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EIN GESPRÄCH MIT GOETHE

Vorbemerkung. Karl Julius Sillig (1801-1855), seit 1825 Lehrer an der Kreuzschule in Dresden, der wissenschaftlichen Welt namentlich als Pliniusherausgeber bekannt, in seiner engeren Heimat auch als Jugendlehrer König Alberts in freundlicher Erinnerung, ist in diesen Jahrbüchern schon einmal rühmlich genannt worden um eines rührenden Zeugnisses willen von stillem Gelehrtenfleiße, jener neun Foliobände der Kreuzschulbibliothek, die er mit mühseligen Kopien antiker Bildwerke angefüllt hat, ein rechtes Gegenbild zu der Bequemlichkeit, mit der uns heute die besten Anschauungsmittel zugänglich sind (R. Wagner, Jahrg. 1898 II 518).

Sillig hatte, wie es scheint durch Mitarbeit an Böttigers Amalthea (seit 1822) und an der Jenaischen Literaturzeitung (seit 1824), Fühlung mit dem weimarischen Kreise, und so ist es nicht auffallend, daß er sein erstes größeres Werk auch an Goethe gelangen ließ, den Catalogus artificum sive architecti statuarii sculptores pictores caelatores et scalptores Graecorum et Romanorum litterarum ordine dispositi (Dresd. et Lips. 1827). Am 30. Juli 1830 ist ihm alsdann das Glück einer Unterredung mit dem Altmeister zuteil geworden, die er (vermutlich unmittelbar darauf, in seinem Absteigequartier 'Zum Elephanten') zu Papier gebracht hat. Diese Aufzeichnung ist im Juli 1897 in der Brieflade (d. h. dem Gutsarchiv) des Gutes Oxeln in Kurland unter dem Nachlaß der dort verstorbenen Tochter Silligs Frau Marie v. Bach durch Herrn Pastor Dr. H. Neubert (in Dresden) aufgefunden und mir unter Mitteilung der nötigsten Data zur Veröffentlichung überwiesen worden. Das Tagebuch Goethes (Sophienausgabe III 12, 1901, 281) scheint gleichfalls den Silligschen Besuch an dem betreffenden Tage zu bestätigen, wenn auch der Schreiber den Namen des Besuchers aus irgend einem Grunde nicht mit hingesetzt hat. Obwohl die Lücke unausgefüllt geblieben ist, so wird doch eben Sillig gemeint sein mit der Notiz: 'Um 12 Uhr Herr Durand. Hernach Herr Hofrat Vogel mit Professor Zu Mittag mit den Kindern.' Zwar hatte Sillig den amtlichen Titel Professor nicht, aber die Bezeichnung könnte ja appellativ zu verstehen oder auch auf Vogels Rechnung zu setzen sein, wenn dieser, wie es scheint, den Dresdner Gelehrten eingeführt haben sollte: die von Frau v. Bach handschriftlich verfaßte Biographie Silligs sagt allerdings nichts über eine derartige Beziehung zu dem Arzte Goethes. Übrigens ist noch zu bemerken, daß Sillig den alten Herrn in einer seiner philologisch-archäologischen Gedankenwelt besonders ge

neigten Stimmung gefunden hat. Denn Goethe war nach Ausweis des Tagebuchs in jenen Tagen lebhaft in dieser Richtung interessiert durch die gerade am Abend zuvor angekommenen Werke, Bröndsteds Athen und Cockerells Wiederherstellung des Kapitols. O. Immisch.

HAUPTPUNKTE MEINER UNTERREDUNG MIT GÖTHE.

Am 30. Juli 1830.

Nachdem ich mich entschuldigt, ihm mein Buch überreicht zu haben, sagte er:

'Es ist mir sehr angenehm gewesen, Ihre Schrift kennen zu lernen. Es ist so bequem, alle Stellen über die Künstler mit einemmale übersehen zu können. Ich habe, wie Sie wissen, mit meinen Freunden mich bemüht, die Kunst der Alten richtiger aufzufassen und die verlornen Gemälde besser zu restaurieren als z. B. der Graf Caylus.'

