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Faser im Stamme gerade verläuft und lässt den Rest liegen. Ich bin zu wiederholten Malen Zeuge davon gewesen, wie man von Stämmen, die über der Wurzel mehr als 3 F. Durchmesser hatten, nur wenige Hunderte jener Stabhölzer gewann und damit also an Ort und Stelle den Werth von kaum 10-15 Rubel mühsam erarbeitete und alles Übrige liegen liess.

In ihrer gesammten Physiognomie besitzen diese Urwälder der Ebene ein eigenthümliches, oft nicht mehr europäisches Gepräge, einerseits bedingt durch die schon erwähnten asiatischen Baumarten, andererseits aber durch die strotzende Fülle und die colossale Entwickelung vieler Individuen veranlasst. Viele der hochstrebenden alternden Stämme verfielen dem Zahne der Zeit oder dem verheerenden Feuer. In den todten Kronen jener Rieseneichen horstet der Seeadler, bis nahe zu seinem massiven Neste klettert das dichte Nest von Smilax excelsa, welches mit zahllosen, ineinander verwirrten Maschen sich über die meisten hohen Bäume nach und nach aufbaut, ohne eigentlich den Charakter wirklicher Lianen zu besitzen. Diese letzteren werden in den Wäldern des Tieflandes von Ta lysch durch die stark milchende Periploca graeca repräsentirt, deren spiralig den Stamm heraufkletternde Individuen nicht selten bis 2 Zoll Dicke erreichen und tief einschneidend in das Opfer, es nach und nach erwürgen. Fast jeder Stamm im Walde dient aber auch noch der Rebe zur Stütze, welcher hier Seitens des Menschen (Mohammedaner) aus Glaubensrücksichten gar keine Pflege zu Theil wird. Schenkeldicke am Boden weist der Weinstock hier gar nicht selten auf und deckt mit üppigem Laubwerke die unteren Partien der Bäume und namentlich auch das Jungholz vollkommen zu.

Wenn ich der Verheerungen des Feuers in diesen nassen Niederungen erwähnte, so muss ich das doch näher erklä ren. Man gewinnt nur schwer und nur mit Hülfe des immer wieder erneuerten Feuers dem Urwalde Culturterrain ab: die hohen Stämme tödtet man zu diesem Zwecke zunächst durch tiefe Einkerbungen in der Splintschicht und lässt sie abtrocknen. Das Unterholz wird abgehackt und gehäuft, zumal an trockeneren Stellen, wo die Farne (Pteris aquilina maxima) wuchern, und nur nach heissem Sommer legt man überall Feuer an, welches oft erneuert, nach und nach das Meiste tödtet, doch aber die hohen, ihrer Äste früher schon beraubten Eichen und Rüstern nicht ganz verzehren kann und sie dann als kahle, schwarze Leichen auf dem gewonnenen Terrain zurücklässt.

Bis Mitte December behalten die Eichen und Parrotia ihr grünes Laub, welches dann, sich röthend und zimmetbraun verfärbend, an den meisten Bäumen und Sträuchern, namentlich der letzteren beider Arten, sich bis zum Früh

linge am Holze erhält, an allen anderen Bäumen aber schon im November fällt. Dann lebt im dichten Gebüsche, oft auch am Boden, im unzugänglichen Smilaxwuste versteckt, die Waldschnepfe in grosser Zahl, und der Waldkauz lauert dem edlen Wildprete mit grosser Geduld vom nahestehenden Eichenbaume auf. Finken, von den Höhen der Talyscher Berge durch rauhes Klima thalabwärts gedrängt, beleben den Boden dieser Urwälder, und in den Erlen am Bache singen um Mittagszeit die nordischen Zeisige und Stieglitze um die Wette.

