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es aus Grundsatz, so sind doch besondere Schülervereine mit regelmäßigen Zusammenkünften lediglich zu dem rein negativen Zwecke der Abstinenz ein Unding, und vollends der Anschluß eines solchen Vereins an andere größere Vereinigungen wie den Allgemeinen deutschen Abstinentenbund Germania oder die schweizerische Helvetia bliebe bedenklich, mag man auch hier und da, namentlich in Süddeutschland, sich freundlich zu der Sache stellen. Eher würde zu erwägen sein, ob man etwa die Genehmigung zur Bildung von wissenschaftlichen Vereinen, Lesevereinen, Gesangvereinen unter den Schülern von der Bedingung abhängig machen solle, daß die Zusammenkünfte nicht, wie das jetzt vielfach üblich, im Wirtshause, sondern in einem Privatzimmer, am liebsten in einem von der Schule zur Verfügung gestellten Raume, stattfinden. Ärztliche Vorträge

über die Schädlichkeit des Alkohols, wie sie in dem Schriftchen empfohlen werden und auch in manchen Gymnasien schon abgehalten worden sind, können wohl wirkungsvoll sein, wirkungsvoller als pathetische Mahnungen, aber nur unter der doppelten Voraussetzung, daß sie ganz selten, eben nur als Ausnahme verabreicht werden, und dann mit viel Vorsicht und Takt; denn die Jugend ist nun einmal ungemein empfindlich gegen ungeschickte und aufdringliche, wenn auch noch so wohlgemeinte Erziehungsversuche. Eine Belehrung der Klasse durch systematischen

'Alkoholunterricht', wie ihn Amerika eingeführt und Mrs. Mary Hunt auf dem Bremer Kongreß den deutschen Schulen zur Nachahmung empfohlen hat, weist Hartmann ab, allerdings merkwürdigerweise nur vorläufig und nur deshalb, weil die Lehrpläne bereits so reichlich besetzt sind, daß ein neues Fach keinen Platz mehr hat. Viel verspricht sich Hartmann von der allmählich weiterwirkenden Gewöhnung. Er hofft, wer einmal in den Unterklassen abstinent gewöhnt sei, der werde dabei (unter wirksamer Unterstützung der Schule) auch in den Oberklassen verbleiben, und wer dann als Primaner Enthaltsamkeit geübt habe, der werde auch in das akademische Leben seine

Abneigung gegen den Trinkkomment und gegen die Trinkpoesie (über die die beiden begeisterten Vorkämpfer für Abstinenz doch recht philiströs urteilen) mit hinübernehmen. Wie sehr wünschten wir, daß die schöne Hoffnung zur Wirklichkeit werden könnte, aber in dem Punkte denken wir doch ein wenig pessimistisch.

Wenn wir also nicht alle Ziele, die uns die beiden Vorträge vorhalten, als erreichbar, nicht alle Wege, die sie zur Erreichung des Ziels empfehlen, als gangbar betrachten, so erkennen wir doch mit Dank an, daß aus dem hier zusammengebrachten Tatsachenmaterial viel zu lernen, aus den vorgetragenen pädagogischen Gedanken und Vorschlägen mannigfache Anregung zu gewinnen ist. B. G.

AUS GOETHE FÜR HORAZENS LIEDER

Von EMIL ROSENBERG

Es ist gewiß nicht überflüssig, wenn man den Schülern beim Erklären fremder Dichtungen Beispiele aus Dichtern der eigenen Sprache anführt, um zu beweisen, daß das meiste von dem, was sie als Figuren und Tropen unter recht gelehrt klingenden Namen lernen, nichts jenen fremden Dichtern Eigentümliches oder Ungewöhnliches ist. Ebensosehr ist es vorteilhaft, wenn man Gedichte oder Bruchstücke von Dichtungen der Muttersprache fremdländischen Liedern an die Seite setzt, sobald ein ähnlicher Gedanke oder ein verwandtes Bild darin seinen Ausdruck gefunden. Nicht nur das Verständnis des bisher Unbekannten wird dadurch gefördert, die der Poesie innewohnende Höhe des Ausdrucks, seine künstlerische Färbung, seine größere Wärme wird sich zum Besten der prosaischen Wiedergabe nützlich geltend machen.

