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hunderte des Kaiserthums überdauerte 2). Sie hat nicht nur die Römische Gesellschaft und ihre Mitglieder sondern auch die Litteratur, besonders aber die beiden wesentlichen Repräsentanten der Nationalität, die Gattungen der Geschichtschreibung und Beredsamkeit, mit Charakter erfüllt und mit Würde umgeben. Alle Wirksamkeit war also dort durch grofse politische Ideen bestimmt, durch einen vererbten Takt für das Geschäftsleben geregelt und einzig auf das Handeln in der Oeffentlichkeit (πoάττɛı) gerichtet. Anders das Griechische Volk zwar sah es im Staate den organischen Mittelpunkt der bürgerlichen Kreise und es verherrlicht ihn durch den Wetteifer sämtlicher Kräfte, übrigens aber war den Individuen ein volles Mafs der Freiheit und Selbstbestimmung zugestanden, um auf jedem Gebiete der geistigen und sinnlichen Welt mit fröhlicher Lust zu schaffen (Tolεiv). In und neben dem Staate blieb mithin den Griechen ein unbeschränkter Raum, auf dem die vielseitigste Produktivität in Litteratur und Kunst gedieh, ohne fremden und äufseren Gesichtspunkten sich zu unterwerfen; das Römische Talent steht dieser Griechischen Vielseitigkeit gegenüber, welche den Idealen und der Vollkommenheit zugewandt ist, auf einem einseitigen Felde. Wie es unter den Einflüssen des Staatslebens nichts als eine kleine Zahl litterarischer Fächer aufnahm, so fühlt es sich allein für praktische und patriotische Thätigkeit befähigt, der zu Gunsten es in der Zurückgezogenheit engerer Lebenskreise jeden behaglichen Genufs verschmäht, mit jenem Ernst und mit der unbeschränkten Wärme, deren die politische Virtuosität empfänglich ist.

1) Die altitalische Vorstellung von Schutzgöttern für Oerter, Personen und Völker spricht auf charakteristische Weise sich im Gipfel dieses Glaubens aus, in der Ansicht dafs jedes Volk seinen Genius (Fata) habe, dafs aber die Römische Nation den mächtigsten in der Fortuna Populi Romani, deren sinnliches Abbild die zuletzt von den Provinzialen göttfich verehrte Dea Roma, besitze und mithin ihre Fata (maiora, den übrigen als minora entgegengesetzt) erhaben über die ganze alterthümliche Welt seien. Belege des Sprachgebrauchs bei Burm. in Ovid. Hero. 1, 28. in Lucan. V, 189. bei dessen Neffen in Prop. p. 816. Jener denkt hierbei irrig an eine superstitiosa veterum credulitas; Ruhnkenius in den Ovidischen Dictata sah an fata maiora und minora gleich Bentley in Hor. Epp. II, 1, 6. nur eine Formel. Die älteren Griechen wissen (wiewohl schon eine Tuxn owτng vorkommt) wenig von einer Fortuna gubernans; die welthistorische Fügung jener Túxn, die, wie Polybius öfter lehrt, alles zum Römischen Schwerpunkt hindrängte, die Plutarch de Fortuna Romanorum (ὁ Ῥωμαίων μέγας δαίμων in einem begeisterten Lobe p. 324.) anstaunt, führte sie spät zum Kultus der Fortuna Po.

Rom. oder der Dea Roma und zur Stiftung von Tvɣɛła, die bald in Gemeinschaft mit den Tempeln der Kaiser jede bedeutende Stadt, namentlich die civitates vɛwxóoovs zierten. Einiges von ihrer Verehrung Lipsius in Tac. A. IV, 56.