Noch muss ich der heiligen Plätze erwähnen, deren Bäume hie und da im Urwalde von den Eingeborenen sorgfältig geschont werden und an welchem sie, obwohl Mohammedaner, gelegentlich, wenn auch nicht Wachskerzen, so doch in Naphtha getauchte Lumpen, die um ein Stäbchen gewickelt wurden, anzünden. Nahe von dem Besitzthum des Herrn Schiffscapitän Müller 1), Waraul, steht eine prachtvolle Gruppe von alten Planera-Stämmen im dichten Unterholze von Buxus, welche, da sie für heilig gehalten, auf das Peinlichste geschont werden.

Bevor ich nun über die sonstigen Excursionen und na mentlich über die Reise zum Sawalan berichte, will ich noch einige kurze Mittheilungen über unser Leben zu Lenkoran im Winter machen. Die gemiethete Wohnung war sehr bald hergerichtet, dazu zwei Trockenkammern, denn sehr bald ging es an die ornithologische Ernte. Um meinen Lesern von dieser einen Begriff zu geben, copire ich aus meinem Arbeitsverzeichnisse z. B. Folgendes:

Am 14./26. November begannen die Arbeiten. Donnerstag den 6./18. December notirte ich 7 Uhr früh Nr. 414, welche Ziffer also in 3 Wochen erstrebt war, und nun heisst es im Arbeitsjournal:

Bombycilla garrula, ein Vorbote strengen Winters, unter dem 39 N. Br. im Niveau des Meeres! Bis dahin soweit südlich in diesem Meridiane nicht nachgewiesen; Picus Poelzami, Bogd., eine von Modest Bogdanow neuerdings creirte Art, die ich für gut halte, stets durch hell chocoladenbraune Unterseite gekennzeichnet; 2 Totanus Calidris; Garrulus Glandarius hyrcanus, Blfd., wird in der Ornis caucasica nach grossem Material doch nur als Varietät behandelt; Strix Aluco, sehr fuchsig; Picus martius, Ardea stellaris, Ardea cinerea, 4 Fuligula nyroca, 2 Fuligula rufina, 5 Anas crecca, Ardea alba, 2 Ardea purpurea, 4 Fringilla chloris, Fringilla cannabina, 5 Passer domesticus, Falco aesalon, Motacilla boarula, Larus ridibundus, Regulus flavicapillus, Circus pygargus, 2 Porphyrio hyacinthinus, 2 Anas angustirostris, Anas strepera, Charadrius pluvialis, 3 Rallus aquaticus, Emberiza pyrrhuloides, 2 Emberiza Schoeniclus, Anas boschas.

1) Herr Müller, seit Jahren in Diensten der jetzt blühenden Gesellschaft,,Kawkas und Mercur", hat sich mitten im Urwalde ein bescheidenes Heim gegründet, wo der Fremde aber im freundlichen Maisonine-Zimmer nicht allein durch allerlei Jagdapparate und vorzügliche Spirituosen, sondern auch durch die vollständigen Werke Goethe's und Schiller's überrascht und erfreut wird. Einstens Oceanfahrer und nach einem Schiffbruche mit einem Kameraden in kleinem Boote gerettet, schwamm dieser beherzte Capitän 6 Tage lang auf der hochgehenden See, bevor ihn ein Kauffahrer entdeckte und aufnahm. Gern ruht er ab und zu ein Weilchen in seinem Urwalde von den Strapazon des Seelebens aus.

Es bleiben unpräparirt liegen: 2 Ardea Garzetta, 2 Falco lanarius, 1 Falco peregrinus, 2 Anas mersa, 2 Anser minutus. Diesem stelle ich zur Seite die Notiz von Freitag 4./16. April 1880. Der Tag beginnt mit 1908: 6 Muscicapa luctuosa, wird ermattet ergriffen; 3 Phoenicopterus antiquorum; 7 Charadrius Morinellus, 7 Charadrius Geoffroyi, 10 Charadrius asiaticus, 4 Ibis Falcinellus, Glareola pratincola typica, 5 Pterocles Alchata, 2 Sterna hirundo, Oedicnemus crepitans, Falco subbuteo, 2 Pelecanus minor, Sterna anglica, Tringa alpina, Merops apiaster (ausnahmsweise sehr früh!), 2 Passer salicicola.