I 22 ist der Schluß des Liedes dulce ridentem Lalagen amabo, dulce loquentem. Man erklärt natürlich dulce richtig als Akkusativ des Inhalts und führt auch griechische Vorbilder für den Ausdruck aus einem Gedichte der Sappho an. Ich habe in meiner Ausgabe dazu noch an den Dichtervers erinnert: 'Ich habe einmal ein Mädchen gekannt, das konnte gar Rosen lachen.' Solche Weiterentwicklungen des ursprünglichen Ausdrucks werden in der Muttersprache kaum als etwas Besonderes empfunden. Wird ein Leser stutzen, wenn er bei Goethe liest:

Eine Träne wird er weinen,

Und ich weiß nicht, was er weint,

oder ein andermal:

Beiden das Gegenteil lächelt der schelmische Gott?

Auf keine Erscheinung wird der Schüler bei der Dichterlektüre öfter aufmerksam gemacht als auf die sogenannte Enallage des Adjektivs. Natürlich läßt es auch kein Lehrer daran fehlen, an Beispielen zu lehren, daß kein Dichter ohne dieses Durcheinandersetzen der Begriffe auskommen kann, ja daß ihm dadurch neue Reize entstehen. Dennoch mag es immer noch gut sein, bei Horaz z. B. I 2, 13 vidimus flavum Tiberim zu erinnern an: 'an der Saale hellem Strande', 'am grünen Strand der Spree', oder III 1, 42 purpurarum sidere clarior... usus an das in der Verbindung nicht weniger kühne Goethesche: 'des Knaben lockige Unschuld' oder aus der Iphigenie: 'der Überredung goldne

Neue Jahrbücher. 1905. II

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Zunge' oder aus Faust: 'verschlingt des wilden Augenblicks Gewalt'. Daß auch große Dichter in dieser Verbindung kein scharfes Hinsehen lieben, mag auch das bekannte Goethesche: 'Laß mir den besten Becher Weins In purem Golde reichen' lehren, in welchem uns der Dichter geradezu zwingt, besten' auf 'Weins', nicht auf 'Becher' zu beziehen.

Es wird den Schülern in der Regel nicht leicht, poetische Zusammenziehungen zweier Gedanken zu einem Bilde sich zu erklären. Alle Erklärer machen sich die Mühe, z. B. I 17, 23 nec Semeleius cum Marte confundet Thyoneus proelia das confundere proelia deutlich zu machen. Kießling sagt: "Wenn aber Liber und Mars aneinander geraten so werden diese Kämpfe nicht manu conserta, sondern vino confuso oder effuso ausgefochten, daher confundet proelia.' Bei deutschen Dichtern ist natürlich eine solche Prägnanz des Ausdrucks an der Tagesordnung; sie machen dem deutschen Leser keine Schwierigkeiten, und er grübelt gar nicht erst über die Entstehung: "Trinke Mut des reinen Lebens.' 'Winde, Ströme, Donner und Hagel Rauschen ihren Weg.' 'Ich nehme den Erquickungstrank, Erwidr' euch allen Heil und Dank.' 'Der sich Menschenhaß Aus der Fülle der Liebe trank.' 'Jauchzen an dem Ufer alle Freunde Hoffnungslieder nach.' 'Du glühtest Rettungsdank.' 'Mir Geduld und guten Mut erzechend.'

Wir Lehrer müssen häufig das Wort 'proleptisch' gebrauchen. Wenn wir z. B. IV 15, 19 lesen: non ira quae procudit enses et miseras inimicat urbes, so läßt man miseras wohl zu ihrem Unglück' übersetzen; oder, wenn man es lieber wörtlich übersetzen will, wenigstens so erklären. Daß wir im Deutschen natürlich das Adjektiv ebenso gebrauchen, dafür hat vielleicht nicht jeder Lehrer außer dem Lutherschen: 'Er hilft uns frei aus aller Not' einige Goethesche Beispiele. Mir sind folgende aufgefallen: 'Da ich ein Kind war, Nicht wußte, wo aus noch ein, Kehrt ich mein verirrtes Auge.' 'Und selbst ein Wind erhob vom Lande lispelnd, Von allen gleich bemerkt, die holden Schwingen.' 'Wer nie die kummervollen Nächte Auf seinem Bette weinend saẞ'. ---- Er faßt ihn sicher, er hält ihn warm.' 'Schleppt ich meine langen Tage.' Trinke Mut des reinen Lebens.' 'Nirgends haften dann die unsichern Sohlen.' 'Die Ungewißheit schlägt mir tausendfältig Die dunkeln Schwingen um das bange Haupt.' 'Sie gehen ihren stillen Schritt.' In I 6: Scriberis Vario ändert Horaz die angefangene Konstruktion und läßt aus scriberis ein scribetur ergänzen. Das begreift man leicht, wenn man aus Goethes Zueignung daneben hält: 'Ich konnte mich in ihren Augen lesen, Was ich verfehlt und was ich recht getan.' Selbst allegorische Auffassung muß Schülern oft erst vermittelt werden, weniger bei I 14, da das 'Staatsschiff" auch ihnen etwas ganz Bekanntes ist, als an Stellen wie III 29, 61 tum me biremis praesidio scaphae tutum per Aegaeos tumultus Aura feret geminusque Pollux. Hier ist Horaz einmal poetischer als Goethe, der bildloser, aber nicht minder schön sagt: 'Allen Gewalten zum Trutz sich erhalten, Nimmer sich beugen, kräftig sich zeigen, Rufet die Arme der Götter herbei.' Für die Seefahrt aber als Bild des Lebens mögen aus Goethe als Anklang dienen: 'Mit dem Schiffe spielen Wind und Welle, Wind

