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Näher und bestimmter aber scheint die Picht der Selbst-Erhaltung allen Volks-Vorsichern die Unterstüßung und die Aufnahme der Künste und Wissenschaften zu empfehlen, wenn sie anders bedenken wollen, daß der Wohlstand und die innere Kraft eines Staates, mit seiner wissenschaftlichen und industrissen Cultur, nicht nur in einer engen Verbindung sehen, sondern daß selbst diese Cultur, durch ihre bald zur Allgemeinheit sich erhebende Ausdehnung das Interesse der Völker nothwendig immer mehr verwickelt, und unter denselben eine geheime aber unausgesezte Fehde anfachen muß, deren bedeutende Folgen, oft entscheidender als verlorne Schlachten, tråge oder vernachläßigte Nationen der Anstrengung und dem Industrie-Fleisse andrer unterwerfen, und so durch den Zwang der Bedürfnisse jene diesen ohne Schwerdtstreich zinsbar machen.

Einen so allgemein anerkannten Erfahrungssatz werde ich nicht mit müßigen Belegen aus der åltern und neuern Geschichte erläutern; dagegen scheint es mir aber für uns aufmunternd und fruchtbar, denselben mit der Be merkung zu begleiten: daß in diesem Wettstreite der Nationen, nicht die Menge, nicht die Ausdehnung der Provinzen, ihre geographische Lage, oder andere örtliche Vortheile, sondern der durch Erziehung und Sitten, durch Geseze und Verfassung bestimmte Gemeinsinn und Volkswille gewöhnlich den Ausschlag geben, und daß besonders die kleinern Staaten durch eine hohe Cultur in den Künsten und Wissenschaften alle Zeitalter hindurch fich ehrenvoll ausgezeichnet haben.

So daß Moral und gesunde Politik uns gleich auffordern, mit dem Gange und Geiste der Zeiten Schritt zu halten, und mit nüchternem Sinne, aber dann auch ohne Scheu, nach allen den nüßlichen Kenntnissen zu streben, und solche uns eigen zu machen, durch welche die Wohlfahrt des Landes wahrhaft gehoben, seine Cul tur der seiner Nachbaren gleich gefeßt, der Fleiß und die Arbeitsamkeit seiner Einwohner durch Eröffnung neuer Erwerbsquellen vermehrt, und die allgemeine Glückseligkeit durch Erweiterung der Talente und Få higkeiten erhöhet werden kann.

Die Beförderung der Moralität, die Nothwendig. Leit der Ausbildung aller bürgerlichen Tugenden, diese unsere zweyte Hauptabsicht, ward von jeher von allen Erziehern, als solch eine unbedingte Pflicht erkannt, daß ich Tit. Ihren Einsichten und Gefühlen zu nahe zu treten vermeinte, wenn ich besonders in dem Zeit, punkte, in welchem über diesen Gegenstand so viel ge= dacht, geschrieben und gelesen wird, unter den vielen auch nur einen Beweggrund für denselben anführen würde, da die Sache ihrer Natur nach schon auffer allem Zweifel liegt.

Ihrer gegenwärtigen Aufmerksamkeit würdiger halte ich dagegen die Prüfung der Grundsäge, welche diesen edlen Endzweck befördern können, besonders da in un fern Zeiten der neuen Erziehungs- Versuche viele gewagt, wenige aber, wie mir scheint, mit einem entsprechenden Erfolg gefront worden find.

Die abschreckende Erfahrung welche uns beynahe durchgehends Verfektibilität mit Corruptibilität, Aufklärung und Cultur mit Verdorbenheit und Sittenver fall auf einer und eben derselben Stufe zeigt, und im Sinnbilde der verwelkenden Pflanzenblüthe die Geschichte und das Schicksal einzelner Staaten gleichsam vor die Augen stellt, soll uns in unsern Hoffnungen und Erwartungen bescheiden, nicht aber muthlos machen, und von dem beständigen Streben nach Wahrheit und Tus gend so wenig abwenden, als die Gewißheit des Todes uns von den Pflichten der Selbst- Erhaltung lossprechen kann.