Es blieben für den nächsten Tag eine grosse Anzahl geschossener Vögel, darunter die Edelfalken, Flamingos, Ibis Falcinellus und an 40 Charadrius asiaticus liegen.

Bis zum Anfange des Monats März regte es sich wenig im Pflanzenreich. Zwar blühten im Garten meiner Frau Wirthin schon Veronica agrestis und Narcissus polyanthos (?) seit dem 20. Januar/1. Februar, auch die Weiden begannen die Blüthenkätzchen ein wenig vorzuschieben, allein die später folgenden kälteren Tage und namentlich die Nächte hielten die weitere Entwickelung der Flora ausserordentlich zurück, und erst in der zweiten Hälfte des Februar nach Julianischem Kalender füllten sich merklich die Knospen von Populus und Fraxinus, und es erschlossen im Walde an geschützten Plätzen Primula acaulis (?), Viola odorata und Cyclamen coum massenhaft die Blumen, was der schöne Galanthus plicatus an eben denselben Stellen schon am 30. Januar/11. Februar gethan hatte. Sehr langsam entwickelten sich während dieser Zeit die knopfförmigen sitzenden Blüthen an den alten verholzten Ästen der Parrotia. Die jungen Triebe besitzen sie niemals. Gleich kleinen Kugelknöpfen haften sie am 2-3jährigen Holze und haben durch die vielen eng bei einander stehenden Antheren eine dunkle lackrothe Farbe, die sich aus den geplatzten vier braunen, äusserlich stark behaarten Kelchblättern am 1./13. März schon sehr bemerkbar machte. Dennoch währte es einen ganzen Monat, bevor die Antheren stäubten.

Die Excursion zum Busen von Kisil-agatsch, zu den Burani-Inseln und dann auf dem Festlande durch die Mugan bis nach Belasuwar, wo am äussersten Nordende der Talyscher Gebirge, schon in der Ebene gelegen, sich das Grenzzollamt befindet, habe ich nun zu erwähnen. Ich lebte bei dem Beginne dieser Reisen der guten Hoffnung, noch die hochnordischen Arten, namentlich Anser ruficollis und wo möglich auch Anser hyperboreus, Harelda glacialis oder eine der beiden Oedemia-Species, welche auf dem Caspi ab und zu ebenfalls im Winter erscheinen sollen, zu erstehen. Allein es war für diese hoch im Norden auf den Tundren des Eismeeres brütenden Vögel schon zu spät, sie hatten die südlichsten Breiten ihres Vorkommens im Winter (39°) schon verlassen, und die ornithologische Ausbeute fiel überhaupt miserabel während dieser Reise aus. Das grosse Dorf Kisil-agatsch, dessen Namen mit,,Goldener Stock" (nicht rothes Holz) zu übersetzen ist, und welches

an dem unteren Ende des Kisil-agatsch-Busens etwa 1 Werst entfernt vom flachen Ufer liegt, wurde mit Postpferden erreicht. Seine Bewohner sind eingewanderte Mohammedaner, namentlich aus den Umgegenden von Schemacha, deren Chan, so erzählt die Sage, hier einst seine Hauptstadt gründete. Es ist bemerkenswerth, dass sich hier nahe dem Unterlaufe des bedeutenden Williasch-tschai der fruchtbare Boden ohne jegliche Salzspur bis ganz nahe zum Meere erstreckt, und ich glaube, dass es nicht ausgesüsste caspische, sondern Ablagerung des erwähnten Flusses ist. Weizen- und Gerstenfelder treten hier bis fast zum Rande des Meeres vor.

