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Reise nach Talysch, Aderbeidshan und zum Sawalan, 1879-1880.

Von Dr. Gustav Radde.

(Schluss 1).)

Dienstliche Geschäfte zwangen mich, Anfangs April nach Tiflis zu reisen, wo unterdessen der Aufbau der zweiten Etage des Museums in Angriff genommen worden war. Ich machte aber einen grossen Umweg, um dorthin zu gelangen, und dazu zwangen mich die Verhältnisse. In Folge der Hungersnoth in ganz Transkaukasien und der schlechten Wege war nämlich die Strasse Elisabethpol-SchemachaBaku selbst für Couriere nur sehr schwer zu passiren. Auf einigen Poststationen gab es gar keine Pferde mehr, auf anderen waren die vorhandenen aus Futtermangel so elend, dass sie ganz untauglich geworden. Ich entschloss mich also, per Dampfer nach Baku zu reisen und von dort in meiner Equipage über Kuba und Derbent an die Nordseite des Grossen Kaukasus zu gelangen, um über Temirchanschura und Grosnoc nach Wladikawkas zu kommen. Von hier ist nun Anfangs April die grosse Strasse nach Tiflis im Hochgebirge nicht selten durch Lawinen verlegt, aber ich fuhr scharf darauf los und rechnete auch diess Mal auf mein gutes Glück. Fast hätte ich meine Zuversicht mit dem Leben gebüsst. Von Kobi bis Gudaur war die Strasse dermaassen verschneit, dass vom gewöhnlichen Wege überhaupt auf einer Strecke von etwa 9 Werst nicht die Rede

war.

Wir brauchten 8 Stunden, um diese Distanz in gewöhnlichem Postkarren zurückzulegen, und kaum hatten wir die gefährlichste Stelle passirt, als eine Lawine hinter uns herabstürzte. Es sei hier noch erwähnt, dass ich an der Nordseite des Grossen Kaukasus die Vegetation viel weiter entwickelt fand, als in der unmittelbaren Küstenzone des Caspi in den südlicheren Breiten. Zumal war die Strecke von Chassafjurt bis Tschirjurt, also am nordöstlichen Fusse des Dagestan, in diesem Jahre klimatisch sehr bevorzugt gewesen, da hier im Gebüsche, an feuchten Vertiefungen das Gras schon 3/4 Fuss Höhe hatte und einzelne Orchideen zu blühen begannen.

In den ersten Tagen des Mai war ich wieder an Ort und Stelle. Ich kam in den vollen Sommer. Nur Mimosa Julibrissen war in der Entwickelung merkwürdig zurück. Erst am 15./27. Mai notirte ich, dass sie die Knospenhüllen gesprengt besässe. Um eben diese Zeit blühte in den Sümpfen Pseud-acorus in grosser Zahl, und ich sammelte schon Butomus umbellatus. Hatte uns die Winter- und Zugzeit eine unglaubliche Menge Geflügel (wir notirten

1) Den Anfang s. in Heft II, S. 47, und Heft V, S. 169, dieses Jahrganges.

schon das dritte Hundert des dritten Tausend) geliefert, so gab es jetzt davon nur wenig. Vor allen anderen Vögeln interessirte mich jetzt die von Dr. N. Severzow neu begründete und nunmehr auch im Kaukasus von mir nachgewiesene Nachtigall, welche er zu Ehren des persischen Sängers Lusciola Hafiszi benannt hat. Im Aussern steht der Vogel der nordischen Nachtigall sehr nahe, aber sein Gesang ist ganz anders. Meine Suite von dieser Art ist sehr bedeutend, auch habe ich mehrere Nester mit vollen Gelegen und werde also auch im Stande sein, in der Ornis darüber eingehend zu sprechen.

