Page images
PDF
EPUB

offenbart.' Wenn Horaz III 29, 9-12 seinem Überdrusse an dem Glanze der Stadt beredten Ausdruck gibt, hab ich an Goethes 'Läßt der Türme Flammengipfel, Marmorhäuser, eine Schöpfung seiner Fülle, hinter sich' denken müssen. III 2, 23 sucht sich die Virtus einen Weg, das Gemeine meidend und der Erde Dunstkreis mit fliehendem Fittich. Ähnlich sagt Goethe: 'Wirst ihn heben übern Schlammpfad mit den Feuerflügeln.' In III 4 schildert Horaz seine wunderbare Errettung aus Gefahr von Vipern und Bären in weltverlassener Einsamkeit. Daran dachte sicherlich Goethe nicht, als er schrieb: 'Den du nicht verlässest, Genius. Wirst die wollnen Flügel unterspreiten, Wenn er auf dem Felsen schläft, Wirst mit Hüterfittichen ihn decken In des Haines Mitternacht.' Dem Quintius Hirpinus (II 11) rät Horaz: nec trepides in usum poscentis aevi pauca. Das mag damals leichter gewesen sein als heut, für einen Südländer eher ausführbar als für den Sohn des mehr bedürfenden Nordens, aber auch Goethe versichert uns: 'Mit vielem läßt sich schmausen, Mit wenig läßt sich hausen.' Man pflegt die erste Staatsode als ein Loblied auf die continentia aufzufassen und dieses Wort oft mit 'Genügsamkeit' zu übersetzen. Es ist das vielleicht der rechte Ort, an das Goethesche Lied vom Adler und der Taube zu erinnern, wo die 'Weisheit, die wie eine Taube redet' das ärgerliche Wort spricht: 'O Freund, das wahre Glück Ist die Genügsamkeit, Und die Genügsamkeit Hat überall genug.' Es wäre zu traurig, wenn die Schüler auch nur einen Augenblick den Horaz für einen ähnlichen Philister halten könnten. Es ist ein anderer Gegensatz bei Goethe und bei Horaz zu dem Lobe der Genügsamkeit gedacht: bei jenem das bei der Größe der Kraft an und für sich berechtigte stolze Streben zur Höhe, das Ruhm, aber auch Qualen gebiert, und bei diesem das Hasten nach irdischen Gütern und Genüssen. Die Taube als Gegenbild des Adlers kennt aber auch Horaz, wenn er im Goetheschen Sinn sagt: neque imbellem feroces Progenerant aquilae columbam (IV 4. 31 u. 32). Für das Liebesspiel am Schluß von II 12 bietet Goethes: 'Der Liebsten Band und Schleife rauben, Halb mag sie zürnen, halb erlauben Euch ist es viel, ich will es glauben!' Auch mag die Stelle für das in I 9 genannte pignus einen modernen Ersatz lehren. Für Horazens traurig-süße Gefühle, als er sich wieder im Banne der Liebe sieht, wird unter vielen Goetheschen Versen auch jener den rechten Akkord geben: 'Herz, mein Herz, was soll das geben? Was bedränget dich so sehr? Welch ein fremdes, neues Leben! Ich erkenne dich nicht mehr.' Auch IV 7 sagt nur in größerer Ausführlichkeit, was Goethe so kurz sagt: 'Willst du nach den Früchten greifen, Eilig nimm dein Teil davon!', wie denn überhaupt Goethe für Horazens Lehre vom Augenblick in III 8 und III 29. I 11 u. s. w. bekanntlich sehr empfänglich ist: 'Was man nicht nützt, ist eine schwere Last. Nur was der Augenblick erschafft, das kann er nützen.' Was Horaz I 31 bei der Weihe des Apollotempels für sich als vates erfleht, darauf kann er nach Goethe sicher hoffen, denn: 'Denke, daß die Gunst der Musen Unvergängliches verheißt: den Gehalt in deinem Busen und die Form in deinem Geist.' Will nicht auch Goethe durch die Verse: Wundert Euch, ihr Freunde nicht, Wie ich mich geberde. Wirklich ist es allerliebst auf der

