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Das podolische Dniester-Gebiet.

Von Dr. Emil Ritter v. Habdank Dunikowski, corr. Mitglied der k. k. Geologischen Reichsanstalt.

Die Ruhe, der allgemeine Stillstand, den die Erdoberfläche einem unbefangenen Auge darbietet, ist nur scheinbar, denn streng genommen vergeht keine Secunde, ohne dass die Erde um ein bestimmtes Maass umgeändert würde. Seit den ersten Uranfängen des Erdballes wirken auf demselben die verschiedenartigsten Kräfte, deren Zusammenwirken seiner Rinde eine immer neue Gestalt, neues Relief verleiht, so dass die heutige Erdoberfläche nur als ein momentaner Ausdruck dieser fortwährenden Umänderung aufzufassen ist. Will man nun die Gestalt einer Landschaft verstehen und wissenschaftlich erklären, so muss man vor Allem ihre Zusammensetzung, ihre Vergangenheit kennen, man muss ferner über die Art und Natur der Kräfte, die in der Lithosphäre wirken, im Klaren sein; mit anderen Worten: der moderne Geograph muss die Elemente der petrographischen, dynamischen und historischen Geologie zum Ausgangspunkte seiner Betrachtungen machen.

Ich will daher versuchen, das podolische Dniester-Gebiet, das ich in einer Reihe von Jahren während meiner geologischen Reisen kennen zu lernen Gelegenheit hatte, auf solche Weise darzustellen, dass ich die geographischen Thatsachen vom geologischen Standpunkte aus betrachte und erkläre.

Der geologische Bau bedingt das landschaftliche Aussehen einer Gegend. Dieser Satz, der in den meisten Fällen seine Anwendung hat, kommt auch in Ostgalizien zur vollen Geltung. Wenn wir von Süd gegen Nord des genannten Landes eine Reise machen, so passiren wir die vier geologischen Elemente Ostgaliziens, die schon äusserlich wesentlich von einander verschieden sind.

Wir befinden uns zuerst an der ungarischen Grenze in den Karpathen. Lange, parallele, zusammengeschobene Bergrücken, deren einzelne Gipfel sich über 2000 m erheben, streichen in südöstlicher Richtung fort und werden von grossen Tannen- und Buchenwaldungen bedeckt. Sie bestehen vorwaltend aus Sandsteinen und Mergeln der Kreideund Tertiärformation, deren Schichten vielfach gestört: aufgerichtet, gebogen und verschoben sind. Es ist dasselbe Element, das unter dem Namen des,,Wiener Sandsteines" die nördlichste Hülle der Alpen bildet, bei Wien abbricht, sich dann in einzelnen Schollen in Nieder- Österreich und Petermann's Geogr. Mittheilungen. 1881, Heft V.

Mähren fortsetzt, bis es endlich in den Ostkarpathen zur riesigen Entwickelung gelangt, so dass die anderen alpin-geologischen Elemente ganz zurückgedrängt werden. Die äussere Gestalt der Karpathen entspricht auch vollkommen dieser geologischen Zusammensetzung. Man sieht hier weder kühne zackige Formen des Kalkgebirges, noch die bauchigen Kuppen der altkrystallinischen Massen; die Berge sind rundlich, die Böschungen sanft. Eine wellige bewaldete Ebene, deren Oberfläche aus Alluvien der Karpathenflüsse besteht, breitet sich in Norden vor den Karpathen aus. Wir befinden uns da in der Region der miocänen, Salz und Petroleum führenden Thone, die den Nordrand des Gebirges in einer vertical mächtigen Entwickelung begleiten, und deren Schichtung mit Ausnahme des knapp an den Karpathen liegenden vielfach gestörten Theiles, ganz sanfte Anti- und Synclinalen aufweist. Die wasserdichten Ablagerungen bewirken hier die häufige Versumpfung der Gegend, und die grosse Decke des alluvialen Geschiebes ist die Ursache der geringen Fruchtbarkeit des Bodens. Noch weiter im Norden erblicken wir wieder ein anderes Bild.

Ein fruchtbares, aber waldarmes Plateau von zahlreichen tiefen Schluchten und Thälern durchzogen breitet sich vor unseren Augen aus und erstreckt sich gegen Ost weit über die österreichische Grenze hinaus: es ist die Hochebene von Podolien.