Es wurden nun fast täglich Excursionen gemacht. Namentlich besuchte ich die sogenannten Morzi, deren Oberfläche sich an vielen Stellen weithin so dicht mit den Blättern von Trapa natans bedeckt hatte, dass man nur mit Mühe den Kahn vorwärts schieben konnte. Aus dem jetzt hoch hervorgeschossenen Rohr erscholl überall der schnarrende Gesang des grossen Rohrsängers (C. turdoides), welcher hier die dominirende Art ist und selbst um Mitternacht noch singt. Diese Gebiete, welche im Winter so ausserordentlich stark belebt sind, boten uns jetzt sehr wenig Geflügel. Zwar brüten, tief im Rohr versteckt, die Reiher und Sultanshühner, aber zu ihnen kann Niemand kommen. Der Rohrwald schützt noch besser als der Urwald des Festlandes. Die grossen Brutcolonien der meisten Reiher, Steissfüsse und Cormorane (namentlich C. pygmaeus) liegen aber fern von hier, nämlich in den schwer zugänglichen Geröhren der Akuscha und Kura, von woher ich grosse Eiersammlungen erhielt. Vergebens suchte ich auf diesen Wasserflächen der Morzi nach Nelumbium caspium, Eich., welches im Wolga-Delta vorkommt; aber es muss erwähnt werden, dass manche Fischarten, und zwar gerade die central-europäischen, in diesen Süsswassern sich finden und wohl aus der Wolga hierher gekommen sein müssen, obwohl sie der Kura und überhaupt in Transkaukasien anderweitig fehlen. Dazu rechne ich den Hecht, den gewöhnlichen Flussbarsch und die Schleie (Cypr. Tinca), von denen ich Exemplare in Lenkoran erhielt und im WaraulBache selbst fing (die beiden ersteren). Auch das Vorkommen des Flusskrebses ist insofern interessant, als er in der Varietät leptodactylus, Eich., im Caspi als Meerbewohner der Küste entlang vorkommt, so z. B. bei Baku und auch bei der Fischerei Kumbaschinsk, 2 Meilen nördlich von Lenkoran, gefangen wird, aber merkwürdigerweise nicht in die Süsswasser, weder in die Flüsse, noch in die Morzi geht.

Eine andere recht ergiebige Excursion wurde am 21. und 22. Mai zur Insel Sari gemacht, welche ich schon von früher kannte und an deren Ostküste ich einst (1866) mehrere Seehunde fing. Diess Mal wollte ich namentlich Pflanzen sammeln und dann die grossen Brutstätten am nördlichen Ende besuchen. Die Insel ist verpachtet, und es lebt seit Jahren auf ihr ein moderner Robinson, nämlich ein russischer Fischer, Namens David, der seinen Freitag sich aus einem hässlichen, aber recht gescheuten Tatarenjungen heranzog. Die ganze langgestreckte Insel ist eine CaspiBildung jüngster Zeit. Ihre Ränder, zumal aber ihre beiden Enden, wachsen noch beständig und sind fast überall hoch mit todten Cardien beworfen. Der ältere Boden der Insel ist zum Theil gut mit Kräutern bewachsen und ernährt ebensowohl Rubus und Granaten-Jongeln, wie auch Maulbeer-, Feigen- und Pappelbäume. Zumal baut sich die Feige mit breithin ausgelegter Krone sehr schön auf. Ich sah Stämme von Leibesdicke; im Schatten, den das dichte grosse Laubwerk gewährte, gab es neben Turteltauben auch die grosse Col. palumbus, welche hier, fern vom Talyscher Buchenwalde, den sie sehr bevorzugt, ein Inselbewohner geworden ist. Auch einige recht alte Rüstern besitzt diese Insel. Da auf ihr gar keine Raubthiere vorkommen und die Winter hier, obwohl stürmisch, doch gelinder sind als die des Festlandes, so ist die Zucht der Hausthiere, namentlich der Pferde, vortheilhaft. Auch hat ein ehemaliger Regiments-Commandeur von Lenkoran dorthin Fasane gebracht, die sich ausserordentlich vermehrt hatten und leider in neuester Zeit unvernünftig beschossen wurden. Ich sah hier auch einen Antilopenbock (Antl. subgutturosa), und ohne Zweifel wird diess edle Wild gut existiren und sich vermehren können, wenn man die Zucht in Angriff nimmt.

