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Man sieht, Stryk umgeht den Kern der Frage. Von der Pflicht, das der vollen Anwendung der bonorum possessio entgegenstehende moderne Gewohnheitsrecht, worauf sich die Gegner berufen, hier ent weder zu constatiren oder zu widerlegen, hat er gar feine Ahnung. Und doch erkennt Stryk an einem anderen Orte diese Pflicht vollständig an. Von seinem Standpunkte des in complexu recipirten und also anwendbaren römischen Rechts nimmt er nämlich natürlich auch die practische Verwendbarkeit des Titels de operis libertorum an; freilich macht er hier den Unterschied, daß, da wir keine liberti mehr hätten, nicht eine directe Anwendung eintrete, sondern es könne sich nur darum handeln, utilia ad intelligendas alias iuris materias aus diesem Titel zu entnehmen. Es muß hier dahin gestellt bleiben, ob Stryk sich darüber klar geworden ist, daß die s. g. in complexu - Aufnahme des römischen Corpus Juris an sich nur diese indirecte Geltung des römischen Rechtes ad intelligendas iuris materias ist, daß aber zur directen Verwendung einer römischen Rechtslehre in Deutschland, also auch der bonorum possessio, immer noch der Nachweis einer wirklichen gewohnheitsrechtlichen Reception derselben gehört. Jedenfalls nimmt nun Stryk die indirecte Geltung der Lehre de operis libertorum in doppelter Richtung an (p. 1129), theils für die operae uxorum, quae itidem sunt vel artificiales seu officiales, theils und noch viel mehr für die operae

Formular, nach dem die b. p. vor dem Richter zu agnosciren sei. Er denkt sie sich aber doch als eine wirkliche richterliche Verleihung: „als will er hiermit dieses beneficium ergriffen und hierauff gebehten haben, ihn vor den Erben zu erkennen und zu declariren."

nostrorum rusticorum. Er segt aber hinzu: interim non possum non praemonere harum determinationem primario non tam ex hoc iure, quam consuetudine singulorum locorum dependere, ut hinc obveniente casu ante omnia speciales loci consuetudines consuli debeant, postea consuetudines provinciales vel locorum vicinorum sint attendendae, denique quatenus nulla diversitatis ratio ostendi potest, etiam quandoque utile sit recurrere ad doctrinam huius tituli.

8. Auf die critische Untersuchung der Frage, in wie weit die bonorum possessio in Deutschland als gemeinrechtlich recipirt zu betrachten ist, kann an diesem Orte noch nicht eingegangen werden. Hier ist zunächst die Aufgabe die, in einem Ueberblicke über die deutsche Rechtsliteratur nachzuweisen, wie man sich unserer Lehre gegenüber verhalten hat, um daraus die Aufgabe zu deduciren, welche dieser Commentar nach dem gegenwärtigen Stande der Wissenschaft sich zu stellen und wo möglich zu lösen hat. Zu diesem Ueberblicke über die Literatur bedarf es nun schließlich der Charakterisirung der neueren Literatur.

Diese neuere Literatur 18) folgt völlig anderen Ge:

18) G. Hugo de bonorum possessionibus Hal. 1788. [Vgl. Hugo Civ. Beitr. I. (1828.) S. 43 ff.] ferner Hugo's Recens. des Koch'schen Werkes [Beitr. I. S. 401 ff.] und Hugo an den verschiedenen Stellen seiner Rechtsgeschichte. - v. Löhr Bemerkungen aus der Lehre von der bonorum possessio (1820.) (Ma= gaz. f. N.W. III. S. 216—353). Nachträge zu der Lehre von der b. p. (Magaz. f. N.W. IV. S. 149 ff.). Magaz. f. R. W. IV. 4. Heft. (1844.) S. 403—471.

sichtspunkten und Zielen als die bisher betrachtete, welche man mit der Koch'schen Monographie als abgeschlossen

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S. 173 f.

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J. H. Dernburg Beitr. z. Geschichte der römischen Testamente. 1821. Aug. Guil. Foerster de bon. poss. liber. praeter. contra tab. par. 1823. v. Savigny Ueber das Interdict Quorum bonorum. Abhandlung A (1823) Abhandlung B (1828). Nachtrag (1849) in den Verm. Schr. II. S. 216— 320. Niebuhr Röm. Geschichte II. (1830) Wilh. France Recht der Notherben (1831) S. 96 ff. C. Ferd. Fabricius Ursprung u. Entwickelung der Bon. Poss. 1837. [rec. v. Huschke Richter'sche Jahrb. 1839. S. 1-34; vgl. v. Vangerow Pand. II. §. 398. Danz R. G. II. S. 47.] Meine Historia bonorum possessionis secundum tabulas (1841.) J. J. Bachofen die lex Voconia (1843) S. 66 ff. - Meine Bonorum possessio I. (1844) II. (1848). [Jm Wesentlichen meiner Ansicht über die Entstehung sind beigetreten: v. Buchholz Richter u. Schneider'sche Jahrb. XX. (1846) S. 769. ff.; Schwanert Enumer. per univ. succ. Gott. 1846. p. 10.; Sintenis Pract. gem. Civilr. III. §. 193. 2. Aufl. S. 564.; v. Keller Pand. (1861) §. 458. S. 872 ff.; zum Theil auch Gust. Hartmann, G. G. A. 1861. I. S. 308 ff., insbes. S. 318. f.] Ad. Jos. Uhrig üb. d. Wirkung der b. p. contra tab. (1844) Huschke über d. usucapio pro herede. Zeitschr. f. gesch. RW. XIV. (1847) S. 146-229. S. J. Hingst Commentatio de bonorum possessione (Amstelod. 1858) [rec. in Schletter's Jahrb. 1860. S. 197. ff. u. v. Hartmann, s. vorher.] J. Lohmann Janssonius Dissert. de origine bonorum possessionis, eiusque vi in adiuvando supplendo iure romanorum hereditario. (Groningae, 1859) Fr. H. Vering Römisches Erbrecht (1861) S. 577. ff. Ad. Schmidt das formelle

