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Das gesammte Gebiet der administratio und animadversio des aus ältesten arischen Zeiten herdatirenden pati wird aber von dem Gesichtspunkte geleitet, dass hier kein formeller Kläger und Beklagter einander gegenüberstehen, sondern dass die gesammte Einleitung und Führung des die Prüfung der fraglichen Angelegenheit bezweckenden Verfahrens, sowie die Entscheidung (sei es allein vom pati, sei es unter Beiziehung des Familienrathes oder der Fraternitäts- und Stammgenossen) lediglich vom Träger der potestas abhängt. Alles ist Product seines naturali ratione gegebenen Imperiums. Wir können danach alle unter diesen Gesichtspunkt fallenden Actus: Imperiumsangelegenheiten nennen.

b) Die Individual selbsthülfe. Auf einem völlig verschiedenen Standpunkte steht das andere grosse Gebiet von Angelegenheiten, deren Grundelemente wir ebenfalls schon den ältesten arischen Zeiten zuzuweisen haben. Es umfasst diejenigen Actus, die zu Dem geführt haben, was man später im engeren Sinne Actionen genannt hat. Hier werden die Individuen als selbständige vorausgesetzt, und vorzugsweise kommt dabei als Subject der Hausheerdbesitzer in Betracht. Wird dieser von einem Anderen verletzt, so giebt es in ältester Zeit noch keinen Richter, den man um Schutz und Hülfe anrufen könnte, sondern man muss sich cum suis selbst helfen. Dieses Selbsthelfen aber zerlegt sich nach altarischem Themisrechte in die fünf schon oft besprochenen Actionen: Die drei öffentlichen enthalten die Individualtimorie gegen den

gegen Russland kriegt, so mögen die Russen darüber bei dem christlichen Zar klagen, und ein solcher soll wider Willen nach Russland zurückgebracht werden'. Der Friedensstörer wird dem Verletzten ausgeliefert c) Bei Griechen und Latinern wird der Verrath mit demselben Wort (πpodoσía, proditio) bezeichnet. Die Athener behandeln den Verrath als mit der Götterverletzung verwandt; vgl. Fraenkel, Attische Geschworenengerichte (1877) S. 75: vóμos ős éotev dni tois ἱεροσύλοις καὶ προδόταις. ἐάν τις τὴν πόλιν προδιδῳ ἢ τὰ ἱερὰ κλέπτῃ, κριθέντα ἐν δικαστηρίῳ, ἂν καταγνωσθῆ, μὴ ταφῆναι ἐν τῇ ̓Αττικῇ, τὰ δὲ χρήματα αὐτοῦ δημόσια εἶναι . . διὰ χρόνου δὲ δικάσαι δεῖ ἀστρατείας καὶ ἐάν τι ἄλλο ἐξαπίνατον ἀδίκημα γένηται, ἐάν τε ὑβρίσωσί τινες ἄηθες ὕβρισμα, ἐάν τε ἀσεβήσωσι. . ἡ εἰσαγγελία τέτακται ἐπὶ τῶν ἀγράφων δημοσίων ἀδικημάτων . . περὶ ὧν οὐκ εἰσὶ νόμοι . εἰσαγγελία δημοσίας τινὸς δίκης ὄνομά ἐστι . . ἐπὶ δημοσίοις ἀδικήμασι ἐφ ̓ οἷς μήτε ἀρχὴ καθέστηκε μήτε νόμοι κεῖνται τοῖς ἄρχουσι, καθ' οὓς εἰσάξουσι.

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Schänder, den Mörder bezw. Todtschläger (mit den Nebengestaltungen des Brandstifters und des Realinjurianten), den Dieb. Gegen den ertappten Schänder und Mörder gehen sie auf Tödtung, gegen den Dieb nur (wofern er kein nächtlicher oder sich widersetzender ist) auf Binden und Mitsichführen. Seitens aller drei aber können Verhandlungen über das aidéoaoa eingeleitet werden, die allmälig zu dem grossen, in den einzelnen arischen Völkern sehr verschieden ausgebauten Compositionensystem geführt haben. Die Beilegung der Unthat ist an sich voluntare Sache der Betheiligten. Aber bei Durchführung der Individualtimorie wie bei der Composition zeigt sich gleichmässig das Bedürfniss, die betreffenden vorausgesetzten Thatsachen vor Unparteiischen manifest zu machen, und dazu sind die schon vorhandenen arischen Imperiumsgerichte der Fraternitäten und Stämme als Actconstatirungsgerichte verwendet worden. Daraus hat sich dann, in wiederum sehr verschiedener Weise je bei den einzelnen arischen Völkern, allmälig durch das stärkere Hervortreten des civilen Rechtselements der Satz entwickelt, dass die Angelegenheit vor den staatlichen Strafrichter gebracht werden müsse, wobei dem früheren Individualrächer nur die Herbeibringung des überführten Thäters oder ein bevorzugtes Accusationsrecht bewahrt blieb.