Sari konnte ferner den grossen Bedarf an Federwild, namentlich an Hühnern, der schnell heranwachsenden Stadt Baku zum Theil wenigstens decken. Die Preise der Hühner, besonders aber die der Truthühner, steigen mit jedem Jahre. In Baku hat man, wie ich hörte, zum letzten Osterfeste schon bis 7 Rubel!!! für einen fetten Truthahn bezahlt. Lenkoran könnte dagegen, und müsste es thun, eben diese Stadt mit frischem Gemüse, und zwar gerade im Herbst und Winter versehen. Während jetzt der Ort von Astrachan her mit dem gewöhnlichen Küchenkraut im Sommer bedient wird, könnte Lenkoran mit Leichtigkeit während des ganzen Winters selbst edlere Gemüse stellen. Im December erhielt ich dort noch frisch gepflückte Bohnen und den besten Blumenkohl. Der Winter beginnt dort erst im Januar und ist gewöhnlich mild. Spinat, Salat, Erbsen &c. wären während der letzten klimatischen Extravaganzen, welche ja nicht lange anhalten, nur mit Bast

matten zu decken. Überdiess ist die Verbindung mit Baku auch im Winter gesichert und bequem, weil die Dampfer der verschiedenen Compagnien doch meistens anlegen, und selbst enorme Preise würde man in der Nachbarschaft gern zahlen. Allein Niemand nimmt das Werk in Angriff. Allenfalls kommen per Dampfer die schachernden armenischen Kaufleute nach Lenkoran und kaufen die von den Tataren mittelst Netzen gefangenen und gerupften Wildenten und die Eberschinken auf, um sie dann in Baku mit 200-300 Procent Profit wieder zu verhandeln.

Die grossen Brutcolonien am flachen Nordende der Insel Sari fand ich von 4 Arten, die nahe bei einander, aber sehr scharf getrennt leben, besetzt. Zuerst empfigen uns wieder Tausende von jodelnden Larus cachinnans, deren Junge ich in den verschiedensten Stadien antraf. Es gab auch jetzt noch wenige unbebrütete Eier, und es gab Vögel, die fast flügge waren und die Flügel beim Laufen schon gebrauchen konnten. Weit vorgeschoben, zur Spitze der Insel hin, lag die Colonie von Larus ichthyaëtos weniger zahlreich, aber doch nach Hunderten alter Individuen zählend. Etwas vor dieser brütete die prachtvolle grosse Sterna caspica und seitwärts von dieser, auf erhöhtem Boden, hatte sich Sterna hirundo angesiedelt. Von allen diesen sammelten wir in Zeit von einer Stunde so viel wir wollten, mussten jedoch in Hinsicht auf die grosse Hitze vernünftigerweise die Zahl beschränken, da wir Gefahr liefen, dass Alles verderbe, bevor es präparirt werden konnte. An dem Südende der Insel brüten Sterna cantiaca und St. minuta, aber nur in wenigen Paaren. Für die Schifffahrt hat die Insel Sari insofern eine nicht zu unterschätzende Bedeutung, als bei den heftigen und häufigen Nord- und Nordoststürmen die Segelschiffe und selbst die Dampfer unter Wind an die Westseite der Insel sich begeben, wo sie guten Ankergrund bei genügender Tiefe finden.

