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17. Jahrhunderts besaf's Frankreich noch genug tüchtige Kenner, die jedoch immer mehr einer gewissen Liebhaberei oder der Neigung für seltene, verschollene Autoren einräumen: so der Pariser Bibliothekar Nic. Rigaltius († 1652.) und der gründliche Geschichtforscher Henr. Valesius (1603 — 1676.); seitdem aber eine poetische Nationallitteratur unter dem Einflufs der höheren Gesellschaft aufgekommen und der bisher einfache Geschmack durch konventionelle Formen umgebildet war, erhielten die Alten einen bedingten Werth, der von litterarischen Richtungen und vom guten Willen gelehrter Akademiker abhing. Ein sprechender Beleg dieser Umwandlung sind die popular eingerichteten Editiones in usum Delphini, welche nicht im Geiste ihres Urhebers, des kundigen Bischofs P. D. Huet († 1721.) ausgeführt wurden. Alle weiteren Leistungen der Franzosen haben, von Uebersetzungen und ästhetischen Memoiren abgesehen, am meisten und fruchtbarsten der Griechischen Litteratur sich zugewandt.

88) Unter die merklichsten Lücken der neueren Gelehrtengeschichte gehört der Mangel an einer vielseitigen und unbefangenen Charakteristik dieses eigenthümlichen Geistes. Ein anschauliches Bild von Scaliger dem Menschen, dem Polyhistor und dem Lehrer fehlt gänzlich, und läfst sich bald um so weniger erwarten, als nur eine kleine Zahl seiner Schriften gekannt ist; geschweige dafs man die vielen ihn betreffenden Aeufserungen der Zeitgenossen aus zerstreuten, zum Theil selten gewordenen Büchern zusammensuchen oder seinen Nachlafs auf der Bibliothek zu Leyden in ähnlicher Absicht prüfen sollte. Dahin gehören auch die zu beachtenden Gedächtnifsreden, welche in Leyden 1609. 4. erschienen: D. Heinsii in obitum I. Scaligeri orationes duae, mit den Bildnissen beider Scaliger, und D. Baudii Oratio funebris dicta honori — I. I. Scaligeri. Soviel ist klar, von dem tiefen und dauernden Einfluss den er auf die Gelehrten und die Jüngeren seiner Umgebung ausübte, macht man sich jetzt schwer den rechten Begriff; wenige Männer dieses Ranges sind in solchem Uebermals verkannt worden. Mancher scheint sogar nicht zu wissen dafs erst die Hemsterhuisische Schule (s. unter anderen Ruhnk. Elog. Hemst. pp. 18. 23. und aufser so vielen Bemerkungen von Valckenaer dessen Opusc. II. p. 348.) die grofsen Leistungen und die Schwächen des von ihr verehrten vir maximus begriffen und das wahre Verdienst der Holländischen Philologie ihm zugeschrieben hat. Dies alles ist doch natürlich, da seine Wirksamkeit in Wort und Schrift eine freie war, bestimmt durch grofsartige Persönlichkeit und unabhängig von jedem herkömmlichen Mafsstabe. Schon seine Anmerkungen zum Eusebius geben eine Anschauung ebenso sehr vom Organismus seines überall gegenwärtigen Wissens, das auf ein mächtiges Gedächtnifs bei nur wenigen Büchern (Ep. 56. uno morbo laboramus, penuria librorum) sich stützte, als von der originellen Form der Darstellung, wodurch er einen dürren Stoff belebt und ihm die fruchtbarsten Seiten abgewinnt. Wie sein Blick die nothwendigen Arbeiten und die rüstigen Arbeiter herausfand, wie er selber den gröberen Fleifs mit Ausdauer trug und das handwerkmässige Geschäft veredelte, zeigt vorzugsweise die kolossale Sammlung Lateinischer Inschriften, zu der er

