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possessionibus in der Darstellung zu combiniren. Eine vereinzelte Erörterung jedes dieser Titel würde nie ein richtiges Gesammtbild der bonorum possessio er: geben. Dieser ganze Digestenstoff, in Verbindung mit dem, was die anderen Theile des Corpus Juris und die sonstigen Rechtsquellen darbieten, kann hier nicht in der Form einer rechtsgeschichtlichen Monographie ent wickelt werden, er muß aber, durchtränkt von genauer rechtsgeschichtlicher Kenntniß, das Ziel anstreben: volles Verständniß des gesammten Digestenmaterials darzubieten; Verständniß einerseits der Lehre selbst und andererseits der bedeutenden Beziehungen, welche zwischen ihr und anderen Rechtslehren bestehen.

Gerade diese gelehrte Aufgabe ist in Betreff der bonorum possessio das entschieden Ueberwiegende. Es wird Niemand heutzutage bestreiten, daß dieser Commentar nicht mehr wählen kann zwischen den zwei hinter uns liegenden Wegen, entweder dem des einfachen gänzlichen oder fast völligen Ueberspringens der Lehre, wie ihn Leyser und Voet einschlugen, oder dem der dürren Paraphrase oder Epitomirung der einzelnen Titel, wie sie so viele andere Commentare darbieten. Es bleibt also für unsern Commentar, an dem das deutsche juristische Publikum mit fäcularer Tenacität festhält, lediglich der Weg völliger wissenschaftlicher Durchdringung auf dem Boden des von der rechtsgeschichtlichen Literatur Geleisteten übrig.

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Und neben dieser gelehrten Aufgabe steht die prac= tische der genauen Feststellung des aus dem großen Ganzen übrig bleibenden Residuums des gemeinrechtlich Geltenden. Ist dies Residuum auch nicht übermäßig bedeutend, so ist doch gerade eine practisch so dubiöse Lehre wie die bonorum possessio ganz anders wie so manches in dem hellen Sonnenlicht der unzweifel

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vorzugsweise ge

haften Geltung stehende Institut eignet, sich von der allgemeinen Frage, nach welchen Grundsägen überhaupt die gemeinrechtliche Geltung des römischen Rechts zu beurtheilen sei, sorgfältige Rechenschaft abzulegen.

Aber noch eine andere practische Bedeutung wohnt dem Institut der bonorum possessio inne, und auch darauf wird dieser Commentar einzugehen haben. Mit der Zeit wird voraussichtlich das Gebiet des ge= meinen Rechts immer mehr zusammenschrumpfen, und damit der directen Geltung auch dieser Lehre immer mehr Boden entzogen werden. Aber damit wird die Bedeutung des römischen Rechts nicht vermindert, im Gegentheil sie wird in geistiger Hinsicht um so deutlicher hervortreten. Auch bei der wissenschaftlichen Behandlung unseres Preußischen, Oesterreichischen, Sächsischen u. s. w., das heißt überhaupt unseres auf modernen Civilgeseßbüchern ruhenden Rechts; ferner bei allen weiteren Schritten, die unsere deutsche Gesammtgefeßgebung thun mag, wird man nie der Benußung und Vergleichung deffen entrathen können, was die Römer, dieses ju ristische oder genauer: civilistische Mustervolk, in den betreffenden Gebieten versucht, erprobt, durchdacht, und erarbeitet haben. Gerade die Lehre von der bonorum possessio ist eine das römische Rechtswesen besonders kennzeichnende. In ihr liegt umschlossen ein großer Theil der Fragen: welche treibenden Elemente überhaupt das Erbrecht durchziehen, wie man an Ordnung, practische Handhabung und Schüßung der Erbklassen heranzutreten hat, und ganz besonders wieweit neben dem gewöhnlichen petitorischen Rechtsschuße des Erbrechts eine unter magistratischer Direction stehende possessorische Regulirung der Erbangelegenheit als eine practische Rea

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lität fich hinstellen läßt. Es handelt sich gar nicht darum, daß man immer dahin streben müßte, in unseren modernen Zuständen möglichst viel die Römer nachzuahmen. Wohl aber darum, daß wir unsere neu zu ordnenden Rechtsgestaltungen in gleich feinem, solidem und practischem Sinne ausbauen. Zu solcher Nuzung und Verwendung unserer römischen Lehrmeister ist aber das bloße Herbeiziehen des schließlichen von Justinian gebilligten Endresultates einer bestimmten Lehre noch ganz ungenügend. Es bedarf der vollen geistigen Reproduction des namentlich zur Zeit der classischen Jurisprudenz bestehenden Rechts.

In diesem Sinn wird der Commentar auch auf unsere neueren Codificationen den Blick zu werfen haben. Wie nöthig und ersprießlich in dieser Hinsicht ein Eingehen auf das Gebiet gerade der bonorum possessio ist, hat sich in neuerer Zeit insbesondere auch in Defter: reich, wo sich von Alters her rücksichtlich der Regulirung der Erbangelegenheit ein ganz eigenthümlicher Rechtsgedanke ausgebildet hatte 21), erwiesen 22).