Nachdem ich nun den grössten Theil des Talyscher Tieflandes kannte, lag mir daran, das südlichere Gilan ebenfalls in Augenschein zu nehmen, um namentlich et waige Differenzen kennen zu lernen. Zu dem Zwecke begab ich mich schon am 24. Mai per Dampfer nach Enseli. Selten nur zeigte sich uns während dieser Fahrt das Gebirge klar, meistentheils war es in Wolken gehüllt. Drei Ketten bilden es, von denen die vordere, niedrigste durch die zum Meere ausmündenden Thäler oft unterbrochen er. scheint und nicht selten breitere, flache Vorlande besitzt, aber an anderen Orten, z. B. gleich unterhalb Astara, bis hart zum Meere tritt. Überall findet sich hier schöner Laubwald, der ebenso die mittlere, wie endlich auch die hinterste 40-50 Werst entfernte, eigentliche Randkette bedeckt, welcher man deshalb kaum mehr als 6000 Fuss absoluter Höhe beilegen darf. Ihre Höhenlinie verläuft fast

ohne Unterbrechung, jeder auffallenden Form bar, in gleichmässiger Höhe fort. Die Küste ist an vielen Orten einladend, malerisch, von üppiger Vegetation bedeckt, aber leer und wild.

Enseli wurde spät Abends erreicht. Die See ging hoch aus Osten. Wir hatten einige Mühe, an's Land zu kommen, wo ich auf's Freundlichste vom Agenten der Gesellschaft,,Kawkas und Mercur" empfangen wurde. Sein Haus steht im schönsten Pommeranzen-Haine, die Bäume blühten und trugen Früchte, edle Granatbüsche standen in ihrer Nähe. Den fünfetagigen, achteckigen Prachtbau, welchen der Schah bei seinen gelegentlichen Besuchen Enseli's bewohnt, sowie die sonstigen Gebäude und Gärten &c., beschaute ich am folgenden Tage. Alles das ist originell und in seiner Weise auch schön, aber es verfällt mehr und mehr, und der nicht weit davon entfernt stehende Leuchtthurm, sowie die Kaserne und sonstigen Gebäude der Regierung bekunden auf's Deutlichste, dass es hier mit europäischen Verhältnissen ein Ende hat und man sich in einem mehr und mehr in Verfall gerathenden, asiatischen Staate befindet.

Das Tiefland von Gilan erzeugt namentlich zwei Objecte, welche ein ethnographisches Interesse darbieten und deshalb hier besonders erwähnt werden sollen. Zunächst wird eine Binsenart, bei der Bevölkerung Suf genannt, welche seltener und niedriger auch im Talyscher Tieflande vorkommt, hier aber weite Strecken nahe dem Busen von Enseli bedeckt, zu sehr dauerhaften und zweckmässigen, schmalen Teppichen verwebt. Diess geschieht durch die Weiber des Landes und wird als bedeutende Hausindustrie betrieben. Die Binsenteppiche besitzen einen Aufschlag aus starkem Zwirne, oft nur wenige Fäden, und webt man sie ganz in der Art des groben Zeuges. Für wenige Kran (1 Kran etwa 30 Kopeken) kauft man Stücke von 7-10 m Länge, die aber nie breiter als 1 m sind, weil die nützliche Pflanze nicht höher wächst. Das zweite Object, welches hier und namentlich östlicher in Meschederes hergestellt wird, dient als Kulian zum landesüblichen Rauchapparate. Die Flaschenkürbisse werden dazu besonders angebaut und sorgsamst vor Druck und Wind geschützt, weil man sie recht regelmässig geformt wünscht und nur durch leichte Quetschung von unten den Boden zweckdienlich ebnet. Diese Kürbisse werden getrocknet und bekommen einen Ölfirniss, oder sie werden leicht geräuchert und man schabt dann aus dem dunklen Überzug so viel fort, dass nur gewisse Zeichnungen stehen bleiben. Die feinsten Sorten aber versieht man mit recht hübschen punktirten Zeichnungen, indem man die Contouren durch eingelassene kurze Metallstiftchen kennzeichnet.