2) Dafs die Römer das Glück und die Gröfse des Staats ihrer Sittlichkeit und sittlichen Tradition verdankten, führt Augustin. C. D. V, 12. aus. Um das Uebergewicht dieses Volkes in öffentlicher Thätigkeit und politischer Einsicht, namentlich mit den Griechen verglichen, zu ermessen, betrachte man die lange Reihenfolge berühmter gentes, deren Namen die stemmata gentium Romanarum erfüllen, die stetigen Ueberlieferungen der politischen, Wissenschaft und Kunst, die z. B. in der Cornelia und Mucia vererbt blühte und sich erweiterte, dann die in vielen Hinsichten denkwürdige Gruppe der republikanischen Familienmünzen, um andere Denkmäler für die politische Virtuosität Roms zu übergehen. Noch weniger wird man die grofsartige Schwungkraft übersehen, die von den reicheren Verhältnissen und den gezügelten Formen des staatsmännischen Lebens ausging und das Individuum in ein gleichmäfsiges Geleise zog; während bei den Griechen das politische System nur ein Gedanke vereinzelter Staatsmänner war. Selbst die Biographieen Plutarchs haben ihren Anlafs und leitenden Gesichtspunkt, das Prinzip nachgeborene Geschlechter durch die Kraft historischer Erinnerungen zu erwärmen und vor der moralischen Verkümmerung zu schützen, von Rom empfangen; mag er auch in seinen Zusammenstellungen, bei denen ihn oft genug der Mangel an Hellenischen Seitenstücken hindert, und in seinen Kritiken selten die Befangenheit des Griechen verleugnen. Noch in den spätesten Autoren, in solchen deren Geblüt nicht einmal das reine Römische war, einem Claudianus oder Rutilius, lebt der stolze Glaube an das ewige Rom, das auch aus der Erniedrigung sich ermannen werde: ein Nachklang jenes Wunsches und Satzes, die Sonne möge niemals etwas herrlicheres als Rom bescheinen, Hor. Carm. Saec. 11. Ovid. F. IV, 831.

2. Aber nicht blofs praktisch im Sinne politischer Universalität, sondern auch sittlich war der Geist des Römischen Gemeinwesens. Kein Staat des Alterthums hatte wie dieser die Sittlichkeit und ihren bestimmtesten Ausdruck, das Prinzip der Ordnung, zur Seele sowohl der Institute als der Individuen gemacht 3). In der Natur eines geschlossenen bürgerlichen Vereins lag das Uebergewicht der Gesellschaft, der niemand sich entziehen kann; die Gesellschaft führte frühzeitig zur Einheit, und nicht nur zu derjenigen Einfachheit, welche die mannichfaltigen Richtungen und Neigungen bcschränkt, sondern auch zur scharfen Gliederung in Ständen, Magistraten, Kollegien, ja zur strengen Konsequenz und geistigen Auffassung der innerlichsten Prinzipe, die nicht minder den Staat als die Häuslichkeit durchdringen, vor allen der Religion 4). Je weniger sie geeignet scheint losgerissen von der Subjektivität als ein Stück des weltlichen Systems und als blofs zwingende Satzung gehandhabt zu wer

den, desto besser kann ihr Beispiel den zum Mechanismus neigenden Sinn, mit welchem die Römer in göttlichen und menschlichen Dingen den politischen Organismus einfach zur Regel erhoben, in ein helles Licht setzen. Zwar sind hier

