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VON DER DICHTKUNST.

V. 3 ff. conlatis membris müssen Dative, nicht, wie Orelli wollte, Ablative sein, damit inducere plumas sich daran lehnen kann. Denn würden Kopf oder Hals mit Federn überzogen, so wäre es eben kein Menschenkopf und kein Pferdehals mehr. Dass die einzelnen Glieder des gesammten Leibes aus allen Gebieten hergeholt sind, geht aus der ganzen Schilderung hervor und wird zur Verstärkung des Eindrucks noch ausdrücklich hervorgehoben, ohne dafs deshalb zu verstehen wäre, dafs sämmtliche, so zusammengeborgte Glieder mit Federn bekleidet werden: vielmehr was zwischen Hals und Schwanz zu denken ist erhält diese Hülle. Daher ist die von Spengel Philol. XVIII 95 empfohlene Interpunction plumas, undique conlatis membris ut u. s. w. zurückzuweisen. Auch so kann der Folgesatz ut superne nur eine Ausführung des unmittelbar vorhergehenden undique conlatis sein, wenn nicht Absurdes herauskommen soll. Peerlkamps Vorschlag, nach membris so fortzufahren: ut nec caput uni Nec pes reddatur formae (8 f.), sed turpiter u. s. w., und die übrig gebliebenen Hemistichien 8 f. fingentur species. pictoribus atque poetis zu einem Verse zu verbinden, geht aus von dem richtigen Gefühl, dafs es vom Uebel war, nach einem so ausgeführten Gleichnifs auch in der Anwendung (credite, Pisones, isti tabulae fore librum persimilem) noch einmal in ähnlichen Metaphern (wie pes und caput) auf dasselbe zurückzukommen. Indessen, abgesehen von der gewaltsamen Umstellung der Worte, die zu der Versetzung der Vershälften hinzu

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kommt, sind dieselben auch weiter oben weder nöthig noch angenehm die Erwähnung des Hauptes konnte wegen V. 1 entbehrt werden, und von pes konnte wegen des Fischschwanzes überhaupt nicht wohl die Rede sein. Uebrigens ist auch der Ausdruck an sich schief und unklar: nicht nec nec durfte stehn, da getadelt werden sollte, dafs Haupt und Fufs nicht zu derselben Gestalt pafsten (non ut pes et caput war allenfalls zu schreiben). Ganz verschieden ist wenn wir sagen, „das Buch hat nicht Hand nicht Fufs". So mögen die Worte wohl einem Interpolator angehören, da sie die vanae species (leere, willkürlich aneinandergereihte Bilder ohne Zusammenhang) doch nur sehr mangelhaft veranschaulichen, und die Fugen der beiden übrigbleibenden Halbverse 8 f. so vortrefflich zusammenpassen.

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Gronovs und Nic. Heinsius' Conjectur zu V. 3 f.: atram

pristim statt atrum — piscem habe ich trotz Bentley's Warnung doch nicht widerstehen können, weil atrum auf eine besondere und zwar abschreckende Fischspecies hindeutet, und auch Pseudo-Acrons Erklärung 'hoc est, in marinam beluam, id est in pistricem' gar zu deutlich auf die Scylla hinweist: pulchro pectore virgo pube tenus, postrema immani corpore pistrix Verg. Aen. III 427, und dazu X 211 vom Triton: in pistrim desinit alvos. Jedenfalls ist Spengels Behauptung, dass gerade nur das allgemeine piscis hier geeignet sei, noch willkürlicher als jene Verbesserung.

V. 17 16 Nicht et, sondern aut hat nach Orelli der Sangallensis (Ritter freilich schweigt). Da die lachenden Gefilde, durch welche das Gewässer in Windungen dahin eilt (properantis aquae ambitus), einem anderen Landschaftsgemälde angehören als Hain und Altar der Diana in verschlossener Waldesstille (16), so scheint aut viel passender.

