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XIII.

Ein Beitrag zur Ethnographie Ost-Galiziens.

Von J. Zimmermann.

Geometer der k. k. Katastral-Vermessung.

Die Bewohner Ost- und Westgaliziens sind sowohl ihrer Abstammung als Religion nach verschieden.

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Die Bevölkerung, welche dem griechischen Ritus angehört, bewohnt die grössere östliche Hälfte Galiziens und ist unter dem Namen Ruthenen bekannt, welche wieder nach Landstrichen Podulaken, Pokutier, Huculen, Horalen u. s. w. genannt werden. Ihre Pfarrer sind verheiratet, dürfen aber, wenn sie Witwer werden, sich nicht wieder verehelichen, in welchem Stande oder auch wenn sie ledig geblieben waren ihnen die höheren geistlichen Würden offen stehen, was auch bei den verheirateten nur dann der Fall ist, wenn die Ehefrau eines solchen Geistlichen, ohne Vorbehalt, auf ihr eheliches Band verzichtet, und, der Welt freiwillig entsagend, in ein Kloster zu treten bereit ist, was nur in früheren Zeiten bei kinderlosen Ehen, und das nur selten vorkam, eine Resignation wie diese aber in neuerer Zeit ohne Beispiel ist.

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Die Bewohner der westlichen Hälfte Galiziens die Polen oder Mazuren und Krakowiaki gehören der lateinischen Kirche an, zu welcher sich auch der Adel der ganzen Provinz, auch der von Ruthenen abstammende, bekennt; bis auf einen kleinen Theil, welcher öfters aus einer Familie stammend, nun fast ganze Theile von Dorfschaften bewohnt, und auch vermöge der zu weit gegangenen Zerstückelung ihrer sonst grossen Dominical-Grundcomplexe beinahe durchgehends verarmt dasteht, im äusseren von den übrigen Ruthenen sich höchstens durch einen schlechten Tuchrock unterscheidet, im gewöhnlichen der „Kleinadel" oder spottweise Chodaczkowa Szlachta“ (Chodak eine Fussbekleidung, aus einem blossen Stück Leder ohne Naht, bloss mit Schnüren zusammengehalten, und welche etwas besser als eine Sandale erscheinen mag) - oder baarfüssiger Adel - genannt wird.

Die Feiertage der Polen und Ruthenen, wie ich selbe fortan bezeichnen werde, fallen selten zusammen, werden aber in grossen Ehren gehalten, in der Ueberzeugung, dass hievon aller Segen Gottes abhängt; daher findet man unter dem Volke viele Sagen von den Strafen, die über solche verhängt wurden, welche die zum Dienste Gottes bestimmten Tage entheiligt hatten.

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Bei Kownat in Podlachien zeigt man zwei ungeheure Steine, von denen die Sage erzählt, es sei ein Bauer mit seinen Ochsen, der, weil er am Sonntage geackert, versteinert ist. Nahe bei Brzesc kujawskie sieht man einen Stein, in welchem das Volk die Gestalt eines Mädchens mit einem Rechen zu erblicken glaubt; das Mädchen soll ihrer Mutter ungehorsam gewesen sein und trotz dem Verbot an einem Sonntage Heu gerecht haben, weshalb sie von der eigenen Mutter in einen Stein verwünscht wurde.

In den Krakauer Hügeln hört das Volk oft bei Nacht starkes Windesbrausen; viele wollen dazwischen langgedehntes Klagegestöhne vernehmen, und erzählen, es rühre von einem Herrn, der so streng gewesen, dass er seine Unterthanen selbst am Sonn- oder Feiertage zur Robot hinaustreiben Mittheilungen der k. k, geograph, Gesellschaft, II, Bd. 3. Heft,

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liess; dafür wird er nach seinem Tode von höllischen Furien von Berg zu Berg gejagt und erbarmungslos gepeitscht.

Die Kurpen hören in ihren Wäldern des Nachts das Horn des Schützen, der nach dem Tode spuckt, weil er an einem Feiertage jagte. In den polnischen und ruthenischen Karpathen haben sich eine Menge derlei Sagen erhalten, und es ist eine eigenthümliche Erscheinung, dass das Flachland arm an Sagen ist, während in den Bergen fast in jedem Orte, an jedem auffallenden Naturgegenstande, sei es ein Fels, Baum u. dgl., sich eine Sage knüpft. Ich selbst im Jahre 1855 in der Bukowina, in dem Dorfe OberWikow, hörte erzählen, dass ein Weib mit zwei Schlangen an der Brust herumgehe und bettle, welche ihr als Strafe vom Himmel zur Ernährung beigegeben seien, weil sie am Sonntage um Holz in den Wald ging, was mir wie ein Mährchen aus früheren Jahrhunderten vorkam.

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Der Weihnachtsabend, der St. Rochustag bei den Polen, an welchem die Bauern ihre Heerden dem Schutze des Höchsten empfehlen, der Tag Mariä Himmelfahrt, wo man Getreide und Gemüse, der St. Stephanstag, wo man Hafer, - und der Frohnleichnamstag, an welchem man Blumenkränze weiht, werden von den Lateinern und Ostern und Pfingsten von beiden mit vieler Andacht begangen. Die letzteren werden auch die „grünen Feiertage" genannt, weil hier die Sitte herrscht, das Wohnhaus und die allenfälligen Wirthschaftsgebäude mit grünen Laubreisern zu schmücken und die Fensterscheiben mit einzelnem Laub zu bekleben.

Die Ruthenen haben ausserdem noch eine Menge anderer Gelübde und grösserer Feiertage, unter welchen besonders das Fest des Kirchenheiligen, „Prasznik" genannt, den ersten Rang einnimmt.

