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Dieses Themisrecht 2) hat sich bereits zu einem festen, namentlich gleichmässig in den indischen, griechischen und römischen Quellen nachweisbaren System gestaltet. Ich fasse hier früher genauer Ausgeführtes kurz zusammen.

sich gewisse feste Gebote für das Verhalten der Menschen gebildet. Deren sind neun. Die vier Religionsgebote der opfermässigen Ehrung von Göttern, Eltern, Vorvätern (Vaterland) und Gästen 3), und die fünf Moralgebote: des Reinseins, Nichtschändens, Nichttödtens, Nichtstehlens, Nichtlügens 1). Ich habe dieselben in der ersten Abtheilung dieses Werkes genauer dargestellt. Ihnen steht gegenüber einerseits das schon in sehr alter Zeit den Ariern sich bemerklich machende Gebiet der natürlichen ratio im Gegensatz zu der erst in der einzelnen civitas sich fixirenden civilis ratio, und andererseits : die Gesammtheit der schon dem alten Themisrechte angehörigen Grundsätze über Begründung und Schützung der Rechte (das Agere). Der genaueren Erörterung dieser zwei grossen Lehren ist (in dem zweiten und dritten Buche) die vorliegende zweite Abtheilung dieses Werks gewidmet. Sie hat die Absicht: zur Anschauung zu bringen, wie sich auf der Basis des alten arischen Themisrechtes in gewissen besonders hervortretenden arischen Völkern die civilrechtlichen

2) Es möge mir gestattet sein, dies griechische Wort nicht bloss für das griechische, sondern überhaupt für das ältere arische Recht zu verwenden. Unklarheiten werden daraus, denke ich, nicht hervorgehen.

3) Die vier Religionsgebote finden wir formell zusammengeordnet in den indischen mahāyajōas (nur dass hier noch ein fünftes hinzugefügt worden ist), IG. S. 175. 242, und bei den Persern, IC. 1 S. 54. Bei Griechen und Römern werden zunächst nur die drei Gebote der Götter-, Eltern- und Vaterlandsehrung aufgestellt; die Gastehrung wird mehr als ein selbständiges Stück des Themis-Fas-Rechtes behandelt. Doch aber zeigt die Darstellung Platons auch die Zusammenordnung aller vier Gebote bei den Griechen, und wiederum der griechischen Behandlung des Gastrechtes ist die latinische durchaus gleichartig; IG. S. 233; IC. I S. 354.

4) Die fünf Moralgebote sind bei den Indern in der uralten Declaration des Manu zusammengeschlossen worden, IG. S. 251. Bei Griechen und Römern tritt mehr hervor die Scheidung: einerseits der drei Kakurgien (Schändens, Tödtens, Stehlens) und andererseits der zwei Gebote der Reinheit und Treue, welche letzteren in ihrer äusseren Zusammengehörigkeit besonders bei den Persern in der Zarathustralehre vor Augen treten.

Elemente der in diesen Völkern bestehenden Ordnung gestaltet haben. Indem der Inhalt des ersten Buches sich allmälig in der Weiterentwicklung der arischen Völker zum Theil als bloss religiöse und ethische Gebote aus dem Rechtsgebiete fast ganz herausgeschoben hat, zum anderen Theil aber zu dem eigenen Rechtstheile des Criminalrechts verdichtet worden. ist, bietet in dem vor uns liegenden zweiten und dritten Buche das zur Erörterung zu bringende alte Themisrecht die eigentliche Basis für das, was man nach unseren jetzigen Begriffen als Civilrecht zu bezeichnen pflegt.