Auch der Grosse Murdab von Enseli, eines der fisch

reichsten Wasser vielleicht der Erde, in welchem im verflossenen Frühjahre z. B. zwei Millionen Sander (Lucioperca) und an einem einzigen Tage über 300 000 Katume (Cyprinus cephalus, Pall.), eine durchaus schmackhafte, dickköpfige Karpfenart von über 1 Fuss Länge, gefangen wurden, lag jetzt ziemlich todt da. Wir brauchten bei widrigem Winde fast 5 Stunden, um nach Pir-basar zu gelangen. Vielfach gedachte ich an de Filippi's Mittheilungen, nach welchen hier ebensowohl Ardea comata, als auch Ardea russata in grosser Menge leben sollen. Jetzt war davon Nichts zu sehen. Graue Reiher standen an den Schilfrändern, und auf den aus dem Wasser hervorschauenden Treibhölzern ruhten in längeren Reihen die gesättigten Cormorane.

Mittelst der Treidelleine gelangten wir, seitdem die Mündung des Pir-basar-tschai erreicht war, rasch zur grossen Karawanserai gleichen Namens, wo man stets gegen einen festen Preis gute, gesattelte Reitpferde findet, um nach dem etwa 1 Meilen entfernten Rescht zu gelangen. Das weitgedehnte Tiefland von Gilan bot mir in seinem Gesammttypus kaum nennenswerthe Unterschiede zum Talyscher Küstengebiete dar. Alles strotzte von Feuchtigkeit. Mit dem Schwinden des dichten hohen Rohrs vom Pirbasar-tschai verstummte auch der fleissige Gesang der Rohrsänger, und aus den Gebüschen des Festlandes erschallen überall die tiefflötenden Weisen des Hafis-Sängers, welcher niemals schnarrend anschlägt, nur kurze Strophen singt und bei dem Beginne derselben sehr tief und leise ausholt, aber in immer rascherem Tempo absetzend fast eine Octave steigt und dann gewöhnlich zwei schlechte Triller folgen lässt.

Bei Herrn v. Nordt, dem Kaiserl. Russ. Consul in Rescht, fand ich die allerfreundlichste Aufnahme und bedauerte nur, dass ich den Besuch auf wenige Tage beschränken musste. Der Bazar bot nur wenige Gegenstände von ethnographischem Interesse; nirgends eine Spur der schön geformten Gefässe, welche in den grossen Städten des Hochlandes nach alten Mustern auch jetzt noch gemacht werden. Nachdem hier die Einkäufe und Erkundigungen gemacht und ich wieder Enseli erreicht hatte, kehrte ich mit dem nächsten Dampfer nach Lenkoran zurück und nahm nun sehr bald meine letzte grössere Reise im Talyscher Gebirge und auf das Plateau von Ardebil in Angriff. Das Tiefland bot uns in der That jetzt nichts Neues mehr. Das Brutgeschäft der Vögel war in vollem Gange und die einförmige Vegetation der Ebene hatten wir im weiten Umkreise von Lenkoran für die Herbarien genugsam erschöpft. Herr Leder ging schon seit dem 1. April speciell den Coleopteren nach, und so nahm ich denn für diese letzte Tour nur den Präparator mit, während ich die gestapelten Collectionen in Begleitung einer vierten Person meiner Expedition direct nach Tiflis expedirte.

