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Der verlegende Mensch, nicht der verlegende Stein årgert dich; denke dir alsó jedes Uebel als die Wirs kung einer physikalischen Ursache oder als kåme es vom Schöpfer, der diese Verkettung auch zuließ.

Aergere dich nicht, wenn du den andern nicht abgewöhnen kannst, was dir selber mislingt und wes: wegen du außer den schon angeführten Gründen, auch noch folgende beibringen mußt: Wir råchen uns so, als wåren wir von Teufeln beleidigte Engel.

Nach einer kurzen Pause ist die Beleidigung kleiner geworden, nach Einem Jahre zu gar nichts. Warum soll ein andrer mich so sehr als sich selber lieben?

Ist es denn etwas Wunderbares, daß Beleidigungen in der Welt sind und sollen unter den Millionen Beleidigungen keine auf dich stoßen?

Man haffet an dir die Schale, die Handlungen, die Reden, nicht dich; jene würdest du an einem andern heute, an dir morgen haffen.

Eben dann, wenn der andere die Bosheit übertreibt, fühlt er mitleidig sein Unrecht.

Was nügten dich diese Regeln, wenn dich der andre nie in den Fall segte, sie anzuwenden?

Fliehe die giftige Süßigkeit des Zorns und wähle Mitleiden am Andern.

Sei stumm, lasse die Gährungen sich abreiben und denke, wenn dir die Besiegung des Zorns unmöglich ist, an etwas andres.

Frage nach den körperlichen Aufwallungen nichts und sei froh, wenn Vernunft nachher herrscht.

Måßige die Stimme und übrigen Verråther des Borns.

Stelle dir gewisse Fehler der Menschen als schlechterdings unheilbar und nothwendig vor.

Lasse dir im Anfang lieber Unrecht thun als daß du durch eine gerechte Gegenwehr dich in Hige bringst. Das verstårkt den Zorn, daß man den andern von seinem Unrecht zu überführen sucht, weil man deswe= gen sich die schlimme Seite desselben und alle ihn anklagenden Gründe lebhafter denken muß.

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Du årgerst dich über Handlungen, die dir blos unangenehm sind, aber gar nicht gegen dich gethan werden.

Warum zürnen wir über dasselbe Unrecht so sehr, wenn es uns wiederfährt, und so wenig, wenn es einem andern begegnet?

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V) Allgemeine Regeln.

Thue ein Ding gar nicht oder mit aller Anstrengung. Verschiebe nichts auf die folgenden Stunden, denn in diesen wird dir's nicht leichter.

Suche nicht alle deine Handlungen zu rechtfertigen.

Bereue nicht.

Schäße nichts, weil es an dir ist, und siehe nicht immer auf dich.

Denke immer und zweifle immer.

Fürchte nicht einen Sah erwiesen zu finden, sondern liebe die Wahrheit.

Wenn du deine Empfindungen nicht zum Schweigen bringen kannst: so lasse sie reden, gehorche ihnen nur nicht.

Erwarte nicht außerordentliche Gelegenheiten zum Guthandeln, sondern nüge deine gemeine Lage - ein dauerndes Fortschreiten ist besser als ein kurzes Auffliegen.

Handle niemals aufs Geheiß der Empfindung, ohne vorher die Vernunft gefragt zu haben.

Habe stets Menschenliebe: so entråthst du alle Regeln leicht.

Du wandelst in einer Welt voll Unsichtbarer, im Kreis der mitarbeitenden, bessern, ähnlichen Geschöpfe und thust Gottes Werk.

Gewinne das Vergnügen nicht zu lieb, es erschlafft die Seele.

Brauche jedesmal eine andre Regel, z. B. gegen Zorn, aber nur im individuellen Fall, wo' gerade ihre Anwendung nöthig ist.

VI. Lebensregeln.

Siehe jeden Tag für ein ganzes eigenes Leben, für keinen Abschnitt eines Lebens an und genieße ihn ganz, ohne ihn durch das Eilen zu einem vorausliegenden Abschnitt zu überspringen.

Gerade in der Fröhlichkeit ist Maßhalten sehr schwer.

Gieb deinem Drang nach gewissen Warumfragen in Gesellschaft nicht nach, sondern erwarte die günstige Minute.

Sei in Gesellschaft zugleich stolzer und liebender. Sprich nicht sogleich viel, wenn du eintrittst und nicht schnell.

Ich will allzeit die Regel gegen den Fehler durchlesen, den ich gerade begangen.

Weise durchaus alle unangenehmen Empfindun= gen ab.

Befiehl nur sanft, sonst wirst du bôse, und zweitens gehorcht man dir leichter.

Meide geselliges Verläumden.

uebe dich in eigner Menschenfreundlichkeit gegen Freunde Bekannte

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Verwandte

Geliebte.

Versprich nicht, und biete dich nicht unnöthig an und nicht so, daß du es bereuest.

Werde schon, ehe jemand schickt, mit dir über die Antwort einig.

III.

20

Gerade die Tugend suche in einem Monat zu er werben, zu der du die meiste Neigung fühleft.

Bedenke was die Gewohnheit auch im Guten wirke.

Es verråth eine größere Seele, auf eine Satyre mit Geduld als mit Wig zu antworten.

Schreibe Briefe und alles langsam und kalligraphisch schön, dann wird's åsthetisch schön.

Rechne die Vortheile eines verrinnenden Lebens, einer dummen kurzen Freude für nichts gegen den langen Nugen, den der aufopfernde Gehorsam gegen dein åsthetisches Ideal bringt.

XXI. Familien - Nothstand. Kindliche Kindlicher Rath und Trost.

Leiden.

Bevor wir Paul nach Hof in die Wohnung seiner Mutter zurückbegleiten, wollen wir die Lage, in welche sie während seines Universitátlebens von dem Schicksal gesezt und der sie nicht gewachsen war, überblicken.

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