den mechanischen Gruter vermochte und wofür er ihm nicht nur ein reiches Material übergab, sondern auch die normalen 24 Indices, die Frucht von zehn Monaten, selber vollendete. Er wurde daher das Orakel der Gelehrten und die Seele (häufig der Mitarbeiter) der meisten litterarischen Unternehmungen: die anschaulichsten Belege sind in der vollständigsten Sammlung seiner Epistolae, LB. 1627. enthalten und bestätigen seinen Ausspruch, meum fatum est, non mihi sed omnibus nato esse. Sie bestätigen aufserdem neben den Scaligerana (Anm. 73.), jenen vom Tisch des Reichen gefallenen Brocken, welch eine bewundernswerthe Sicherheit des Urtheils, zum Theil in die schärfsten und schneidendsten Wendungen gekleidet, er besafs. Kein Wunder also dafs er viele verletzte, dafs er als eitler und übermüthiger Mann verschrieen und vom Haufen, dessen Sprecher der bellende canis grammaticus C. Scioppius wurde, plump beneidet und bitter angegriffen war; eher mochte man sich wundern dafs ihm die Zeit allmälich den Hochmuth, das heifst den Ausdruck des Selbstgefühls und der Vornehmheit, verzieh; auch hat Saxe Onomast. T. III. p. 644. darüber gar naiv sich verwundert. Die Vorwürfe der Anmafsung und Mifsgunst haben sich ohne Widerspruch fortgeschleppt; es ist daher gut sie endlich im wesentlichen für grundlos zu erklären. Man hat ihm unter anderen das herbe Urtheil über Lipsius verdacht; allein wieviel ehrlicher und milder klingt z. B. der Nachruf Ep. 120, als die Sektion von Burmanu in praef. Syll. epp. 1. Er verstand aber nicht blofs die Nachbarn zu würdigen, sondern auch das eigene Mafs seiner Kraft in Kritik (qui melius morbos quam remedia novimus, in Burm. Syll. I. p. 242.) und in den Details der Gelehrsamkeit, worin er nur ein Schüler von Casaubonus sein wollte, mit Aufrichtigkeit abzuschätzen. Dem letzteren huldigt er Epp. pp. 204. 221. in der grofsartigsten Form; nur den Ruhm, das Verdienst desselben vollständig ermessen zu haben, behält er sich selber vor. Man sieht, der Fürst der Philologen des 16. Jahrhunderts ist eine von den Aufgaben, mit der auch der feinste Kenner der biographischen Kunst Mühe hat fertig zu werden.

89) Die besten Arbeiten von Salmasius fallen, abgesehen von seinen vielen antiquarischen Untersuchungen, in die Römische Litteratur; weshalb dieser wunderliche Mann, der die reine charakterlose Polyhistorie darstellt, sich hier nicht umgehen läfst. Scaliger ist schwer zu fassen, Casaubonus fafsbar und wenn auch nicht immer tief, doch ein gemüthlicher Lehrer des Alterthums, Salmasius dagegen zerfahren, ohne Plan und Zweck, ja sogar ohne Ideen und wahres Interesse am Objekt (Tertullianus de Pallio ein Anlafs und Stapelplatz für Kapitel der Privatalterthümer), vielmehr einzig bestimmt durch ein unermessliches Gedächtnifs, dem vertrauend er vieles ganz ohne Bücher schrieb, und durch den tumultuarischen Lauf seiner Reminiscenz oder Feder. Indem er nun mit unglaublicher Schnelligkeit dicke Bände schrieb und das geschriebene niemals wieder durchlas, entstanden die Wiederholungen, von denen alles wimmelt, der chaotische Mangel an Licht und Ordnung, der auch die werthvollsten Forschungen nebelhaft und ungeniefsbar macht (wie weniges ist z. B. von den Monographieen de Hellenistica und de annis climactericis in Umlauf gekommen), und zugleich die unerhörte Gleichgültigkeit gegen alle Form. Ein fast unvermeidlicher Zug ist daneben die Ueberschätzung seiner Kraft, die sich in den zuversichtlichsten aber häufig grundlosen Behauptungen äufsert, und die Verachtung der Gegner, die er oft und hart in unglücklicher Polemik büfsen musste. Indessen nahm Bentley (Wolf Anal, I. p. 76.) diesen Hochmuth ihm nicht gerade übel. In seiner persönlichen Erscheinung trat dieser Mangel an Geschmack und reinlichem Wissen so grell hervor, dafs Christine von Schweden, die ihn mit den höchsten Erwartungen und Ehren empfing, ihn omnium fatuorum doctissimum nennen durfte. Leibniz Opp. T. VI. 1.