Tags darauf begaben wir uns auf flachbodigem Segelboote zu den Burani - Inseln, welche gewissermaassen als nördliche Fortsetzung der grossen und langgestreckten Insel Sari betrachtet werden müssen, mit welcher sie wohl in nicht gar zu langer Zeit sich vereinen werden, da die trennenden Wasser überall nur geringe Tiefen haben und zwischen einzelnen der Burani-Inseln bequem von Menschen durchwatet werden können. Der eigentliche mohammedanische Name dieser Inseln aber ist Jowschan, d. h. die Tamarix-Inseln, was in der That zutrifft, da ausser den dichten, aber nicht hohen Geröhren (immer Arundo Phragmites) auf den erhöhten Plätzen, die viel Cardiaceen zeigen, auch strauchender Tamarix recht häufig ist. Der Strand des Festlandes war für diese Jahreszeit ganz ausserordentlich todt. Ein Paar Brandenten (V. Tadorna) ruhte, ein kleiner Schwarm von Tringa alpina zog auf und ab in den so raschen und ganz plötzlich in Richtung und Lage aller Vögel abändernden Bewegungen. Totanus Calidris pfiff. Weithin im Meere an flacher Stelle glich es einer weissen, gleich hohen Mauer. Das waren ruhende Flamingos, wohl 300 beisammen, ganz dicht gruppirt, wie sie es lieben, und unbeweglich. Kaum deutete sich das schöne Roth der Flügel alter Vögel für diese Distanz dem Auge des Beobachters noch an. Aber das bewaffnete Auge erkannte die Vögel ganz deutlich. Sie hielten sich bewegungslos, sie verdauten. Die lebenden Cardien, von unterseeischer Bank aufgesammelt und mit dem starken Schnabel zermalmt, sind ihre Lieblingsnahrung.

Beim Landen empfingen uns ungeheuere Schwärme der grossen Lachmöwe, deren beständiges Jodeln, welches nicht selten in die Sopranoctave aus einer Altstimme herüberschlägt und ebensowohl das Staunen als auch die Besorgniss der Vögel gut zum Ausdruck bringt. Schon jetzt machten einzelne dieser Vögel Anstalt zum Brüten, aber auch noch Ende Mai fand ich auf der Insel Sari von dieser Möwen-Art einzelne unbebrütete Eier. Die einzige Pflanze, welche auf dem erhöhten Muschelboden blühte, war eine Erodium-Species. In den Vertiefungen des Bodens wucherten die leierförmigen Wurzelblätter einer Brassica-Art und

wurden von den uns begleitenden Muselmännern trotz ihrer Härte eifrigst verzehrt. Diese unbewohnten Inseln dienen dem gefiederten Raubzeug des Festlandes als Ruheplätze für ihre Mahlzeiten. Hierher schleppen der Seeadler, der Wander- und Würgfalke ihre Beute, um sie unbehelligt zu verzehren. Überall davon die Spuren. Mehrere Reste von Hasenskeleten, viele Federn von unlängst verspeister Rothhalsgans, die Flügel von den Tauchenten (namentlich F. nyroca, clangula und cristata), auch die breitschnäbeligen Köpfe der Löffelenten und vieles mehr lagen hier am Rande des Geröhrs. Hoch über uns kreisten Pelicane (P. crispus), und den Soldaten gleich sassen aufrecht am Ufer in Reihe und Glied die Cormorane, welche von den Morzi, wo sie bei Sonnenaufgang gemeinschaftlich fischten, hierher gesättigt zurückkehren, um erst am Nachmittag wieder auf die ergiebigen Futterstellen des Süsswassers, beim Fluge in langen Linien geordnet, zurückzukehren.

