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Menschenvölker in Horden und Stämmen. Auch die Kriege haben schon Vorbilder in der Thierwelt (bei den Pavianen). Es ist kein weiter Schritt vom Gesellschaftsleben der höheren Thiere zu dem der primitiven Menschen. In letzteren finden sich dieselben instinctuellen Gefühle, wie bei den in Menge beisammenlebenden Thieren: Ungemüthlichkeit bei Trennung von den Kameraden (also eine Art Liebe zu ihnen, ganz anderer Art wie die geschlechtliche), Hülfe in Gefahr und Kampf. Es giebt mithin schon bei den Thieren Anfänge der socialen Tugenden, entwickelt durch die natürliche Selection, indem die Trupps, in denen diese Tugenden höchst entfaltet waren, die Oberhand gewannen.

Hiernach ist als sicher festzustellen: gewisse „Anfänge“, „Principien" der socialen Organisation in Trupps, Horden, Stämmen sind den Menschen mit den höher organisirten Thieren gemein. Sie gestalten sich bei den Menschen zu geistig frei erkannten Beziehungen, während sie bei den Thieren geistig gebunden sind. Aber Vieles in der menschlich-socialen Organisation ist nicht erst Product der Geistesfreiheit, sondern schon des Instinctes (Ziegler S. 245). Viele Triebe, die im psychischen Leben des Menschen hervortreten, lassen ihre Wurzel im Thierreich weithin abwärts verfolgen. Sie sind bei den Thieren wie bei den Menschen instinctiv. Eine Handlung kann beim Menschen mit oder ohne Bewusstsein ausgeführt werden; damit wird nicht entschieden, ob die Handlung in ihrem Ursprunge instinctiv sei. In jedem Instinct liegt ein Trieb und die Fähigkeit zu einer Handlung (z. B. Trieb und Fähigkeit einer Raupe, das kunstvolle Gespinnst zu machen). Ferner ist bei jedem Instinct ein Reiz anzunehmen. Zwischen dem bestimmten Reiz und der bestimmten Thätigkeit findet eine Association statt, gleichartig wie beim Reflex; Instinct ist ein complicirter Reflex. Bei Reflex wie Instinct handelt es sich um angeborene oder aus der natürlichen Entwicklungstendenz heraus in bestimmtem Alter oder Lebensabschnitt sich entwickelnde Association (Geschlechtsliebe und Begattungstrieb, Bart, sind bei kleinen Kindern noch nicht vorhanden und doch vererbt, nicht durch Erziehung erworben). Reflexe und Instincte entstehen auf Grund der für die Species charakteristischen Keimesanlage;

sie sind durch Vererbung überlieferte Eigenthümlichkeiten. Der Instinct unterscheidet sich vom Verstande dadurch, dass instinctiv die unabhängig von äusserer Erfahrung zur Entwicklung kommenden Associationen sind, während durch den Verstand die Erfahrungen aufnotirt werden, wobei das Gedächtniss die Spur bildet, die von dem geistigen Vorgange zurückgelassen wird. Die Erinnerungsbilder werden associirt aufbewahrt; der Verstand ermöglicht das Lernen und befähigt Erfahrungen zu machen. Was auf dem Verstande beruht, muß erfahren und gelernt werden, für das auf dem Instinct Beruhende bedarf es keiner Erfahrung (wie das Schwimmen der jungen Ente, das Fliegen des Schmetterlings, das Coconmachen der Spinnerraupe, der Wandertrieb des von Jugend an gefangenen Wandervogels beim Eintritt der betreffenden Jahreszeit). Bei manchen Instincten kommt die volle Entwicklung erst mit der Ausübung, durch das Einüben (Flugfähigkeit der jungen Vögel, Einexerciren der Schwalben vor dem Abzuge, Bringen der lebenden Beute von den Eltern zu den Jungen zum Unterricht des Fangens; die menschliche Sprache ist schon instinctiv vorhandene Lautbildung, aber die Wortbedeutung wird auf Grund des Beispiels erlernt, die Sprache ist also kein echter Instinct). Die Instincte sind wie die körperlichen Merkmale der Species durch Keimesanlage (Veranlagung des befruchteten Eies) bedingt. „Diejenigen Associationen oder Triebe, welche in gleicher Weise bei allen normalen Individuen der Species oder Rasse im einen Geschlecht oder in beiden Geschlechtern zu bestimmter Lebensperiode auftreten, sind instinctiv." „Ein Instinct kann durch künstliche Zuchtwahl im Laufe vieler Generationen weitergebildet oder abgeändert werden. Im Laufe der phylogenetischen Entwicklung unterliegen die Instincte der natürlichen Zuchtwahl und demgemäss sind sie zweckmässig.“ „Je weiter man im Thierreich herabgeht, desto mehr sieht man den Verstand zurücktreten, und desto reiner zeigen sich Instincte und Reflexe.“ „Der Instinct, auf einen embryologisch bedingten (ererbten) Mechanismus zurückgeführt, ist nicht auffallender als die grosse Complicirtheit der übrigen Organisation. Die für die morphologische Betrachtung der Organe aufgestellten Principien gelten auch für die Instincte. Die Instincte sind

