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so tiefe, oft überraschende Aufschlüsse zu geben im Stande sein könne. Gewiß nicht ohne Grund ist gerade in den bewegtesten und neue Lebensentwicklungen am entschiedensten vorbereitenden Zeiten unsres Vaterlandes, wie in unsern Tagen unter Anderen von Rühs und Passow, so in früheren Zeiten von Ulrich von Hutten, von Justus Lipsius auf die ethisch-politische Bedeutsamkeit des großen römischen Geschichtschreibers aufmerksam gemacht worden. Nicht ohne tiefere Anerkennung derselben hat (zwischen d. I. 1626 und 1651) ein einsichtsvoller und von ächt christlicher Gesinnung erfüllter deutscher Staatsmann, Christoph Forstner, durch die Annalen des Lacitus angeregt, und in Beziehung auf dieselben, seine, wenn auch für unsere Zeit nicht mehr ganz genießbaren, doch viel Treffliches enthaltenden Notas politicas geschrieben. Und wenn, durchdrungen von der Großartigkeit und Liefe der taciteischen Weltanschauung, der berühmte Verfasser der Ideen zur Philosophie der Geschichte sagt:,,Wer uns keine Umschreibung, sondern eine Uebersetzung des Tacitus, ganz in seinen Umrissen, in seiner Physiognomie gäbe, könnte nicht anders als den Sinn der Menschheit auch für unsere Zeit tausendfach erwecken und bilden," so hat er damit nicht blos zu einer Uebersetzung, sondern noch vielmehr zu einer auf das Leben selbst zu beziehenden, immer tiefer in den Geist des größesten aller Historiker eindringenden und so diesen Geist mit dem Leben der Gegenwart gleichsam vermittelnden Interpretation aufgefordert. Je mehr es dieser gelingt, das in einer -bestimmten Zeit Gegebene als ein in allgemein menschlicher Beziehung der von Tacitus geschilderten Analoges und für die Zukunft gleich Bedeutsames darzustellen, und in je großartigeren Vers hältnissen sich diese Zeit, wie die des Römers, als eine, wenn auch äußerlich im Ganzen ruhige, doch innerlich um so bes wegtere zu erkennen giebt, desto eher wird sie hoffen dürfen,

damit zur Lösung jener großen Aufgabe etwas beitragen zu können. Das ist vornehmlich der Grund gewesen, weshalb ich, nicht im Stande sogleich das Ganze zu geben, wenigstens mit dem Erscheinen der ersten Hälfte meiner Arbeit der Zeit so nahe als möglich zu bleiben gesucht habe, aus deren Bewegungen mir die erste Anregung dazu entstanden ist; und es wird auch der zweite, die Weltanschauung des Tacitus selbst und ihre Deutung enthaltende, weniger umfangreiche Theil hoffentlich bald nachfolgen können.

Es ist oft und vielfach ausgesprochen worden, daß nicht in den verschiedenen Lehren und Institutionen der katholischen und protestantischen Kirche, sondern im Princip des römis schen Papismus der eigentliche Grund der unheilsvollen Zwietracht liege, welche mehr oder weniger zu allen Zeiten den Frieden der christlichen Welt gestört hat. Wohl, so erkenne man doch endlich ganz und mit vollem, klaren Bewußtsein, daß dies Princip kein anderes als das des heidnischen Römerthums ist, und innerlich weder mit dem Geiste des Christenthums, noch mit dem der wahren katholischen Kirche etwas gemein hat. Nur die alten römischen Künste erneuert es immerdar, um unter dem Vorwande, wie früher für die irdische, so jezt für die ewige Wohlfahrt der Völker Sorge tragen zu müssen, der Selbstsucht und dem Stolze Roms das Feld stets offen zu erhalten. Erkenne man doch endlich, daß das römische Joch, welches die katholische Kirche Deutschlands trägt, kein anderes ist als das, unter welchem zur Zeit des ersten Imperators Deutschland zu einer römischen Provinz gemacht worden wäre, hätte nicht der kühne Cheruskerfürst an der Spiße eines mächtigen Bundes freiheitsliebender deutscher Männer solche Schande von unserm Vaterlande abgewendet. Wozu bedarf es in unsern Tagen noch des Beweises, daß die Universalmonarchie des Papstes mit dem Geiste und Wesen

der christlichen Religion streite, und die Wahrheit des katholischen Glaubens vom Papstthume durchaus unabhängig sei? Als ob es nicht selbst erleuchtete Katholiken genug gäbe, welche dies öffentlich auszusprechen kein Bedenken tragen.') Aber daß es eine Schmach für das freie Deutschland ist, wenn Römer es wagen, „den von allen deutschen Bischöfen unterschriebenen, von ganz Europa garantirten Frieden, welcher dem dreißigjährigen Bruderkriege in unserm Vaterlande ein Ende machte, ihre Anerkennung zu versagen, weil er die Kezer dulde, es wagen, den zwischen Protestanten und Katholiken geschlossenen Ehen, wenn die in derselben erzeugten Kinder protestantisch erzogen werden, den Segen zu verweis gern, weil sie vor Gott verflucht seien als Frevel gegen das göttliche und menschliche Recht,“ es wagen, unsere ersten und größten Theologen ungehört und unvertheidigt zu verdammen, Lehrer einer Universität vom geistlichen Amte zu suspendiren, und darüber dem Könige von Preußen und den anderen Souveränen ungefragt Bullen und Breven und Allocutionen ins Land zu schicken, wodurch sie einst die Feuerbrände des Bürgerkriegs in unsre deutschen Gauen schleuderten, “2) daß dies und unzähliges Andere dieser Art eine Schmach ist für unser gesammtes Vaterland, das ist noch nicht zum allgemeinen Bewußtsein gekommen. Worin dieser Mangel, sowie jenes Verfahren Roms feinen Grund habe, das sagt uns Deutschen Niemand deutlicher und eindringlicher als Tacitus. Denn er lehrt uns, daß

