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NOV 9 1931 11/9/31

Buchbruckerei der I. G. Cotta'schen Buchhandlung in Stuttgart und Augsburg.

Vorwort.

Die folgenden Beiträge zur Hermeneutik des römischen Rechts sind aus Vorlesungen entstanden, welche ich seit zwanzig Jahren in Tübingen und hier regelmäßig jedes Jahr gehalten habe. Sie bilden, sofern sie sich hauptsächlich auf die grammatische Auslegung beziehen, ein abgeschlossenes Ganze; ich behalte mir aber vor, in dieser Form das gesammte Gebiet der Hermeneutik des römischen Rechts zu erschöpfen und somit allmählig eine umfassende Darstellung dieser Wissenschaft zu geben. Sie ist jener Theil meiner Lehraufgabe, dem ich mich mit besonderer Vorliebe zugewendet habe. Für diese Vorliebe bedarf ich der Rechtfertigung nicht, gewiß nicht bei jenen Civilisten, welche auf das Quellenstudium einigen Werth legen. Sie werden die Ansicht theilen, daß nur wer der wissenschaftlichen Gewissenhaftigkeit entfagt, das Quellenstudium gering achten darf; jene und dieses gehen immer Hand in Hand.

Es ist freilich dahin gekommen, daß Manche heutzutage Geringschäßung der Hermeneutik zur Schau tragen und sich Wunder was dünken, wenn sie exegetische Willkühr soliden Grundsäßen der Auslegung substituiren. Wer es

unternimmt, die Rechtswissenschaft durch Anweisung zum unmittelbaren Anschluß an die Quellen zu fördern, er mag sich im Voraus darauf gefaßt machen, von dieser Partei unserer heutigen Juristen entweder ignorirt oder den unproductiven Köpfen beigezählt zu werden; er zieht sich das Mißfallen Derjenigen zu, die unter sich uneins, nur darin einig sind, daß sie die Brücke abtragen wollen, welche die Gegenwart mit der Vergangenheit verbindet. Von Solchen muß ich es mir gefallen lassen, wenn sie über meine Arbeiten als zwecklose Bestrebungen, einen veralteten Standpunkt zu behaupten, absprechen.

Manche glauben als „Juristen der Zukunft" das römische Recht selbst über Bord werfen zu dürfen. Dann bedarf es allerdings einer Hermeneutik desselben nicht mehr. So lange indessen noch die höchsten Gerichtshöfe, Juristenfacultäten und die mit ihnen verbundenen Spruchcollegien das römische Recht als gemeines deutsches Recht anerkennen, hat es keine Gefahr, daß die Ansicht von der Gemeingültigkeit desselben eine veraltete genannt werden dürfe, und so werden die Juristen der Gegenwart" immerhin den Juristen der Zukunft das Feld noch nicht zu räumen nöthig haben. Den leztern dürfen jedoch nicht bloß Jene beigezählt werden, welche unser gemeines Civilrecht ganz beseitigen wollen, um an seiner Stelle ein altes oder neues „nationales" selbst zu schaffen, sondern auch Diejenigen, die von einer Reception der römischen Rechts institute träumen, die Reception der Rechtssäße aber als Thatsache läugnen und sich deßhalb berufen glauben, für die recipirten Institute neue Rechtsfäße produciren zu sollen.

Wenn man solchen Galimathias liest, so wird man unwillkührlich zu befürchten verleitet, die Jurisprudenz sey in die Hände von Alchymisten gefallen, welche ihr Quecksilber in Gold zu verwandeln unternehmen, um daraus juristische Münze zu prägen und so sich selbst und Andere zu täuschen. In diesem Gebahren liegt zwar viel Phantasie, aber unendlich wenig Verstand. Wir sollen den römischen Kauf in Deutschland recipirt haben, aber nicht die römischen Normen über den Kauf, wie wenn man leştere vom erstern bei der Reception abgestreift hätte, wie wenn man nicht von jeher in Deutschland gekauft und verkauft hätte! Seit der Reception des römischen Rechts aber hat man das Institut unter die Herrschaft der römischen Rechtsvorschriften gestellt. Wie vollends kann man die Reception des römischen Rechts zugeben und gleichwohl die Reception in complexu läugnen? Wer dafür einen Beweis fordert, der würde ihn bei gutem Willen in eben den Thatsachen finden, welche als Beweis für die gewohnheitsrechtliche Reception angeführt werden. Wenn Kaiser Ludwig schon 1342 be= kennt und öffentlich kund thut, „daz man an unserm Hofgericht furbas allermenniklich richten sol nach unser Vorvarn Kunigen und Keisern Geseßen, und geschriben rechten“, und wenn nach der Kammergerichtsordnung von 1495 der Kammerrichter und die Beisiger schwören sollen nach des Reychs gemainen Rechten. . zu richten", wo ist hier eine Unterscheidung zwischen Rechtsinstituten und Rechtssäßen zu finden? Die „geschriben Rechte“ und „Geseße“ sind ohne alle und jede Destinction gemeint; nach ihnen sollen die Rechtshändel entschieden werden.

Was aber das „Recht der Wissenschaft“ betrifft, so

ist mit diesem verschwommenen Begriff seit einer Reihe von

Jahren unendlicher Mißbrauch getrieben worden. Soll von

einem „Juristenrecht“ gesprochen werden, so darf dieß doch

nimmermehr ein von den Juristen, von der Wissenschaft ge-

machtes Recht seyn; weder die Wissenschaft noch die Praxis

macht Recht, sondern beide können nur bezeugen, daß etwas

Recht ist. Der Jurist, sey er Theoretiker oder Praktiker,

hat das Recht zu finden, aber nicht zu schaffen und wenn

er es findet, so ist seine auf diesen Zweck gerichtete Arbeit

nicht eine unproductive oder, wie man jezt sagt, bloß recep=

tive; sie bringt das Vorhandene in die Form des Gedan-

fens, oder fie befreit den Gedanken, der bis dahin verbor-

gen lag, von der Hülle, die ihn umkleidete, und schafft

ihm ein neues weites Feld der Anwendung, fie reconstruirt

den Gedanken, sey er wie immer ausgesprochen und macht

ihn so zum eigenen Gedanken. Was über das Alles hinaus-

geht, das hat der Jurist andern Kräften, der Gesetzgebung

und der langsam aber sicher schaffenden Kraft zu überlassen,

die man nun einmal Gewohnheit zu nennen für gut be-

funden hat. Schaffen die Wissenschaft und die Praxis neues

Recht, so können sie es nur, sofern sie die Requisite des

Gewohnheitsrechts an sich tragen.

Wer mit uns in dieser Auffassung der Jurisprudenz

einverstanden ist, der wird es denn auch zu würdigen
wissen, wenn man neuerlich die Geseßauslegung als die
absolut niedrigste Stufe aller rechtswissenschaftlichen Thätig-
keit bezeichnet hat. Wir erklären diese Bezeichnung als ein
Zeugniß für die Ueberhebung über den Beruf des Juristen,

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