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des Mörders verfallen sein lässt, giebt dem Rächer das Leben des Diebes regelmässig in den zwei Fällen des furtum nocturnum und Widerstandsleistens in die Hand. Im Uebrigen gestattet es nur das Binden des Diebes und dessen Führen zu weiterer (verschieden denkbarer) Rachestrafe (GIRG. S. 298;

die Ertappung auf der That Geltende aus Brunner RG. II 481 ff. kurz zusammen. a) Handhafte That: wenn der Thäter auf frischer That oder auf der Flucht nach der That ergriffen wird (mit Spuren der That in der Hand: gestohlene Sache, blutige Waffe, Fackel zur Brandstiftung; aet haeblendre handa, handhabendus). Die That muss offenkundig gemacht werden. Wer sie wahrnimmt, soll einen lauten Ruf erheben, der die Nachbarn auffordert, herbeizueilen (das Gerüfte: hream, hulesium, tivdûte [zieht heraus], zeter [ziehet hieher], hero [hieher], huccus [Ruf], dibio, mordio, feurio, feindio, hilfio, wapenio, heilalle, Heilallgeschrei). b) Das Verfahren um handhafte That ist das Verfahren gegen einen Friedlosen. Nach der Handhaftmachung bedurfte es nicht erst einer Friedloslegung. Der Thäter hat sich durch die Missethat selbst friedlos gemacht. Er konnte nun von Jedermann, nicht bloss dem Verletzten, getödtet werden. Die Tödtung war Achtvollzug. Um sie zu beschliessen, mogten sich die Verfolger als ein Nothgericht constituiren. Bei Verbrechen, die nicht allgemeine Friedlosigkeit, sondern nur ein Fehde- und Racherecht des Verletzten und seiner Sippe begründeten, hatten auch im Fall der handhaften That nur diese das Recht der Tödtung. Im Lauf der Zeit gestaltete sich das Verfahren um handhafte That mehr und mehr zum Rechtsverfahren, die allgemeine Befugniss der Tödtung wurde zur Befugniss der Festnahme. Für bestimmte Ausnahmsfälle erhielt sich das alte Recht. Bei manchen Stämmen noch immer Tödtung des handhaften Diebes, oder doch des nächtlichen oder des sich unterhalb des Hauses durchzugraben versuchenden. . . Tödtung des handhaften Brandstifters, des handhaften Tempelräubers (Zus. z. lex Fris.: Führung an den Strand des Meeres, Aufschlitzen der Ohren, Entmannung, Opferung an die Götter, deren Heiligthum er geschändet). Allgemein in den Fällen der Blutrache, nach den meisten Rechten auch bei Ehebruch die Befugniss des Verletzten, den handhaften Missethäter ums Leben zu bringen. Soweit die Tödtung nicht mehr erlaubt war, lebte das alte Recht wieder auf, wenn der Missethäter sich der Festnahme widersetzte oder durch Flucht entziehen wollte. Die erfolgte Tödtung musste ersichtlich gemacht und verlautbart werden. Das angels. R. verlangte, dass die Tödtung als eine rechtmässige bewiesen werde, wenn die Magen des Getödteten dessen Unschuld behaupteten. Nach fränk. R. war der Urheber der Tödtung verpflichtet, vor den Richter zu gehen und mit Eidhelfern einen ausserprocessual. Gefährdeeid zu schwören. Soweit das Recht der Tödtung beseitigt ist, darf der Missethäter festgehalten und gebunden werden (anderebus v. rep, Strick). . . . Seit die handhafte That regelmässig nicht mehr wie die strenge Acht, sondern nur noch wie der fränkische Verbann, die Verfassung, wirkt, muss der Gebundene dem Richter zur Justificirung ausgeliefert werden.

IC. I S. 394 ff.). Der Fall des Widerstandleistens im Gegensatz zum Sichfügen des ertappten Diebes wird schon im Konstantinopeler Vertrage besprochen (Ewers S. 147):,wenn ein Russe etwas bei einem Christen oder ein Christ bei einem Russen stiehlt, und wird in dem Augenblick ertappt, da er den Diebstahl verübt, von Dem, der die Sache verloren hat, [dem Bestohlenen], ,wenn Der sich stellt [widersetzt], welcher den Diebstahl verübte, und getödtet wird, so soll sein Tod nicht gesucht werden' [die Tödtung war eine erlaubte] ,weder von den Christen noch von den Russen, sondern Jeder nehme das Seine wieder, das er verlor. Wenn aber Der, welcher gestohlen hat, sich in die Hand giebt [keinen Widerstand leistet],,so werde er ergriffen von Dem, welchem er etwas stahl, und gebunden und vergüte, was er that' [er kommt also gebunden ins Gewahrsam des Bestohlenen und hat durch Abarbeiten, Hergabe seines Vermögens, Vorschuss seitens seiner Verwandten den Bestohlenen zu befriedigen]. ,Wenn ein Russe von einem Christen oder ein Christ von einem Russen mit Zwang den Versuch macht' [Raub], ,so muss er es dreifach ersetzen'. Der zweite Fall der erlaubten Diebestödtung wird in der zweiten und dritten Prawda folgendermaassen angegeben; II Pr. Art. 38:,wenn man einen Dieb erschlägt auf seinem Hofe oder bei dem Gemach oder bei dem Stalle' [d. h. man ertappt ihn im Bereich von Haus, Hof und der Heerden umzäunung und erschlägt ihn in continenti)],,so ist derselbe erschlagen. Wenn man ihn bis zum Lichte hält [d. h. hat man den fur nocturnus nicht gleich in continenti erschlagen, sondern bis zum Hellwerden behalten, so ist die nunmehrige Tödtung eine unerlaubte], ,so führe man ihn an den Fürstenhof [also es tritt richterliche Cognition ein]; ,aber wenn man ihn dann tödtet und es sind Leute, die ihn gebunden gesehen haben werden, so bezahlt man für ihn. In der dritten Prawda wird dieser

