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Wenden wir uns jetzt zur näheren Betrachtung der einzelnen Werke Vergils.

1) Eclogae. Die 10 Gedichte, welche spätere Grammatiker eclogae, d. h. ausgewählte Lieder gleichen Inhalts nannten, unter welchem Namen Vergil selbst sie veröffentlicht hat, wissen wir nicht, gehören der bukolischen Dichtart an. Erfinder und Vollender dieser Dichtart war der Sicilier Theokrit, der einige Zeit zu Alexandria am Hofe des Ptolemäus Philadelphus (285-246 v. Chr.) lebte, später aber unter Hieros II. Regierung (269-215 v. Chr.) nach Syrakus zurückkehrte. Unter den Griechen fand er an Bion und Moschus Nachahmer. Von den Römern versuchte es mit Erfolg zuerst Vergil, in seine Fußstapfen zu treten. Er fühlte sich durch seine Idyllen angezogen; es sprach ihn darin das warme Gefühl für Naturschönheiten und die schöne Zeichnung des einfachen und natürlichen Lebens der Hirten an: und hierin suchte er seine Gedichte denen des Griechen ähnlich zu machen. Daher finden wir auch in den sieben älteren Eklogen in hohem Grade jene Naturwahrheit wieder, welche den Idyllen des Theokrit einen unvergänglichen Wert giebt. Scharfe Zeichnung der Situation, Wahrheit und Kraft der Empfindung, lebhafte Führung des Gespräches, schalkhafter Witz und gesunde Beobachtung verleihen ihnen Reiz und Anmut. Aber Anspielungen auf bedeutende Zeitereignisse und überaus gewählte Wendungen in der Unterhaltung der Hirten zeigen, dafs der Dichter dieser Gesänge noch etwas anderes bezweckt hat, als naturgetreue Schilderung des Landlebens, und zahlreiche Anklänge an das griechische Original verraten uns, dafs er nicht dem Fluge seiner Phantasie gefolgt, sondern durch sorgfältige Lektüre, bei der er sein Talent für poetische Anempfindung und Nachbildung erprobte, zur bukolischen Dichtung geführt ist. Allein schon in diesen ersten Versuchen übertraf er durch die Prägnanz und Fülle des Ausdrucks die Diktion der älteren Dichter. Sie erregten die Aufmerksamkeit der Kenner und verschafften dem Verfasser die Gunst der Machthaber, welche imstande waren, ihn vor den Gefahren des Bürgerkrieges zu schützen; jedoch erkannte er bald, dafs der Bewunderung der Form das Interesse für den Inhalt nicht gleichkam. Er suchte daher das Gebiet der Idylle zu erweitern. Während er die Personen und Wendungen des bukolischen Liedes beibehielt, wählte er zum Gegenstande seiner Dichtungen Themata von höchster, litterarischer und nationaler Bedeutung. So wurde er der Schöpfer der allegorischen Idylle. Mag man über den Wert dieser Dichtungsart urteilen, wie man will, jedenfalls muss man aner

kennen, dafs er der neuen Kunstgattung durch die geistreiche Verbindung einer einfachen Form mit einem tieferen Inhalt und durch die aufserordentliche Schönheit seines Ausdrucks eine Stellung in der Litteratur, nicht nur der Römer, gesichert hat.