die Beispiele frommer, von lebendiger Gottesverehrung erfüllter Männer besonders in den früheren Jahrhunderten der Republik zahlreich genug, aber diese Männer wandelten gänzlich im strengen Glauben der Väter, und vor dem Ende des zweiten Punischen Krieges fehlt jede Spur einer individuellen religiösen Bildung, wieviel mehr einer Reflexion über Fragen der Religion. Dagegen hatte der Staat seine Politik in genaueste Uebereinstimmung mit der Religion gesetzt, ihrer beider Kräfte ins Gleichgewicht gebracht, die politischen Handlungen und Grofsthaten durch Kulte, Riten, Feste geheiligt und selbst verewigt, ferner durch geschlossene priesterliche Kollegien, deren Mitglieder den höchsten Rang besafsen und Theilnehmer der obersten Magistrate waren, Sorge getragen, dafs Cerimonien und religiöse Institute von der einmal festgestellten Regel nicht abwichen, und denselben Kollegien überlassen, auf Grund ihrer Bücher und der daran entwickelten geheimen Wissenschaft auch eine kirchliche Verwaltung zu führen. Schon der Name religio, vom Bande das die Individuen verknüpft, ist ebenso bezeichnend als die Entfernung aller sinnlichen Mythen, wodurch die Götter in einem gesellschaftlichen Leben anthropomorphisch verbunden wären: die Römischen Götter stehen vereinzelt neben einander, abstrakt und ohne poetischen Schmuck, als Ausdruck und Attribute des politischen Gedankens. Die Beschränktheit und nüchterne Fassung der Italischen Fabel kam ihnen zu statten, und der Mangel an einer in Mythenbildung thätigen Phantasie, deren schöpferische Kraft bei den Griechen Poesie und Kunst sowohl mit unbegrenzter Plastik als auch mit vorwiegender Sinnlichkeit ausgestattet hat, beförderte den sittlichen Charakter, die Züchtigkeit und Würde der religiösen Vorstellungen. So gelang es den Römern ihre Geschichte durch Religion zu weihen, das weltliche Leben von heiligen Formen unzertrennlich zu erhalten, und dem Kultus ein so festes politisches Gepräge aufzudrücken, dafs die Gröfse des Staates im nationalen Bewusstsein stets als Ergebnifs der Frömmigkeit und des Bundes mit dem Götterthum erschien ;

hingegen war die Sonderung beider und die Anklage einer staatsklugen Täuschung (der übliche Stützpunkt für die christlichen Apologeten) einem Angriff auf das Römische Volk und seine theuersten Interessen gleich.

Wie die Gebiete der Oeffentlichkeit, so beherrschte das Familienleben derselbe Geist der Symmetrie und Zweckmässigkeit. Die Familieneinheit stellt sich aufserlich und bezeichnend im atrium dar, wo der Mann Klienten empfing und Rath ertheilte, die Hausfrau ihren Arbeiten oblag, die Sammlung der Ahnenbilder in unmittelbarster Anschauung den Ruhm des Geschlechts vergegenwärtigte; die sittliche Thätigkeit der Familie offenbart sich an der Erziehung des Knaben, der zuerst im Schofse der Mutter aufwuchs, weiterhin vom Vater in die Kreise des politischen Wissens und der Staatsmänner eingeführt wurde. Hiezu kam der wirthschaftliche Sinn, die ehrsame Beschäftigung mit Oekonomie, mit den städtischen und ländlichen Einrichtungen, um den vermehrten Besitz zu ordnen und das Privateigenthum mit der würdigsten Pracht zu schmücken 5). Ein gemeinsames Band zwischen der öffentlichen und der häuslichen Praxis war daher das Geschäft; eine nothwendige Bedingung aber, um beiden Seiten vollständig zu genügen, die strenge Benutzung der Zeit, zwischen dem aufopfernden Dienste des Staats und den stillen Ansprüchen der Familie getheilt. Kein Volk des Alterthums hat wie die Römer bei solchem Ueberflufs der Mittel mit der Zeit gegeizt, mit so strengem Ehrgefühl die von staatsmännischen Geschäften erübrigten Stunden (sein otium) nicht minder für das Haus als für den Nutzen der Bürger aufgewandt, oder aus Mangel an Zeit sogar den harmlosen Genufs edler Künste sich versagt: ganz im Gegensatz zu den Athenern, welche neben der Politik hinreichende Mufse fanden, um jede geistige Kunst mit voller Hingebung zu üben 6). Demnach zeigt das Römische Leben überall einen knappen, sich selbst genügenden Organismus, dessen Mittelpunkt der Staat und die politischen Ideenkreise waren, und dessen Gliederung im gemeinsamen sittlichen Bewusstsein lag. Daraus entsprangen für das Ganze kräftige Traditionen, die Grundpfeiler der im Volke wurzelnden ungeschriebenen Sitte; für den einzelen eine sehr bestimmte Reihe von Aufgaben, Rechten und Pflichten, geknüpft an die tiefe

Verehrung des Alterthums. Zugleich begreift man dafs eine solche Gemeinschaft in Prinzipien und praktischen Ordnungen allen Römischen Individuen einen sehr gleichförmigen Typus aufdrücken mufste; die Mannichfaltigkeit ist in dem Mafse gering, als die Aehnlichkeit wie bei Mitgliedern einer Familie überwiegt.

