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iuris' an (GIRG. S. 622). So erscheinen denn in der Tripertita des Sextus Aelius die 12 Tafeln einfach als erster Theil des römischen Rechtes; fr. 2 § 3. 4 de or. iur. 1, 2 (Pompon.): Exactis deinde regibus lege tribunicia omnes leges hae exoleverunt iterumque coepit populus Romanus incerto magis iure et consuetudine aliqua uti quam per legem latam, idque prope viginti [quinquaginta?] annis passus est. Postea ne diutius hoc fieret, placuit publica auctoritate decem constitui viros, per quos peterentur leges a Graecis civitatibus et civitas fundaretur legibus: quas in tabulas eboreas perscriptas pro rostris composuerunt, ut possint leges apertius percipi. Nach römischer Anschauung stehen also zunächst einander gegenüber: das alte ius gentium der Agrapha, dessen dɛouós seinem Grundgedanken nach auf Selbsthülfe unter Götterschutz beruht, aber als ein incertum. (non scriptum) wesentlich der scharfen Fassung entbehrt, — und andererseits das [neben den leges regiae] hauptsächlich in den 12 Tafeln zusammengefasste, Jedem zugängliche, ius scriptum, das man fortan als die Basis des ganzen römischen Rechtes auffasste. Indem man danach von jetzt an auf die bürgerlich-weltliche Redaction, also auf die Civilrechtsqualität das Hauptgewicht legte, musste allmälig auch in Betreff des alten ius divinum des fas sich die Anschauung ändern. Und zwar in Anknüpfung an folgende drei Gesichtspunkte.

a) Das alte incerte fas-Recht hatte von jeher unter der Interpretation der Priester gestanden. Erklärlicher Weise thaten diese in Geheimnisskrämerei und Engherzigkeit das Ihrige, um das von den Göttern herabgeholte Recht dem Volke möglichst verschleiert darzureichen. Indem jetzt diesem alten ius non scriptum das einheitliche civile, Allen zugängliche, Recht der 12 Tafeln als bürgerlich-weltliches Recht gegenübertrat, musste man dahin gedrängt werden, auch die Interpretation der gesammten, in den 12 Tafeln nicht aufgezeichneten, civilen Rechtsmasse in weltliche Hände herüberzuziehen. Vorzugsweise epochemachend ist in dieser Hinsicht Coruncanius, der erste plebejische pontifex maximus, aus dessen Zeit noch ein wichtiges Edict in Betreff des Prästirens der Sacra (Glück-Leist Comm. I S. 177 ff.) vorhanden ist; fr. 2 § 6 de or. iur.: Omnium tamen harum et interpretandi scientia

et actiones apud collegium pontificum erat, ex quibus constituebatur, quis quoquo anno praeesset privatis. (Meine Gesch. d. röm. Rechtssyst. S. 7.) § 35 Iuris civilis scientiam plurimi et maximi viri professi sunt . . . et quidem ex omnibus, qui scientiam nacti sunt, ante Tiberium Coruncanium publice professum neminem traditur. ceteri autem ad hunc vel in latenti ius civile retinere cogitabant solumque [vel solebant?] consultatoribus vacare potius quam discere volentibus se praestabant. § 38 Post hos fuit Tiberius Coruncanius, ut dixi, qui primus profiteri coepit, cuius tamen scriptum nullum exstat, sed responsa complura et memorabilia eius fuerunt.

b) Die potestas des rex stammt schon aus der altarischen Zeit. Sie ist aus der geistlich-weltlichen Macht des Hausherrn (pati) abgeleitet. So wie dieser mit seiner Gattin den Cultus des Hausheerdes pflegt und für die Ernährung und das Beschütztsein der Hausangehörigen Sorge trägt, so liegt dem rex, dem Stammherrn (an den sich dann weiter der rex über eine Mehrheit von Stämmen schliesst), die Sorge für den Gemeindeheerd und für den Schutz der Gemeindegenossen ob. Beide, der Hausherr wie der Stammherr, haben in ihrem Bereiche richterliche Gewalt, und an diese richterliche Macht hat es sich angeknüpft, dass in Fällen, wo zwischen Selbständigen ein Verhältniss streitig wird, vor dem Stammgericht durch Sprechung einer Sentenz die Angelegenheit zur manifesten gemacht werden kann. So ist (vermittelt durch die Organisation der Bruderschaften) die allgemeine Jurisdiction des Stammkönigs entstanden. Diese ist zunächst eine vereinigt sacral-weltliche. Aber es hat auch hier eine Scheidung der geistlichen und der weltlichen Elemente stattgefunden. Jene sind in der Hand des rex sacrificulus geblieben, diese sind auf staatliche Behörden übergegangen. Das weltliche Jurisdictionsimperium hat über cives wie peregrini im Prätor seinen Träger gefunden; fr. 2 § 27 cit.: Cumque consules avocarentur bellis finitimis neque esset, qui in civitate ius reddere posset, factum est, ut praetor quoque crearetur, qui urbanus appellatus est, quod in urbe ius redderet. § 28 Post aliquot deinde annos non sufficiente eo praetore, quod multa turba etiam peregrinorum in civitatem veniret, creatus est et alius