Ihre Westgrenze ist bald erreicht. Die galizische CarlLudwig-Bahn, die von der Landeshauptstadt Lemberg nach Brody an der russischen Grenze führt, bezeichnet mehr oder weniger die podolische Abgrenzung und bildet beinahe genau die Wasserscheide zwischen dem Schwarzen und Baltischen Meere. Längs dieser Linie bricht das Plateau in einem Steilrand ab und die Gegend ändert wie mit einem Zauberschlage ihren Charakter.

Es erscheint eine grosse sandig sumpfige Niederung, die schon zum Weichsel-Gebiet gehört und von zahlreichen erratischen Blöcken aus nordischen Graniten, Syeniten und Dioriten bedeckt ist. Sie zeigt sowohl in der Fauna als auch in der Flora einen deutlich nordeuropäischen Charakter und ist auch in der That nichts Anderes als die Fortsetzung der norddeutschen Ebene.

Der Dniester-Fluss nähert sich beim Städtchen Mikołajow

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der podolischen Hochebene und bildet durch längere Zeit ihre Südwestgrenze, bis er endlich unter 42° 30' (östlich von Ferro) ganz in dieselbe eintritt und zum eigentlichen Plateauflusse wird. Von da angefangen bekommt er keine Karpathengewässer mehr, weil der resp. Theil des Gebirges schon zum Donaugebiete (Pruth, Czeremosz) gehört; es werden nunmehr von ihm nur die typischen Plateau- und Steppenflüsse, wie Lipa, Strypa, Sereth und Zbrucz zur linken Seite aufgenommen.

Betrachten wir zunächst das podolische Plateau.

Es ist ein merkwürdiges Bild, das dem Auge geboten wird, ein Bild, das sonst aus Süd- und West-Europa unbekannt ist. Wir sehen eine ungeheuere, sehr fruchtbare Ebene, die zum Theil cultivirt, zum Theil aber steppenartig mit üppigem Gras bedeckt sich weit gegen SO erstreckt, wo sie mit dem Horizonte verschmilzt. Während auf der nordgalizischen Tiefebene die Buche, ferner die Roth- und Weisstanne grosse Waldungen bildet, sehen wir in Podolien sehr wenig Wälder, und wenn sie auch stellenweise vorkommen, so sind sie fast durchgehends nur durch die Eiche vertreten. Zahlreiche tiefe Schluchten und Thäler mit senkrechten Böschungen durchziehen das Land, sie sind jedoch erst in der nächsten Nähe sichtbar, während sie in der Ferne verschwinden, so dass das Auge nur eine ununterbrochene Ebene zu sehen glaubt. Es gedeihen hier alle Getreidegattungen sehr gut, doch wird in den südöstlichen Theilen fast durchgehends nur der Kukurutz gepflanzt, wobei sogar die Weinplantagen nicht selten sind.

Der einförmige langweilige Anblick des Plateau's ändert sich stark, wenn wir in die Nähe der fliessenden Gewässer kommen. Sämmtliche podolischen Flüsse und Bäche bewegen sich in tiefen, bewaldeten, anmuthigen Erosionsthälern; durch die zerstörende Kraft ihrer Denundation wird das Plateau vielfach zerrissen und zerstückelt, man glaubt in diesem Gewirre von Kuppen, Sätteln und anderen Pseudo-Bergformen eine Gebirgslandschaft vor sich zu haben.

In diesen Erosionsthälern pulsirt auch das menschliche Leben: hier in der Tiefe liegen knapp nebeneinander sämmtliche Ortschaften verborgen, so dass man von der Höhe des Plateau's keine einzige menschliche Behausung erblickt, obwohl man meistens ein Panorama von mehr als 1000 qkm um sich hat.

Anders verhält es sich mit den Steppen. Sie bilden. weite, ganz ebene Flächen ohne fliessendes Gewässer und demnach auch ohne Einschnitte, sind stellenweise versumpft, meistens ganz uncultivirt und von üppigem Gras und Schilf bedeckt, in dem Schaaren von Trappen, Sumpfvögeln, dann und wann auch ein Steppenwolf Zuflucht finden. Die grössten galizischen Steppen liegen zwischen dem Serethund Strypa-Flusse, erreichen jedoch bei Weitem nicht die

Grösse der Steppen, die sich im nordöstlichen Theile von Russisch-Podolien ausbreiten. Das Plateau ist gegen SO leicht geneigt; in dieser Richtung nimmt seine Höhe, die am Westrande bei Tarnopol über 400 m beträgt, merklich ab.