An solchen Festen entfaltet der ruthenische Bauer seine ganze Gastfreundschaft, die freilich nur Schweinefleisch, Kuchen (placki), „Pirogi,“ eine Mehlspeise, in welche Käs, Kraut, auch Hirse und Haiden eingewickelt wird, und Schnaps diesen wahren Volksnectar der Polen und Ruthenen in grosser Menge bietet.

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An Sonn- und Feiertagen steht in der Kirche vor dem Geländer, welches den Priester vom Volke trennt, ein Tisch, auf welchen die Opfergaben gelegt werden, und es übt einen eigenen Eindruck aus, wenn man im Hause des Herrn einen Tisch sich erheben sieht, der mit Brot, Fleisch, Würsten, Butter, Käse, Eier, Wachs, Obst u. dgl. in bunter und öfters nicht appetitlicher Weise beladen ist.

Häusliche Feste gibt es wenige und selbst diese werden immer mehr und mehr vernachlässigt; Erntefeste zum Beispiele haben sich spärlich nur hie und da in ihrer alten unschuldigen Lieblichkeit erhalten. Bloss die Hochzeitsfeierlichkeiten behielten ihre frühere Bedeutendheit bei, in ihnen repräsentirt sich noch die alte Volkspoesie.

Jede Hochzeit dauert mehrere Tage mit ununterbrochenem Zechgelage und Tanz. Eine Unzahl Lieder begleitet die hiebei stattfindenden Gebräuche; jede Gegend fast besitzt deren andere, jede in Hülle und Fülle. Man singt Lieder beim Einladen der Gäste, beim Auseinanderflechten des Haarzopfes der Braut, beim Umbinden der Stirnbinde, beim elterlichen Segen, bei der Uebergabe der Ringe durch den „Starosta" (Festordner) ferner Lieder vor der Abfahrt und auf der Fahrt zur Kirche, bei der Heimkehr in's väterliche Haus, auf der Fahrt durch's Dorf oder durch die Stadt, vor der Hausschwelle, beim Eintritt in's Zimmer, beim Tischdecken, beim Einlegen der Geschenke für die Braut, beim Mittags

tanze, bei und nach dem Haubenaufsetzen, beim Geleit in's Brautgemach, zum Schluss der Hochzeit, beim Auseinandergehen des bräutlichen Gefolges, und endlich wird gesungen beim Ueberziehen in die neue Wohnung. Die Melodie dieser Lieder ist abwechselnd fröhlich und elegisch. Besondere Aufmerksamkeit verdienen einige Lieder, in welchen der Hopfen besungen wird, und sind wahrscheinlich Ueberreste von Lobliedern auf das Lieblingsgetränke der alten Westslaven Bier, welches aber in Galizien schon lange dem Branntwein gewichen ist.

Ein zweites häusliches Fest, die Taufe, zeichnet sich jetzt durch keinen besonderen Glanz mehr aus, als dass Gevatter, Bekannte und Verwandte, die Hebamme und zuweilen in besseren Häusern auch der Herr Pfarrer zusammenkommen, und der Wöchnerin fleissig Bescheid thun, da diese jedem erscheinenden Gaste Schnaps zutrinken muss; und vollends bei Begräbnissen findet ausser denen von der Kirche vorgeschriebenen Ceremonien, den gewöhnlichen Trauerbezeugungen und dem Almosengeben kein eigenthümlicher Gebrauch mehr statt.

Die alten Leichenmahle sind ausser Cours gekommen, Branntwein jedoch muss noch immer auf dem Grabe des zur Erde Bestatteten getrunken werden; - von dem Aufthürmen hoher Grabhügel, auf welchen unter Gesängen Blumen gepflanzt wurden, blieb nur noch das Werfen einer Hand voll Erde auf den Sarg des Verblichenen. Auch die Leichenreden werden immer seltener, und nur wenn der Pfarrer gut gezahlt wird, finden selbe statt. Nach der Bestattung beginnt ein tolles Gelage, bei welchem unter Lobsprüchen auf den Verstorbenen der Branntwein abermals die grösste Rolle spielt.

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Ein allgemeines charakteristisches Zeichen der Polen und Ruthenen ist ihre Gesangsliebe und die Unzahl von Volksliedern. Kein Gelage, kein Fest, keine gesellschaftliche Unterhaltung kann ohne Gesang gefeiert werden. Am verbreitetsten sind die Krakowiaki, welche Kinder des Augenblickes, meist durch Improvisation entstanden - kurz und von ungleichem Gehalte sind. Sie sind lyrisch, beschreibend, satyrisch, elegisch - kurz sie umfassen Alles, was sich nur immer durch die menschliche Sprache ausdrücken lässt. Wer irgend einen Seelenzustand oder Gedanken mit Worten darstellen will, kleidet ihn in zwei oder vier gereimte Zeilen und bringt ihn singend als Krakowiak vor.

Beim Tanze in der Karczma (Wirthshaus) werden die meisten Lieder erfunden und gesungen. Die meisten erhalten im ersten Vers ein Bild aus der Natur, im zweiten ein demselben entsprechendes Gefühl oder einen analogen Gedanken.

Gesellige Unterhaltungen sind aber nicht der einzige Ort, wo der hiesige Landmann singt, auch auf Feldern, Weiden und den nebelbedeckten Polanen (Alpen) der Karpathen hört man seine Lieder, welche in tief gezogenen traurigen Tönen, durchaus Moll, einen ungemein tiefen Eindruck hervorzubringen vermögen.

Die Krakowiaki haben eigentlich keine Melodie, sondern die erste Zeile wird in einem einzigen Tone gleichsam halb gesprochen und halb gesungen, die zweite Zeile tiefer und die zwei letzten Silben noch tiefer, ungefähr so:

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Sinn für Musik ist im ganzen Volke verbreitet, doch von einer Ausn*

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