praetor, qui peregrinus appellatus est ab eo, quod plerumque inter peregrinos ius dicebat. Im Prätor haben wir den Abschluss der Entwicklung vor uns, die aus dem altarischen, geistlich-weltlichen Königsimperium zur Civilrechtlichung der Jurisdiction geführt hat. Und darin hat von vorn herein das früher schon bei den Pontifices vorhandene ius edicendi gelegen. Damit aber hat sich bei den Römern die eigenthümliche Form civilen Gewohnheitsrechtes entwickelt. In den Edicta der Magistrate war eine Einrichtung gegeben, die, wenn die betreffende Satzung sich bewährte und tralaticisch wurde, zu einem gewaltigen Complexe neuen, unter staatlichen Rechtsschutz gestellten Rechtes geführt hat. Es hatte, im Gegensatz zu den incerten alten Agrapha, den wichtigen Vortheil, dass es von vorn herein in dem Kleide sicherer schriftlicher Fassung, also als ius scriptum, auftrat.

c) Ich habe oben gezeigt, dass auch schon auf altarischen Grundlagen die Abscheidung der judiciellen Urtheils sprechung von der magistratualen Jurisdiction beruht. Damit war, in Anknüpfung an die Verweltlichung der Magistratsgewalt, der Boden geschaffen, auf dem sich eine weitere wichtige Gestaltung civilen Gewohnheitsrechtes entwickeln konnte. Speciell diese 2) hat sich in festen Gegensatz zu dem ius scriptum der leges, insbesondere der 12 Tafeln, gestellt. Sie wurde geleitet durch die sich allmälig immer mehr von der pontificalen interpretandi scientia emancipirende prudentium auctoritas; fr. 2 § 5 de or. iur.: his legibus latis coepit, ut naturaliter evenire solet, ut interpretatio desideraret prudentium auctoritatem necessarium esse disputatione fori. haec disputatio et hoc ius, quod sine scripto venit compositum a prudentibus, propria parte aliqua non appellatur, ut ceterae partes iuris suis nominibus designantur, sed communi nomine appellatur ius civile.

2) Sie umfasst die doppelte Einrichtung eines Gerichtshofes von iudices, der unter dem Vorsitz des Magistrats stand (Decemvirn, Centumvirn; fr. 2 § 29 de or. iur.: deinde cum esset necessarius magistratus qui hastae praeesset, decemviri litibus iudicandis sunt constituti), und andererseits für den Einzelfall gewählter iudices oder Recuperatoren.

53. (Fortsetzung; ius non scriptum und scriptum.) — 2) Das Resultat des Vorstehenden ist, dass in der Anschauung der Römer das altdivine Recht der Agrapha seine selbständige Stellung verloren hat. Zunächst war es das gesammte überhaupt in den gentes vorhandene Recht gewesen. Dem hatte sich (anfangs in kleinen Keimen) in den particularen Civitates ein auf die Grenzen einer bestimmten Landschaft beschränktes ius civile gegenübergestellt. Allmälig aber versetzte man sich umgekehrt auf den Standpunkt dieses ius civile (§ 1 I. de iure nat.) ius quod quisque populus ipse sibi constituit, quod ipsius civitatis proprium est, vocaturque ius civile quasi proprium ipsius civitatis. Man schied es in die zwei Positionen 3) des publicum und privatum. Was von den altdivinen Ordnungen sich noch überhaupt als eigentliches Recht auffassen liess (das ius sacrum), subsumirte man unter das ius publicum; fr. 1 § 2 de iust. et iur.: publicum ius in sacris, in sacerdotibus, in magistratibus consistit. Dagegen den Hauptstamm der alten Agrapha, der aus der alten Haushalterordnung bestand, legte man dem ius privatum zum Grunde. Eine klare Anschauung von dem geschichtlichen Entwicklungsgange konnte man ja überhaupt nicht haben. Man hielt sich an die Tradition, dass der Anfang der Rechtsverhältnisse in der naturalis ratio gegeben sei, dass daran sich in den einzelnen gentes weitere Rechtsordnung angefügt habe. Und so construirte man, ohne sich des Weiteren viel Kopfbrechens zu machen, die (immerhin noch manche Varietäten zulassende) allgemeine Theorie, dass das gesammte ius civile der Römer (wie parallel auch das der Athener und Spartaner) einen alten Stamm von ius naturale und von ius gentium mit sich forttrage 4), von welchem die iura naturalia