Der Dniester-Strom fliesst in einem grossartigen Erosionsthale, dessen steile Wände stellenweise über 150 m hoch sind. Die absolute Höhe seines Niveau's beträgt bei Niżniow, wo er zum eigentlichen Plateaustrome wird, 192, bei Okopy an der russischen Grenze 107 m; berücksichtigt man dabei, dass die Länge des Stromes zwischen diesen beiden Punkten 228 km beträgt, so ergiebt sich daraus sein mittlerer Fall mit 0,373 m auf 1 km.

Die Luftlinie zwischen Niżniow und Okopy misst kaum 110 km; die grosse oben angegebene Länge des eigentlichen Flussbettes hat ihren Grund in den zahlreichen Windungen des Stromes, die ein eigenthümliches Aussehen haben. Nur dort, wo der Flusslauf ganz geradlinig ist, sind die beiden Uferwände hoch und steil, bei jeder Krümmung aber ist das convexe Ufer hoch und senkrecht, das concave aber niedrig und flach. Die Ursache dieser Erscheinung ist leicht zu ergründen. Nimmt man den ursprünglichen Dniester-Lauf auch als ganz geradlinig an, so muss man doch zugeben, dass der Stromstrich selten mit der Mittellinie des Flusses zusammenfällt; wenn er sich aber einem Ufer nähert, so wird dasselbe erodirt, der Fluss verlegt nach dieser Richtung hin seinen Lauf, während nun das frühere Bett die concave Seite der Krümmung bildet. Man kann auch in den meisten Fällen weit von der gegenwärtigen Krümmung das ehemalige Ufer in der Gestalt eines Steilrandes beobachten, was die Geradlinigkeit des ursprünglichen Dniester-Laufes ausser Zweifel stellt.

Das ist nun das allgemeine flüchtige Bild, das dem Beobachter schon auf den ersten Blick geboten wird, dessen Details aber erst aus der Betrachtung der geologischen Elemente klar werden.

Das erste, was in dieser Beziehung auffällt, ist die sehr regelmässige beinahe horizontale ungestörte Lagerung der Schichten, die in den Erosionsthälern zum Vorschein kommen. Je tiefer der natürliche Einschnitt eines podolischen Flusses, desto älter ist die von ihm aufgedeckte Formation, im Allgemeinen gilt aber die Regel, dass gegen Ost die älteren, gegen West die jüngeren Ablagerungen zur Entwickelung gelangen.

Die tiefste Schicht Podoliens, gewissermaassen die Basis des ganzen Plateau's, zeigt sich erst ausserhalb der österreichischen Grenze in Russland bei Jampol am Dniester in der Gestalt eines rothen Granites, der da terrassenförmige Schwellen (sogen. porohy) und demnach auch kleine DniesterKatarakten bildet. Er gehört zu dem grossen Systeme der südrussischen Granite, die über den Boh-Fluss nach Podolien

und Volhynien bis nahe an die österreichische Grenze herüberstreichen.

Diese altkrystallinische Felsart bildet nun die Basis, auf der die übrigen Formationen Podoliens ruhen. Zu unterst bemerkt man die paläozoische Gruppe in der Gesammtmächtigkeit von ca 200 m durch die Silur- und Devonformation vertreten. Die ältere, d. i. die Silurformation, zeigt sich nur in den Thälern des südöstlichen Plateautheiles, 43° 20' (östl. von Ferro), bezeichnet ihre Westgrenze. Es sind verschiedene Gesteine, die da unterschieden werden können. Die östlichsten und demnach auch die tiefsten Partien (nur in Russland sichtbar) werden durch versteinerungsleere Sandsteine vertreten, in Galizien sieht man bei Okopy gelbe Mergel, die mit bituminösen dunklen Kalken alterniren, in höherem Niveau graue Thonschiefer, endlich im Sereth-Flussgebiete grüne Schieferthone mit eingeschalteten Bänken von grauem marmorartigen Kalkstein.