2. (Die naturalis ratio.) Man hat viel von der „,organischen Natur des Rechtes" gesprochen und überhaupt das Recht für einen „Organismus“ erklärt. Darein hat sich manches Unklare und Halbwahre gemischt. Das Recht der einzelnen Völker enthält grosse Gebiete, in denen lediglich voluntare, arbiträre, opportunistische Satzung herrscht, in denen also die Zurückführung auf,,Organisches" nothwendig zu Unrichtigkeiten führen muss. Aber allerdings giebt es auch fundamentale Stücke der Rechtsordnung, die ohne das Verständniss der Zusammengehörigkeit der organischen Welt nicht ins richtige Licht gestellt werden können. In Betreff der Stellung dieser organischen Welt im Weltall ist die Forschung von vorn herein in einer ungünstigen Position. Wir fühlen den Drang in uns, die gesammte Schöpfung, das Weltall, in allen den Gesetzen, die es in Bewegung halten, zu begreifen. Und doch müssen wir uns sagen, daß bei dem Beschränktsein der Menschheit auf das kleine Sandkörnchen der Erde wir von Vielem, was Weltordnungsgesetz ist, nie die rechte Anschauung werden gewinnen können. Aber das darf uns nicht abhalten, unablässig zu forschen, um zu constatiren, wie weit wir überhaupt in der Erkenntniss zu gelangen vermögen. In dieser Hinsicht ist denn auch die neuere Naturwissenschaft eifrig am Werk. Sie hat bereits Manches zu sicherem Verständniss gebracht. Anderes freilich ist nur erst bis zu dubiösen Vermuthungen geführt worden. Selbstverständlich können nun in dem vorliegenden Werk keine eigenen naturwissenschaftlichen Unter

suchungen angestellt werden 1). Meine Aufgabe ist lediglich, dasjenige, was die Naturwissenschaft als sichere oder wahrscheinliche Gesetze der Natur (namentlich der organischen) ermittelt hat, in Zusammenhalt zu bringen mit dem, was bei den arischen Völkern sich als die Ausgangspunkte der Rechtsordnung nachweisen lässt.

In dieser Hinsicht ist von besonderer Wichtigkeit das von den Indern als rita Gelehrte und das von den Römern als ratio (naturalis; mit dem Nebengebiet der naturalis aequitas) Anerkannte. Wir finden dem gleichartige Gedanken auch in der griechischen Physis; ich halte es aber für gerechtfertigt, für meine Zwecke der Darlegung der Grundelemente im Folgenden ganz vorzugsweise mich auf die römische ratio zu beschränken, um zu zeigen, wie weit diese, dem indischen ṛita verwandt, einerseits sich zu den Ergebnissen moderner Naturwissenschaft stellt, und andererseits, in ihrem Gegensatz zur civilis ratio, ein wichtiges Element für das Verständniss des römischen und überhaupt des arischen Rechtes enthält. Hierbei ist es mir weniger wichtig, festzustellen, wie und von welchen Juristen der ausgebildeten römischen Jurisprudenz die Lehre von der naturalis und civilis ratio vorgetragen wird, als vielmehr, wie die Hauptstücke der von den Römern anerkannten naturalis ratio sich als fundamentale Rechtsbestandtheile ergeben.

Es zerlegt sich dies in vier Gesichtspunkte (vgl. GIRG. S. 200). Sie werden in dieser Einleitung zu besprechen sein. Der erste betrifft die Naturgesetze, die in den Bewegungen der Himmelskörper und in der Bewegung der Körper auf der Erde hervortreten (§ 3. 4); der zweite richtet sich auf die organische Natur und die Gesetze, welche für das Zusammenleben der Individuen aus der Geschlechterspaltung sich ergeben (§ 5. 6); der dritte hat die Beziehungen zu erörtern, welche sich aus der Paarung der Individuen zu einem Verwandtschaftsbande entwickeln (§ 7. 8); der vierte enthält die den Individuen im Kampfe ums Dasein aufgelegten Gesetze

1) Die von mir zu verwendenden Resultate naturwissenschaftlicher Untersuchungen sind in tüchtiger Weise zusammengestellt in der Schrift von Ziegler, Die Naturwissenschaft und die socialdemokratische Theorie (Stuttg. 1893). Ich citire dieselbe im Folgenden kurzweg mit,,Ziegler".

der Arbeit (§ 9. 10). Nach Erledigung dieser vier Gesichtspunkte wird es noch einer fünften zusammenfassenden Erörterung bedürfen über die Art, wie sich nach arischer Anschauung die allgemeinen Begriffe von Gut und Böse, Recht und Unrecht festgestellt haben (§ 11. 12).