2) In einer Handschrift wird noch hinzugefügt [Ewers S. 309 Art. 32 (38)]: ,wenn ein Dieb erschlagen ist, und man findet die Füsse innerhalb des Hofes' [also der Dieb ist noch im Bereich des Bestohlenen betroffen und erschlagen worden],,so ist er erschlagen; findet man aber die Füsse ausserhalb des Thors' [also es besteht kein Indicium des Sicheingeschlichen habens], ,so bezahlt man

für ihn'.

Fall so bezeichnet (III Pr. Art. 36); ,wenn man Jemand im Gemach erschlägt, oder bei irgend einem Diebstahl, so erschlägt man ihn an Hundes Statt 3). Wenn man ihn bis zum Lichte hält, so führe man ihn an den Fürstenhof, aber wenn man ihn dann tödtet, und es sind Leute, die ihn gebunden gesehen haben werden, so bezahlt man für ihn 12 Griwnen' 4).

bb) Von der Selbsthülfe gegenüber dem ertappten Diebe scheidet sich die Nachforschung nach der irgendwo vermutheten Sache, deren Wegnehmer 5) zunächst bei der That nicht ertappt worden war. Das darüber in den Prawdas Angegebene ist von hohem Interesse. Rücksichtlich dieser Diebssachensuche haben wir in dem ransak (cum lance et licio) ein in sehr hohes arisches Alterthum hinaufreichendes Verfahren, von dem ich schon früher gesprochen habe (GIRG. S. 246 ff., IC. I S. 402 ff.). Hievon findet sich in den russischen Quellen allerdings keine directe Spur (s. u.), dafür aber ein anderes, verwandtes Suchverfahren: der swod. Es wird der Bestand eines Gerichts vorausgesetzt (ebenso wie beim Abwälzen des Wergeldes, III Pr. Art. 17:,so auch in allen Streitsachen, auch bei einem Diebstahl'), unter dessen Autori

3) Offenbar verderbt ist der Text von II Pr. Art. 20. In dem Art. 18. 19 steht das reguläre Recht der Wergeldszahlung bei Tödtung eines ognischtschanin : ,wenn man einen Hausherrn erschlägt, und dazu steht Art. 20 im deutlichen Gegensatz als erlaubte Tödtung des Diebes. Die Worte müssen also gelautet haben, wenn man einen Dieb oder Jemand [nicht: einen Hausherrn] erschlägt im Gemach oder bei dem Pferde, oder bei dem Rinde, oder bei einem Kuhdiebstahle, so erschlägt man ihn an Hundes Statt'.

4) Besonders wird dabei noch hervorgehoben der Fall, wenn der Diebstahl aus dem Stall oder dem Gemach, von Vieh auf dem Felde, von Getreide aus der Scheune oder der Grube von Mehren verübt wird; III Pr. Art. 37-40. 5) Besonders wichtig bei den alten Russen ist die Honig- und Wachsgewinnung, und darnach denn auch die Verfolgung des Bienen- und Honigdiebes; III Pr. Art. 69. 70:,wenn Jemand Bienen ausnimmt, dann 3 Griwnen Busse, und für den Honig, wenn die Bienen nicht entfremdet sind, zehn Marder. Ist es ein Bienenkorb, dann zehn Marder. Ist der Dieb nicht da, so folgt man der Spur, und führt sie zu einem Dorfe oder einer Waare, und sie weisen die Spur nicht von sich ab, gehen nicht auf die Spur, oder schlagen von sich, so bezahlen sie den Diebstahl und die Busse. Und der Spur muss man mit fremden Leuten und Zeugen nachsetzen. Wenn sich die Spur bei einem grossen Gasthause verliert, und ein Dorf ist Einöde, WO weder Dorf noch Leute, so Diebstahl'.

Leist, Altarisches ius civile. II.

nicht vorhanden, oder in einer bezahlt man weder Busse noch

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tät die Diebssachensuche vor sich geht, aber die Acte der Suche selbst haben noch ganz die Gestalt themisrechtlicher Selbsthülfe. Es werden drei Fälle unterschieden.