nicht ererbte Gewohnheiten, sondern durch Selection entstanden, sie haben in Keimesvariationen ihre Wurzel." „Die dominirende Stellung auf der Erde ist nicht einer solchen Species zugefallen, bei welcher durch weitgehende Entwicklung der Instincte die ganze Handlungsweise von Natur ins Einzelne determinirt wäre, sondern bei der der Verstand die grösste Rolle spielt: hier erlangt die individuelle Erfahrung die höchste Bedeutung, unter Hinzutritt (durch die Sprachentwicklung) der Kenntnissnahme der Vorstellung früherer Generationen und der Mittheilung der Nebenmenschen; durch die Sprachentwicklung gewinnt der Gedankenverkehr unter den Individuen eine unvergleichliche Feinheit."

Unter Verwendung dieser der modernen Naturwissenschaft entnommenen Sätze werden wir für die Erklärung der der menschlichen socialen Organisation zum Grunde liegenden naturalis ratio folgende Resultate zu ziehen haben. Die socialen Eigenschaften, welche die Zusammenordnung der Menschen zu Geschlechtern und Stämmen zur Folge haben, ruhen zu einem grossen Theil auf den in den Zeugungen zur Wirksamkeit kommenden Keimesanlagen. Vieles in dieser Hinsicht hat die Menschheit mit der höher organisirten Thierwelt gemein. Auch die Thierwelt hat schon sociale Eigenschaften und sogar sociale Tugenden. Gemeinsam bei Menschen und Thieren beruht dies zu einem grossen Theil auf dem Instinctuellen, embryologisch Gegebenen (dem Ererbten), welchem sich dann in mannigfaltiger Weise allgemein sich verbreitende Erlernungen anschliessen. Es ergiebt sich darin für Thierund Menschenwelt eine geschichtliche Entwicklung von Stufe zu Stufe. Je niedriger die Organisation, um so mehr hat die Natur der betreffenden Gattung instinctuelle Normen mitgegeben, je höher die Organisation gestiegen ist (also insbesondere bei den, freilich immer auch noch viel Instinctuelles mit sich tragenden, Menschen), um so mehr überwiegt der Verstand und das mittelst desselben Erlernte. Aber auch dies Verstandesmässige, unter den Menschen sich allgemein Verbreitende, genügt noch nicht, um sich die Entwicklung der menschlichen socialen Organisation zu erklären. Es kommt weiter als ein Factor von ungeheurer Bedeutung, im Gegensatz zu den (instinctuellen bezw. erlernten) allgemeinen