Die zwei Privatactionen bilden die Individualexecution der alten Zeit. Sie in ihrer eigenthümlich altarischen Gestaltung genauer darzulegen, wird, indem ich von jetzt an die Actionen der Individualtimorie bei Seite lege, die Hauptaufgabe der hier folgenden Erörterungen sein. Die schon in altarische Zeit zurückreichende Privataction ist entweder Gegenstandsgreifung unter Behauptung des meum esse, oder Schuldnergreifung zur Knechtung unter Behauptung des dare oportere. Hierbei sind aus der alten themisrechtlichen Greifung mit gerichtlicher Actconstatirung schliesslich Klagen um Gut und um Schuld geworden, die in civilrechtlich genauer geordnetem Process zwischen Kläger und Beklagtem zu richterlicher, durch Individualexecution weiter durchführbarer, Sentenz geführt haben. Ein genaueres Verstehen dieser complicirten Entwicklung wird nur erreichbar sein, wenn die Frage nicht abgetrennt je bei den einzelnen arischen Völkern,

sondern unter Zusammenhaltung des bei allen arischen Völkern bruchstückweise uns dargebotenen Materials zur Untersuchung gestellt wird. Immerhin aber hat die Herstellung eines Gesammtbildes aus dem vom Zufall uns aufbewahrten Material ihre grossen Schwierigkeiten. Es wird dabei nicht zu umgehen sein, dass ich öfter schon Gesagtes in immer wieder etwas anderer Beziehung wiederhole. Möge es mir gestattet sein, in dieser Hinsicht mir die Goethe'schen Worte anzueignen „sollte man auch finden, dass ich mich wiederhole, wenn man nur zugleich zugesteht, dass Wiederholung irgend zum Nutzen gereichen kann.“

II. Die Action: aio meum esse.

Ich will

42. (Vindicant und Gegenstandsbesitzer.) versuchen, die ersten arischen Anfänge des dinglichen Processes und der darin gegen einander stehenden Kläger- und Beklagtenrolle darzulegen. Ich gelange damit zu einem Punkte von ungemeiner Wichtigkeit. Es handelt sich darum, die Zusammenhänge darzulegen, welche zwischen der themisrechtlich organisirten Rechtsverfolgung und der späteren civilrechtlichen Gestaltung des Klagenwesens, insbesondere bei den Griechen, Römern und Germanen, bestehen. Es wird dabei besonders das Material herzuzuziehen sein, das wir als Bruchstücke des altarischen Themisrechtes einerseits bei den Indern und andererseits bei den slavischen Russen vorfinden. Ich habe diese Frage früher schon zu erörtern angefangen, damals aber, als eine weiter in das Civilrecht hinüberführende, abgebrochen (IG. S. 483). Jetzt knüpfe ich an den schon zurechtgelegten Faden an. Freilich nicht in der Meinung, dass ich nunmehr eine schon nach allen Seiten befriedigende Darstellung geben könnte. Aber das Material wird doch schon das Resultat ergeben, dass wir nicht mehr nach allen Seiten hin uns im Dunkel befinden. Es wird sich zeigen, dass schon dem altarischen Themisrechte die Vindication: aio1) meum esse angehört. Die Reste

1) Ueber das alterthümliche Wort aio vgl. G. Curtius Etym. Nr. 611: Skt. Perf. 3. S. aha er sprach, spricht; Gr. ui sage (3. S. Dor, ti, äol. noi,

dieser Vindication sind noch in dem späteren Civilrechtsbau der uns besonders interessirenden arischen Hauptvölker erkennbar. Ich zerlege den Stoff in die zwei Punkte vom Vindicanten (§ 42), sowie seinem besitzenden Gegner (§ 43-45), und andererseits vom Processverfahren, sowie von der richterlichen Sentenz (§ 46).

1) (Vindicant und Gegenstandsbesitzer.) a) Ich stelle zunächst die über diese Personen in den einzelnen arischen Hauptvölkern uns überlieferten Nachrichten zusammen. a) In Betreff der Inder gestatte ich mir die Wiederholung einiger Sätze aus meinem IG. S. 467: „,wenn dem Hausherrn Etwas vom,Seinigen, Mensch oder Sache, weggekommen war, so ging er es zu suchen. Zunächst dahin, wo er es anvertraut hatte (Depositum, Commodatum, gelieferte unbezahlte Kaufsache, Pfand nach Rückzahlung der Schuld, u. s. w.). Wenn das nicht, so ging er dahin, wo er glaubte den Gegenstand finden zu können. Fand er denselben, so legitimirte er sich in irgendwelcher Weise, dass die Sache ihm gehöre [,wenn dieser es durch Kennzeichen beweist']. Hierauf nah m er den Gegenstand und führte oder trug ihn eigenmächtig selbst hinweg, und den hiebei ihm (ohne Behauptung einer Gegenberechtigung) gemachten factischen Widerstand durfte er mit Gewalt niederschlagen. Dies ist das Wegführen, das ἄγειν. Es findet gleichmässig bei Frauen, Kindern, Angehörigen, Dienern und Sachen statt."

