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auch ehe noch man

eines Testaments beschweren konnte, dazu gelangt war, eine bestimmte Klage (iniuriarum actio, hereditatis petitio ab intestato) ausfindig zu machen, mit der man jenes factische Material auf den Weg eines Processes vor den Centumvirn führen konnte.

In Betreff eines in der beschriebenen Stellung stehenden Vaters theilt nun Valerius Maximus VII. 7. §. 5. die,,constitutio" eines praetor urbanus mit, also offenbar ein prätorisches Decretum, das man, weil darin ein wichtiger Präcedenzfall lag, der Aufbewahrung würdig befunden hat.

Egregia est quoque C. Calpurnii Pisonis praetoris urbis 56) constitutio. Cum enim ad eum Terentius ex octo filiis, quos in adolescentiam perduxerat, ab uno in adoptionem dato exheredatum se querelam detulisset: bonorum adolescentis possessionem ei dedit, heredesque lege agere passus non est. Movit profecto Pisonem patria maiestas, donum vitae, beneficium educationis. Sed aliquid etiam

56) In dem Auszuge des Julius Paris steht statt praetoris urbis praefecti urbis und dies ist durch einen Corrector auch in den Codex Bernensis übergegangen. Lipsius, der diese Lesart zu billigen scheint, bezieht das Factum danach auf den Lucius Piso, der unter Tiberius Präfect war (Editio Val. Max. cum J. Lipsii notis Lugd. Batav. 1640. p. 522.). Mit Recht bemerkt hiegegen Kempf in seiner Ausg. des Val. Max. (1854) p. 586, daß, abgesehen vom verschiedenen Vornamen jenes Piso, die Erzählung des Valerius von der Ertheilung der bonorum possessio zu dem Geschäftskreise des Präfectus Urbi gar nicht passe. Die falsche Lesart kann, wie Kempf hervorhebt, sehr leicht aus der unrichtig verstandenen Abkürzung pr. urbis entstanden sein.

flexit circumstantium liberorum numerus, quia cum patre septem fratres impie exheredatos videbat.

Der in Adoption gegebene und dann zur Fähigkeit der Testamentserrichtung gelangte Sohn hatte seinen natürlichen Vater Terentius in seinem Testamente exheredirt. Man erkennt sogleich, daß hier alle die Gründe in Betracht gezogen werden, wie sie dem materiellen Notherbenrecht und der Frage, ob ein liebloses (inofficioses) Testament errichtet sei, angehören. Man sagte: in der Exheredation des Vaters hat der Sohn contra officium gehandelt, denn er dankt seinem Vater Leben und Erziehung und er hat die väterliche Autorität (patria maiestas) stets anzuerkennen. Dazu tommt noch, daß der Sohn, indem er seinen Vater enterbt, mittelbar auch seine sieben Geschwister von seinem Vermögen ausgeschlossen hat 57).

Die Stelle zeigt nun aber deutlich, daß die er wähnte prätorische constitutio aus einer Zeit datirt, wo die Elemente des materiellen Notherbenrechts noch rein factisches Material waren, ohne bereits feste Rechtsform angenommen zu haben. Der sich verlegt füh lende Vater stellt nicht vor den Centumvirn die zunächst als Injurienklage aufgefaßte querela inofficiosi testamenti an, sondern er geht einfach zum Prätor, bringt dort seine „Beschwerde“ an 58) und bittet, ihm 57) So ist wohl der Schlußpaffus zu verstehen. Die sie= ben Geschwister treten nicht selbst mit einer Querel auf, sondern sind nur circumstantes, um die väterliche Beschwerde beffer zu coloriren. Sie nehmen gar nicht ein selbständiges Notherbenrecht in Anspruch, son= dern nur, daß sie später vom Vater erben werden, was dieser jeßt seinem Kinde gegenüber fordert. 58) Aber diese Beschwerde wird factisch bereits so genannt

zu helfen. Der Prätor hat noch kein anderes Mittel in der Hand, als daß er ihm die bonorum possessio giebt. Offenbar ist hier die bonorum possessio litis ordinandae gratia, auf Grund deren dann der sich Bes schwerende darauf hingewiesen wird, klagend bei den Centumvirn aufzutreten, noch nicht vorhanden gewesen. Man kennt nur erst den Begriff, daß dem Einen die bonorum possessio gegeben wird, und dabei die Möglichkeit bleibt, gegen diesen klagend vorzugehen. Die bonorum possessio, die dem Vater gegeben worden, ist einfach die bonorum possessio quae sine testamento und sine lege datur. Aber an und für sich würde diese nur dieselbe Rechtslage gewähren, wie sie ung Cicero in dem Minucischen Falle vorführt. Wenn ein gültiges Testament vorhanden ist, so kann der scriptus heres gegen die zur bonorum possessio ge langte gens Minucia lege agere, und ihr die Erbschaft wegnehmen. Eben so kann auch hier, wo von einer Caffirung des Testaments auf Grund einer Klage des Vaters nicht die Rede ist, der scriptus heres 59) ge= gen den, der sine testamento und sine lege die bonorum possessio erhalten hat, an sich lege agere. Aber nun tritt gegen die dem Vater drohende Abforder= ung der Erbschaft die ,,egregia constitutio" des Prätors, die wir, als eine gewiß ihrer Zeit großes Aufsehen erregende und deßhalb in der Literatur aufbewahrte, zu den ersten treibenden Keimen des materiellen Notherbenrechts werden zählen dürfen. Der Prätor hat hier of:

