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um die sich berührenden, mit ihren zackigen Rändern ineinander greifenden Knochenränder aneinander zu heften - eine Stelle nicht ferner nachgeben kann und doch der übrige Teil der Hirnschale rings um diese Stelle fortwächst, so muss die Hirnschalenform dadurch verunstaltet werden. Hiedurch scheinen vorzüglich die so häufigen Unförmlichkeiten des Hinterhaupts zu erfolgen. Ausser bei Welcker finden wir auch von Rudolf Virchow in seinem Aufsatz ,,Knochenwachstum und Schädelformen, mit besondrer Rücksicht auf den Kretinismus" (1858) den Einfluss der Nähte auf die Schädelgestaltung in übersichtlicher und klarer Weise dargethan. Virchow hat indes zu viel Gewicht auf die primäre vorzeitige Nahtverknöcherung (prämature Synostose) gelegt; insbesondre ist nicht sie, sondern das weniger entwicklungsfähig veranlagte Gehirn die Ursache der Mikrokephalie. Schon Tiedemann hat in seiner Anatomie der kopflosen Missgeburten (1813) als Ursache der hirnlosen Missgeburten, Anenkephalen, das Stehenbleiben der Hirnbildung auf einer frühern Bildungsstufe nachgewiesen. Dann war es Huschke, der in seiner letzten Arbeit,,Über Craniosclerosis totalis rhachitica" (1858) die Virchow sche Anschauung bekämpfte. Er sagt: ,,Besonders Virchows Untersuchungen haben den störenden Einfluss einer zu frühzeitigen Synostose der verschiednen Nähte auf die Gestalt des Schädels und folglich auch des Gehirns überzeugend herausgesetzt, wenn es mir auch scheint, als habe Virchow immer noch zu viel Gewicht auf das knöcherne Gehäuse gelegt dem bestimmenden Einfluss des Gehirns gegenüber, das in der Regel doch wohl auch in krankhaften Fällen meistenteils das Maassgebende ist. Daher vermag ich auch nicht, ebenso wenig wie Virchow, die Entstehung der dolichokephalen und brachykephalen Rassenschädelform auf das in pathologischen Fällen von Virchow angenommene synostotische Verhalten der Quer- und Längennähte zurückzuführen; denn der Schädel hat seine charakteristische Rassenform schon vor der betreffenden Nahtsynostose. Bei den Langschädlern vollenden eben die Scheitelbeine ihr Wachstum früher in die Breite, bei den Breitschädlern in die Länge, so dass es wegen dieses Stillstands des Wachstums hier oder dort, dort eher zur vollständigen Synostose der Pfeilnaht, hier zu der der zwei Quernähte (Kranz- und Lambdanaht) kommen könnte. Auch selbst bei schiefen Schädeln mit Verwachsung gewisser

entgegengesetzter Nähte ist das von Virchow aufgestellte ursächliche Verhältnis nicht bewiesen. Woher weiss man, dass die Schiefheit des Kopfes eine Folge der Synostose einer Naht ist, ja nur, ob diese der schiefen Schädelerweitrung vorangegangen ist. Viele einseitige Verschiebungen und Erweitrungen des Kopfes bestehen ohne Synostose und man kann sie füglicher als das Frühere ansehen, um so mehr als auch die Analogie andrer Verschiebungen dafür spricht. Die krankhaften Verschiebungen einzelner Wirbel, die Verkrümmungen der Wirbelsäule führen auch zur Synostose einzelner Knochen und hemmen dadurch das weitre Fortschreiten des Übels. So kann man auch die einseitige Nahtsynostose als kompensatorische Wirkung ansehen, wodurch einem weitren Verschieben der Schädelknochen der andren Seite Einhalt gethan wird. Tritt vorzeitige Synostose ein, kehrt sich die allgemein gesetzliche Reihenfolge der Synostosen um, so sind diese pathologischen Zustände des Schädels gewiss in der Regel nicht eine von einer analogen Störung des Hirns isolierte Erscheinung; denn es verschieben sich ja nicht die Hirnwindungen, sie verbleiben vielmehr an ihrer normalen Schädelstelle. Man muss daher das Hirn als das primär Bestimmende ansehen, dessen Stillstand auch den Stillstand des Knochenwachstums möglich macht d. h. das Verwachsen der Nähte."