Alle diese Gesteinsarten sind Ablagerungen des silurischen Urmeeres, dessen organisches Leben durch zahlreiche in den Schichten eingeschlossene Petrefacten demonstrirt wird. Da findet man vor Allem aus der Classe der Wirbelthiere die merkwürdigen Panzerfische, nämlich die Genera: Pteraspis und Scaphaspis, aus der Classe der Artropoden die längst ausgestorbene Ordnung der Trilobiten, so z. B. Calymene Blumenbachi, Bar.; Illaenus Barriensis, Murch.; Dalmania caudata, Em. &c.; ferner aus der Ordnung der Ostracoden die Leperditia baltica, Jon.; Beyrichia &c. Aus der Classe der Mollusken sind die Cephalopoden, nämlich die Orthoceratiten sehr häufig, ausserdem spielen die Brachiopoden-Genera: Orthis, Leptaena, Spirifer und Atrypa eine wichtige Rolle. Endlich sind da noch zahlreiche und schön erhaltene Korallen zu erwähnen, unter denen die Arten: Favosites gothlandica, Lin.; Cyathophyllum articulatum, Wahl.; Omphyma turbinata, Lin., die erste Stelle einnehmen. Diese und ähnliche Fossilien 1) ermöglichen, diese Ablagerung mit anderen analogen ausserpodolischen Bildungen zu vergleichen, woraus sich die Thatsache ergiebt, dass unsere Schichten der Wenlock- und zum Theil auch der Ludlowgruppe des englischen Silurs entsprechen und somit als ein oberstes Glied der Silurformation aufzufassen sind. Das podolische Silur keilt sich im Osten ganz aus, so dass bei Jampol eine viel jüngere Formation, nämlich die Kreide unmittelbar den Graniten aufliegt; ähnlich verhält es sich im Norden, und man kann erst in Livland, Kurland und Esthland analoge Bildungen wiederfinden. Die Silurformation Podoliens geht nach oben ganz langsam in das Devon über. Da das Devon jünger ist als das Silur, so lässt es sich natürlicher

1) Die Fossilien des podolischen Silurs sind bis auf die Wirbelthiere und Arthropoden (A. Alth, Abhandl. der k. k. Geolog. Reichsanstalt, Band VII), noch nicht genau beschrieben worden.

weise weiter gegen NW verfolgen als das letztere, im Sereth-Thale reicht es bis Tarnopol, im Dniester-Thale bis Niżniow. Es ist ein Zeitäquivalent des englischen,,Old red sandstone" und besteht hauptsächlich aus rothbraunen glimmerreichen Sandsteinen und Thonschiefern, die mit einander alterniren und bis auf Panzerstücke und andere Reste der Panzerfische ganz fossilienleer sind. Es ist eine auffallende Thatsache, dass die Silurformation Podoliens im Osten bedeutend höher liegt als im Westen, so sieht man z. B. im Sereth-Thale in der Höhe von ca 200 m das Silur wohl entwickelt, während das stellenweise nur 192 m hohe Thal des Strypa-Flusses noch immer das Devon zeigt. Diese Thatsache lässt sich gar nicht dadurch erklären, wenn man etwa annimmt, dass die Silurschichten vor der Ablagerung des Devons der Denundation ausgesetzt wären, es existirt nämlich gar keine Grenze, sondern nur ein allmählicher Übergang zwischen den beiden Formationen. Diese Erscheinung scheint in der SW-Neigung der Schichten ihren Grund zu haben.

Die Devonschichten geben der ganzen Landschaft ein eigenthümliches Gepräge: die Thalwände, die Einschnitte, die Felder &c., alles ist da roth, woher auch die vielen podolischen Orts-, Felder-, ja sogar Völkernamen (Rothreussen) mit dem Beiworte roth herzurühren scheinen.

Die devonischen Thonschiefer enthalten eine starke Beimengung von Eisenverbindungen, die bei höherer Oxydirung das leichte Verwittern und Zerfallen des Gesteines bedingen, während die compacten Sandsteine der zerstörenden Wirkung der Atmosphäre mehr Widerstand leisten. Diese Thatsache erklärt uns das landschaftliche Aussehen der Devonformation in den Erosionsthälern. Man sieht da steile Wände mit treppenartig hervorragenden rothen Sandsteinplatten, während dazwischenliegende Thonschieferschichten verwittern, herausfallen und die unteren Theile der Böschungen mit ihrem Material bedecken. Dieser rothe Devonsandstein wird überall in Ostgalizien sehr gern als Stiegen- und Trottoirmaterial verwendet und ist unter dem Namen des „Trembowlaer-Steines" bekannt, da die grössten Steinbrüche bei Trembowla am Sereth-Flusse vorkommen.

Je weiter man gegen SO schreitet, desto unbedeutender wird diese Formation, so dass sie endlich im Gebiete des Zbrucz-Flusses und in Russland vollkommen verschwindet und auf solche Weise die der Silurformation ganz analoge Erscheinung des Auskeilens gegen SO darbietet.

Die übrigen Formationen des paläozoischen, ferner die älteren der mesozoischen Periode fehlen in Podolien gänzlich. Erst der obere Jura zeigt sich in einem schmalen, 30 km langen Saume zwischen der Mündung des Lipaund Strypa-Flusses längs des Dniester-Thales. Es besteht aus graugelben dichten Kalksteinen und grauen Thonmer

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