9. Ich habe schließlich noch die hauptsächlichen über die Entstehung des Instituts der bonorum possessio in der neueren Literatur aufgestellten Theorieen

21) Schilter 1. c. p. 604:,,quum illud antea monuerim, iure Austriaco praesertim Viennensi contrarium et hoc observari, quod regulariter iudex etiam non requisitus ex officio inventarium conficere teneatur, tanquam actum iurisdictionis; id vocant,,die Spoerr" h. e. ut arbitror,,die Spur", ius scilicet indagandi vires hereditatum.

22) Vgl. Jos. Unger, die Verlassenschaftsabhandlung in Desterreich. Ein Votum für deren Aufhebung (Wien

übersichtlich zusammen zu fassen 23). Es wird bei den selben nicht immer genau geschieden: die Finalcausa des Instituts d. h. die Motive und Zwecke, die der Prätor bei Einführung desselben vor Augen gehabt hat, und der älteste Bestandtheil des Instituts d. h. das was nach der einen oder anderen Theorie der Kern sein soll, an den sich alles Andere erst im weiteren Verlauf der Zeit angesezt habe. Im Folgenden wird dies sorgfältig getrennt werden 24).

Von den verschiedenen Theorieen wird man bereits als bei Seite gelegt betrachten können die Erklärungen

23) Eine eingehendere Darstellung derselben findet sich in meiner Bonorum Possessio I. Einl. S. XXIII ff., und bei Hingst bon. poss. p. 8-41.

24) Eine Vermischung dieser beiden Fragen liegt in den von Hingst p. 13. aufgestellten Gruppen: 1) Einführung contra pro herede usucapionem (entweder confirmandi iuris civilis gratia, Löhr, Bachofen; oder supplendi iuris civilis causa, Savigny, Puchta, Arndts, Huschke, Christiansen). 2) Entstehung ex Praetoris contentiosa iurisdictione, Dernburg, France, Fabricius, Vangerow, Danz. 3) Entstehung aus der cura sacrorum et creditorum, Leist, Köppen. Man kann z. B. behaupten, daß der älteste Bestandtheil der b. p. die Aufstellung einer neuen Cognatenflasse (supplendi iur. civ. gratia) war, ohne dies bloß als eine Zurückdrängung der pro her. us. anzusehen. Ich meinerseits kann aber meine Theorie nicht als richtig bloß nach der cura sacrorum et creditorum cha= rakterisirt anerkennen, da ich mich ganz ebenso auch auf die Zurückdrängung der pro herede usucapio stüße, und ferner erkennt auch Hingst selbst p. 171. an, daß ich eine prätorische hereditatis ordinatio nicht bloß creditorum, sondern auch sequentium classium causa annehme.

aus dem Peregrinenrecht (Hugo) und Patrizierrecht (Niebuhr). Nur wird unten ein richtiges in der Hugoschen Auffassung liegendes Element noch wieder zur Verwendung kommen. Ebenso darf auch die andere Hugosche Erklärung der bonorum possessio,,als eines mit dem Verfahren bei Zahlungsunfähigkeit in Verbindung stehenden sowie die verwandte Löhr'sche, die in der ur sprünglichen bonorum possessio überhaupt nur eine prätorische missio in possessionem für den Civilerben sieht, als eine überwundene bezeichnet werden. Es bleiben danach von den wirklich selbständige Gedanken enthaltenden Auffaffungen vier Gruppen: Die erste findet den ältesten Bestandtheil des Instituts in neuen Erbklassen, die zweite in der prätorischen Regulir ung der pro herede usucapio, die dritte in der prätorischen Regulirung des Erbschaftsprocesses, und die vierte in der poffefforischen Regulirung der civilrechtlichen Erbklasseu.

1) Zu der ersten Gruppe gehören Savigny, Puchta (auch wohl Arndts) und Schirmer, zu denen sich neustens auch Windscheid gesellt 25). Eine

25) Savigny Verm. Schr. II. S. 231. Puchta, Cursus der Inst. III. §. 316. Arndts Pand. §. 466. 467. Schirmer Erbrecht S. 94. Windscheid Pand. III. §. 532. A. 4. Diese Ansicht kommt auch schon in der früheren Literatur vor (s. z. B. oben Schneidewinus; Ziffer 6). Einen hiemit verwandten, aber doch auch wieder selbständigen Standpunkt nehmen Böcking (Röm. Privatrecht. Institutionen 2. Ausg. 1862. III. §. 25. A. 2.) und ihm sich anschließend Vering Erbrecht S. 578. ein. Böcking verhält sich gegen die,,in unterschiedlicher Aneinanderreihung oder Verbindung der Zwecke des Edicts bestehenden Ergründungsversuche“ mehr ablehnend, und sagt (wo

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