Der Erste, der die Aufmerksamkeit auf die aus Synostose einer oder der andren Kranznahthälfte hervorgehenden Asymmetrien des Schädels lenkte, war Joseph Hyrtl. Den Lebensgang dieses seltnen Mannes habe ich in meiner ergänzenden Besprechung zu Pagels Biographischem Lexikon geschildert. In seinem Lehrbuch der Anatomie des Menschen (20. Auflage, 1889) sagt er: Einseitige Verwachsung der Kranz- oder Lambdanaht (letztre äusserst selten) hat Schiefheit des Kopfes zur Folge, mit und ohne Hemmung geistiger Entwicklung. Dantes Schädel war ein exquisiter Schiefschädel. (Welcker berechnete das Hirngewicht Dantes, 56 Jahre, zu 1424 g, sonach 62 g über das Mittel. D.) Es gibt aber viele Schiefschädel, an welchen eine einseitige Obliteration querer Schädelnähte nicht vorliegt. Unter 175 untersuchten Schädeln dieser Art waren nur 6 (also 3,43%) mit einseitiger Verschmelzung der Kranznaht behaftet. Auch treffen wir häufig Schiefschädel schon an Neugebornen, wo noch keine geschlossnen Nähte existieren (kommt pathologisch ausnahmsweise vor, D.). Wir dürfen also annehmen, dass nicht aus

geglichne Druckwirkungen während der Geburt, der fraglichen Asymmetrie des Schädels häufiger zu Grund liegen als einseitige Synostose der Nähte. Vorschnelles Verwachsen der Pfeilnaht bedingt den sphenokephalus, mit einem der Pfeilnaht entsprechenden vorspringenden Kiel. Derselbe Prozess in der kurzen sutura spheno-parietalis liegt dem Sattelkopf, klinokephalus, zu Grund, mit einer der Richtung der Kranznaht parallelen Einschnürung des Schädeldachs.

Zuckerkand1 (Beiträge zur Lehre des menschlichen Schädels, in den Mitteilungen der anthropologischen Gesellschaft in Wien, 4. Band, 1874) bemerkt: Auffallend ist das Prävalieren linksseitiger Schädelasymmetrie über die rechtsseitige (was ich nach eigner Erfahrung an Lebenden bestätigen kann, D.). Unter den 169 von Zuckerkand untersuchten asymmetrischen Kranien waren 121 (also 71,60%) linkerseits und 48 (also 28,40%) auf der rechten Seite in ihrer Symmetrie gestört. Die Ursache liegt in dem Überwiegen der ersten Schädellage über die zweite (nach Hecker trifft auf zwei erste Schädellagen eine zweite) in Verbindung mit dem Einfluss des engen Beckens; die Vererbung kommt auch hier in Betracht. Der Entwicklungsgrad der Asymmetrie hängt von verschiednen Momenten ab, unter denen das Gehirnwachstum die Hauptrolle spielt. Männliche Schädel werden bei engem Becken häufiger verschoben als weibliche, weil sie voluminöser sind. - In demselben Band findet sich die Abhandlung von Zuckerkandl: Über oxykephale und akrokephale Kranien.

Gehirn und Schädel wachsen miteinander. Welcker sagt mit vollem Recht: nicht der Druck ist das Wichtigste, wodurch das Gehirn auf die Schädelbildung einwirkt, sondern die Existenz eines normal wachsenden Gehirns an und für sich. Der Kopf wächst als solcher und als Ganzes. Die Bedeutung des Schädels liegt, sofern wir von den Gesichtsknochen absehen, in der Umkapslung des Gehirns. Fehlt das Gehirn oder der Schädelinhalt, sistiert letztrer sein Wachstum oder wird derselbe entleert (fetaler Hydrops, Anenkephalie), so folgt fast unmittelbarer Stillstand oder äusserste Beschränkung des Schädelwachstums. Die Schädelkapsel wird niemals (im Sinn von Fick) „passiv" von dem Schädelinhalt auseinander getrieben, auch dann nicht, wenn dieselbe, wie bei extremen Fällen des Wasserkopfs, unwillkürlich an eine Kautschukblase erinnert. Das in den Knochen