[ocr errors]

-

[ocr errors]

lieben Erde' wie Horaz II 3, 9 ff. und IV 12, 28 dem Pessimismus wehren und sein desipere entschuldigen? Lehren nicht beide: 'Nur halte von hängenden Köpfen dich fern Und lebe dir immer von neuem (vgl. IV 7, 19 amico Quae dederis animo), so sehr beide auch Worte finden für die Allgewalt des Todes, für den es keinen Unterschied der Jahre gibt: 'Es singen die Priester: Wir tragen die Alten Nach langem Ermatten und spätem Erkalten, Wir tragen die Jugend, noch eh' sie's gedacht' (Horaz I 28, 19 ff.). Nichts gibt ferner besser die miseri tumultus des Horaz II 16, 10 wieder als der Goethesche Ausdruck in die mir das innere Toben stillen'. Freilich ist die Stimmung so himmelweit verschieden trotz des Anklangs der Gedanken. Man sieht dies leicht, wenn man Horazens I 34 nunc retrorsum vela dare atque iterare cursus vergleicht mit Goethes lebendigeren, leichteren Versen: 'Ich habe geglaubt, nun glaub ich erst recht. So düster es oft und so dunkel es war In drängenden Nöten, in naher Gefahr Auf einmal ist's lichter geworden.' Oder die frischen Goetheschen Worte: 'Ich hab mein Sach auf nichts gestellt' mit dem pathetischeren: probamque Pauperiem sine dote quaero (III 29, 55) und mit den Versen von dem übermütigen Spiel der Fortuna (III 29, 50) Goethes: 'Die Münze rollte hier und dort, Und hascht ich sie an einem Ort, Am andern war sie fort.' Längst hat man deshalb schon verglichen: 'So wird die Liebe nimmer alt und wird der Dichter nimmer kalt' mit Hor. IV 1, und 'Ich ging im Felde So für mich hin, Und nichts zu suchen, Das war mein Sinn' mit I 22, dem es auch in der Stimmung völlig entspricht. Man denke auch an Goethes 'Musensohn': 'Durch Feld und Wald zu schweifen'. Dem H.schen I 23 Vitas hinnuleo me similis, Chloe ist ähnlich dem Sinne nach: 'Und sage: Pomeranze, du rauhe Pomeranze, du süße Pomeranze, O fall in meinen Schoß.' Auch dem H. ging es III 4, 6, als er in 'holdem Irren' nach ihnen rief, wie Goethe: Rüstig spring ich von dem Lager, Suche die geliebten Musen, Finde sie im Buchenhaine, Mich gefällig zu empfangen.' Daß in I 17 eine sehr ähnliche Lage in ähnlicher Stimmung wie von Goethe in: 'Der neue Pausias und sein Blumenmädchen' geschildert ist, hat schon Gerh. H. Müller angemerkt, wie er auch bei I 15 mit Recht an die Klassische Walpurgisnacht im Faust erinnert. II 10 enthält Naturbilder, welche zusammengestellt und innerlich verknüpft sind durch den Gedanken, daß der Wechsel auch Leid in Freude verwandle. Das informes hiemes reducit Iuppiter u. s. w. gibt Goethe wieder in: 'Zur rechten Zeit vertreibt der Sonne Lauf die finstre Nacht.' Wir pflegen bei der Erklärung des Horaz bedauernd zu bemerken, daß die Südländler in der Darstellung ihrer Empfindungen, namentlich in denen der Liebe, etwas über das von uns als schön empfundene Maß hinausgehen. Aber auch Goethe sagt einmal freilich ist es keine Stelle, die ihn berühmt gemacht hat: 'Es schwindelt mir, es brennt mein Eingeweide (vgl. H. I 13, 8 u. s. w.). Man hat bei Horaz oft die Pointe am Schlusse, z. B. II 16 mihi parva rura et spiritum Grajae tenuem Camenae Parca non mendax dedit et malignum spernere volgus in ihrem raschen Abbrechen und dem Überraschenden der Anfügung nicht genügend gewürdigt. Bei dem pointierten Schluß des Prometheus: 'Und dein nicht zu achten, wie

