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denn auch diese hat ihre Grenzen. Oft, fährt Horatius fort, die vorhin nur hypothetisch und nicht ohne Uebertreibung hingestellte Verkehrtheit durch Thatsachen zu belegen und zu erläutern, oft heften die Dichter an einen gewichtvollen Anfang einen purpurnen Lappen, indem sie eine Beschreibung, eine Schilderung einflechten, nicht weil sie dort am Platze ist, sondern weil sie selbst in dergleichen ihre Kraft besitzen, was so thōricht ist, wie wenn ein Maler auf dem Tableau, das den aus dem Schiffbruch Geretteten darstellt, eine Cypresse anbringt, nicht weil sie dahin gehört, sondern weil er sich darauf versteht (et cypressum scis simulare). Es sind Fehler gegen ein Grundgesetz der Kunst, die Einheit und Ganzheit der Darstellung verlangt: ὃ γὰρ προσὸν ἢ μὴ προσὸν μηδὲν ποιεῖ ἐπίδηλον, οὐδὲν μόριον Tov olov Fotiv. Diese Grundforderung der Kunst spricht Horatius v. 23 aus:

Denique sit quidvis, simplex dumtaxat et unum, und fährt dann fort mit den Versen, welche wir an den Anfang dieser Besprechung gestellt haben. Wie schliefsen sich diese nun dem Vorigen an? Ich denke in folgender Weise: 'Man wird fragen, wie kommt es, dass Dichter in einer solchen Grundforderung ihrer Kunst das Rechte verfehlen? Ein Grund ist: wir lassen uns durch den Schein des Richtigen in die Irre führen: man trachtet nach Kürze und wird dunkel, man feilt und glättet mit Emsigkeit, und büfst Kraft und Mark ein; man will pathetisch sein und geräth in Schwulst; man ist ängstlich besorgt vor kühnerem Schwung, und kriecht am Boden; man sucht die Stoffeinheit durch auffallende Mannigfaltigkeit zu beleben und verirrt sich in unnatürliche Buntscheckigkeit.' Es kann Niemanden entgehen, dass die letzten Worte delphinum silvis adpingit, fluctibus aprum wieder zurückleiten zu den vv. 9 ff. pictoribus atque poetis

quidlibet audendi semper fuit aequa potestas.

scimus, et hanc veniam petimusque damusque vicissim; sed non ut placidis coeant immitia, non ut serpentes avibus geminentur, tigribus apri. Dieser Anklang ist nicht zufällig, sondern er zeigt deutlich, dass es unter jenen fünf Beispielen für das decipimur specie recti dem Dichter auf das letzte vornehmlich ankam: qui variare cupit rem etc., dass dagegen die vier vorangestellten, wie sie den allgemeinen Satz erläutern, so dem letzten selbst nur als Beispiele untergeordnet sind. Horatius liebt dieses epagogische Verfahren ungemein und die Ars poetica selbst bietet Beispiele dafür dar. Ist nun diese Auffassung jener Verse richtig und sie ist nicht neu so ergibt sich erstlich noch entschiedener, dass bei variare cupit rem nicht an Spengel's Mischung der Stilarten zu denken ist, und zweitens, dass dem Dichter nichts ferner

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lag, als an dieser Stelle Vorschriften und Warnungen über den Stil und seine Arten zu geben, und dass, wenn das eine und andere jener Beispiele sich auf bestimmte Stilarten anwenden lässt, dies nichts weiter zu bedeuten hat, als dass diese für die Wahrheit des Satzes decipimur specie recti bequeme und einleuchtende Beispiele darboten.

Obwol ich hienach die Anwendung, die Spengel von der Stelle des Auct. ad Herennium auf unsere Verse gemacht hat, entschieden ablehnen muss, so ist sie doch nach einer anderen Seite, nach der sie Spengel nicht verwerthet hat, nützlich, indem sie eine erläuternde Parallele zu specie recti darbietet: IV 10, 15 Nam gravis figura, quae laudanda est, propinqua est ei, quae fugienda est, quae recte videbitur appellari, si sufflata nominabitur. Nam ut corporis bonam habitudinem tumor imitatur saepe, ita gravis oratio saepe imperitis videtur ea, quae turget et inflata est-In hoc genus plerique cum declinant et ab eo, quo profecti sunt, aberrarunt, specie gravitatis falluntur nec perspicere possunt orationis tumorem.