(bezw. dem Nahtgewebe) liegende Wachstum liefert, der Nahtverteilung gemäss, an Schädelwandung so viel als dem speziellen Fall entsprechend ist; das Detail der Flächenformung wird bedingt durch Druckwirkung des Gehirns. Dass der hydropische Inhalt aber doch einen mehr expansiven Druck ausübt, wofür auch das längere Offenbleiben der Fontanellen spricht, hat Welcker später (Abnorme Schädelnähte) selbst zugegeben und ist von mir S. 289 angeführt. Die Verschmelzung der Kopfnähte beginnt, wie Fick (1829-1901; Neue Untersuchungen über die Ursachen der Knochenformen, 1858) bemerkt, immer und unter allen Umständen von der innern Fläche des Schädels und schreitet nach der äussern Seite fort, niemals umgekehrt. Nach ihm sind in einem Drittel der Schädel der Erwachsnen von innen her Nahtverschmelzungen zu finden. Nach Hyrtl beginnt ebenfalls das Verstreichen der Nähte zuerst an der innern Tafel der Schädelknochen, wo die Zusammenfügung der Knochen nicht durch dendritische Zacken, sondern, auch bei den äusserlich krausesten Nähten, bloss durch lineare Aneinanderlagerung (Harmonie) bewirkt wird. Die Pfeilnaht verschwindet zuerst, hierauf die Kranznaht, zuletzt die Lambdanaht und ihre Fortsetzung, die Warzennaht. Am längsten erhalten sich die Nähte in der Schläfengrube. Mit dem Verschwinden der Nähte verliert sich auch allmählich die Diploe, indem die beiden durch die Diploe (dinión, Doppelteil, betrifft eigentlich die beiden Knochentafeln; mit Unrecht nennt man allgemein das zwischen diesen kompakten Platten befindliche schwammige Knochengewebe die Diploe) getrennten Tafeln der Schädelknochen näher zusammenrücken, bis sie in einem höhern Altersgrad zu einer Knochenplatte verschmelzen. Bei Kahlköpfen, deren Schädeldach zuweilen so rund und glatt ist wie eine Billardkugel, kann man die Nähte selbst durch die verdünnten und glänzenden Schädeldecken hindurch erkennen.

In seiner Abhandlung Die doppelten Schläfelinien der Menschenschädel und ihr Verhältnis zur Hirnschale (Denkschriften der Wiener Akademie der Wissenschaften, 1871) sagt Hyrtl: Es soll durch die vorliegende Untersuchung gezeigt werden, dass am Seitenwandbein zwei Bogenlinien vorkommen, auf welche die Bezeichnung linea semicircularis temporum angewendet wird und dass nur die eine derselben, der Lage nach die untre, den Grenzsaum des Ursprungsfleisches des Schläfemuskels bildet, während

die obre in gar keiner Beziehung zu diesem Muskel steht und als eine Demarkationslinie zwischen der Scheitel- und Schläferegion des Seitenwandbeins angesehen werden muss, welche Gegenden bei gewissen eckigen Schädelformen nicht in gleichförmiger Bogenkrümmung, sondern mittels Knickung ineinander übergehen. Als der seltenste Fall unter den Variationen der Schläfelinien muss die linea semicircularis temporum inferior ohne superior bezeichnet werden. Unter 2000 Schädeln seiner Sammlung fand Hyrt nur 18 (also 0,9%), an welchen keine Spur einer obern Schläfelinie zu entdecken ist. Bei diesen Schädeln zeigt sich die untre Schläfelinie viel stärker aufgeworfen als es je bei Vorhandensein beider lineae semicirculares gesehen wird. An einem derselben zeichnet sich die Linie durch einen so hohen Grad von Elevation aus, dass sie einen förmlichen Kamm bildet, welcher mit breiter Basis aufsitzend zu einem scharfen fast schneidenden Grat sich erhebt. Dass es sich hier um eine linea semicircularis inferior, nicht um eine superior handelt, ergibt sich aus dem Vergleich dieses Schädels mit solchen, an welchen beide Schläfelinien sehr ausgeprägt erscheinen. Was die Bedeutung der obern Schläfelinie betrifft, so muss vor allem ihre Beziehung zu einer gewissen Form der Hirnschale hervorgehoben werden. Man stelle eine Reihe von (sogenannten, D.) Rasseschädeln ohne Unterkiefer in Occipitalansicht auf. Der Kontur dieser Schädelprospekte wird nach unten durch eine grade Linie gebildet, welche die beiden processus mastoidei miteinander verbindet. Der übrige Umfang dieses Konturs erscheint entweder als Bogenlinie oder zeigt sich aus vier graden Linien zusammengesetzt, von welchen die beiden seitlichen der Schläferegion, die beiden obern der Scheitelregion angehören. Die beiden seitlichen Linien stehen entweder senkrecht oder divergieren mehr oder weniger nach aufwärts, während die beiden obern konvergent gegen die Pfeilnaht ansteigen. Dieser Schädelkontur ist also eckig und zwar ein Fünfeck. War die überblickte Reihe zahlreich, so wird es an allen möglichen Zwischenstufen beider Extreme (Bogen und Pentagon) nicht fehlen. Nimmt man nun die pentagonalen Schädel heraus und blickt auf ihre Seitengegend, so wird man jederzeit eine gut entwickelte linea semicircularis superior als Grenze zwischen der Parietal- und Temporalregion der Kopfseiten vorfinden, mit oder ohne inferior. Die Winkel, unter welchen die seitlichen und obern Ränder des

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