3) Fr. 1 § 2 de iust, et iur. 1, 1: huius studii duae sunt positiones, publicum et privatum, publicum ius est quod ad statum rei Romanae spectat, privatum quod ad singulorum utilitatem: sunt enim quaedam publice utilia, quaedam privatim. § 4 I de iust, et iure.

4) Fr. 1 § 2 de iust. et iure: privatum ius tripertitum est: collectum etenim est ex naturalibus praeceptis aut gentium aut civilibus; § 2 I. de iure nat. Quod naturalis ratio inter omnes homines constituit id apud omnes populos peraeque custoditur, vocaturque ius gentium, quasi quo iure omnes gentes

zum Theil als divina quadam providentia constituta, semper firma atque immutabilia bleiben müssten. Aber die Geltung dieses ius naturale und ius gentium ruhte doch nicht mehr auf sich selbst, sondern auf ihrem Anerkanntsein im ius Quiritium. Also das römische ius civile ist auch in Betreff des naturalen und gentialen Rechtsstoffes zur allgemeinen Basis der Rechtsgeltung geworden. Alles Recht erscheint nunmehr als ius Quiritium. Von diesem Gesichtspunkte aus hat dann das römische Recht eine lange Periode des Ausbaues strictnationaler Rechtsordnung durchgemacht. Das ist der Standpunkt, von dem aus in den Tripertita des Sextus Aelius alles ius in die zwei Theile der 12 Tafeln (des fons omnis publici privatique iuris) und der Interpretatio zusammengefasst wird. Diese zwei Theile aber stehen zu einander so, dass - gerade weil die alten Agrapha in der Unbestimmtheit ihrer Redaction so viele Mängel in sich trugen sie durch das schriftliche Recht des Gesetzes ersetzt werden sollen. Immer also soll im ius Quritium zunächst auf das ius scriptum gesehen werden. Die Interpretatio hat demgegenüber nur suppletorische, nicht correctorische Kraft. Das ist die alte Stellung des scriptum und non scriptum ius Quiritium. Wohl nur eine späte Wiederholung dieser frühen römischen Rechtsanschauung wird in der vielumstrittenen 1. 2 C. quae sit longa consuet. 8, 52 zu suchen sein: Consuetudinis ususve longaevi (der Interpretatio) non vilis auctoritas est (fr. 2 § 5 de orig. iur.), verum non usque adeo sui valitura momento ut aut rationem (naturalem; nicht etwa die,,kategorischen Imperative der Vernunft" oder dgl.) vincat aut legem. Solche Stellung der suppletorischen „Interpretatio" 5) gegenüber namentlich einer erst kürzutantur. Et populus itaque Romanus partim suo proprio, partim communi omnium hominum iure utitur. § 2: Sed ius quidem civile ex unaquaque civitate appellatur, veluti Atheniensium; nam si quis velit Solonis vel Draconis leges appellare ius civile Atheniensium, non erraverit. Sic enim et ius, quo populus Romanus utitur, ius civile Romanorum appellamus vel ius Quiritium, quo Quirites utuntur.

5) Die Römer balten immer daran fest, dass [im Gegensatz zu dem alten Themisrechte] im Civilrechte das ius scriptum der leges gegenüber dem Gewohnheitsrechte das Voranstehende, Letzteres regulär nur das Suppletorische sei, also pro lege gelte; fr. 32 pr. de legib. 1, 3: de quibus causis scriptis

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