Hiernach aber kann ich die Deutung nicht gelten lassen, welche Spengel der species recti gibt, wenn er 1. c. IX 573 schreibt: Diese Einheit wird nur durch die Theorie der Poesie, ars, notun erreicht, aber die meisten Dichter haben diese nicht, leben nur in der Einbildung, doğa, species veri, und fallen daher, weil ihnen die Kenntnis der Theorie abgeht, wenn sie einen Fehler meiden wollen, gewöhnlich in den entgegengesetzten noch grössern. Und ähnlich nachher S. 574: in allen gegebenen Fällen will der Dichter das Rechte aber weil er nur eine Ansicht species veri, und keine Einsicht ars, hat, stürzt er u. s. w. Denn species recti ist nicht subjectiv als Einbildung, Ansicht, doğa zu fassen, sondern objectiv von dem täuschenden Schein, der durch die Aehnlichkeit und nahe Verwandtschaft des Verkehrten mit dem Richtigen erzeugt wird und wodurch es z. B. geschieht, dass der, welcher auf das Pathetische ausgieng, nicht merkt, wenn er die Grenze überschritten und in den benachbarten Schwulst verfallen ist und so bei den übrigen. Um sich vor dieser Irreleitung durch den täuschenden Schein sicher zu stellen, bedarf es der ars (in vitium ducit culpae fuga, si caret arte): doch kann ich auch hierin nicht mit Spengel die 'Theorie' der Dichtkunst finden, sondern fasse es vielmehr in dem Sinne von Kunstverstand, vermöge dessen man die Grenzlinie zwischen dem Wahren und Falschen richtig ziehen wird.

Mit dem v. 31 nimmt Horatius den vorangestellten und durch Beispiele erläuterten Satz 25 Decipimur specie recti in etwas modificierter Form wieder auf und fährt dann fort: Aemilium circa ludum faber unus et ungues

exprimet et molles imitabitur aere capillos,

infelix operis summa, quia ponere totum
35 nesciet. hunc ego me si quid componere curem
non magis esse velim, quam naso vivere pravo
spectandum nigris oculis nigroque capillo.

sumite materiam vestris qui scribitis aequam
viribus cet.

Der Gedanke der Verse 32-37 ist klar: Kunstvollendung in einem Einzelnen ergibt so wenig ein wahres Kunstwerk als ein schönes Gesicht heifsen kann, das zwar schöne Augen aber eine hässliche Nase hat. Wie Horatius im Vorherigen vor dem Fehler gewarnt, durch einseitiges Streben nach Mannigfaltigkeit die Einheit der Darstellung zu zerstören, so betont er hier die verwandte Forderung, nicht mit der Vollendung in Einzeldingen sich zu begnügen, sondern zu trachten, ein Ganzes zu schaffen. Denn einheitlicher Zusammenschluss aller Theile und Vollendung nicht blofs im Einzelnen sondern im Ganzen sind nur wie zwei Seiten einer Grundforderung der Kunst. Gegen die letztere fehlten auch jene Dichter, welche einer Geschicklichkeit im Einzelnen zu Liebe sie auch am unrechten Orte und ohne Rücksicht auf den Zweck des Ganzen verwertheten. Und so ist auch von dieser Seite in jenen Versen eine Rückbeziehung auf die früher gerügten Fehler wahrzunehmen.

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Anders urtheilt über Sinn und Zweck dieser Verse Spengel sowol früher Philol. IX 574 als auch eingehender später Philol. XVIII S. 96. Er schreibt darüber: 'Mit v. 38 Sumite beginnt nicht ein neuer Gedanke, wie man noch immer damit einen besonderen Absatz zu machen pflegt, sondern was vv. 32—37 bildlich gesagt ist, wird jetzt in das Theorem zusammengefasst: es ist das dritte; sonst schweben die Verse 32-37 in der Luft ohne alle Bedeutung; jener faber hat etwas gewählt, was über seine Kräfte geht, und darum infelix operis summa, und so folgt ganz passend der allgemeine Lehrsatz v. 38 Sumite materiem. Man sieht Spengel erkennt für die vv. 32-37 Aemilium circa ludum in dem Vorangegangenen keinen Anlass und weifs ihre Bedeutung überhaupt nur zu begreifen, wenn sie als Vorbereitung und Grundlage des v. 38 folgenden Lehrsatzes Sumite materiam aufgefasst werden. Den Sinn, dass jener faber etwas gewählt, was über seine Kräfte geht, vermag ich den Versen 32-37 nicht zu entlocken: der Dichter sagt vielmehr, jener faber ist ein Meister in den kleinen Einzeldingen, und doch ist seine Kunst unvollkommen, weil er kein Ganzes zu schaffen weifs, und nur zu diesem Gedanken passt das Bild vom Gesicht, an welchem Spengel, auffallend genug, stillschweigend vorübergeht. Daher kann ich auch nicht zugeben, dass die Worte v. 38 Sumite materiam wie der Lehrsatz, oder nach Spengel's Ausdruck, das Theorem an die vorangegangenen Verse 32-37 sich unmittelbar anschliefsen.

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Dagegen glaube ich den Anschluss von v. 38 an das Frühere überhaupt zu erkennen. Der Dichter gieng aus von Verstöfsen gegen Grundforderungen der Kunst und Dichtung, welche Einheit und Ganzheit verlangt. Woher diese Irrungen? Die Dichter und Künstler lassen sich durch den Schein des Richtigen täuschen und indem sie zur Einheit Mannigfaltigkeit erstreben, heben sie die erstere auf, weil es ihnen an Kunstverstand gebricht, der die Grenzen zwischen dem Richtigen und dem benachbarten Fehler nicht übersieht. Oder sie haben sich in Einzeldingen eine hoch ausgebildete Geschicklichkeit angeeignet, mit der sie aber der Forderung der Kunst, die ein Ganzes will, nicht genügen können.