Am 7./19. März setzten wir die Reise nach Belasuwar fort. Immer ging es durch fruchtbare Ebenen, welche bis zum grossen Molokaner-Dorfe Prischip auch von ansässigen Tataren stark bevölkert sind, und wo viel Ackerbau Statt findet. Das Erdreich ist hier überall vollkommen ausgesüsst, und man bemerkt auf der Oberfläche wenigstens nirgend Reste caspischer Muscheln. Von Prischip an gegen W und N wird die Mugan menschenarm. Die Örtlichkeit aber, an welcher man auf dem Wege nach Belasuwar Pferde wechselt, das Dorf Astrachanka, hat eine interessante Lage. Hier hauste einst (1667-72) der berüchtigte Kosak Stenka Rasin. Hart an rechter Seite des Gamischara-Baches, der vielgewunden hier in der Ebene schleicht, in einer grossen Buchtung, befindet sich eine äusserst regelmässige und sichtlich durch Menschenhand wenigstens verbesserte und abgeformte, oblonge, hohe Erdschanze, eine Art Wall, welcher nach der jetzt hier noch überall geläufigen Sage vom Kosakenführer gemacht und zum festen Lager für seine Schaaren eingerichtet wurde. Etliche 20 Werst gegen Westen von diesem Platze ist Belasuwar am rechten Ufer des Bolgar-tapa-tschai-Baches gelegen, ein armseliger Ort, an welchem sämmtliche Gebäude, aus Erdziegeln aufgeführt, dem Einsturze nahe sind und dennoch, so lange ich sie kenne (1866), in keiner Weise reparirt werden. Die Mugan war jetzt entsetzlich leer. Ich hatte mich darauf gefasst gemacht, hier Pterocles, vielleicht

auch noch Rothhalsgänse anzutreffen. Aber es gab Nichts davon. Selbst die Kampfhähne, welche auf dem Frühlingszuge in den Ebenen bis Prischip längere Zeit stationiren und sich dann alle vor dem Fortziehen zu einer ungeheueren Schaar, welche ich, ohne zu übertreiben, auf 100 000 schätzen darf (für dieses Frühjahr), vereinigen, fehlten hier. Der Boden war durchweg grauschwarz, kein Bulbocodium, keine Ornithogalum- oder Gagea-Art entdrängte sich ihm. Erst bei der Rückkehr fand ich nahe von Astrachanka ein Paar Exemplare von Iris pumila in der schönen hellblauen Varietät.

Bei dem Grenzcommissar, Obersten Agranowitsch, fand ich die freundlichste Aufnahme. Man hat hier nämlich ebensowohl Seitens Russlands, wie auch Seitens Persiens einen eigenen Beamten ernennen müssen, welche die Streitigkeiten der räuberischen Schach-sewanzen zu schlichten haben und mit ausserordentlichen Vollmachten versehen sind. Nach dem Tractate von Turkmen-tschai haben nämlich diese wilden Nomaden, welche im Sommer den gesammten Sawalan mit ihren Kibitken bestehen, das Recht, im Winter über die damals neu gezogene Grenze mit ihren Heerden zu ziehen und bis zum Frühling in der Mugan zu verweilen. Da sie nun trotz ihres schönen Namens, welcher sich zu deutsch etwa als ,,Lieblinge des Schah's" übersetzen liesse, gar böse Räuber sind und nicht nur nicht unter sich Frieden halten, sondern auch oft auf russischem Boden sich Verbrechen gegen russische Unterthanen zu Schulden kommen lassen, so bedingt Alles dieses auch eine eigene Gerichtsbarkeit, welche eben der erwähnte Oberst schon seit vielen Jahren ausübt, weshalb er in grossem Ansehen bei den Persern überhaupt und namentlich bei den Grenzbeamten steht. Hatte mich die Mugan in meinen Erwartungen auf das Unangenehmste enttäuscht, so fand ich bei meinem Freunde dem Obersten eine Überraschung, die mir vollen Ersatz bot. Er besass nämlich eine grosse Anzahl persischer ethnographischer Objecte und unter diesen einige sehr werthvolle Ziergefässe in Messing à jour gearbeitet. Hier also war Gelegenheit, die Sammlungen des Museums auch in dieser Branche zu bereichern, und schon Tags darauf wurde Alles zum Transporte eingepackt. Am 9./21. März befand ich mich wieder in Lenkoran. (Fortsetzung folgt.)

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Désiré Charnay's Expedition nach den Ruinenstätten Central-Amerika's ').

