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um zu zeigen, daß kein Eigenthumserwerb, auch nicht einmal der bonitarische, vom Prätor ausgehe, sondern daß das Eigenthum, nach der alten Idee der Volksfreiheit, welche die legum potestas den Comitien beilegt, lediglich sich auf das ius civile stüße. Da aber die bonorum possessio ebenso wie die hereditas ein ius in re universale gewährt, so stehen sich quoad effectum bonorum possessio und hereditas ganz gleich; die bonorum possessio quoad substantium suam et formam saltem genericam ist ipsissima hereditas; die bonorum possessio unterscheidet sich von der hereditas nur durch die causa efficiens und durch den modus acquirendi extrinsecus. Dieser modus acquirendi besteht darin, daß, während die hereditas innerhalb 30 Jahren angetreten werden kann, die bonorum possessio vor einem Richter innerhalb 100 utiles dies a die scientiae agnoscirt werden muß, worin aber, da man die Delation erst nach 30 Jahren erfahren haben kann, für die bonorum possessio ein Vortheil liegt.

Die bonorum possessio theilte man übrigens noch in verschiedene Arten: edictalis und decretalis (zu letterer wird gewöhnlich die Carboniana und ventris nomine gerechnet) einerseits, und ordinaria und extraordinaria andrerseits. Ueber den Sinn dieser Eintheilungen werden verschiedene Erklärungen gegeben, auf die hier noch nicht eingegangen zu werden braucht.

5. Das geringe Verständniß der Lehre von der bonorum possessio, dessen dunkles Bewußtsein sich öfters in Klagen über die Schwierigkeit der Lehre Luft macht 6), ist die Folge der Unkenntniß über den

6) 3. B. Giphanius Explanat. diff. leg. Cod. Col. Planc. 1614. ad 1. ult. C. unde liberi:,,Hanc legem

historischen Entwicklungsgang des Instituts. Ueber diesen letteren sagen die Schriftsteller meist gar nichts. Lassen sie sich auf die Frage überhaupt ein, so geben sie gewöhnlich nur allgemeine Bemerkungen. So z. B. die Schilter'sche Deduction (p. 30): durch die 12 Tafeln seien allgemein alle Agnaten und Gentilen, auch die Frauen, zur Succession gerufen worden; hierauf. habe die interpretatio prudentum dies restringirt, und außer den Schwestern die übrigen consanguineae" nicht zugelafsen, welche subtilitas und asperitas der mittleren Jurisprudenz die lex Voconia bestätigte; und das sei auch in sø weit ganz flug gewesen, als es zum Vortheil der respublica diene, wenn die Familien begütert seien. Nachher aber habe die naturalis ratio 7) die civilis besiegt, und die Prätoren hätten allmälig, diese Asperität corrigirend, durch Einführ: ung der bonorum possessio einen anderen ordo succedendi hinzugefügt. So sei ein neues ius succedendi in die respublica Romana gefømmen, welches man vorsichtig nicht bereditas fondern bonorum possessio genannt habe, damit nicht vom senatus populusque

Bart. omnium difficillimam toto Codice esse ait, et Castr. horribilem esse ait." Kreittmayr a a. D. G. 841: „Es hat diese prätorische Erbschaft oder bonorum possessio ihren Siz hauptsächlich in Inst. lib. 4 (3) tit. 10 (9), Dig. L. 37 tit. 1 etc. Cod. L. 6 tit. 9 etc. und giebt den Schulleuten viel zu schaffen, weil sie sehr schwer zu verstehen ist." Koch a. a. D. Vorr. S. V.,,Jeder, der in das Heiligthum der Themis eingedrungen, weiß, daß nur wenig Eingeweihte die Dogmen von der bonorum possessione in ihrer ganzen Klarheit eingesehen haben."

7) Ueberwiegend wird die bonorum possessio auf die Aequität zurückgeführt.

Romanus die potestas legis ferendae als auf die Prätoren, die jährigen Magistrate, übertragen erschiene.