und Welle nicht mit seinem Herzen' oder jene ausgeführte Allegorie in Mahomets Gesang mit den bezeichnenden Versen: 'Ragen Klippen dem Sturz entgegen, Schäumt er unmutig stufenweise zum Abgrund' oder endlich: 'O glücklich, wer noch hoffen kann, Aus diesem Meer des Irrtums aufzutauchen.'

Für die Metonymie z. B. in III 23, 11 prisci Catonis saepe mero caluisse virtus läßt sich gut verweisen auf einen Vers aus der Iphigenie: 'So lang des Vaters Kraft vor Troja stritt.' Für die Personifikation gibt es natürlich bei jedem Dichter, da er ja alles anschaulich sieht, viele Beispiele. Wie die urna III, 1 movet, timor und minae scandunt, so heißt es in der Iphigenie: 'Wo das Schiff mit den Gefährten In einer Bucht versteckt aufs Zeichen lauert.' Wie die fortuna in III 29 persönlich schaltet und waltet, so sagt auch Goethe von ihr: 'Auch so das Glück tappt unter die Menge.' Wie III 1, 17 die cervix impia genannt wird, so finden wir hier 'die kahlen, schuldigen Scheitel'. In III 29 heißt das Meer avarum, bei Goethe steht in Mahomets Gesang: 'Denn uns frißt in öder Wüste gieriger Sand.' Wenn es III 23 von der testa heißt, daß sie pia sei, so kennen wir aus Goethe: 'Und warf den heilgen Becher'. Auch gehört hierher aus der Iphigenie: 'Riß das schöne Band Mit ehrner Faust entzwei Und jedes frommen Wunsches Fülle dir.' Horaz bleibt wie alle Römer ein rhetorischer Dichter, man vergesse aber nicht, daß auch ein echter Lyriker, wie Goethe, sehr viele rhetorische Phrasen oft in den besten Gedichten hat. Ich erwähne dabei nur vorübergehend: 'Was wäre zu tun in der herbstlichen Nacht?' oder 'Denn wer wagte mit Göttern den Kampf? Und wer mit dem Einen?', ich vergleiche auch in der Form der Frage und Antwort mit II 3, 9 ff.: 'Willst du immer weiter schweifen? Sieh, das Gute liegt so nah!', im Inhalt mit quo musa tendis? desine pervicax (III 3, 70): 'Herz, mein Herz, was soll das geben? Was bedränget dich so sehr? Welch ein fremdes, neues Leben! Ich erkenne dich nicht mehr.'

Daß Horaz nichts Besonderes tat, als er in III 3, 10 für den feindlichen Helden ohne weiteres 'den rauh anzutastenden Leu'n' setzt, sieht man an: 'Da dein edler Vater klug und liebevoll die halberstarrte junge Blüte pflegte.' Die vorangehende Stufe, wo das Verglichene schon ohne jede Vergleichungspartikel, aber noch als Vergleich angeführt wird: zeigt: 'Und sie kehrt, ein losgedrückter Pfeil, von einem Gott gewendet u. s. w.'