1) S. die treffliche Schrift von J. Ellendorf „Worte eines Westphalen an die Westphalen und Rheinländer“ S. 22. Franz Baader über die Emancipation des Katholicismus v. d. röm. Dictatur S. 41. 42. und a. a. D.

2) Nach Ellendorf's, eines Katholiken, oben angef. Schrift S. 9 u. f. 24 und a. a. O.

Römer und Deutsche in den Grundzügen ihres Wesens und ihrer Handlungsweise vor achtzehnhundert Jahren ebenso wie jezt einander gegenüberstanden. Aber er sagt uns auch, daß Rom wohl habe übermüthig triumphiren können über Deutschland, nie aber es zu besiegen und unter sein Joch zu beugen im Stande gewesen sei, und ahnt, als von der Vorsehung bestimmt, des in sich selbst zerfallenden Römerreiches Ende von Germanien her. Daß seine Ahnung in Erfüllung gegangen ist, daß dann die romanisch christliche Welt denselben vergeblichen Kampf mit der germanischen, ärger denn die heidnische, erneut, in Rom und in Paris Triumphe über uns gefeiert, aber nimmer auf die Dauer uns besiegt hat, das lehrt uns die Geschichte. Sie wird einmal auch von einem dem ersten ähnlichen Ende dieses Kampfes zu berichten haben.

Wir stehen, wie einst Tacitus, auf dem Uebergangspunkte in eine neue Zeit.') Die Elemente, die ihren Charakter bes dingen werden, sind, wie im Zeitalter des römischen Geschichtschreibers die ersten christlichen Gemeinden, gewiß überall schon vorhanden, und nur noch nicht in ihrer Totalität wirksam, noch weniger aber zum allgemeinen, öffentlichen Bewußtsein gekommen. Ja es giebt wohl Viele, welche, wie Tacitus nicht ahnte, daß den nach Jerusalems Zerstörung überall zerstreuten Christen die Gründung einer neuen Ordnung der Dinge bestimmt sei, am wenigsten dabei an eine neue Gestaltung des christlichen Lebens glauben. Und doch werden alle Wege und Bahnen, die dem lebendigeren Verkehr der Völker und dem weiteren Fortschreiten des geistigen Lebens eröffnet werden, eben so wie einst die Flavier, auf welche der Römer die messianischen Weissagungen beziehen zu müssen glaubte, und

1) S. die gegenwärtige Zeit und wie sie geworden, von H. Stef= fens, 1817. In Wackernagel's Handb. deutscher Prosa S. 441 u. f.

Alles, was von ihnen und ihren Nachfolgern scheinbar blos zur Förderung ihres irdischen Reiches ausging, dem Christenthume dienen.

nur

Diese innere Verwandtschaft unserer Zeit mit der des Lacitus, und die geistvolle Tiefe, womit er gerade die Verhältnisse des Völkerlebens darstellt, welche noch jetzt den Angelpunkt der ganzen christlichen Lebensgemeinschaft bilden, enthält wohl Aufforderung genug, seinen Werken einmal vorzugsweise in dieser Beziehung die Aufmerksamkeit aller Gebildeten zuzuwenden. Zugleich liegt aber auch darin die sichere Gewähr dafür, daß der, welcher es versucht, diese Aufgabe zu lösen, nichts Selbsterdachtes und willkührlich Combinirtes feinen Zeitgenossen und der Nachwelt überliefre, indem er, wie einst Tacitus, 1) nur zu erfassen braucht, was ihm das Leben. des Alterthums und seiner eignen Zeit von selbst darbietet. Und daß dies auch die Aufgabe des der Wissenschaft gewidmeten christlichen Berufes sei, wer mag es bezweifeln, wenn er bedenkt, daß uns der Geist des Christenthums in alle Wahrheit leiten soll, auch wo sie bisher noch verborgen war in den Tiefen des Alterthums, und daß „ein jeglicher Schriftgelehrter, zum Himmelreich gelehrt, gleich einem Hausvater ist, der aus seinem Schaße Altes und Neues hers vorträgt. “2)

1) „Ohne vieles Sinnen und Fragen erfaßte er, was inniges Mitleben mit seinen Zeitgenossen ihm von selbst vorführte. Andern Beruf, andre Begeisterung kannte man nicht." F. Passow über Tacitus' Germania in Wachler's Philomathie I. 37.

2) Ev. Matth. 13, 52.,,Alles, was das Himmelreich betrifft, ist alt, und ist neu zugleich. In der ersten dunkeln Verheißung ist es dem Keime nach schon ganz enthalten; aber auf jeder neuen Stufe der Offenbarung entfaltet sich eine neue Herrlichkeit desselben. Und wie es lauter Leben ist, so empfängt der Mensch, der hineindrigt, auf jeder

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