ich habe ich ein ähnliches Gefühl gehabt. Sehr bekannt und oft verglichen ist mit Horazens stolzem Gedicht: Exegi monumentum Goethes: 'Jeder möge so verkünden, was ihm heute wohl gelang! Keinen Druckser hier zu leiden, Sei ein ewiges Mandat. Nur die Lumpe sind bescheiden; Brave freuen sich der Tat.' Und doch sind der Unähnlichkeiten mehr. Bei Goethe ist ein allgemeiner Gedanke, was bei Horaz persönliches Gefühl und Erlebnis ist. Hierher gehört auch Goethes Epigramm: 'Nur ein einzig Talent bracht' ich der Meisterschaft nah: Deutsch zu schreiben.'

DIE FELDHERRNKUNST IM ALTERTUM

Von KONRAD LEHMANN

Heinrich von Treitschke sagt in seiner Politik: 'Wer das ewige Werden als das Wesen der Geschichte erkennt, der wird begreifen, daß alle Geschichte zuerst politische Geschichte ist. Die Taten eines Volkes muß man schildern; Staatsmänner und Feldherren sind die historischen Helden. Gelehrte und Künstler gehören auch mit zur Geschichte, aber das geschichtliche Leben geht nicht in diesem idealen Streben auf.' In der Tat, alle Kultur ist erst erwachsen auf dem blutgetränkten Boden gewaltiger Kraftanspannungen der politischen Volksverbände.

Wenn jedoch die Behandlung der Kriegsgeschichte wirklich nutzbringend sein soll, so setzt sie außer einem hinreichenden Quellenmaterial auch ein richtiges Verständnis vom Wesen der Kriegführung voraus. Es ist eine allgemeine Erfahrung, daß eine kurze und knappe Aufzählung auch der glänzendsten Kriegstaten meist keinen tiefen Eindruck macht. Man fühlt wohl, daß es sich um gewaltige, welterschütternde Ereignisse handelt, aber man sieht nicht recht ein, warum man zu dem Feldherrn mit bewundernder Ehrfurcht emporblicken soll. Denn seine berühmt gewordenen Maßnahmen erscheinen auf der Karte so außerordentlich einfach, daß sie jeder normale Kopf bei nachträglicher Prüfung nicht nur mühelos versteht, sondern wohl auch gar nicht selten noch zweckentsprechender entwerfen kann. Darum erklärt denn auch der große preußische Kriegsphilosoph, der Freund Gneisenaus, General von Clausewitz, in seinem klassischen Werke 'Vom Kriege': 'Solange man selbst den Krieg nicht kennt, begreift man nicht, wo die Schwierigkeiten der Sache liegen, von denen immer die Rede ist, und was eigentlich das Genie und die außerordentlichen Geisteskräfte zu tun haben, die vom Feldherrn gefordert werden. Alles erscheint so einfach, alle erforderlichen Kenntnisse erscheinen so flach, alle Kombinationen so unbedeutend, daß im Vergleich damit uns die einfachste Aufgabe der höheren Mathematik mit einer gewissen wissenschaftlichen Würde imponiert.'