V. 2019. exspes ist zu verstehen von der Hoffnungslosigkeit im Augenblicke des Schiffbruchs, welcher eben von dem Maler zur Rührung mitleidiger Seelen fixirt werden soll: das berstende Schiff, aus dem der Unglückliche in die Wogen hinausschwimmt. Nur so ist dem Anstofs, den Peerlkamp hier ge

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nommen hat, zu begegnen. Auch der Aenderung si ut fractis enatat quis pingitur bedürfen wir nicht: „was soll die Cypresse beim Herausschwimmen des Schiffbrüchigen, der eben diesen Moment malen läfst?"

V. [31.] Nicht culpae fuga, sondern recti studium oder species verführt zu Fehlern, und das war schon V. 25-30 gesagt und bis 30 ausgeführt. Wozu nun nochmals dieser leere und trockene Satz? Es wird ein Extract des vorstehenden Capitels sein, wie ihn der Interpolator zur Orientirung an die Seite geschrieben haben mag, redigirt nach dem Muster von sat. I 2, 24 'dum vitant stulti vitia, in contraria currunt'. Auch ist es keineswegs der Mangel an Theorie (ars), wie Spengel Philol. IX 573 meint, der die Dichter von der Einheit ab und auf Irrwege führt. Grade mifsverstandene Theorie ist daran schuld, ein einfacher gesunder Instinct würde sie davor bewahren.

Irrthümlich (wie bereits Vahlen Zeitschr. für österr. Gymn. 1867 S. 7 f. nachgewiesen hat) verbindet derselbe Philol. XVIII 96 V. 32-41 (23-28. 36-39 m. A.) zu einem Abschnitt: was von 32-37 bildlich gesagt sei, werde nachher in das Theorem (38-41) zusammengefafst. Nirgends aber ist gesagt, dafs jener faber Aufgaben wähle, die über seine Kräfte gehen. Nur der Forderung einer einheitlichen Abrundung des Ganzen, die auch an das bescheidenste Kunstwerk zu stellen ist (23), vermag er nach seiner individuellen Anlage nicht zu genügen. Mit dem unmittelbar Vorhergehenden (24-30=29—35) hat aber dieses Beispiel allerdings keine rechte Gemeinschaft: Zerstörung der Einheit durch unpassendes Beiwerk, und Unfähigkeit ein Ganzes zu schaffen bei beschränkter Virtuosität in der Ausführung einzelner, aber wesentlicher Theile ist zweierlei, und nicht abzusehen, warum grade dieses Beispiel der Vorschrift sumite materiam vorangeschickt sei. Viel passender folgt es nach V. 23 (22), auf den Cypressenmaler der Erzbildner, der sich auf Haare und Extremitäten (unguis nach dem Polykletischen Ausspruch, falls dessen durch v. d. Launitz vorgeschlagene, auch von meinem verehrten Freunde Ullrich in einem noch handschriftlichen Aufsatze scharfsinnig vertheidigte Deutung

gegen Forchhammers witzigen schreben Breef" Recht behalten sollte, kein verächtlicher Theil der Bildhauerkunst) meisterlich, aber nicht auf ein Ganzes versteht, und endlich (24-30) die Poeten, welche durch ein an sich löbliches Streben wie zu anderen Fehlern, so auch zu jenen monströsen Schilderungen am unrechten Ort verführt werden, die alle Einheit und Harmonie zerstören. Hierauf das neue Capitel (38=36) sumite materiam u. s. w., welches sich gleich ebenfalls an die Dichter wendet: die Wahl eines ihrem Vermögen angemessenen Stoffes wird sie am besten vor jenen Verirrungen schützen, die durch unzureichende Kraft verschuldet werden.

