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Prinzipien; sodann gelten die Grundsäße von der Mündlichkeit und von der Öffentlichkeit des Verfahrens (beide mit Ausnahmen) 1) u. s. w., Prin zipien, nach denen verschiedene Arten des Verfahrens unterschieden werden. Im Anklageverfahren und nach dem Anklageprinzip kommt der Staats. anwaltschaft (s. oben § 48, Seite 157) eine wichtige Mitwirkung, die Rolle des öffentlichen Anklägers zu.

Die Abschnitte, in welche das strafprozessuale Verfahren zerfällt, sind das Vorverfahren (vorbereitendes Verfahren, Voruntersuchung, Generalinquisition), Hauptverfahren (in gewissem Sinne zusammenfallend mit dem, was man früher die Spezialinquisition nannte; es enthält hauptsächlich : Beweismittelvorführung, Anklage, Verteidigung und Urteilsfällung), dann Rechtsmittelverfahren und Strafvollstreckung.

Die deutsche Strafprozeßordnung vom 1. Februar 18772), eines der seit 1. Oktober 1879 für das ganze deutsche Reich wirkenden Justizgeseze, handelt in einem ersten Buche, betitelt: Allgemeine Bestimmungen: von der sachlichen Zuständigkeit der Strafgerichte (§§ 1-6), vom Gerichtsstande (§§ 7-21), von Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen (§§ 22-32), von gerichtlichen Entscheidungen und deren Bekanntmachung (§§ 33–41), von Fristen und Wiedereinsehung in den vorigen Stand (§§ 42 47), von den Zeugen (§§ 48-71), von Sachverständigen und Augenschein (§§ 72 93), von Beschlagnahme und Durchsuchung (§§ 94-111), von Verhaftung und vorläufiger Festnahme (§§ 112 -132), von Vernehmung des Beschuldigten (§§ 133-136), von der Verteidigung (§§ 137-150); in einem zweiten Buche (Verfahren in erster Instanz), von der öffentlichen Klage (§§ 151-155), von Vorbereitung der öffentlichen Klage (S$ 156-175), von der gerichtlichen Voruntersuchung (§§ 176-195), von Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens (§§ 196 211), von Vorbereitung der Hauptverhandlung (§§ 212-224), von der Hauptverhandlung (§§ 225-275), von der Hauptverhandlung vor den Schwurgerichten (§§ 276-317), von dem Verfahren gegen Abwesende (§§ 318–337); in einem dritten Buche (Rechtsmittel) von allgemeinen Bestimmungen (§§ 338-345), von der Beschwerde (§§ 346- 353), von der Berufung §§ 354-373), von der Revision (§§ 374-398); in einem viertem Buche von Wideraufnahme eines durch rechtskräftiges Urteil geschlossenen Verfahrens (§§ 339 413); in einem fünften Buche: Beteiligung des Verlegten bei dem Verfahren von der Privatflage (§§ 414-434), von der Nebenklage (435-446); in einem sechsten Buche Besondere Arten des Verfahrens von dem Verfahren bei amtsrichterlichen Strafbefehlen (§§ 447–452), von dem Verfahren nach vorangegangener polizeilicher Strafverfügung (§§ 453–458), von dem Verf hren bei Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften über die Erhebung öffentlicher Abgaben und Gefälle (§§ 459-469), von dem Verfahren gegen Abwesende, welche sich der Wehrpflicht entzogen haben (§§ 470-476), pon dem Verfahren bei Einziehungen und Vermögensbeschlagnahmen (§§ 477-480); in einem siebenten Buche: Strafvollstreckung und Kosten des Verfahrens: von Strafvollstreckung (§§ 481-495), von den Kosten des Verfahrens (§§ 496–506).

1) Vgl. § 50, S. 164, 165.

2) GE.A. IV, 13-13 aa [125/130]. M. Stenglein, Lehrbuch des deutschen Strafprozeßrechts, 1887. K. Binding, Grundriß des deutschen Strafprozeßrechts, 4. Aufl. 1899. Ebenda die übrige neueste Litteratur.

§ 53.

V. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit.

