salzmann genannt. Gleim selbst war eine Art Pädagog unter den Dichtern jener Zeit: seine volksfreundliche Natur, sein Verständnis für die Art des sogenannten gemeinen Mannes, die von seinem Neffen und Biographen Körte an ihm gerühmte Gabe, mit dem Volke zu reden und umzugehen eine Gabe, die ihren Hauptgrund in seiner vielgepriesenen Menschenfreundlichkeit hatte, machte ihn nicht bloß geeignet zum Sänger der 'preußischen Kriegslieder von einem Grenadier', sondern auch zum Dichter von Liedern fürs Volk, welche die laeta paupertas lobten und sogar Lessings Beifall fanden. Von seinem heute vergessenen 'Halladat' (1774) meinte freilich Wieland, es müßten noch Generationen kommen und gehen, bevor dies Werk ein Schulbuch werden könne; und auch der Abt Resewitz in Kloster Bergen äußerte sich auf eine direkte Frage Gleims, die Vorlesung des Buches in den Schulen betreffend, zurückhaltend. Es ist aber nicht unwahrscheinlich, daß dort ein Versuch mit dessen Lektüre gemacht worden ist.

Vom Halladat ist gleich am Anfange des ersten der vorhandenen Briefe Rochows an Gleim die Rede; jener bedankt sich für die Übersendung des Buches und gedenkt dieses Geschenk mit der 1776 erschienenen und gänzlich umgearbeiteten zweiten Ausgabe des Versuchs eines Schulbuches für Kinder der Landleute' baldigst zu erwidern. Die Briefe bekunden, welche hohen und edlen Gesichtspunkte Rochow mit der, wie er selbst sagt, seinem Stande so heterogenen Beschäftigung verband, und bilden einen Beitrag zur Charakteristik dieses menschenfreundlichen Landedelmannes und Pädagogen. Wir lassen den ersten Brief als den bemerkenswertesten unmittelbar nach dem Originale hier folgen:

Hochwohlwürdiger Herr Canonicus

Insonders hoch zu ehrender Herr Dohm Secretair,

Der Gott von dem Sie so vortrefliche Gesänge singen, seegne Sie dafür, mit dem Gefühl Seines Wohlgefallens, und des Beyfalls aller Freunde des Guten! Wir dancken Ihnen hertzlich für das unterscheidende Merckmal Ihrer wohlmeynenden Gesinnung gegen uns, welches Sie uns in Übersendung Dero vortreflichen Schrift1), zu erkennen gegeben haben.

Nicht in solchem Werth, aber doch mit ähnlichen Gesinnungen dencke mich bey EW. Hochwohlwürden in kurtzen durch Erwiedrung zu bedancken, da ich eben itzo

1) 'Halladat, oder das rote Buch.' Anm. v. fremder Hand.

mit der zweyten vermehrten Ausgabe meines Versuchs pp. fertig geworden bin, welche seit zwey Jahren meine wichtigste Beschäftigung gewesen, aber ohne manchen wirklichen Versuch, nicht vollendet werden konte.

In vielen Ihrer vortreflichen Gesänge ist Trost für die unserm Stande so heterogene Beschäftigung, die ich mir gewählt habe: Nehmlich, durch Erleuchtung des Volcks, welches nach dem Ausspruch Jesaiae im 9t. 6. C. ohne alle Metapher 'im Finstern wandelt' den Grund zu großen heilbringenden Revolutionen zu legen. Bisher seegnet die alles regierende Gottheit, meine geringen Bemühungen auf eine mir selbst zur Bewunderung gereichende Weise. Und dieses macht mich getrost, und unterstützt oft meinen sinckenden Muth wenn ich mein vorgestecktes Ziel, die Vollkommenheit noch so fern von unsrer Arbeit erblicke. Aber gewiß, große und kleine Kräfte müßen zusammen wircken, wenn Dunckelheit nicht mehr die Völcker bedriken soll. Von allen und für alle Fähigkeiten muß zum Behuf der allgemeinen Glückseeligkeit gearbeitet werden. Und indem ich für den Landmann, unter der großen Zahl von Wahrheiten, das zum Dencken unentbehrlichste aus zu suchen mich bemühe, so erheben Sie Sich zu der Höhe des stoltzen Menschenlehrers oder Beherrschers, und stimmen durch die allgewaltige Kraft, der auf edle Zwecke verwendeten Dichtkunst, seine nichtlautende Seele zu Wohllaut um.

Möchte es doch für alle Geistes-Gaben erst allgemeine Zwecke geben! Ich getraue mich fast einen solchen Plan, in dem Ausruf der Engel zu finden

Ehre sey Gott in der Höhe,

Friede auf Erden, und unter den Menschen verbreite sich

Glückseeligkeit und unschuldige Freude!

Ein jedes Werck des Genies, welches dahin abzielt, macht seinem Verfaßer die Ehre, daß er in selbigen die Gesinnungen eines guten Engels an den Tag gelegt hat. Ich bin mit verstärckter Hochachtung

Haus Reckan

d. 30 Junii

1775.

EWr. Hochwohlwürden

gantz ergebenster Diener Rochow.

Der letzte vorhandene Brief Rochows an Gleim enthält nur eine kurze Notiz als Beiwort zur Übersendung des 1794 in Braunschweig mit einer Vorrede erschienenen zweiten Versuchs der 'Berichtigungen', deren erster bereits 1792 ebenfalls dort herausgekommen war. Wenn Rochows Hauptstreben auf die Bildung richtiger Begriffe bei der Jugend gerichtet war, so geben seine beiden in der Geschichte der Pädagogik kaum erwähnten Bände 'Berichtigungen' beredtes Zeugnis von dem eifrigen Bemühen Rochows ab, sich selbst und anderen zur Klarheit über wichtige pädagogische, religiöse, kirchliche, ethische u. a. Begriffe zu verhelfen, denn 'unberichtigte Begriffe von wichtigen Dingen und Worten zeugen wichtige oder sehr schädliche Irrtümer' (Berichtigungen, erst. Versuch S. 2). Er empfiehlt den Titel und die Absicht seiner Schrift den edelsten Köpfen und Herzen seiner Nation, indem er be kennt, daß er sein Leben hindurch viel von unberichtigten Begriffen, sowohl von eigenen als seiner Mitmenschen, gelitten habe. So sollen auch diese Berichtigungen Aufklärung, Erkenntnis der Wahrheit befördern helfen. Das Buch hat eine edle Sprache und zeugt von Rochows umfassendem Nachdenken. Der

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