Erster Fall. Der Bestohlene findet die Sache bei einem Anderen, und zwar ist die Sache noch nicht weit weggeschafft, sondern sie liegt noch im selben Dorfbezirk, dem mir. Hier tritt der Bestohlene mit der Behauptung auf: die Sache ist mein (aio meum esse). Wenn er dies durch Kennzeichen an der Sache, bezw. Zeugen darthun kann, so dass der Sachinhaber wesentliche Weigerungsgründe für die Nichtherausgabe nicht vorzubringen vermag, so nimmt ihm der Vindicant die Sache weg, und der des Diebstahls bezw. der Hehlerschaft Beschuldigte muss ausserdem Strafe bezahlen; I Pr. Art. 12:,wenn Jemand ein fremdes Pferd nimmt oder Waffe oder Kleid, aber der erkennt es in seinem Friedensbezirk (mir)), so nehme er das Seinige (emu swoe), und für das Unrecht 3 Griwnen'; III Pr. Art. 28: ,wenn Jemand ein Pferd verloren geht oder eine Waffe oder eine Kleidung, und er macht es auf dem Markte (tork) bekannt, und nachher erkennt er das Seinige in seinem gorod, so nimmt er das Seinige in Wesenheit, und für das Unrecht sind ihm 3 Griwnen zu bezahlen'.

Zweiter Fall. Der Bestohlene hat herausgefunden, dass sein Gegner die gestohlene Sache habe, er vermag aber Niemanden des Diebstahls zu beschuldigen, und der Sachbesitzer gestattet ihm auch nicht die Sache zu ergreifen. Der Besitzer giebt im Genaueren, zur Rechtfertigung seiner Weigerung der Herausgabe, Denjenigen an, von dem er in rechtmässigem Acte [offenbar nicht durch Diebstahl] die Sache bekommen habe. Alsdann wäre es verkehrt, wenn der Bestohlene mit der reinen Vindication aio meum esse auftreten wollte, die darauf ausginge, zwischen dem Kläger und seinem Gegner

6) Hierin wird man versteckt auch die Nachforschung des Bestohlenen im Hause des Beschuldigten mitenthalten annehmen dürfen. Nur die besonderen Sollemnitäten des ransak zur künstlichen Herstellung eines furtum manifestum, wie sie in der nordischen, griechischen und römischen Tradition sich erhalten haben, finden sich nicht bei den Russen. Aber das Wesentliche der Ransak-Handlung wird sich doch auch bei diesen constatiren lassen (s. u. § 42 Note 6).

festzustellen, wer von Beiden der eigentliche Sachberechtigte sei. Vielmehr hat der Kläger den Sachbesitzer nur zum swod aufzufordern, d. h. zur Zusammenführung mit Demjenigen, von dem er die Sache empfangen hat. Kann der Beklagte den swod nicht gleich ausführen, so hat er für die alsbaldige Inswerksetzung Bürgen zu stellen; I Pr. Art. 13: ,wenn es Jemand erkennt, fasst es aber nicht' [weil der Gegner die Erfassung nicht gestattet],,so sage er ihm nicht: es ist Meines, sondern sage ihm also: [Ewers: gehe auf die Umfrage wo Du es genommen hast; richtiger nach B. Delbrück:],lass Dich ein auf die Zusammenführung, wo Du es genommen [d. h. hier nicht: gestohlen', sondern ,bekommen'] hast. Oder geht er nicht, dann zwei Bürgen auf fünf Tage'; III Pr. 29. 30: ,wenn Jemand das Seinige erkennt, das ihm verloren oder das bei ihm entwendet ist, entweder Pferd oder Kleidung oder Vieh, so sage er nicht: das ist das Meinige, sondern gehe auf die Umfrage (na swod): wo ist es genommen? [Sie werde hinabgeführt, derjenige für schuldig erkannt, an welchem der Diebstahl haftet, nach Ewers; richtiger nach Delbrück:] Sie versammeln sich, wer schuldig ist, auf dem haftet der Diebstahl. Dann nimmt er das Seinige, aber was dabei mit verloren sein wird, dass muss man ihm zu bezahlen anheben. Wenn es ein Pferdedieb ist, so liefere man ihn dem Fürsten zur Verbannung aus; hinwiederum wenn es ein Dieb des Gemaches ist, so hat er drei Griwnen zu bezahlen'.

Dritter Fall. Der Bestohlene erklärt die Sache für eine gestohlene, der Beklagte erklärt sie für eine von ihm rechtlich erworbene. Alsdann kommt es zum sollennen swod im Beisein von 12 Zeugen 7). Der Sachinhaber, der nicht bloss die Herausgabe weigert, sondern auch seine Schuld läugnet, muss mit diesen 12 Zeugen (wohl einer Art von Eidhelfern) seine Unschuld darthun; I Pr. Art. 14: ,aber wo man übrigens an einem Anderen sucht, und dieser fängt an zu läugnen, so hat er auf die Ausführung (na izwod) vor

7) Hierin mit Ewers (S. 283. 300) den,,Anfang der Jury" finden zu wollen, ist unberechtigt. Es handelt sich um den Gewährschaftsschub, von dem weiter unten § 42 die Rede sein wird.

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