p. 268. Il avoit deux grands défauts, l'un de ne pas bien arranger ses pensées, étouffées par le grand nombre de choses, qui lui venoient dans l'esprit, l'autre de ne pas écrire avec modération. Ein starkes Beispiel seiner Anmafsung s. ib. T. V. p. 190. Zur letzteren hatten ihn die panegyrischen Urtheile der Zeitgenossen (namentlich jenes, non homini sed scientiae deest quod nescivit Salmasius) fast berechtigt. Cf. Epp. 1. p. 87. Uebrigens wird man aufser vielem, das zu Gunsten seiner Schriftstellerei spricht, weder vergessen dafs er als ein frühreifer Kopf in sehr jungen Jahren seine besten Sachen schrieb, noch dafs er in Kombination den Casaubonus übertraf, dafs er sogar gröfsere Fähigkeit zeigt, in die Tiefen der Texte einzudringen und die kritischen oder exegetischen Knoten zu entdecken. Einen günstigen Eindruck machen ferner seine Briefe, besonders die von Clement herausgegebenen. Auch hier wird eine gründlichere Biographie vermifst als die des genannten Ant. Clement vor Cl. Salmasii Epistolarum liber I. LB. 1656. s. Burm. in Sylloge II. p. 485,

21. Einen ganz anderen Gang nahmen diese Studien in Deutschland 90). Die Heimat so vieler unterrichteter Chronisten und Geistlichen, denen man eine beträchtliche Zahl alter und guter Handschriften und durch sie sogar die Fortdauer mehrerer Meisterwerke verdankt, war in den letzten Jahrhunderten des Mittelalters völlig verwildert. Man vergafs die Alten, man liefs die Schätze der noch immer gefüllten Klosterbibliotheken modern und plündern; die Gelehrten waren durch die Herrschaft der scholastischen Barbarei fast allen Traditionen des Lateins entfremdet. Die Philologen welche nunmehr sich hier drängten und die Wildnifs durchbrachen, begünstigte weder die Sehnsucht nach den Quellen einer feinen Bildung noch ein nationales Gefühl für Form; vielmehr mufsten sie den Deutschen ihr wüstes Latein und die jämmerlichen Lehrbücher, woran die zähe mönchische Zucht sie fesselte, gewaltsam in Ernst und Spott verleiden. Diese Gegner der Unwissenheit fanden also nur mühsam und unter harten Kämpfen einen Boden; ihre Arbeiten waren zum gröfseren Theile propädeutisch, wenige haben noch jetzt eine Bedeutung; allein wenn die Mehrzahl den Glanz und die Belohnungen der Italiänischen Philologie entbehrt, so verdienen sie wegen ihrer ehrlichen Gesinnung und enthusiastischen Hingebung um so höher gestellt zu werden.

Eine bessere

Zukunft hatten die Schulen geistlicher Brüderschaften in den Niederlanden, besonders zu Deventer und Zwoll, langsam vorbereitet; aus dem Kollegium des Thomas von Kempen ging die früheste Gesellschaft Deutscher Gelehrten und Gönner der Gelehrsamkeit hervor. Die nächste Frucht der in Deutsch