Bis hieher ist die Darlegung des Dichters eine mehr negative: die Irrungen sind bezeichnet und ihre Anlässe. Wie hat es nun der Dichter anzufangen und welches ist die erste Bedingung, die er an sich zu stellen hat, um den Anforderungen der Kunst zu genügen? Darauf gibt (v. 38) Sumite materiam vestris qui scribitis aequam Viribus die Antwort. Dieser Satz ist demnach keineswegs aus den unmittelbar vorhergehenden Versen (32-37) resultierendes Theorem, sondern hat seine Vorbereitung und seinen Anlass in dem ganzen bisherigen Abschnitt des Gedichtes, und bildet dann seinerseits wiederum die Grundlage zu der daran sich anschliefsenden Gedankenreihe. Will man demnach das Gedicht überhaupt durch Absätze gliedern, so wird ein solcher vor sumite mit Recht angebracht.

sumite materiam vestris, qui scribitis, aequam

viribus, et versate diu, quid ferre recusent,
40 quid valeant umeri. cui lecta potenter erit res,
nec facundia deseret hunc nec lucidus ordo.
ordinis haec virtus erit et venus, aut ego fallor,
ut iam nunc dicat iam nunc debentia dici, ·
pleraque differat et praesens in tempus omittat.
45 in verbis etiam tenuis cautusque serendis,

hoc amet, hoc spernat promissi carminis auctor.
dixeris egregie notum si callida verbum
reddiderit iunctura novum. si forte necessest
indiciis monstrare recentibus abdita rerum,

50 fingere cinctutis non exaudita Cethegis

continget

Zusammenhang und Gedankenfortschritt in diesen Versen sind. klar und ohne jeglichen Anstofs. Doch ist die Reihenfolge der Verse 45 und 46 so nicht überliefert. Die überlieferte Abfolge pleraque differat et praesens in tempus omittat,

45 hoc amet hoc spernat promissi carminis auctor.

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hat bekanntlich Bentley abgeändert, und die meisten der neueren Herausgeber sind ihm gefolgt. Spengel tritt dagegen für die überlieferte Reihenfolge der Verse in die Schranken (Philol. XVIII S. 96): ob die Umstellung der Verse 45-46 so ausgemacht ist, wie Neuere wieder annehmen, ist sehr in Frage zu stellen. Bentlei's Gründe sind doch nur spitzfindig; dagegen lässt sich etwas für die herkömmliche Ordnung anführen, was von Bedeutung ist und man nicht beobachtet hat. Wie Horatius einen besonders wichtigen Lehrsatz für den ordo anführt, so für die facundia. Mit dem Ordinis haec virtus erit et venus. . ut .. steht auf ganz gleicher Linie: in verbis etiam.. dixeris egregie si.. was nichts anders ist als: elocutionis etiam virtus erit et venus, si... Diese Concinnität, die nicht zufällig ist, wird durch die Bentlei'sche Umstellung ganz aufgehoben. Ebenso wenig spricht was Horatius selbst unten v. 242 sagt tantum series iuncturaque pollet dafür; daraus folgt, dass in verbis etiam.. serendis dixeris egregie, si callida verbum iunctura reddiderit novum enge zusammengehören und nicht getrennt werden dürfen.' Soweit Spengel. Betrachten wir die überlieferte Ordnung der Verse. In dieser könnte ich sowol in verbis etiam tenuis cautusque serendis Dixeris egregie, als auch Dixeris egregie notum si callida verbum Reddiderit iunctura novum, jedes für sich als selbständigen Satz genommen, wol begreifen und verstehen: dagegen beides in einen Satz vereinigt in verbis etiam tenuis cautusque serendis Dixeris egregie notum si callida verbum Reddiderit iunctura novum will mir eine so schwerfällige Ueberladung erscheinen, wie ich sie dem Horatius nicht zutrauen möchte. Ferner kann in verbis serendis zweierlei bedeuten: da jedes Reden ein Verknüpfen von Worten, ein serere verba ist, so kann jenes gleichbedeutend mit in dicendo sein. Es kann aber auch in verbis serendis von der σύνθεσις ονομάτων im technischen Sinne gesagt sein, wie Horatius v. 242 series iuncturaque in dieser Bedeutung verbindet. Spengel scheint den Unterschied nicht zu beachten, indem er einmal in verbis serendis gleich in elocutione nimmt und dann wieder die citierte Stelle zum Beweise anführt, dass in verbis serendis si iunctura reddiderit nicht zu trennen seien. Doch in welcher Bedeutung man in verbis serendis nimmt, in jeder ergibt sich aus jener Satzverbindung eine unschöne Wendung. Fasst man den Ausdruck in dem ersten Sinne, so erhält man die Verbindung in dicendo dixeris egregie: nimmt man ihn dagegen in der zweiten Bedeutung, so ergibt sich folgendes in iungendis verbis oder in iunctura verborum dixeris egregie, si iunctura verbum notum novum reddiderit. Ferner. Welche Beziehung haben, wenn man mit Spengel jene Worte in einen Satz zusammen

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