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Theilen Europas. Warum brachten sie nicht eine gleiche Wirkung hervor unter der Regierung des Trajanus und feiner Nachfolger, wo sie noch mehr ungetheilt waren und die ganze Welt fie immer noch bewunderte und stu dirte? Noch spåt unter dem Kaiser Justinianus ver: standen die Griechen unter Dichter, vorzugsweise Ho merus, und die Römer Virgilius. So groß auch immer die Bewunderung dieser göttlichen Geister noch blieb, so war doch damals manche Jahrhunderte tein Dichter aufgetreten, der billiger Weise behaupten kountę, sie nachgeahmt zu haben.

Eines Menschen Naturanlagen sind immer bey Un. fang seines Lebens ihm eben so sehr unbekannt, als andern, und nur erst nach vielen Versuchen, die von Ers folg begleitet waren, wagt er sich für geschickt zu jenen Unternehmungen zu halten, in welchen andere durch glückliches Gelingen die Aufmerksamkeit der Welt auf fich gezogen haben. Besißt seine Nation bereits schon viele Muster in den Redekünften, so vergleicht er naturs lich seine eigenen jugendlichen Uebungen mit denselben ; fühlt er dann den unendlichen Abstand von ihnen, so ist er von jedem weitern Verfuch abgeschreckt und ent schließt sich nie zu einem Wettßtreit mit Schriftstellern, die er so sehr bewundert. Eine edle Nacheiferung ist die Quelle jeder Größe; Bewunderung und Bescheidenheit erstickt natürlicher Weise diese Nacheiferung; und niemand ist zu einem Uebermaaß von Bewunderung und Bescheidenheit so geneigt als ein wahrhaft großer Genius.

Nächst der Nacheiferung ist Belohnung und Ehre der größte Antrieb zu den edeln Künsten. Ein Schrift

fteller ist mit neuen Kräften belebt, wenn er die Welt feinen vorigen Werken Beyfall zollen hört; durch so etwas angefeuert, erreicht er oft eine Höhe der Vollendung, die ihn und seine Leser in gleich großes Erstaunen feßt. Aber wenn die Ehrenplåge alle schon befezt sind, so werden seine ersten Versuche nur kalt von dem Publitum aufgenommen; man vergleicht sie mit Werken, die an sich vortreflicher sind und bereits den Vortheil eines gegründeten Ruhms haben. Brachten Molière und Corneille die Erstlinge ihrer Muse, die vormals so gut aufgenommen wurden, jest auf das Theater, die Gleichgiltigkeit und Geringschäßung des Publikums würde diese jungen Dichter muthlos machen.

Vielleicht gereicht es einer Nation nicht zum Vortheil, daß die Künste aus den Nachbarländern in zu hoher Vollkommenheit zu ihr gebracht werden. Dieß erstickt die Nacheiferung und drückt das Streben der muthigen Jugend nieder. Die so vielen Meisterwerke italienischer Mahlerey, die nach England geführt worden find, anstatt die Künstler aufzumuntern, find die Ursache ihrer geringen Fortschritte in dieser herrlichen Kunst. Dieß war vielleicht derselbe Fall mit Rom, als es die Künste von Griechenland empfieng. Die Menge der artigen Produkte in der französischen Sprache, die durch ganz Deutschland und den Norden zerstreut find, hindern diese Nationen an der Bearbeitung ihrer eige nen Sprache und machen sie in Hinsicht jener feinen Unterhaltungen von ihren Nachbarn abhängig.

Es ist wahr, die Alten haben uns Muster in jeder Art der schriftstellerischen Darstellung hinterlassen, die

überaus bewundernswürdig sind. Aber neben dem, dag fie in Sprachen geschrieben waren, die nur der Gelehrte allein verstand, kann die Vergleichung zwischen den neuen Schriftstellern und denen, die in einem fo entfernten \Zeitalter gelebt haben, nicht so vollkommen und ganz richtig seyn. Wåre Waller in Rom unter des Tiberius Regierung geboren worden, seine ersten Gedichte, neben die vollendeten Oden des Horazius gestellt, håtten keinen Beyfall erhalten. Aber in England that die Ueberle genheit des römischen Dichters dem Ruhme des engli fchen keinen Eintrag. Man schäßte sich glücklich genug, daß Himmelsstrich und Sprache nur eine schwache Co. pie eines so herrlichen Originals hervorbringen konnte.

Kurz die Künste und Wissenschaften, gleich einigen Pflanzen, verlangen einen frischen Boden; und so reich auch das Land seyn und so sehr auch Kunst und Sorg falt demselben nachhelfen mag, es wird nie, ist es einmal erschöpft, etwas in seiner Art vollkommenes oder vollendetes_wieder hervorbringen.

21.

Schweizersche Litteratur.

Fortsetzung der im vorigen Stücke, Seite 339, abgebrochenen Recension der neuen Genferbibel.

Im neuen Testament sind die Parallelstellen und die Citata aus dem alt. Test. fleißig angeführt. Den relas tiven Werth der Uebersetzung selbst hoft Rec. wiederum durch kritische Vergleichung derselben mit der Osterwals dischen, in einigen Abschnitten und Stellen, ins Licht zu sehen.

Matth. I, 19. O. Alors Joseph son mari, parcequ'il étoit juste, et qu'il ne la vouloit pas diffamer, voulut la quitter secrettement. G. Comme Joseph

il résolut de.

son époux, étoit un homme de bien la quitter sans bruit. Amaios, daß bey O. immer juste heißt, giebt G. richtiger durch homme de bien. Doch wäre hier vermöge des Sprachgebrauches und des Contertes das Wort gutmüthig vorzuziehen; und so erklärt es auch Chrysostomus an dieser Stelle durch

G.

́xensés und swieins. V. 6. O. Heureux ceux, qui ont faim et soif de la justice. qui sont affamés et altérés de la justice. Das vielbedeutende hellenistische Wort dinaiosúvź wird von beyden Ueberseßern fast immer durch justice gegeben, wo es doch bald Rechts schaffenheit, Gott gefällige Tugend, Frò mmigkeit, wie hier und unten v. 10. 20. bald Lohn und Frucht der Rechtschaffenheit, Matth. 21, 32. Hebr. 11, 7. bald Wahrheit, Wahrhaftigteit, Rom. 9, 28. bald Gutthätigkeit, 2. Cor. 9, 10. und wenn von Gott die Rede ist, oft feine Güte, Rom. 3, 5, 25. bald Gunst Gottes, Befreyung von den Sünden, und bisweilen, alle christliche Glückseligkeit, Rom. 4, 6. 9, 30. bedeutet. Es ist unglaublich, wie viel solche Unbestimmtheiten im Uebersehen zum Mißverständniß, Mißbrauche, selbst zur Mißhandlung der heil. Schrift, und daher auch zur Verbreitung irriger, wahrlich nicht durch göttliches, fondern durch menschliches Anschen sich behauptender Religionsbegriffe beygetragen haben. V. 22. O. Mais moi je vous dis, que quiconque se met en colère contre son frère sans cause, sera puni par le jugement, et celui, qui dira à son frère Racha, sera puni par le conseil, et celui, qui lui dira Fou, sera puni par la géhenne du féu. Deutlicher G. Mais moi je vous dis, que quiconque se met en colère sans raison contre son frère, mérite d'être puni par les premiers Juges; que celui, qui dira à son frère, Raca, mérite d'être puni par le Sanhedrin; et que celui, qui lui dit fou, mérite d'être puni du feu de la géhenne.

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