Alle hier in Betracht kommenden „,Gesetze" sind zunächst nicht gesetzrechtliche oder civil-gewohnheitsrechtliche Satzungen der schon zu eigenen Verfassungen gelangten populi. Es sind „Natursätze". Aber sie üben die gewaltigste Einwirkung auf das in den populi sich allmälig entwickelnde Civilrecht aus. Diese Einwirkung zeigt sich sowohl bei arischen wie nicht - arischen Völkerschaften. Indem ich mich auf die arischen Völker beschränke, greife ich unter ihnen einige besonders wichtige heraus. Dabei aber muß ich rücksichtlich der Beiseitestellung des Nichtarischen eine bedeutsame Ausnahme machen.

Will man in Betreff der Institutionen unseres Rechtes zu einem sicheren Verständniss gelangen, so muß man genau nicht bloß die einzelnen darin enthaltenen Satzungen, sondern auch die denselben zu Grunde liegenden,,leitenden Gedanken" ermitteln. Möglicherweise haben sich solche erst allmälig im Laufe der Zeit gebildet. Alsdann hat die Institution schon früher bestanden, es hat sich aber ein leitender Gedanke als ein Neues der bereits länger bestehenden Institution untergeschoben. Danach muß dann die Institution uminterpretirt werden. Ich habe früher schon ausgeführt (GIRG. S. 698), daß z. B. eine derartige Uminterpretirung in Betreff des römischen Eides und Votums nöthig ist. Solche der Institution später sich unterschiebende leitende Gedanken nenne ich ,,Summen". Ich scheide sie von den den eigentlichen „,Principien 2). Unter diesen einem Worte, welches heutzutage ganz promiscue auch für die ,,Summen" verwendet wird, -verstehe ich lediglich die von Anfang an der Institution zum Grunde liegenden leitenden Gedanken. Wenn wir nun finden, dass das arische Recht in seinen Fundamentalnormen aus proethnischer Zeit stammt, dass es anfangs noch nicht dizatorius, sondern lediglich themis-fas war, so wird es sich auch

2) Vgl. Civ. Stud. Viertes Heft (1877) S. 160. 161.

vielfach ergeben, dass die leitenden Gedanken der betreffenden Institution, die wahren „Anfänge“ derselben, noch immer fortbestanden haben, als die Institution schon lange aus ihrer themisrechtlichen Geltung (mit Selbstschutz) zu particularrechtlichem Bestande (mit civilrechtlichem Staatsschutz) in einem einzelnen populus umgestaltet worden ist. Das alte ,,Princip" erscheint dann oft in seiner späteren Existenz mehr als ein bloss sittliches Element. Solcher Principien finden wir indem es sich darum handelt, aus dem alten Themisrechte das spätere ius civile der arischen Völker zu erklären eine grosse Zahl. Wir erkennen dabei noch immer, dass sie selbständig arische sind, also insbesondere sich wesentlich scheiden von dem, was uns bei den Semiten, namentlich den Juden, entgegentritt. Wenn ich nun bei meiner Prüfung der arischen Institutionen an sich alles Jüdische ausscheide, so lässt sich das doch nicht in Betreff der aus dem Judenthum erwachsenen christlichen Lehre in aller Weise festhalten. Das Christenthum hat in den arischen Völkerschaften tiefe Wurzel gefasst. Es hat auch auf die arische Rechtsordnung einen so immensen Einfluss ausgeübt, dass wir, um die einzelnen Institutionen zu verstehen, nicht bloss die arischen früheren Principien und späteren Summen, sondern auch die christlichen leitenden Gedanken, die auf die in Frage stehende Rechtsinstitution eingewirkt haben, uns vergegenwärtigen müssen.

II. Die ratio der Individuen-Entwicklung.

3. (Die Naturordnung.) - Den Ariern ist der Begriff einer bindenden unabänderlichen Ordnung aus ihrer eigenthümlichen (von der semitischen und ägyptischen wesentlich verschiedenen, GIRG. S. 176 ff.) Betrachtung der Himmelskörper und deren Bewegungen erwachsen. Diese Ordnung ist, wie die Inder sagen: rita, wie die Latiner sagen: ratio. Darunter gehört insbesondere die Bewegung von Sonne und Mond, die die Zeitmessung ergebenden Mondphasen, die Zahlen und die Kunst des Rechnens, die Jahreszeiten als Vorbedingung alles Gedeihens der Menschheit (GIRG. S. 188 ff.). Diese Ordnung wird als eine göttliche angesehen. Vorzugsweise gilt Varuna -Uranus als Ein

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