Naturnormen das auf Keimesanlagen beruhende und dann weiter verstandesmässig ausgebildete Individuelle in Betracht. Es gehen, wie oben schon erörtert wurde, aus den Zeugungen immer nach den verschiedensten Richtungen hin besondere,,Gottbegnadete" hervor, und, müssen wir nun hinzufügen, umgekehrt auch besonders perverse Naturen. Beide üben auf die zusammenlebenden Menschen eine enorme fördernde oder andererseits störende Einwirkung aus, sie bestimmen zum grossen Theil die Geschicke der Stämme und Völker. Aber, abgesehen von den besonders Hervortretenden, auch von der grossen Masse der Individuen wirkt Jeder in seinem Kreise fördernd oder hemmend auf das Zusammenleben der Gesammtheit ein. Dies gesammte unübersehbare Gebiet der in unendlicher Fülle sich durchkreuzenden Impulse und Repulse enthält einerseits die Producte der menschlichen Willensfreiheit, andererseits die Hemmnisse, welche der Wille so vieler Anderer jedem Einzelwillen bringt. Daneben aber ist zu einem bedeutenden Theile der Wille jedes Einzelnen von Dem abhängig, was durch das Gezeugtsein von diesen Eltern und Vorfahren als Keim in ihn gelegt ist. Wollen wir dies nicht durch Zurückführung auf den ,,blinden Zufall" als des vous entbehrend bei Seite schieben, so haben wir anzuerkennen, dass in der Entwickelung der Menschengeschichte ein vous verborgen sein muss, dessen Hauptwerkzeug, behufs der Leitung nach einem vorbestimmten geistigen Plan, in der Gestallung der Keime liegt, die innerhalb des Vorüberziehens der Generationen zu ungezählten Millionen zum Zweck späterer Action geheimnissvoll gebildet werden.

8. (Kriegs- und Friedens-Organisation.) - 2) Die naturalis ratio bildet nach den Ergebnissen des vorigen § mittelst der Vereinigungen von Mann und Weib bei Thieren wie Menschen durch vererbtes Blut zusammengehörige Geschlechter und Stämme, die unter sich Frieden halten, im Kampfe nach Aussen aber sich gemeinsam schützen. Betrachten wir nunmehr die nächstliegenden Resultate dieses Kriegs- und Friedenszustandes.

a) Vielfach wird der Fundamentalbegriff des Rechts ledig

lich an die Friedensorganisation angeknüpft. Aber das ist zu eng. Indem man für den Frieden einen Kreis von durch das Blut Zusammengehörigen voraussetzt, hat man schon damit für die Draussenstehenden einen Zustand postulirt, der nicht Frieden ist, sondern dem Kriege offensteht. Und in der That finden wir bis in die ältesten Zeiten hinauf Rechtsinstitutionen, deren Fundament der Krieg ist. Wir haben also zu sagen, dass das Gegeneinanderstehen von Krieg und Frieden die naturale Grundlage der Rechtsordnung bildet.

Die Art, wie sich die Menschen vermittelst der Zeugungen auf der Basis der Blutsgemeinschaft, gleichartig wie auch schon viele Thiere, zu Horden und Gesellschaften zusammenschliessen, ruft in den verschiedenen Rassen der Menschheit die mannigfaltigsten Institutionen hervor. Ich meinerseits beschränke mich in dieser Hinsicht, abgesehen von wenigen Ausnahmen, auf die Arier, und auch in Betreff ihrer nur auf die Hauptvölker. Für sie ergiebt sich folgende wichtige Grundordnung. Aus den Zeugungen im Schoosse der Häuser entwickeln sich zusammengehörige Bruderschaften (Fraternitäten), die zunächst als Geschlechter in Dörfern oder mehr vereinzelt wohnend erscheinen, in denen sich aber unter dem Gesichtspunkt erweiterter Bruderschaft noch wieder die mannigfachsten Einzelgestaltungen der Zusammengehörigkeit finden. Die Menge der Bruderschaften wird weiter durch die höhere Stammgemeinschaft zusammengehalten. Hier hört die altarische Organisation auf. Es hat sich nicht noch wieder über den Stämmen eine die arischen Völker durchziehende fundamentale Ordnung gebildet. Vielmehr treten über die Stämme hinaus zunächst nur vorübergehende Zusammenschliessungen der Stämme für Krieg und Frieden ein, die sich dann aber auch allmälig zu fester, verfassungsmässiger Zusammengehörigkeit fixiren können. Auf Grund dieser Zusammenschließungen, die doch immer noch durch ein erweitertes, wenn auch unerkanntes, Verwandtschaftsband zusammengehalten werden, entwickeln sich bestimmte Völkerschaften. Wieder eine Mehrheit von Völkerschaften bildet auf Grund gemeinsamer Sprache (wenn auch vielfach unter sich nicht mehr verständlich) und Abstammung (wenngleich vielfach auch nicht einmal mehr in der Tradition bekannt) eine gemeinsame Nation. Wir haben

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