Versehen mit einem ausgezeichneten Dolmetscher, welcher bei dem Grenzcommissar seit vielen Jahren dient und den Vortheil gewährte, fast alle Schach-Sewanzen, die wir am Sawalan treffen mussten, persönlich zu kennen, da die meisten von ihnen sich seiner Gerichtsbarkeit gelegentlich unterziehen mussten, und ausserdem noch durch einen Sicherheits-Convoi für das Gepäck und mit Wegweisern bedient, brach ich am 10./22. Juni von Lenkoran auf. Zunächst blieben wir bis Astara im Tieflande, berührten flüchtig Schach-agatsch, den Sommersitz des Talysch-chan, und zogen dann, weiter vom Meere entfernt, durch die PterocaryenWälder und Gleditschia-Haine. Die Bäume der letzteren blühten jetzt und waren von unzähligen Bienen umschwärmt. Oft hatten wir auch sumpfige Wiesen zu durchwandern, und an vielen Orten erquickte uns das herrliche Grün weitge dehnter Reisfelder, auf denen Weiber das Unkraut sorgfältig fortschafften und die zarten Garzetten-Reiher auch im Sommer sich vornämlich aufhalten. Bei dem kleinen Dorfe Masch-chan, eigentlich Masch-scheih-chanin, machten wir kurzen Halt. Am Fusse des in die Ebene hier vortretenden Gebirges steht eine riesige kastanienblättrige Eiche, die grösste und dickste, welche ich kenne. Sie hat über der Wurzel wohl einen Umfang von über 4 Faden und etwa 7 Fuss Durchmesser. Auch dieser Baum gilt der Bevölkerung für heilig. Etwas höher befindet sich, nicht weit von immergrünem Buxus, ein gut erhaltenes Gebäude, in welchem einer der einst hierher gewanderten ältesten und heiligen" Männer begraben sein soll.

Nicht weit mehr hatten wir zu reiten, um gegen Abend das grosse Dorf Artschewan zu erreichen, dessen Hütten, wie überall im Talyscher Tieflande, zerstreut im Walde daliegen, und wo wir bei dem reichen Dorfältesten eine sehr freundliche Aufnahme fanden. Der eigenthümliche, aber sehr zweckmässige Lam-bau wurde mir zum Aufenthalte angewiesen. Das Lam der Talyscher ist ein auf 6-8 breiten, sehr massiven, hohen Pfosten (meistens aus Planera oder aus Quercus castaneaefolia gefertigt) ruhender, zweietagiger Holzbau, dessen Wandflächen unverkleidet bleiben, nur eine niedrige zaunartige Einfassung haben und nach Belieben durch Leinwand- oder Mattenvorhänge theilweise geschlossen werden können. Man findet in der oberen Etage selbst am heissesten Tage stets kühlere und bewegte Luft, und Nachts fehlt hier das Heer stechender Zweiflügler, die als Moskitos und Mücken unmittelbar über dem Boden in unglaublicher Zahl leben. Das Lam ist für die Sommerzeit der Lieblingsaufenthaltsort der Bewohner des Tieflandes. Es ist in der oberen Etage dann vollkommen eingerichtet, der Wirth nimmt dahin seine Truhen und Kasten, stellt sie den Wänden entlang hin, hat sein Hausund Küchengeräth oben auf den Gesimsen placirt, legt die

Teppiche und Pfühle auf den Boden und verlässt die luftige Höhe nicht gern.

Am anderen Tage begab ich mich zum Ufer des hier tief einschneidenden Süsswassers, welches den Namen Kaladagna hat, bei nicht sehr grosser, aber gleichmässiger Tiefe sehr reich an Sandern ist und jetzt den Holztransport aus den Wäldern des Tagibegs zum Meere vermittelt. In mehreren, sogenannten Seelenverkäufern setzten wir über das seenartige Gewässer, vor dessen Mündung zum Meere die Caspi-Fluthen eine bedeutende Sandbarre aufgeworfen hatten, so dass das Wasser in ihm merklich staut. Die FischereiEtablissements waren jetzt geschlossen, die Saison war vorbei, namentlich bringt man von hier die gesalzenen Sander (Súdacks), von denen an ergiebigen Tagen bis 7000 Stück gefangen werden, in den Handel, und zwar, wie alle Fische des Caspi, vornämlich nach Astrachan.