In I 32 si quid vacui sub umbra Lusimus tecum, quod et hunc in annum Vivat et plures age dic Latinum, barbite, carmen muß der Relativsatz quod ... rivat bekanntlich auf carmen bezogen werden, und er kann es leicht, da er im Konjunktiv steht und finalen Sinn hat. Daß es dem Rhythmus leicht wird, Relativsätze, welche vorausgestellt sind, zu dem Ganzen zu fügen, sieht man an Versen wie: 'Die ich rief, die Geister, Werd ich nun nicht los.' 'Den ich bereitet, den ich wähle, Der letzte Trunk sei nun mit ganzer Seele.' Noch viel leichter wird die Voranstellung eines Participiums unter der Gewalt des Metrums: 'Aufgezogen durch die Sonne, Schwimmt im Hauch äther'scher Wonne So das leichtste Wölkchen nie, Wie mein Herz in Ruh und Freude', was zugleich als Beispiel für die Voranstellung des verglichenen Gedankens in IV 14, 25 dienen

mag. Nicht einmal die Wiederholung desselben Wortes, wie Ilion, Ilion in der warnenden Rede der Juno (III 3, 18) oder ibimus, ibimus II 17, 10 wird von der gedankenlosen Mehrzahl der Schüler gewürdigt, wenn man nicht an Wiederholungen wie: 'Und bleiben lange, lange auf ewig so gesellt' und deren Wirkung erinnert.

Es ist längst aufgefallen und nur natürlich, daß in den Gedichten des Horaz viele Lautmalereien vorkommen. Ich hielt es für gut, wenn ich die Schlußverse von III 13 besprach, auf die Lautmalerei mit dem weichen 1 in loquaces lymphae desiliunt tuae aufmerksam zu machen. Das wird empfunden werden, wenn man folgende Verse anführt: 'Und selbst ein Wind erhob vom Lande lispelnd, von allen gleich bemerkt, die holden Schwingen.' 'Nun überspannst du des Mondes Lieblichen, ladenden Glanz.' 'Süße, laue Lüfte wehen.' 'Labt sich die liebe Sonne nicht?' Liebe, Liebe, laß mich los!' Für die nicht weniger oft bei Horaz gebrauchte Alliteration mit d (I 1. IV 5 u. a.) erinnere man an den sich von selbst geltend machenden Gleichklang mit w: 'Mit dem Schiffe spielen Wind und Welle; Wind und Welle nicht mit seinem Herzen.’ 'Es schweigt das Wehen banger Erdge fühle.' 'Daß viele Wellen vor jenen Erdgefühle.' wandeln, Ein ewiger Strom.'

Daß selbst ein Chiasmus, wie wir ihn III 24, 7 finden: non animum metu, Non mortis laqueis expedies caput, in der Poesie wirksam ist, mag man z. B. an den Goetheschen Versen ersehen: 'Die Ritter schauten mutig drein und in den Schoß die Schönen' oder 'die Myrte still und hoch der Lorbeer steht. 'Die Kunst ist lang und kurz ist unser Leben.'

Jeder Übersetzer eines Dichters wird darauf halten, daß nicht zu viele Präpositionen gebraucht werden; sie gießen in den Wein der Dichtung Wasser. Man kann es Schülern vielleicht auch klar machen an dem Goetheschen: Auf, trinkt erneuter Freude dies Glas des echten Weins', wo ich erneuter Freude' für den Dativ und, nebenbei bemerkt, 'echter Wein' für eine ebenso gute Übersetzung des merum halte als das bekannte 'Lauterwein', und zu II 6 lasso maris et viarum etc.: 'Ach, ich bin des Treibens müde', wie denn überhaupt dieses Gedicht manche schöne Parallele zu jenem Gedichte der Horaz bietet, dessen rechtes Verständnis adhuc sub judice lis est.

Überhaupt würde ich raten, manche Ausdrücke oder Gedichte Goethes mit Horazschen zusammenzustellen, nicht als wenn sie sich immer deckten, sondern weil sie in die dichterische Stimmung versetzen oder auch den Unterschied der Denkweise lehren. Wie oft spricht Horaz z. B. den Goetheschen Gedanken: 'Die goldne Kette gib mir nicht. Die Kette gib den Rittern' aus: z. B. II 18: nihil supra deos lacesso nec potentem amicum Largiora flagito, III 16 u. a. Beide sind überzeugt, daß goldene Schätze des Dichters Phantasie lähmen. Darum spielt auch das non aurum aut ebur bei H. eine große Rolle (I 31). Man hat auch oft schon für H.s Poscimur (I 32) auf Goethes: 'Du forderst mich! Was bringt dich zu uns her?' verwiesen oder für den Gedanken des Liedes IV 8: Caelo Musa beat auf die Verse im Vorspiel des Faust: 'Wer sichert den Olymp, vereinet Götter? Des Menschen Kraft im Dichter

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