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land und gleichzeitig in Italien ausgestreuten Saat war die Theilnahme der Fürsten, der Stift geistlichen, und einiger Mitglieder des hohen Adels, woher die Neigung Sammelplätze der Studien an neuen Universitäten (Tübingen, Heidelberg, Ingolstadt, Frankfurt) zu begründen; weit tiefer aber als solche Korporationen, die wenig vom scholastischen Geleise abwichen, reichten die Einflüsse der in Schwaben, Westphalen und den Rheinlanden gebildeten Schulen und eines liberal gesinnten Schulstandes, der zum Theil unter dem Schutze von unterrichteten Würdenträgern der Kirche (wie Rud. Lange in Münster 1438-1519. und Domprobst Herm. Graf von Neuenaar) wirken durfte. Wiewohl auch Patrizier und Rathgeber der Fürsten (Iohann von Dalberg, † 1503. Wilibald Pirckheymer † 1530. beide sorgfältig im Lateinischen Ausdruck, und einer der ersten Sammler von Inschriften, Münzen, Alterthümern, Konrad Peutinger† 1547.) durch Wort und That ermunterten und fast alle Kreise der Edlen von der neuen Bewegung ergriffen wurden, so hing doch in jenen Verhältnissen, anders als in Italien, alles davon ab, dafs die Männer des Volks von unten begannen und die Deutsche Humanität nur aus einer Umgestaltung der Elemente hervorging, die auf den einfachsten Grundlagen ruhen musste. Ohne gerade durch Gelehrsamkeit oder feinen Stil zu glänzen, suchten die damaligen Schulmänner und Pädagogen an die Stelle der mönchischen Lehrbücher gründliche Grammatiken und Lexika zu setzen, Anleitungen zur reinen Latinität nebst - vielen praktischen Regulativen für Vers und Prosa zu befördern, ferner einige Klassiker sorgfältiger zu erklären, gelegentlich auch in Abdrücken zugänglich zu machen. Selbst das unstete Leben der Mehrzahl, welche mit unerschütterlichem Muth aber selten auf die Dauer den Kampf wider die Geistlichkeit und ihre Vorurtheile bestanden, trug vieles bei um die freisinnigen Grundsätze von den fernesten Punkten der Schweiz und dem Elsafs bis zu den Slavischen Landschaften zu verbreiten. Schon Rud. Agricola († 1485.), der Vorläufer der künftigen Propädeutik, welcher in Heidelberg und anderwärts ohne eigene Befriedigung lehrte, der erste dessen Latein Geschmack und den Einflufs des Alterthums verräth, gefiel sich in der Unruhe des Wanderlebens; noch mehr der nirgend heimische Conr. Celtes (1459-1508.), von

den Kaisern gefeiert und als poeta laureatus geehrt. Er benutzte sein Ansehn bei Gönnern und Schülern um gelehrte Gesellschaften an Rhein und Donau zu stiften, namentlich aber gab er in Wien, wo manche fähige Zuhörer (1o. Cuspinianus† 1530. Io. Camers † 1546.) das begonnene Werk fortsetzten, zur Gründung der Universität und der Hofbibliothek einen unmittelbaren Anlass. Minder berühmt doch ehrenwerth wegen ihres bescheidenen Fleifses und fruchtbaren Lehrtalents wirkten in der Stille Alex. Hegius zu Deventer und Ludw. Dringenberg zu Schletstadt, Häupter von zwei blühenden Schulen, aus denen die vortrefflichsten Gelehrten hervorgegangen sind; auf sie folgten die eifrigen Meister des elementaren Wissens Iac. Wimpheling († 1528.), Io. Murmellius († 1517.), Herm. Torrentinus, Iac. Heinrichmann und Io. Brassicanus, meistentheils thätig für grammatische Schriftstellerei und Stil, worin aber Heinr. Bebel (1470-1518.), einer der beliebtesten Lehrer in Tübingen, sie mit anderen Berufsgenossen übertraf. Fast auf einer höheren Stufe stand Iac. Locher (mit dem Beinamen Philomusus 1470–1528.), ein Mann von heftigem Charakter, der in Italien gebildet worden und als Lehrer der Poesie, als Verfasser Lateinischer Dramen und noch mehr als der erste kritische Herausgeber des Horaz in Betracht kommt. In den letzten Jahren Kaisers Max gewann die Sache des Fortschritts auch in der öffentlichen Meinung, als Iohann Reuchlin (1455-1522.), in dem man allgemein den Vater der Deutschen Gelehrsamkeit verehrte, durch die Kölner Scholastiker (Theologisten gegenüber den Poetisten) in einen schwierigen Prozefs verwickelt wurde. Der Name des ehrwürdigen Humanisten, welcher die Kenntnifs der Hebräischen und Griechischen Sprache zuerst in seine Heimat verpflanzt, einen Kern besserer Lehrer von Tübingen her verbreitet und trotz seines Hanges zur Theosophie einen wissenschaftlichen Geist entzündet hatte, galt in einem solchen Zeitpunkt für den Namen der Humanität selbst; zur Partei desselben oder zu den Reuchlinisten gehörten alle Männer der Bildung und religiösen Denkart, und die Waffen des genialen Witzes (Epistolae obscurorum virorum 1516. nebst vielen ernsten oder spöttischen Flugschriften) entschieden den Sieg über seine Gegner. In die heifsen Kämpfe dieser Jahre griffen besonders zwei feurige Köpfe

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