Wie bereits wiederholt (z. B. § 46, Seite 150 f.) hervorzuheben war, ist der Staat in der Handhabung seiner Hoheitsrechte durch Rechtsvorschriften gebunden: die Normen schüßen einerseits das Interesse der Staats. verwaltung, andererseits beengen sie dieselbe im Interesse der Personen im Staate; denn lettere sind im Besige eigener Interessensphären, welche durch das positive Recht als Rechtssphären anerkannt sind. Immerhin ist eine Kollision der Interessensphäre der einzelnen Rechtssubjekte einerseits und andrerseits der Interessensphäre der Staatsverwaltung denkbar; es muß daher eine Einrichtung bestehen, welche in solchen Kollisionsfällen die Entscheidung trifft; da es sich hierbei um die Entscheidung eines Rechts. konflikts handelt, nämlich eines Streits des Rechts der Staatsverwaltung (als Verwaltung1) von Hoheitsrechten1)) mit dem Rechte der Einzelnen oder Korporationen, so liegt ein Rechtsstreit vor, dessen Entscheidung nur auf Grund eines rechtlich geordneten Verfahrens 2) und nach materiell maßgebenden Rechtsnormen möglich und zulässig ist.

Das Gleiche ist zu sagen, wenn ein Streit zwischen privaten Einzelnen (oder Korporationen) entsteht über Interessen, welche das öffentliche Recht schüßt, m. a. W. über Rechte und Pflichten, die aus dem öffentlichen Rechte entsprungen sind. Die materiell rechtlich zu begründende Entscheidung, welche auch in diesen Fällen nur auf Grund eines rechtlich geord. neten Verfahrens möglich ist, wird aus den Normen des Staatsrechts geschöpft und da dasselbe auch die Quelle ist für die Entscheidung von Konflikten zwischen den rechtlich garantierten Sphären der staatlichen Hoheitsrechts-Verwaltung einerseits und den der privaten Rechtssubjekte andrerseits, so vereinigt man beide Arten von Konflikten unter dem Namen Administrativrechtsstreit", und unterwirft sie der Administrativjustiz", welche auch „Verwaltungsgerichtsbarkeit" genannt wird 3). Die Ausübung dieser Gerichtsbarkeit geschieht durch „Administrativgerichte“ und in einem

1) Beide Worte sind zu betonen: Verwaltung und Hoheitsrecht. Nur die Verwaltung kann in einen solchen Konflikt kommen, nicht die Gesetzgebung; denn leytere steht über den in Konflikt gedachten Rechtssphären imperativisch vernichtend oder anerkennend, nicht entscheidend und nicht einer Entscheidung unterworfen; dies ist die Eigenart der souveränen Gesetzgebung des Staates. Nur die Verwaltung von Hoheitsrechten kann zu einem Verwaltungsrechtsstreite führen, denn die Verwaltung solcher Rechtsgüter, welche auch Privaten (Einzelnen oder Associationen) zustehen können, vor allem die Vermögensverwaltung, im Konflikt mit privaten Interessensphären gedacht, ist der civilprozessualen Entscheidung (s. § 50) unterworfen, welcher sich der Staat als Fiskus zu fügen hat.

2) über diesen Begriff f. oben § 50 S. 163, Anm. 1 und § 52 S. 172.
3) S. oben § 48, S. 159.

Verfahren, welches Administrativrechtsstreitsverfahren oder Administrativprozeß (schlechthin) genannt wird. Jeder hierher gehörigen Streitfache (jedem Verwaltungsrechtsstreite) liegt ein Anspruch gegen den Staat zu Grunde, gerichtet auf Gewährung seiner Rechtshilfe analog dem in der civilprozessualen Klage erhobenen Anspruche (s. oben § 50 S. 163): der Kläger im Verwaltungsrechtsstreite verlangt vom Staate als dem Inhaber der Staatsmacht - gleichviel ob der Staat oder ein Einzelner Beklagter ist Schuß eines öffentlich rechtlich anerkannten Interesses, welchem die Verwaltung eines staatlichen Hoheitsrechts oder ein Privater zu nahe getreten ist; der als Machtwesen angegangene Staat kann aber wie im Civilprozesse - den verlangten Schuß, da er Rechtswesen ist, nur unter der Bedingung gewähren, daß ihm nachgewiesen wird, daß der Beklagte (Staat oder Einzelne) ein öffentlich rechtliches Interesse des Klägers verlegt habe 1).

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Die mit der Verwaltungsrechtspflege betrauten Gerichte sind vielfach (in den unteren Instanzen wenigstens) mit den Organismen der Verwaltungsbehörden oder mit der Selbstverwaltung in Kreisen und Bezirken innerhalb des Staates in Verbindung gebracht, in der höchsten Instanz (Verwaltungsgerichtshof, Ober- oder oberstes Verwaltungsgericht) aber von jenen Organismen meist getrennt. Das Verfahren ist mit Modifikationen, die dem Verwaltungsrecht entnommen sind, dem civilprozessualen Verfahren im allgemeinen nachgebildet, in den einzelnen Ländern aber verschieden gestaltet, wie auch der Umkreis der Rechtsfälle, welche der Verwaltungsgerichtsbarkeit zur Entscheidung unterliegen, in den verschiedenen Ländern sehr verschieden gezogen ist.