Wir folgten bis Astara, dem russischen Grenzorte am linken Ufer des gleichnamigen Flüsschens gelegen, dem Meeresufer und bewegten uns auf wenig erhöhter Sanddüne, deren Vegetation sich nur in den Vertiefungen einigermaassen erhalten hatte. Schon blühten hier einige Eryngium- und hohe Malva-Arten. Es war windstill und sehr heiss. Wir gönnten uns also in Astara einige Ruhe und setzten erst Nachmittags die Reise weiter fort, nunmehr direct gegen Westen ziehend und im Thale des Flüsschens aufwärts wandernd. Obschon das Astara-Flüsschen als eine gute natürliche Grenze anzusehen ist, so wird diese hier doch beständig sowohl von Russen als auch von Persern verletzt, und diess hat darin seinen Grund, dass für gute gangbare Strassen weder auf der einen, noch auf der anderen Seite etwas geschah, was um so bedauernswerther, als der Astara-Weg eine Handelsstrasse von grosser Bedeutung ist. Denn hier transportirt man Jahr ein, Jahr aus ungeheuere Mengen getrockneter Früchte, namentlich Rosinen, und die Reineinnahmen des Zollamtes betragen allein von diesem Artikel jährlich 50-60 000 Silberrubel. Die Karawanen bewegen sich, je nach der Beschaffenheit der eingetretenen Pfade, bald auf linker, bald auf rechter Bachseite, und können also, falls von böswilligen Grenzwächtern angetroffen, ohne Schleich handel wirklich zu treiben, mit vollem Rechte arretirt werden. Es kommt das hier auch sehr häufig vor, und wird dem Gerichte in vielen Fällen die Entscheidung schwer, ja unmöglich, weil es eben unmöglich ist, im engen, unwegsamen Thale der Astara nur auf einer Seite des Baches zu verbleiben.

Auch wir verletzten die Grenze auf der Distanz von der ersten bis zur zehnten Werst aufwärts wiederholentlich, und erst am nächsten Tage, als wir über die Steilhöhen des linken Ufergebirges, mehr gegen NW haltend, kletter

ten, befanden wir uns beständig auf russischem Gebiete.

Der

Am Fusse dieser steilen Gebirge im Dörfchen Alascha blieben wir zur Nacht und befanden uns wieder auf luftigem Lambau, mitten im Gilaner Urwalde. Am 12./24. Juni wollten wir die Höhe des Randgebirges erstreben. Weg, welchen wir einschlugen, führte uns, wie gesagt, über sehr steile, aber durchweg gut mit Laubholz bestandene Gebirge, denen eine der nördlicheren Astara-Quellen entspringt und die im Schindan-Kala ihren bedeutendsten Gipfel besitzen, welcher ruinengekrönt, als steilwandiges Massiv auf dem Höhenrande selbst steht und nahe an 7000 Fuss Meereshöhe besitzt.

Bei dem Kashbinski'schen Kosakenposten verliessen wir das Astara-Thal und folgten der sogenannten Ardebil-Strasse, welche hier Armudi-jol benannt wird, zum Unterschiede von einer südlicher gelegenen, gleichfalls von Karawanen benutzten, die man Achmedschet-jol nennt. Der Armudi-jol hat von einem hoch im Gebirge gelegenen Bestande dieser Wildbirnenbäume seinen Namen, welcher vom Talyscher Dialekt etwas entstellt wurde, da es eigentlich Amrud heissen müsste. Man kann bei dem raschen Ansteigen der Gebirge vortrefflich das allmähliche Verschwinden einiger Baumarten und das Auftreten anderer beobachten. Interessant ist es, dass Mimosa Julibrissin bis gegen 2500 Fuss selbst im Halbschatten des Hochwaldes als freiwilliger Sämling sehr häufig ist, dass ferner Diospyros Lotus mindestens noch 1000 F. höher als fruchttragender Hochstamm existirt, dass Gleditschia und die Granate nur auf das Thal und Flachland angewiesen bleiben, dass Corylus Avellana und Castanea vesca, sowie auch Cornus mascula hier gänzlich fehlen, dass die Rebe kaum höher als 1000 Fuss im Walde ansteigt, hier nur schwach und kleinblätterig wird, und dass endlich noch in 3000 Fuss Meereshöhe der Feigenbaum mit schenkeldickem Stamme angetroffen wird.