Ausgrabungen in Tula. Mein nächstes Arbeitsfeld war zu Tula, der alten Metropole der Tolteken, jetzt ein Dorf mit 1500 Einwohnern, das ungefähr 40 miles nördlich von der Stadt Mexico gelegen ist. Wir reisten mit der Bahn nach Huehuetoca und von dort mit der Post über abscheuliche Wege nach unserem Bestimmungsorte, welcher noch 15 miles davon entfernt liegt. Ehe ich meinen Bericht über die Ausgrabungen daselbst beginne, will ich ganz in der Kürze die Geschichte Tula's mittheilen, wie dieselbe von Clavigero, dem fähigsten der spanischen Geschichtschreiber Mexico's, uns überliefert worden ist.

Die Tolteken kamen aus dem Norden, brachten asiatische Traditionen mit und liessen sich zuerst in Tollantzinco nieder. Dort verweilten sie nur 20 Jahre und siedelten sich dann schliesslich im Jahre 667 zu Tollan oder

Tula an. Das Reich, welches sie gründeten, währte bis 1051, oder 384 Jahre. Sie waren von sanftem Charakter, zogen die Künste dem Kriege vor, und die Nationen, welche auf sie folgten, verdankten ihnen unter vielem Anderen den Anbau der Baumwolle, des türkischen Weizens und der verschiedenartigen Früchte, welche noch heute zum grössten Theile auf den Hochebenen gezogen werden. Von ihnen lernten sie auch die Erzscheidekunst und den Schnitt der Edelsteine. Man hält sie für die Erbauer der Pyramiden zu Teotihuacan und Cholula; wohin wir auch blicken mögen, finden wir ihre Denkmale.

Eine Reihe von Schicksalsschlägen vernichtete die Cultur von beinahe vier Jahrhunderten. Zuerst kam eine grosse Dürre, welche mehrere Jahre anhielt, dieser folgte eine Hungersnoth und dann kam eine pestartige Krankheit. Nur ein kleiner Theil des Volkes überlebte diese Plagen, und mit diesem beschloss der Häuptling Quetzalcoatl aufzubrechen, um wirthbarere Gegenden aufzusuchen. Sie verliessen Cholula und reisten südwärts, dem Ufer des Golfes und der Küste des Stillen Meeres entlang, bis sie nach Yucatan kamen, wo sie sich niederliessen.

Wir befinden uns also hier auf den Trümmern der Hauptstadt des berühmtesten Volkes von Anahuac. Doch was ist geblieben, um die Lage derselben anzudeuten? Ein Hügel, etwa 1 mile lang und 1/2 mile breit, der mit Erhöhungen und Vertiefungen, Plateaux und Trümmern jeder Art überdeckt ist.

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Auf der Vorderseite eines Felsens, gerade südlich von Tula, sind zwei Figuren von Kriegern eingehauen, welche, sowohl was ihren Kopfputz als auch ihre Zierrathen und ihre Haltung anbelangt, mit den Kriegern zu Chichen-Itza identisch sind. Ein Steinring, welcher sich in einer der Strassen befindet, ist genau so behauen, wie der Ring zu Chichen. Auf der Plaza stehen zwei Hälften eines Säulenschaftes, welche mit Zapfen und Mörtel zusammengehalten wurden. Die Säule war behauen und mit gewundenen Linien und Palmen überdeckt. Es befinden sich auch auf der Plaza drei Caryatiden von sehr hartem Basalt, jede derselben 2 m 18 cm hoch; der obere Theil dieser Figuren fehlt. Obschon roh ausgeführt, sind sie doch nicht ohne künstlerisches Verdienst.

In einer der kleinen Privatsammlungen zu Tula befindet sich ein Stück Perlenmuschel, welches einen sitzenden Toltekenhäuptling darstellt. Ich fand, dass diese Figur genau mit einem der Krieger auf den Basreliefs zu Chichen-Itza übereinstimmt, wie wir ihn bei Stephens abgebildet sehen.