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1) Die obige Auffassung des Administrativrechtsstreits ist des näheren dargelegt bei Gareis, Allg. Staatsrecht in Marquardsens Handbuch des öffentl. Rechts, Bd. I, S. 127 ff. Litt. R. Gneist, Rechtsstaat, 2. Aufl., 1879, S. 267-277. D. v. Sarwey, Das öffentliche Recht und die Verwaltungsrechtspflege, Tübingen 1880, S. 4 ff. v Pözl in der österr. Zeitschr. für Gesetzgebung und Rechtsprechung auf dem Gebiete der Verwaltungsrechtspflege, Bd. II, 1878, S. 318 ff. Hermann Schulze, Lehrbuch des deutschen Staatsrechts, I, §§ 230 ff., S. 640 ff. Jolly in der Tübinger Zeitschr. f. d. ges. Staatswissenschaft, 1878, S. 476-506. Gg. Meyer, Lehrb. d. deutschen Verwaltungsrechts, I, 1883, §§ 9 ff., S. 28 ff., sowie die dort citierte Litteratur. Ernst Meier, Das Verwaltungsrecht in v. Holzendorff's Rechtsencyklopädie, 1875, S. 841 ff. Das Staatsrecht der Preußischen Monarchie. Von Dr. Ludwig von Rönne. In 5. Aufl. bearbeitet von Dr. Philipp Zorn, Bd. I, 1899, S. 530. Mar Seydel, Grundzüge einer allgemeinen Staatslehre, 1873, S. 76-99. Derselbe, Bayerisches Staatsrecht, Bd. I-VII, 1884-1894. Hue de Grais, Handbuch der Verfassung und Verwaltung in Preußen, (11. Aufl. 1897.) Diez Küchler, Die Verwaltungsgesetzgebung des Großh. Hessen, Bd. I und II, 1885. Zeller, Handbuch der Verfassung und Verwaltung des Großh. Hessen, 2 Bde., 1885, 1886. Gareis in der österr. Zeitschr. f. Gesetzgebung und Rechtsprechung auf dem Gebiete der Verwaltungsrechtspflege, Bd. II, 1878, S. 472-476. Derselbe im Handbuch des öffentl. Rechts, Algem. Staatsrecht, 1883.

Des öffentlichen Rechts

Zweite Abteilung: Das Völkerrecht.

§ 54.

Begriff, Bedeutung und Quellen des Völkerrechts.

Das öffentliche Recht umfaßt, wie oben § 14, S. 56, § 37, § 38 S. 133 auseinandergesetzt wurde, neben dem Staatsrechte das Völkerrecht 1).

Man versteht unter diesem den Inbegriff der Rechtsregeln, durch welche die öffentlichen Interessen der Staaten untereinander die inter nationalen Beziehungen der Staaten rechtlich mittels Feststellung von Rechtspflichten und Rechtsansprüchen geregelt und damit die unter den Staaten bestehende Interessengemeinschaft rechtlich geschützt wird.

Die Quellen dieser zwar an Mängeln leidenden aber doch unentbehrlichen Friedensordnung unter den Völkern sind die Gewohnheit (daher das Gewohnheitsrecht)2) und die Rechtsnotwendigkeit (daher das jus necessarium) 3); als von diesen beiden abhängige aber sehr ergiebige Quelle von völkerrechtlichen Normen sind die internationalen Verträge (daher das konventionelle Recht) zu bezeichnen.

Die Mängel der internationalen Friedensordnung liegen in der Thatsache, daß es - notwendigerweise - an einer über den Staaten stehenden gesetzgebenden, richtenden und Richtersprüche exequierenden Autorität fehlt,