Nach einigen Äußerungen von mir über den bleibenden Werth des Alterthums und seine ewige Belehrung fuhr er fort:

'Ja! So lese man nur z. B., was Seneca1) sagt. Was man in Rom alles vereinigt, was wir nie so zusammenbringen können! Wir würden ja noch in der Barbarei leben, wenn nicht jene Überreste des Alterthums in verschiedner Gestalt vorhanden wären.'

Hier äußerte ich ungefähr, daß auch täglich durch die Entdeckungen der Reisenden das Alterthum immer mehr und mehr gerechtfertigt würde, worauf er entgegnete:

'Ja, wenn wir nur noch mehr davon wüßten. Aber unsre Kenntniß ist gar zu mangelhaft. So habe ich in Ihrem Buche, Sie sehen welchen Theil ich daran nehme, sogleich gelesen, was Sie über den Apelles gesagt haben (man fängt ja allemal bei den Proceribus an!). Da erzählt unter anderm Plinius), daß er seinen Gemälden eine Lazur, einen Firniß gegeben habe. Nun, zum Teufel! was ist das? es ist noch nicht zu entdecken gewesen.'

Als ich hier ihn gleichfalls an unsre Unkunde über die Wachsmalerei erinnerte, pflichtete er mir bei und fuhr fort:

'Es ist doch zum Erstaunen, welchen Einfluß die Alten stets ausgeübt haben. So z. B. das kleine Buch des Aristoteles, welchen Einfluß hat es auf die Franzosen gehabt. Recht gut kann man auf dasselbe das Schicksal der Bibel anwenden! Beide Bücher so einfach und verständlich, wenn sie mit rechtem Auge angesehen werden, wie sind sie mißverstanden worden!'

Hierauf wendete sich das Gespräch auf meine Theilnahme an der Herausgabe des Plinius, wo ich ihm die Gnade der Regierungen) für dieß Unter

1) Es scheinen Stellen vorzuschweben wie Ad Helv. 6, 2; De clem. I 6, 1. Sillig, Catalogus S. 73.

1831 schreibt Sillig in der Vorrede zum 1. Bd. der Teubneriana über die künftige editio maior (1851-1858): Cuius curandae consilium cum sub auspiciis laetissimis natum esset, a duobus Regibus Germanis munificentissime est provisum, ut ea aliquando, deo mihi vires servante, luculento habitu prodire queat.

nehmen rühmte. Er äußerte seine Freude darüber, und als ich bemerkte, daß allerdings jetzt bei solchen Arbeiten man auf wenig Theilnahme rechnen könne und der Philolog namentlich sich sehr beschränken müsse, sprach er:

'Dieß darf Sie nicht kümmern. Sie haben ein Ziel, Sie verfolgen es klar und redlich, und nun brauchen Sie nicht zu fragen: interessirt es den, oder den, sondern Sie sagen: mich interessirt's, und dieß ist genug.'

Hierauf, als ich ihn an das jetzt wenige Interesse für Wissenschaft erinnerte, während die Technik alles verschlänge, sagte er:

'Ja, ja, das Übertreiben der Technik, und daß viele, denen es nichts angeht, sich jetzt ums Regiment bekümmern.'

Hieran knüpfte ich die Bemerkung über die jetzige Verwirrung im Allgemeinen, worauf er äußerte:

'Die Sachen verwirren am Ende weniger, als vielmehr die Art, wie über die Sachen gesprochen wird, so wie der Alte1) sagt: où yàp tagáббei Bei allem dem aber wird das Alterthum und seine Verehrung nicht untergehen. Freilich gehört zur Philologie mehr, als so in der Regel angenommen wird. Denn, wie es ja auch hier zusieht (?), mancher, der etwas Griechisch und Lateinisch versteht, glaubt Philolog zu sein, bringt es aber auch freilich zu nichts.'

Als ich hinwarf, daß ja unser ganzes jetziges Streben nur ein approximatives an das Alterthum sei, sagte er mit Lächeln:

'Hum, wir können es uns wohl sagen, wenn wir unter uns sind.'