Während jedoch die neuere Geschichte dank ihrem reichen Quellenschatze schon eher geeignet ist, auch den Laien das Wesen der Feldherrnkunst ahnen zu lassen, erscheinen uns die Kriegshelden jener längst entschwundenen Zeiten mit Ausnahme weniger Fälle wie mehr oder minder verstümmelte Bilder aus kaltem Stein. Denn die Nachrichten, die auf uns gekommen sind, reichen meist nicht aus, um uns die Eigenart der Persönlichkeiten in scharf um

rissenen, lebensvollen Zügen erkennen zu lassen, und nur in wenigen Fällen sind die Quellenberichte des Altertums über Kriegstaten geeignet, aus der Masse von mehr oder weniger wichtigen Einzelheiten der Kämpfe die leitenden militärischen Gesichtspunkte und den inneren Zusammenhang der kriegerischen Vorgänge klar genug hervortreten zu lassen. Sie bringen uns also vielfach militärischen Kleinkram, der uns wenig befriedigen kann, und lassen das eigentlich Wertvolle, die militärischen Gedanken, vermissen. Gleichwohl gewährt uns die kriegswissenschaftliche Kritik hier und da die Möglichkeit, durch eindringendes Nachdenken über den Zusammenhang der Kriegsbegebenheiten die Überlegungen, die der Feldherr anstellen mußte, wiederaufzufinden. Und gelingt es uns so, einen Blick in die Seele der Heldengestalten zu tun, so gewinnen wir erst eine klarere Vorstellung von ihrer Größe, und ihre Geschichte wird dann erst reizvoll und für Bildungs- und Erziehungszwecke wertvoll.

Indem wir also auf den folgenden Blättern einwandfreie Quellen und die gesicherten Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung unter diesem Gesichtspunkt zu verarbeiten unternehmen, hoffen wir manchem den Blick für die wesentlichen Bedingungen des Kriegerberufes zu schärfen, zugleich aber die Unwandelbarkeit der Grunderfordernisse aller Kriegführung unter den verschiedenartigsten Zeitverhältnissen zu veranschaulichen. Haben sich auch die Waffen und die taktischen Formen geändert, so sind doch die psychologischen Grundlagen der Heerführung dieselben geblieben, und so kommt denn auch Verdy du Vernois (Studien über den Krieg III 2, 11, S. 36) im Anschluß an die strategische Betrachtung des überaus lehrreichen Angriffs Hannibals auf Italien zu dem Ergebnis: 'Bei dem Studium von Kriegen in der uns hier beschäftigenden Art und Weise tritt überhaupt vorzugsweise die zu erreichende Klärung der Anschauungen nach bestimmten Richtungen hervor. Auf eine durchweg bemerkbare Übereinstimmung zweier Kriege darf man überhaupt nie rechnen, gleichviel, ob sie 2000 oder nur 20 Jahre voneinander entfernt liegen; auf eine solche zu stoßen, wäre nur eine ganz besondere Ausnahme. Die Klärung über Einzelheiten' (d. h. strategische Einzelfragen) aber, wenn sie in Fleisch und Blut übergegangen ist, so daß man sich der Tatsachen, die ihr zugrunde liegen, gar nicht mehr zu erinnern braucht, gehört zu den wichtigsten Hilfsmitteln der Vorbereitung für zukünftige eigene Kriegshandlungen.'

Ehe wir bestimmte Beispiele heranziehen, um aus ihnen die allgemeinen Gesetze der Kriegführung abzuleiten, können wir von vornherein, indem wir den Blick zu einer orientierenden Umschau erheben, schon durch theoretische Erwägungen die Richtung bestimmen, in der die Wesenseigentümlichkeit der Feldherrnschaft gesucht werden muß.

In der Neuzeit, dem Zeitalter der stehenden Heere, sind die großen Kriegshelden fast ausschließlich Berufsfeldherren, entweder Männer fürstlichen Geblüts oder Offiziere, also Krieger, die von Jugend auf für das Waffen handwerk herangebildet worden sind. Für Heerführer, die aus dem Zivilstande hervorgingen, fand sich hier nur Gelegenheit bei Völkern mit reinem Milizsystem in Zeiten revolutionärer Volksbewaffnungen, und Cromwell dürfte die einzige

« PreviousContinue »