P) Bei den Griechen finden wir dies ayev der entflohenen Verwandten von Aeschylos dargestellt (IG. S. 483). Dem entspricht das Gortyn'sche Recht. Es handelt von der Vindication eines Sklaven, der vom Gegner entweder als Freier oder Sklav reclamirt wird. Die Behauptung des Klägers ist in die Worte gefasst: ich sage, dass der Sklav mein sei. Wenn dieser Behauptung eine wirkliche Bestreitung gegenübertritt, so ist dem Kläger das "yer des Gegenstandes untersagt. Darin liegt, dass ohne solche Bestreitung das eigen mächtige ayev dem Vindicanten offensteht 2).

Impf. 1. S. v, 3. S. n, xavev elev Hes.; lat. aio, adagium, umbr. aitu: dicito.

2) Ich gebe hier die Bücheler'sche Uebersetzung mit Einmischung einiger

zu

7) Bei den Römern handelt es sich als um den alten Kern des Selbsthülfeverfahrens (an den sich dann weiter der civilrechtliche Ausbau des Processes angeknüpft hat) nächst um bewaffnete Apprehension des beweglichen Gegenstandes, unter der Erklärung des meum esse; Gai. IV 16: si in rem agebatur, mobilia quidem et moventia quae modo in ius adferri adducive possent, in iure vindicabantur ad hunc modum: qui vindicabat festucam tenebat, deinde ipsam rem apprehendebat, veluti hominem, et ita dicebat: ,hunc ego hominem . . . meum esse aio secundum suam causam, sicut dixi, ecce tibi vindictam inposni', et simul homini festucam inponebat. Dieses Auftreten des Vindicanten kann in seiner ursprünglichen Bedeutung nur den Sinn gehabt haben, dass der Vindicant mit reeller Waffe sich den erfassten Gegenstand nehmen darf, wofern der Gegner ihm nicht eine ernstliche Bestreitung gegenüberstellt. Eine solche muss an sich das der Angriffsvindication voll Entgegenstehende sein, also (wie in Gortyn das For Fenάregos μm) die Contravindication aio meum esse: Gai. 1. c.: adversarius eadem similiter dicebat et faciebat. In ältester Zeit hat mithin nur die gegnerische Behauptung des wohlerworbenen Rechtes die Kraft, dass den Streitenden bis zum Austrag der Sache alle Gewaltanwendung untersagt wird: cum uterque vindicasset, praetor dicebat,mittite ambo hominem'. Hat der Gegner nur die Herausgabe des apprehendirten Gegenstandes, ohne eigenes griechischer Textworte: Gortyn I 1-20: Wer um einen Freien oder Sklaven processiren will, soll vor dem Rechtsstreit nicht wegführen (лρе Sixas un äyny). Wenn er aber wegführt, soll er verurtheilen.. weil er wegführt... Falls er aber leugnet die Wegführung, so soll der Richter schwörend entscheiden, falls nicht aussagt ein Zeuge. Wenn aber processirt der Eine, dass frei, der Andere, dass Sklave, so sollen kräftiger sein, wie viele aussagen, dass frei. Wenn sie aber um einen Sklaven processiren, sagend Jedweder, dass er sein sei (pwvlovtes Fòv Fexάtepos nunv), so soll er, wenn ein Zeuge aussagt, gemäss dem Zeugen urtheilen. Vgl. das Gesetz des Zaleukos (bei Polyb. XII 16 (Thalheim RA. S. 129 Note 3): xeλɛúεĽV Tòv Zaλɛúxoυ VÓμOV TOUTOV δεῖν κρατεῖν τῶν ἀμφισβητουμένων ἕως τῆς κρίσεως, παρ ̓ οὐ τὴν ἀγωγὴν συμβαίναι γίγνεσθαι (Interpr.: παρὰ τούτων τὴν ἀγωγὴν ἀεὶ γίγνεσθαι, παρ ̓ οἷς ἂν ἔσχατον ἀδήριτον ᾖ χρόνον τινὰ γεγονὸς τὸ διαμφισβητούμενον)· ἐὰν δέ τις ἀφελόμενος βίᾳ παρά τινος ἀπαγάγῃ πρὸς ἑαυτὸν κἄπειτα παρὰ τούτου τὴν ἀγωγὴν ὁ προϋπάρχων ποιῆται δεσπότης, οὐκ εἶναι ταύτην κύριαν (s, darüber unten § 44).

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