Vielmehr macht und die Geschichte zum nachahmungswürdigen Beyspiel selbst mit einzelnen Männern bekannt, welche durch die Reinheit ihrer Sitten, durch die Grösse und Erhabenheit ihres Charakters, durch persönliche Aufopferungen und Muth nicht nur den Une tergang ihres Vaterlandes auf Jahrhunderte hinaus zurückgesezt, sondern fortwährend bis auf diese Zeiten durch ihre Talente, Lehren und Thaten als unverkennbare Werkzeuge Gottes auf das ganze Menschengeschlecht fortgewirkt haben, und gegenwärtig noch wohlthätig fortwirken.

Wenn nach diesem mir also vergönnet wäre, in geziemender Bescheidenheit, doch freymüthig, meine Meynung über sittliche Bildung der Jugend hier öffentlich zu erklären, so würde ich den Grundsaß an die Spize stellen:,, Daß die Tugend, wie jede andere Fertigkeit, dem Menschen mehr noch angewöhnt, als ge

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» lehrt, mehr durch Beyspiel und Uebung, als durch Erkenntniß und Unterricht eigen gemacht werden muß.“

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Gleich, als wenn wir in Ertremen uns nur ge fallen könnten, fand auch dieser Satz eine sich ganz ents gegengesetzte Anwendung, wovon die flüchtigste Uebers sicht, was ehemals moralische Bildung war, und jezt zu werden drohte, uns gänzlich überzeugen soll.

Man wähle unter den bürgerlichen Tugenden als Beyspiel diejenige aus, auf welcher das ganze Erzie hungswesen als auf seiner ersten Grundlage ruht, man bezeichne dadurch, den Gehorsam oder die Unterwerfung seiner selbst unter einen höhern gefeßmåßigen Willen, ohne welchen in moralischer Beziehung keine Herrschaft der Religion, der Vernunft und des Gewissens, in politischer keine Einheit, keine Kraft, selbst keine wahre Freyheit unter einem Volke denkbar sind, werfe dann eis nen Blick auf die Vorzeit zurück, in welcher diese Tus gend schon durch eine ausgedehntere elterliche Gewalt im väterlichen Hause, durch eine noch schärfere Zucht beym öffentlichen Unterricht, durch einen strengen Sit. tenzwang im bürgerlichen Leben, also durch tägliche Uebung, der Jugend beygebracht und wirklich ange wöhnt worden ist; und vergleiche die excentrischen Systeme neuerer Zeit, nach welchen man lieber unter der Leitung eines sogenannten Vernunftgefeßes, oder einer im Augenblick des verführerischen Entscheides noch schwankendern Ueberzeugung, durch Zwanglosigkeit selbstständige Kraft, durch Verwerfung aller positiven Pflich ten freye Selbstbeherrschung, oder, wieder nach andern,

durch unanwendbare philantropische Grundsäße Männer zu bilden hoffte, und sich Schwächlinge oder Thoren erzog, die wechselsweise durch innere Unruhe, Selbst fucht und Zweifel verfolgt, fich weder in sich selbst, noch in ihre bürgerlichen Verhältnisse und Umgebungen jemals finden fonnten.

So müssen uns diese Resultate auf das lebhafteste überzeugen, daß unsere Vorgånger zwar nicht nach eis nem so hohen Ideal an dem Erziehungswerke gearbeitet; allein, die Rohheit und die Vorurtheile des Zeit alters abgerechnet, vielleicht vertrauter mit der Natur und den Bedürfnissen des Menschen, die Wahrheit nicht dem Scheine aufopfernd, glücklicher die Bahn der Erfahrung als wir der Theorien schlüpfrige Spur verfol get haben.

Eben fo, keineswegs um dem abgeschmackten scholastischen Unterrichte das Wort zu reden, in welchem unter einem sclavischen Zwange das Gedächtniß oft auf Unkosten des Verstandes geübt, Angstschweiß und Thrånen beynahe jede jugendliche Arbeit beneßten, bin ich Dennoch vollkommen überzeugt, daß selbst diese fehlers hafte Lehrmethode moralisch minder schädlich war als aller spielende Tand, der jener folgte.

Aus der Schule der Alten giengen wenigstens noch rustige Männer hervor, gewöhnt den mannigfaltigen Beschwerden des Lebens Muth und Beharrlichkeit entgegen zu seßen, geübt sich in die festen Formen der bürgerlichen Verhältnisse zu finden, ihre Hoffnungen zu

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