Die Ausgrabungen zu Tula beschäftigten mich vom 16. August bis zum 9. September. Ich begann zuerst mit vier Mann und zwei Knaben, vermehrte aber nach und nach die Zahl der Arbeiter bis zu 40. Wir machten den ersten Versuch an einer der vielen Erhöhungen auf dem Rücken des Hügels und stiessen dort auf eine Gruppe von Wohnungen. Als ein besonders glücklicher Zufall kann es angesehen werden, dass wir sofort das Portal fanden.

Wie in Teotihuacan waren auch hier die Wohnungen der höheren Classen der Bevölkerung in Gruppen vereinigt auf isolirten Hügeln errichtet, eine derselben in der Mitte, die anderen um diese herum, so dass das Ganze die Form einer Honigwabe erhielt, deren Zellen auf verschiedener Höhe stehen.

In dem Schutt befanden sich auch dicke rothe Ziegel, aus rothem Thon gebrannt, welche um so merkwürdiger sind, als wir seither nirgends Backsteine gefunden haben. Die Mauern bestehen in der Regel aus allerlei Steinen, tetzontli, glatten Kieselsteinen und Stückchen Basalt, vermischt mit Kalk, sie sind zuweilen mit behauenen Steinen verkleidet und das Ganze ist mit einer dicken Schicht Kalk oder Stucco überzogen. Der Boden ist mit einer 2 Zoll dicken Lage sehr harten und roth bemalten Cements überdeckt. An verschiedenen Orten, wo wir gegraben, haben wir diese Lage Cement gefunden, welchen die Erbauer der Stadt nicht nur zum Bau ihrer Häuser und zum Pflastern ihrer Höfe, sondern auch zu ihren Strassen und Chausséen benutzten. Die Back- oder Ziegelsteine sind. 10-12 Zoll lang, 5-5 Zoll breit, bis 2 Zoll dick und

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sehr hart. Man verwandte sie vorzüglich zu den Stufen der Treppen und sie wurden dann mit Cement überkleidet; man benutzte sie aber auch bei Pilastern, von denen wir bis jetzt drei aufgefunden haben und hier und da bei Mauern. Stücke der inneren Wandbekleidung, welche sich vorfanden, zeigten, dass dieselbe bemalt gewesen war: Figuren in rother oder weisser Farbe auf schwarzem Grunde. Ich habe viele dieser Figuren photographiren lassen; sie zeigen eine grosse Verschiedenartigkeit in dem Entwurf.

Ausgrabungen, welche ich an einer anderen Erhöhung vornehmen liess, auf welcher früher ein Oratorio gestanden haben sollte, führten zu keinem Resultate. An einem anderen Platze stiessen wir auf die Überreste eines menschlichen Körpers, doch nur der Schädel befand sich in einem solchen Zustande, dass er der Sammlung beigefügt werden konnte.

Am 26. August begannen wir mit den Ausgrabungen auf einer vermeintlichen Tempelstätte, fanden aber bald, dass wir uns in unserer Annahme getäuscht hatten, denn der Erdhügel barg eine Pyramide, die keinem Tempel zur Basis gedient hatte, sondern einer Reihe von Gemächern. Das Gebäude oder vielmehr der Palast hat zwei Flügel, welche mit dem Hauptgebäude einen Hof umschliessen. Die Mauern sind weit stärker als die an dem zuerst aufgedeckten Hause, die Gemächer sind ebenfalls grösser, aber in ähnlicher Weise angelegt. Es giebt deren mehr denn 43 grosse und kleine, nebst einer Anzahl Corridore, die, wie mir scheint, nicht überdacht waren und dazu dienten, dieses Labyrinth von Zimmern zu erhellen. Eine Wendeltreppe aus behauenen Steinen führte von den unteren in die oberen Gemächer; wir fanden sie noch gut erhalten. Der Palast bedeckt eine Fläche von 165 Quadratfuss.