Erst am späten Abend, nachdem uns mit dem Nähertreten zur Randhöhe Nebel und Regen gründlichst durchnässt hatten, kamen wir auf die Sommerfrischen der Alaschinzen, nahe der persischen Grenze und schon am Nordfusse des hohen Schindan-kala gelegen. Das schlechte Wetter hielt an. Erst gegen 10 Uhr am 13./25. Juni konnten wir die beabsichtigte Excursion zum Schindan-kala antreten. Das Gebirge, welches eine ziemlich ebene Höhenfläche von circa 400 Schritten Länge bei einer zwischen 80-200 Schritten wechselnden Breite besitzt, steigt steil aus der Kammhöhe an. Zu seinem Gipfel führt an der NO-Seite ein gangbarer Weg, und ausser mehreren Wasserbassins, Resten von Mauerwerken, fanden wir an der Nordspitze auch noch eine durch Menschenhand gemachte Höhle, an deren Wänden eine prachtvolle Clausilia in etlichen 80 Exemplaren gesammelt wurde. Am Ostfusse des SchindanPetermann's Geogr. Mittheilungen. 1881, Heft VII.

kala markirten Acer campestre und Quercus robur die Baumgrenze, die Westseite dieses Gebirges aber stürzt senkrecht ab. Ich sammelte hier nur Pflanzen der basal-alpinen Region, lauter mir längst bekannte Formen.

Der Sawalan hatte sich heute in dichte Wolken gehüllt und selbst die vor ihm lagernde Ardebil-Ebene war nur in ihrem vorderen Theile klar zu übersehen, allein gegen Süden zu den Höhen der persischen Gebirge hatte das Auge freien Zutritt, und hier dehnten sich denn zunächst die äussersten südlichen Quellhöhen der Astara hin, denen die Ali-dasch-Gruppe folgte, welcher sich am Horizonte die noch höhere der Aspina anschloss. Gegen Norden gekehrt aber kann man die äusserste Höhenlinie des Randgebirges weithin verfolgen. Die Küs-jurdi-Gruppe mit ihrer über 8000 Fuss hohen Gipfelhöhe lag da zunächst vor uns. Sie war unser Ziel für den 14./26. Juni.

Ausserordentlich charakteristisch für die Formen dieses Randgebirges sind nun die sich stets wiederholenden, mehr oder weniger aufgeblasenen „Köpfe", deren Ostseiten wie abgebrochen jäh abstürzen, während die Westseiten, rasenbedeckt, sich allmählich zu den Thalmulden senken. Wo ich jene jähen Ostabstürze sah, da bestanden sie aus groben, sehr fest verkitteten Conglomeraten vulcanischer Gesteine. Um bequem reiten zu können, hält man sich immer an den Westseiten dieser Köpfe und bewegt sich stets durch basal-alpine Wiesen, welche hie und da auch noch dicke, aber nicht hohe Eichen aufweisen und auf denen an vielen Stellen die grossen, hellrothen Blumen von Papaver monanthum in Menge prangten.

Zu dem in hiesiger Gegend wohlbekannten Klo-putiKopfe zogen wir, d. h. zur ,,Geier- oder Adler-Mütze", wo man jetzt gerade den Herrn dieser Grenzlande erwartete. Es ist diess nicht direct der Schah, er hat hier einen sehr selbständigen Vasallen hingesetzt, der erblich das Land als sein Eigenthum verwaltet und in dem Städchen Namin seinen Sitz hat. Er ist nicht einmal abhängig vom nahewohnenden Gouverneur von Ardebil und hat den schmalen Grenzstreifen bis zur Karasu-Ebene als eigenmächtiger Fürst zu regieren. Am Klo-puti erwartete man ihn, er wollte, was die Orientalen alle gern thun, auf die Sommerfrische in's Gebirge ziehen und zugleich in seiner Weise Gerechtigkeit üben, allerlei Streitigkeiten schlichten. Es waren

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