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Wo man es versuchte, etwas genauer in das Wesen der prätorischen Thätigkeit, insbesondere auch bei Schaffung und Fortbildung der bonorum possessio, einzugehen, da verfiel man alsbald in die größten Abentheuerlichkeiten. Sehr bekannt in dieser Hinsicht ist die Heineccische Ansicht von den Schlichen und Pfiffen, wodurch der Prätor das treffliche ius civile bei Seite zu schieben gewußt habe: „Praetores id praecipue egisse, ut leges sub specie aequitatis edictis suis everterent, eumque in finem nova commentatos esse vocabula. Huius rei specimen hic titulus dabit. Saepe enim, ubi hereditatem negabant leges, Praetores dabant bonorum possessionem, quum tamen inter ea vocabula, quod ad effectum attinet, parum differentiae essent“. (1. c. p. 502). Von gleicher Anschauung aus sagt Kreittmayr (a. a. D. S. 841):,,Das ErbfolgsRecht war anfänglich a iure civili sehr eng eingeschränkt, wurde aber nach der Hand von den Römischen Praetoribus ex aequo et bono immer mehr erweitert. Die Praetores hatten zwar fein ius legislatorium, und fonnten an dem iure civili nichts abändern, folglich auch contra legem feine Erbschaft einräumen, sie tha ten es aber gleichwohl auf eine verdeckte Weise unter anderen Namen, und ertheilten statt der Häredität die sogenannte bonorum possessionem, welches jedoch ein bloßes Spiegel-Gefecht war, denn es bedeutet hier bonorum possessio fein bloßes Junehaben, wie sich mancher einbildet, sondern das Recht und Eigenthum der Erbschaft selbst."- Am schroffsten formulirt diesen Gedanken der Rinteler Kanzler von Springer in seiner

Schrift:,,Kann man das römische in Deutschland sogenannte gemeine Recht auf wenige einfache und allgemeine Regeln bringen?" (1777) mit folgenden Worten (S. 47 und 51): ,,Die bonorum possessio

oder prätorische Erbschaft ist auch wieder eine erbärmliche Rechtserdichtung.“ „Ich bleibe also dabey, daß die ganze Bonorum possessio eine offenbare So: phisterei ist, die allen möglichen Schikanen des gemeinen Advokatengeschlechts Thür und Thor öffnet, um die Hauptfrage von der wahren Erbschaft eben so zu verewigen, wie durch die Sequestration die Concursprocesse verewigt werden, meistens um Advokaten und Richter zu ernähren oder zu bereichern" 8). Und demgegenüber glaubt hinwiederum Koch,,die Ehre des Prätors am sichersten retten zu können, wenn er seine Absichten, die er bei Einführung des neuen Successionssystems be: zweckte, im Allgemeinen näher aufdeckt und vor Augen legt“ und zwar dahin, daß die Hauptabsicht war „ne quis sine successore moreretur, das ist, damit die Erbschaft nicht als bona vacantia an das Aerarium, an dessen Stelle nachher der Fiscus trat, fallen sollte." Das Prätorische Successionssystem war also im Grunde nur zum Nachtheil der Nationoder des Souverains und dessen Staatskasse, oder nachher des Fiscus, und zum wahren Vortheil der Bürger entstanden und geformt“ !

In dieser Lehre sind zum großen Glück durch Cicero alle Grundelemente des Instituts und zwar zu einem wesentlichen Theile in den Edictsworten selbst uns aufbewahrt, und ohne eine genaue Untersuchung dieser Grundquelle ist ein Verständniß der Lehre von vorn herein un

8) Abgedruckt bei Koch a. a. D. S. 28. Die Schrift selbst habe ich nicht zu erlangen vermogt.

möglich. Aber davon ist in den vorigen Jahrhunderten gar nicht die Rede, kaum werden hie und da einige Hauptworte der Ciceronischen Hauptstelle, aber ohne alle weitere Bemerkung, mitgetheilt 9).

6. Es bleibt noch übrig darzustellen, wie sich unsere deutsche Rechtsliteratur der früheren drei Jahrhunderte zur Frage von der practischen Geltung des Instituts in unserem deutschen Rechtsleben verhalten hat 10).

Die älteren Schriftsteller, wie Schneidewinus, stehen in ihrer Anlehnung an die Italiener noch ganz auf dem Standpunkte, daß sie ihr Augenmerk lediglich auf den schließlichen Justinianeischen Willen richten; die Gez genüberstellung eines etwaigen das römische Recht modificirenden deutschen Gewohnheitsrechtes ist bei ihnen gar nicht zu finden, weil sich bei ihnen das Bewußtsein eines solchen selbständigen Factors noch gar nicht abgeklärt hat, sondern, wie bei Schneidewinus, erst in seinen Anfängen (durch Anführung seines etwa abweichenden sächsischen Particularrechts) auftritt.

So ist also dem Schneidewinus, dessen Darstellung ich hier zur Kennzeichnung seiner Zeit auswähle, die finale Rechtsbestimmung Justinians ohne Weiteres auch das hodie der Rechtsanwendung in Deutschland.

Sind, so fragt Schneidewinus 11), die bonorum possessiones hodie sublatae? Es scheint nach der Glosse, daß man dies bejahen müsse, denn hodie sind nach dem ius novissimum Authenticorum (Nov.

9) z. B. von Schilter p. 30. Stryk p. 1113. 10) S. Weiteres in meiner Bon. Poss. II. 2. S. 403 ff. 11) L. c. p. 804-806.

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