Die Ausbeute an Fundstücken war eine äusserst geringe; darunter alle Sorten Thonwaaren, von den gröbsten Ziegeln bis zu den feinsten glasirten Geschirren und den grössten Vasen, Formen, Stempel und Zierrathen aus Flintstein, Pfeilspitzen und Messer aus Obsidian, leider Alles in Bruchstücken; Scherben von Steingut, Porcellan und Glas, Bauornamente von behauenen Steinen, und eine grosse Menge Knochen der verschiedenartigsten Thiere. Señor del Cartillo, Professor der Zoologie an der Bergbauschule zu Mexico, der diese Knochen reste untersuchte, fand, dass dieselben von Bos Americanus, Pferden, Schafen, Lamas und Hirschen &c. herrühren, dass aber auch eine ganze Anzahl fossile seien. Wenn die Gelehrten zu Paris und im Smithsonian Institute diess bestätigen, so wird dadurch für die Geschichte des Menschen in Amerika ein ganz neuer Horizont eröffnet werden.

Die hier angeführten Fundstücke beweisen, dass Tula, nachdem es von den Tolteken verlassen war, wieder,

und wie es scheint, nach der Eroberung, bewohnt gewesen sein muss. Noch deutlicher geht diess aber aus der Thatsache hervor, dass der ursprüngliche Plan dieser Paläste wiederholt Veränderungen erfahren hat, theils durch Absperrung von Passagen, theils durch Nebenbauten, welche zu dem Ganzen nicht zu passen scheinen.

Der Plan der Gebäude, den ich aufgenommen habe, zeigt, dass dieselben in ihrer Bauart von allen anderen abweichen, die bisher entdeckt wurden.

Noch

Fortsetzung der Ausgrabungen in Teotihuacan. einmal befinde ich mich zu Teotihuacan und zwar in der Absicht, den Ort genau zu durchforschen und die Ähnlichkeit der dortigen Bauten mit denen zu Tula nachzuweisen. Ich begann die Arbeiten daselbst am 1. October. Von den vier Seiten des Gemeindeplatzes aus liess ich in der Richtung nach der Mitte desselben vier Einschnitte machen. Nur auf der Nord- und Westseite führten die Arbeiten zu befriedigenden Resultaten. Ich stiess dabei auf Gräber und zwar, wie ich anzunehmen geneigt bin, auf 12 von Kindern und 5-6 von Erwachsenen, denn ich kann mich dabei nicht nach den menschlichen Überresten richten, da von denselben nur die Asche übrig geblieben ist, sondern muss mein Urtheil nach den in den Gräbern befindlichen Beigaben, als Vasen, Urnen &c. abgeben.

Die Vasen sind sehr verschieden von denen zu Tenenepanco und Tula gefundenen. Sie kommen nicht häufig vor, sind aus schwarzem Thon gebrannt, und auf einigen befinden sich eingeschnittene Bildwerke. Sie sind gross, haben 6-8 Zoll Durchmesser an der Grundfläche, sind aber selten über 3-4 Zoll hoch; der Rand derselben ist ausgeschweift. Sie kommen gewöhnlich in Paaren vor; unglücklicherweise sind sie so alt und die daran befindliche Erde ist so hart und klebt so fest an, dass sie beim Loslösen derselben, trotz der grössten angewandten Vorsicht, in Stücke zerfallen. Von zwanzig dieser Vasen habe ich nur eine retten können.

Der 2. October war ein glücklicher Tag für uns. Am Morgen fand ich eine Menge interessanter Gegenstände: ein Beil von durchsichtigem Quarz, ein metate, um Werkzeuge zu schleifen, einige kleine Vasen, wiederum zwei Todtenurnen, von denen eine derjenigen Urne gleicht, welche die Reste der Kinderleiche enthielt, eine Anzahl malacates (Instrumente, welche man zum Spinnen gebrauchte), eine Anzahl Perlen oder Kugeln von einem Halsband und einen grossen Alabasterstein, der wie ein Grenzstein aussieht und das Beste von Allem: das Haus, welches ich suchte.

Den 3. October brachte ich damit zu, die Ruinen und die Umgegend zu durchschweifen. Mein Führer zeigte mir die grossen unterirdischen Kammern bei dem Dorfe St. Juan

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