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1) Litteratur des Völkerrechts: Die Litteratur beginnt mit Hugo Grotius, De jure belli ac pacis libri tres. Paris 1625. Hauptwerke der deutschen Litteratur: Heffter, Das europäische Völkerrecht der Gegenwart, 7. Ausg., bearbeitet von H. Geffen, 1881. Bluntschli, Das moderne Völkerrecht der civilisierten Staaten, 1872. v. Holzendorff in seiner Encyklopädie der Rechtswissenschaft, systemat. Teil. v. Bulmerincq, Völkerrecht im Handbuch des öffentl. Rechts, 1884, Bd. I. In der zweiten Auflage dieses Handbuchs d. öff. Rechts erseht durch E. Ullmann (München), 1898, Bd. I, II 2, XI und 376 Seiten. v. Martens, Völkerrecht, 1883. Handbuch des Völkerrechts, herausgegeben von Fr. von Holzendorff, I. Bd., 1885, II. und III. Bd. 1887. Mitarbeiter: von Bulmerincq, Caratheodory, Dambach, Gareis, Geffcken, Geßner, Lammasch, Lueder, Meili, v. Melle, Rivier, Störk. Litteratur s. ausführlich im ebengenannten Handbuch, Bd. I, S. 393-523 von A. Rivier; ferner Martens S. 465 ff., Heffter S. 486 ff., Bluntschli S. 488 ff., Oppenheim S. 490, v. Pözl S. 490, v. Neumann S. 491, v. Holzendorff S. 492 u. A. Franz von Liszt, Das Völkerrecht, systematisch dargestellt. Berlin 1898 (Litt. f. § 4, S. 18 ff.) - Alphons Rivier, Lehrbuch des Völkerrechts 1889 und Principes du droit internationale (2. Bd.) 1896. Stoerk in v. Holyendorff's Rechtsencyklopädie 5. Aufl. — F. von Martens, Völkerrecht, deutsch von Bergbohm, 1883 bis 1888. Gareis, Institutionen d. Völkerrechts, § 11. Augusto Pierantoni, Die Fortschritte des Völkerrechts im XIX. Jahrhundert. Übersezt von Fr. Scholz (Berlin) 1899.

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2) S. oben § 10, S. 44.

3) S. oben § 9, S. 43 und § 12, S. 50.

durch welche den Normen des Völkerrechts jener Nachdruck verschafft würde, welchen in den innerstaatlichen Beziehungen, in denen des Privatwie des öffentlichen (nämlich Staats-) Rechts, das darüber herrschende Gemeinwesen, der Staat ausübt. Aber diese Mangelhaftigkeit des Völker. rechts reicht doch nicht so weit, daß deshalb die Existenz des Völkerrechts verneint werden müßte 1).

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Die Herrschaft völkerrechtlicher Säße anerkennt bereits der antike Staat und selbst der Verkehr mit und unter sog. wilden Völkern entbehrt nicht der völkerrechtlichen Normen, welche schon durch die gehofften Vorteile der Reciprocität sowie durch die gefürchteten Nachteile der Wiedervergeltung aufgedrängt werden; und selbst während der äußersten Gewaltwerden Rechtsregeln anwendung von Staat gegen Staat im Kriege beobachtet, Rechtspflichten anerkannt und respektiert (vgl. Genfer Konvention u. s. w.2). Der normale Zustand der Staaten untereinander ist der Friede; ihn rechtlich zu erhalten und in ihm wie durch ihn die gemeinsamen Interessen der Staaten, die Interessengemeinschaft der Staaten selbst zu schüßen, zu pflegen und zu fördern und damit eine der wichtigsten Vorausseßungen für die ungestörte Kulturentwickelung innerhalb eines jeden der Staaten zu garantieren, ist die großartige Aufgabe des Völkerrechts.

Ueber das ganz besonders bedeutungsvolle Verhalten der deutschen Politik in dieser legteren Hinsicht — zur Aufrechterhaltung des Weltfriedens und zur Förderung der Interessengemeinschaft aller Kulturstaaten s. Gareis, Institutionen des Völkerrechts, 1887, § 8.

§ 55.

Systematische Übersicht des Inhalts des Völkerrechts.

Um zu einer übersichtlichen Darstellung des Inhalts der völkerrechtlichen Normen zu gelangen, ist von der Thatsache auszugehen, daß eine Interessengemeinschaft der Staaten untereinander besteht und anerkannt wird, und daß zum Schuße dieser Interessen Rechtsnormen bestehen. Diesem Prinzipe des Völkerrechts entsprechend handelt es sich vor allem darum, die Existenz und das Werden dieser geschüßten Interessen überhaupt zu besprechen und dies geschieht in den Lehr- und Handbüchern des Völkerrechts in der Regel in einem „allgemeinen Teile"; darin ist zu handeln: von den Inhabern der gemeinsamen Interessen, deren Schuß das Völkerrecht bezweckt, d. i. von den Subjekten des Völkerrechts, das sind die Staaten; dann von den Objekten jener Interessen,

1) Vgl. hierüber die bei Gareis, Institut. d. Völkerrechts, § 2, angegebene Litteratur und Stoerk in J.L.B. v. K. Heft 9.

2) f. Gareis, Genfer Konvention (Gießen, Emil Roth, 1895).

Gareis, Rechts encyklopädie. 2. Aufl.

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