(querelam detulit), wie dies dann später ein juristisch technisches Wort geworden ist.

59) Offenbar sind, da von einem Auftreten des er heredirten Vaters die Rede ist, diejenigen heredes, gegen die er auftritt, die Eingeseßten.

fenbar dem scriptus heres, wenn er sich gemeldet hat, die bonorum possessio verweigert, dann hat er sie dem Vater gegeben, und schließlich dem scriptus heres das lege agere gegen den bonorum possessor denegirt. Also der Prätor hat dem scriptus heres gegenüber Aehnliches gethan, als was Cicero auch vom Verres erzählt; der Prätor decretirt gegen den scriptus heres:,,neque possessionem neque petitionem do“ 6o). So gewinnt er den ersten Rechtsschuß für den Vater. Dieser erhält die bonorum possessio und es wird das für gesorgt, daß der heres nicht gegen ihn klagen kann. Auf Grund dieser zunächst noch etwas umständlichen Einrichtung ist dann, unter Erstarfung der Grundge: danken des materiellen Notherbenrechts, das spätere Recht der bonorum possessio litis ordinandae gratia mit nachfolgender eigener Klage auf Umstoßung des Testaments erwachsen.

Schon der Inhalt dieser constitutio des Prätor Piso zeigt, daß wir es mit einer der voraugusteischen Zeit angehörigen Verfügung zu thun haben. Damit stimmt es völlig zusammen, daß wir unter den in den Geschichtsquellen erwähnten Caii Calpurnii Pisones wohl keinen Anderen als den möglichen Autor der constitutio aufstellen können als den, der im Jahr 687 Conful war 61). Denn die Zwei dieses Na

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60) Sehr deutlich erweist sich dies Verfahren des Prätors, daß er dem scriptus heres die bonorum possessio verweigert, und dann ihn auch nicht gegen einen später stehenden bonorum possessor flagen läßt, als eine Vorstufe zu dem Begriff, daß man eine bonorum possessio geradezu corrigendi gratia vor den scriptus heres stellte.

61) Dies vermuthet auch Kempf 1. c. p. 586.

meng 62), von denen der Eine bei Cannä focht, der Andere 568 die Celtiberer besiegte, find offenbar für unsere Frage zu früh; andererseits erscheint der diesen Namen tragende zum Kaiserthron bestimmte Verschwörer gegen Nero als für die Zeit der Abfassung des Valerischen Werks 63) wie für den Inhalt unserer Stelle zu spåt lebend. Sodann kann es auch nicht der Schwie gersohn Cicero's C. Calp. Piso Frugi sein, weil dieser mit dem Verres zusammen Prätor, also nicht praetor urbanus war. Es bleibt also wohl nur jener genannte C. Calpurnius Piso übrig, der Autor des strengeren Gefeßes de ambitu, der, von Cäsar der Repetunden und wegen der Hinrichtung eines Transpadaners ange: flagt, von Cicero vertheidigt worden ist 64). Wir ha ben danach bei dieser constitutio Pisonis rücksichtlich der bonorum possessio einen Rechtszustand vor uns, wie er uns in der Verrinischen Zeit entgegentritt. Die bonorum possessio ist ein Institut, wonach der Erbbefit auch sine testamento und sine lege gegeben werden kann. Regulär kann dann aber der heres ge gen den bonorum possessio lege agere. Indeß steht das Institut noch unter sehr freier prätorischer Handhabung, so daß der Prätor aus besonderen Gründen rücksichtlich des heres auch decretiren fann,,neque

62) Drumann Geschichte Roms II. S. 60.

63) Valerius Maximus schrieb sein Werk in den Jahren.

28-32 nach Chr. S. die Kempf'sche Ausgabe p. 7. 64) Orelli et Baiter Onomasticum Tullian. p. 121. Drumann Gesch. Roms II. S. 92-95. Auch Drumann zieht auf diesen Piso die Erzählung des Valerius Marimus (a. a. O. A. 25). Er bemerkt, daß dieser Piso wahrscheinlich gerade im Anklagejahr des Verres Prätor war.

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