V. 2934. Aus logischen Gründen interpungirt Spengel im Philologus IX 574 mit Aufnahme einer Conjectur von Schneidewin (una: Philol. III 129) folgendermaßsen: qui variare cupit rem, prodigialiter una. Diese Cäsur nach dem dritten Spondeus und zwar nach einem einsylbigen Wort ist abscheulich und durch kein zweites Beispiel aus den Episteln unseres Dichters zu belegen. Denn nicht zu vergleichen ist 411 (73) altera poscit opem res et coniurat amice, wo die beiden Vershälften durch keine Interpunction so scharf auseinandergehalten werden, und II 1 208 (232) ac ne forte putes me quae facere ipse recusem, wo me, wenn überhaupt interpungirt werden soll, vielmehr zum Folgenden gehört. So häufig sonst grade an dieser Stelle des Verses einsylbige Wörter stehen, ebenso regelmäfsig sind sie mit dem Folgenden zu verbinden. Nur nach pyrrhichischen Wörtern im dritten Dactylus erlaubt sich Horaz zuweilen die Diäresis, wie die von Meineke praef. XXXVI gesammelten Beispiele ergeben: in den Briefen I 5, 7. 6, 48. 53. 7, 45. 14, 43. 18, 75. 20, 4. II 1, 57. 68. 103. 2, 75. 89. a. p. 19. 305 (fehlt bei Meineke). 415; in den Satiren nur I 1, 93. 8, 30. II 7, 96. Es ist aber auch an dem Gedanken, wie er überliefert und dem Rhythmus gemäfs zu verstehen ist, Nichts auszusetzen: rem unam braucht gar nicht, wie Schneidewin annimmt, zu bedeuten ,,einen und denselben Gegenstand", sondern es bezeichnet einen einheitlichen, einfachen Stoff (vgl. 23 = 22), wie ich auch

von Vahlen in der Zeitschrift für österr. Gymn. 1867 S. 2 sehr richtig erinnert finde. Nun könnte doch ein solcher in wundervoller, phantastischer Weise (prodigialiter) ausgeschmückt werden auch ohne Geschmacklosigkeiten und Absurditäten wie die in V. 30 (35) angegebenen: die Wunder des Waldes wie des Meeres könnten märchenhaft ausgemalt werden, ohne dafs gradezu Fremdartiges herbeigezogen würde, wie es z. B. sich prodigialiter ereignet, wenn ein Weinstock 2000 Trauben trägt (Columella III 3, 3). Also kein identischer Satz: „,wer variare prodigialiter will, macht prodigia", sondern: „wer in verkehrtem Streben nach Schönheit (deceptus specie recti, betrogen durch den eingebildeten Schein des Richtigen) in seinen Stoff, damit er nicht zu eintönig werde, recht phantastische Abwechselung bringen will, verfällt, wie die von V. 25 (30) an Bezeichneten, in den entgegengesetzten Fehler, ihm absurde Zugaben beizumischen. prodigialiter ist also streng genommen weder in lobendem noch in tadelndem Sinne zu fassen, wie auch prodigium an sich weder Gutes noch Schlimmes, sondern nur Uebernatürliches bedeutet. Die von G. T. A. Krüger in der Berliner Zeitschrift für Gymnasialwesen XXI 879 ff. gegen Vahlens im Wesentlichen sehr berechtigte Verwerfung der Schneidewin - Spengelschen Aenderung geltend gemachten Argumente einer Epikrisis zu unterziehen ist hiernach nicht weiter erforderlich.

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V. 44 42. pleraque] reliqua Schneidewin Philol. X 362, nicht nöthig, wie mir scheint.

V. [45.] Nachdem Bentley diesem Verse durch Umstellung nach 46 (43) zu helfen gesucht hat, ist die Unechtheit desselben von Chr. Hammerstein (quaestiones Horatianae criticae'. Coloniae 1846 S. 1-15) gründlich und überzeugend, wenn auch zum Theil etwas spitzfindig bewiesen. Die Worte hoc amet, hoc spernat passen weder auf die Anordnung (ordo) des Stoffes, da sie vielmehr von Wahl und Verwerfung handeln, noch auf den sprachlichen Ausdruck (facundia), es müfste denn eine vorzugsweise Begünstigung (amare), eine gewohnheitsmässige Anwendung gewisser Ausdrücke für eine stilistische Tugend gelten. Aber auch

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