Nachdem er nun noch über mein äußeres Verhältnis in Dresden sich erkundigt und gefragt hatte, ob denn auch die Schule gut fundirt sei, worauf meine ganz entgegengesetzte Antwort ihm auffiel, so stand ich auf mit der Frage, ob er etwas nach Dresden zu bestellen habe:

'Grüßen Sie die Freunde, die sich meiner erinnern, Herrn v. Quandt und Herrn Winkler. Sie intressiren sich für den Kunstverein, treiben aber freilich die Sache etwas oberflächlich. Indeß das ganze Leben ist ja am Ende nichts als Oberfläche. Es ist mir recht angenehm gewesen Sie kennen gelernt zu haben, und es wird mich stets freuen, von Ihren künftigen Arbeiten in Kenntnis gesetzt zu werden.' Julius Sillig.

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1) Diese Beziehung vermag ich nicht aufzuhellen.

ANZEIGEN UND MITTEILUNGEN

WO BLEIBT DIE SCHULREFORM?

So fragt Dr. Rhenius, Direktor der Landwirtschaftsschule mit Gymnasialklassen zu Samter in einer der deutschen Jugend und ihrem Kaiser gewidmeten Reformschrift1), und die Antwort lautet ungefähr so: Sie ist elendiglich im Sumpfe stecken geblieben, denn eine wirkliche Reform müßte vor allem das heutige Gymnasium vom Erdboden vertilgen; es ist ja, bei Lichte besehen, eine Verdummungsanstalt, und nur aus allzugroßer Bescheidenheit sagen manche alte Herren, sie verdankten das, was sie geworden sind, dem Gymnasium; nein, trotz des Gymnasiums sind sie es geworden. Aber auch die übrigen höheren Schulen, selbst die sogenannten Reformanstalten, bedürfen einer gründlichen Reform. Weg mit Latein und Griechisch! Weg oder wenigstens in den Winkel mit Französisch und Englisch! Sie auf ein Minimum zu beschränken ist sehr wohl möglich, wenn sie richtig etwa nach einer verbesserten Berlitzschoolmethode betrieben werden. Dagegen muß unbedingt von Sexta bis Prima Unterricht in Heilkunde und Rechtskunde erteilt werden, denn erstens haben diese Wissenschaften für jeden Menschen ihre unbestrittene praktische Wichtigkeit, und sodann müssen sie auch dem künftigen Fachmann schon früh in Fleisch und Blut übergehen: 'wer damit erst im 20. Lebensjahre beginnt und nicht schon im 10., der wird so leicht kein tüchtiger Arzt (Jurist) mehr werden können'! Die allererste Stelle aber müssen Turnen, Zeichnen und Singen einnehmen; sie müssen Haupt- und Versetzungsfächer werden, so daß also ungenügende Kenntnisse in an

1) Rhenius, Wo bleibt die Schulreform? Ein Weckruf an das Volk der Denker. Leipzig, Dietrich 1904.

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Das ergibt also für die Sekunden und Primen wöchentlich 40 Lehrstunden. Man sollte meinen, reichlich genug. Aber wenn es sein muß, können nach des Verfassers Ansicht auch noch mehrere fremde Sprachen hinzugenommen werden. Wie das zu machen ist, das lese man in dem Büchlein selber nach; es bietet über jedes Lehrfach Kritiken des Bestehenden und Vorschläge zur Besserung, die in ihrer bunten Mischung von Richtigem, Unrichtigem und Übertriebenem den Leser sicherlich amüsieren werden.

Das wäre also wieder einmal eine Schulreform, und diesmal eine radikale. Ob sie wohl noch überboten werden kann? O gewiß! Es wäre ja denkbar, daß man den fruchtbaren Gedanken weiter verfolgte, der uns auf S. 146 geboten wird: 'Hätten wir Schulen, wo nur gezeichnet und geturnt würde, so wären diese unseren sämtlichen Schulen unendlich überlegen. Zeichnen und Turnen haben das mit

einander gemein, daß sie vom Schüler wirkliche Selbstbetätigung verlangen. Der übrige Schulunterricht ist keine Tätigkeit des Schülers, sondern ein Leiden des Schülers in jedem Sinne des Wortes.'