3) Das Prinzip, alle Kraft und Wissenschaft der Individuen auf die politische Idee zurückzuführen, den einzelen seinem Ganzen oder dem Vaterlande dienstbar zu machen, dieses sittliche Motiv spricht am besten Cicero de Republica aus: beredter 1, 4. Neque enim hac nos patria lege genuit aut educavit, ut nulla quasi alimenta expectaret a nobis sed ut plurimas et maximas nostri animi, ingenii, consilii partis ipsa sibi ad utilitatem suam pigneraretur; tantumque nobis in nostrum privatum usum, quantum ipsi superesse posset, rémitteret. Präziser 1, 20. quid esse igitur censes discendum nobis, ut istud efficere possimus ipsum quod postulas? Eas artis quae efficiant ut usui civitati simus: id enim esse praeclarissimum sapientiae munus maximumque virtutis vel documentum vel officium puto. Den sittlichen Charakter der Römischen Litteratur hat zuerst die Frau von Staël in einem ihrer originelsten Bücher (de la littérature considérée dans ses rapports avec les institutions sociales, 1800. Oeuvres T. IV. 1820. chap. 5.) erörtert und in Zusammenhang mit den sittlichen Eigenschaften der Nation gesetzt. Sie hebt als Grundzüge hervor die Ruhe des aristokratischen Wesens, die Selbstbeherrschung und Beobachtung der sittlichen Würde, die sittliche Reizbarkeit und Empfindung, ferner als Vorzüge vor den Griechen die gröfsere praktische Sicherheit und Erfahrung, den Scharfsinn und Umfang in Moral, schon weil sie mehrere Jahrhunderte der praktischen Bildung voraus haben, weshalb kein Grieche die Gesamtheit der Pflichten so klar und kräftig als Cicero vortragen gekonnt, von dessen Philosophie sie halbwahr sagt p. 151. Sa philosophie est composée de préceptes et non d'observations. Den Ausgangspunkt ihrer Litteratur, die dem Nutzen diente (p. 141. utilité est le principe créateur de la littérature latine), sieht sie in der Reflexion und nicht in der poetischen Einbildungskraft; um so mehr als sie für einen Stützpunkt der Tugend galt und die Staatsmänner in ihrem Studium ein Mittel fanden, um das Vaterland besser zu regieren; überhaupt drängen sie reflektirend tiefer ein. Die Gesetzgebung die hier zur Vollkommenheit kam, sei selber ein Zweig des philosophischen oder abstrakten Geistes; der Fortschritt des philosophischen Ideenkreises sei von Cicero bis auf Tacitus offenbar. Die Beredsamkeit trage mehr Ruhe, weil sie auf einen aristokratischen Körper wirken sollte, wo man sich wechselseitig respektirte; sie werde nicht durch fortreifsende Leidenschaften bewegt und besitze vermöge der Gemüthsruhe vorzugsweise die Wärme des Verstandes. Im Vortrag herrsche, wegen der scharfen Unterschiede der Stände, ein strengerer Geschmack; aber auch gröfsere Breite und Entwickelung der Gedanken, wie Cicero den Demosthenes in Häufung von Argumenten überbiete: p. 161. Les Romains donnent beaucoup trop de développemens à leurs idées; mais ce qui appartient aux sentimens est toujours exprimé avec concision. Endlich was den Höhepunkt und Umfang einer solchen Litteratur betrifft, deren Autoren durch den Nationalgeist bedingt in eine feste Bahn gewiesen sind, so hat sie richtig bemerkt dafs ihr die Mannichfaltigkeit fehle, dafs die Kräfte der Individuen nicht dorthin neigen, wofür sie das gröfste Talent besitzen, weil sie nur eine begrenzte Zahl von Gattungen zu vervollkommnen suchen. Die Eigenschaften der republikanischen Litteratur summirt sie

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