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ansehen darf. War bisher die Geschichte die vorzüglich vernachlässigte Seite, so wird diese nun umgekehrt seit der lebensfrisch an die Arbeit gehenden historischen Schule ganz besonders in den Vordergrund gerückt. Die bonorum possessio, als ein der geschichtlichen Klarlegung eigenthümliche Schwierigkeiten entgegenseßendes Justitut, wird zu einer Art Lieblingsstoff für Bestrebungen zur Lösung des Problems". Das Institut bietet, in Folge seiner so reichen Verbindungen mit anderen Rechtsgebilden, von selbst eine Fülle von Möglichkeiten, in denen ein genaueres Nachdenken den Ursprung und Grundgedanken des Ganzen zu finden versucht sein kann; und so find denn die Ansichten über diese Frage einander in lebendiger Mannigfaltigkeit ge folgt. Hugo, der Begründer der historischen Schule, hat auch speciell in dieser Lehre,,die Fackel vorgetragen" 19); aber er hat auch, gleichsam als Vorbild der Mannigfaltigkeit, selbst mit seinen Ansichten über die Entstehung der bonorum possessio gewechselt.

Durch das sorgfältige Erforschen der verschiedenen sich als denkbar darbietenden Anknüpfungspunkte ist man der Sache schon wesentlich näher gekommen. Ueber die bisher zur Besprechung gelangten Punkte oder wenig

Recht der Notherben. (1862) S. 65 f. — C. F. A. Köppen System des heutigen römischen Erbrechts (Erste Lief. 1862) S. 22 ff. — TH. Schirmer Handbuch des Röm. Erbrechts. (Erster Theil 1863) S. 73 ff. Ad. Schmidt das Pflichttheilsrecht des Patronus und des Parens Manumissor (1868). Hilarii Alibrandi Commentarius de bonorum possessionibus (Rom. 1869).

19) Mühlenbruch zu Heineccius a. a. D. S. 502. Anm. a.

stens Richtungen hinaus wird schwerlich noch ein völlig neuer Weg eingeschlagen werden können. Innerhalb der hervorgetretenen Richtungen ist bereits Vieles abgeklärt, Manches darin kann man als erledigt und bei Seite gelegt bezeichnen. Ja ich neige dahin, zu behaupten, daß wenn man, ohne besondere Vorliebe für die eine oder andere Richtung, das Ganze des von verschiedenen Seiten zusammengebrachten werthvollen Stoffs gegen einander abwägt und zusammenfügt, man von dem Ziele der geschichtlichen Feststellung des gesammten Instituts gar so fern nicht sein mögte, als es Manchem auf den ersten Blick noch heutzutage erscheinen wird.

Jedenfalls aber wird man, nachdem jezt eine so bedeutende Fülle von historischen Untersuchungen in der Literatur vorliegt, mit voller Sicherheit die Aufgabe be zeichnen können, die damit diesem Commentar, indem er nunmehr an das 37. und 38. Buch der Pandekten herantritt, zugefallen ist. Auch der Bearbeiter dieser Bü cher ist der Ansicht 20), daß „der Commentar nach wie vor das umfangreichste und erschöpfendste Handbuch über das heutige römische Privatrecht für gelehrte Juristen wie für Geschäftsmänner bleiben, und auf diese Weise den Charakter eines gelehrten und practischen Werkes in sich vereinigen" soll. Die gelehrte Darlegung des ganzen vorliegenden Rechtsmaterials hat hier, wie kaum an einer anderen Stelle der Digesten in gleicher Weise, die Aufgabe, das ganze System der Lehre auf seinen verschiedenen in den Digesten erkennbaren Entwicklungsstufen deutlich zu machen. Dazu aber erscheint es als unumgänglich nöthig, die einzelnen auf S. 1. namhaft gemachten Digestentitel mit dem Titel de bonorum

20) Vgl. Band 44 dieses Commentars S. VI der Vorrede.

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