B. G.

K. SCHENK, LEHRBUCH DER GESCHICHTE FÜR LEHRANSTALTEN. ZWEITE AUFLAGE, GEMEINSAM FÜR ALLE SCHULARTEN NEU BEARBEITET VON JULIUS KOCH. III. TEIL: LEHRAUFGABE DER QUARTA. GESCHICHTE DER Griechen und RÖMER BIS ZUR ZEIT CHRISTI. MIT 4 GESCHICHTSKARTEN. VIII und 80 S. 8. DASSELBE. IV. TEIL: LEHRAUFGABE DER UNTER

TERTIA. VOM TODE DES AUGUSTUS BIS ZUM AUSGANGE DES MITTELALTERS. MIT 3 KArten. IV und 99 S. 8. B. G. Teubner, Leipzig und Berlin 1904.

Vor etwa sechs Jahren ließ K. Schenk im Teubnerschen Verlage die ersten Teile eines zusammenhängenden Lehrbuchs der Geschichte für Gymnasien und Realschulen erscheinen, die sogleich die Aufmerksamkeit der Fachgenossen erregten. Schon der Plan des Verfassers ein Unterrichtswerk zu schreiben, das nach einheitlichen Gesichtspunkten dem Schüler das historische Unterrichtspensum sämtlicher Klassen von der Sexta bis zur Oberprima vermitteln sollte, war ein glücklicher zu nennen. Der Stoff war nach den neuen Lehrplänen für preußische Schulen in 9 Bändchen verteilt, die sich gegenseitig erweiterten und ergänzten. Der Hauptvorzug des Werkes aber lag in der Betonung der Kulturgeschichte. In lesbarer Form und seinem Verständnis angepaßt, erfuhr der Schüler das Wichtigste über Volkstum, Lebensweise, Verfassung, Kriegswesen, Handel, Kunst und Wissenschaft, wobei Schenk mit Geschick die Gefahr mied des Guten zu viel zu tun. Es war dem Verfasser nicht beschieden sein Werk zu Ende zu führen; als ihm der Tod die Feder aus der Hand nahm, setzten E. Wolf und P. Pomtow seine Arbeit in gleichem Sinne fort; außerdem erschienen noch besondere Ausgaben des Lehrbuches für die Bedürfnisse preußischer und sächsischer Lehrerbildungsanstalten sowie höherer Mädchenschulen.

Mittlerweile ist eine Neuauflage der Ausgaben A für Gymnasien und B für Realschulen notwendig geworden. Ihre Besorgung hat die Verlagsbuchhandlung in die Hände von J. Koch gelegt, auf dessen Antrag die beiden Ausgaben in eine zusammengezogen worden sind. Zunächst sind die Teile III für Quarta und IV für Untertertia erschienen. In einem ausführlichen Vorwort verbreitet sich Koch über die Grundsätze, die ihn bei der Herausgabe geleitet haben, und gibt Rechenschaft über die vorgenommenen Änderungen. Man wird sich mit seinem Verfahren gern einverstanden erklären; wirklich Wissenswertes wird nirgends vermißt; die kulturhistorischen Partien machen auch in der neuen Auflage den Vorzug des Buches aus. Es würde zu weit führen den Inhalt der einzelnen Abschnitte hier anzugeben; man nehme das Buch selbst zur Hand, und man wird seine Freude haben an der Fülle des Gebotenen sowie der einfachen und klaren Form der Darstellung. Durch Beigabe von synchronistischen Tabellen, die nur das Notwendigste an Zahlen enthalten, und von erläuternden Karten erhöht sich noch die Brauchbarkeit des Werkes. Mit gutem Gewissen kann man sagen, daß bei der Neuherausgabe bisher eine glückliche Hand gewaltet hat. Aufgefallen ist mir nur die große Zahl erklärender Anmerkungen unter dem Texte. Man kann über deren Zweckmäßigkeit verschiedener Ansicht sein; nach meiner Meinung sollten die notwendigen Erklärungen mehr dem Lehrer überlassen bleiben, dem das Lehrbuch nicht zu viel vorweg nehmen darf. Alle neu vorkommenden Begriffe und Ausdrücke können eben doch nicht in Anmerkungen erklärt werden, und man fragt sich vergeblich, weshalb Königsherrschaft, Adelsherrschaft, Söldner, Großmacht, Reede, Triere erklärt werden, während Pyramide, Obelisk u. a. unerklärt bleiben. Doch soll diese Ausstellung dem Werte des Buches keinen Abbruch tun; es ist und bleibt eine willkommene Gabe für unsere höheren Schulen.

H. GROSZMANN.

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