2) Die Georgica. Wie Vergil zu der Vollendung der Eklogen durch Asinius Pollio veranlasst wurde, so erhielt er durch den Maecenas den Anstofs zu der Dichtung der Georgica, s. G. III, 41; wie er in den Eklogen geschickt ein begeistertes Lob seiner Freunde und Gönner anzubringen wufste, so verherrlicht er in den Georgica den Maecenas und den Octavianus; wie sich in den Eklogen ein offener Sinn für die Reize der Natur und des ländlichen Stilllebens ausspricht, so offenbaren die Georgica des Dichters Vorliebe für das Landleben und die ruhigen Beschäftigungen des Landmanns. Aber einen Fortschritt des Dichters zeigen die Georgica im Vergleich mit den Eklogen in zweifacher Beziehung einmal zeigt die Sprache nichts mehr von dem in den Eklogen noch bisweilen sichtbaren Ringen mit dem Gedanken, sondern bekundet überall die sichere Hand des Meisters; sodann tritt Vergil in den Georgica selbständig auf, während er in den meisten Eklogen Anlage und Ton dem Theokrit nachzubilden sucht. Viele der in den Georgica behandelten Gegenstände waren schon von griechischen Dichtern, von Hesiodus in den Έργα καὶ Ἡμέραι, von Aratus in den Φαινόμενα καὶ Διοσημεῖα, von Eratosthenes im Ἑρμῆς, von Nikander in den Θηριακά, Αλεξιφάρμακα und Γεωργικά behandelt; doch kennen wir keinen, der das Gebiet der Landwirtschaft in dem Umfange, den Vergil seinem Lehrgedicht gegeben hat, bearbeitet hätte; und wenn Vergil G. II, 176 sein Gedicht ein Ascraeum carmen nennt, so will er damit keineswegs eine Nachahmung des Hesiodus (ansässig in der böotischen Stadt Ascra) andeuten, sondern nur sagen, dass, wie Hesiodus unter den Griechen zuerst Regeln und Vorschriften über Ackerbau und Landwirtschaft gab, so er in den beiden ersten Büchern seiner Georgica unter den Römern zuerst (G. II, 175, sanctos ausus recludere fontes) diesen Gegenstand dichterisch in Prosa hatten bereits Cato und Varro darüber geschrieben-behandelt habe. Vielleicht trug auch gerade die freie, durch kein ängstliches Bestreben, mit einem griechischen Vorbilde zu wetteifern, gebundene Bewegung wesentlich zu der hohen Vollendung bei, die den Georgica in solchem Mafse zuzuschreiben ist, dafs Bernhardy sie die glücklichste Leistung des Altertums im Lehrgedicht nennt und urteilt, dafs die Kunstpoesie der Alten ihm weder in Adel der Gesinnung noch in

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Wohllaut der Rhythmen und Milde des Ausdrucks ein anderes an die Seite stellen könne. Der glückliche Takt des Dichters zeigt sich in diesem Werke besonders in der Anlage, in der Verteilung und in der Behandlung des Stoffes. Dadurch, dafs Vergil die ganze italische Landwirtschaft zum Vorwurfe seines Gedichtes machte, hat er sich selbst die Beschränkung aufgelegt, zur Bewältigung eines so gewaltigen Stoffes und zur Vermeidung der Ermüdung seiner Leser über manche Punkte schweigend oder nur andeutend hinwegzugehen; den Stoff aber hat er geschickt so verteilt, dafs er von den niedrigsten zu immer höheren Entwicklungsstufen der Natur fortschreitet: denn indem er im ersten Buche den Ackerbau, im zweiten die Baumzucht, im dritten die Viehzucht und im vierten die Bienenzucht behandelt, gewinnt er von Buch zu Buch einen interessanteren und dankbareren Stoff, dem er durch die überaus glücklich verteilten Episoden, die von Buch zu Buch einen gröfseren Umfang erhalten, und durch alle Mittel der poetischen Ausschmückung noch grösseren Reiz zu geben gewufst hat. Verleihen diese Vorzüge dem Werke einen bleibenden Wert, so mufste es für die Römer noch eine besondere Anziehungskraft durch die in der Wahl des Gegenstandes sich aussprechende echt vaterländische Gesinnung des Dichters erhalten; denn da der Ackerbau in den besseren Zeiten der Republik von den Römern hoch geschätzt wurde, so mufsten sie in dem Werke des Dichters das rühmliche Streben erkennen, diese zu seinen Zeiten vernachlässigte Beschäftigung wieder zu Ehren zu bringen.

3) Die Aeneis. Auf den Ruhm, den Vergil in den Georgica für sich in Anspruch nahm, das Gebiet der römischen Poesie durch die Bearbeitung eines neuen Feldes erweitert zu haben, musste er in seiner Aeneide verzichten, denn schon manche Römer vor ihm hatten sich im Epos versucht; ja, es galt hier, hochgefeierte Dichter zu übertreffen. Die römischen Epiker vor Vergil zerfallen in zwei Klassen, von denen die eine sich, wie Livius Andronicus, in Stoff und Form an die Griechen anschliefsend den troischen Sagenkreis ausbeutete, die andere nur die Form der Homerischen Epen im Auge behielt, sonst aber gehoben und erfüllt von den Grofsthaten der Römer durchaus römische Stoffe zum Gegenstande ihrer Dichtung machte. So hatte der altertümliche Cn. Naevius in Saturnischem Versmafs den ersten punischen Krieg, in dem er selbst mitgefochten hatte, besungen; so hatte Ennius in seinem grofsen, aus 18 Büchern bestehenden historischen Gedichte, Annales betitelt, die ganze römische Geschichte von der Landung des Aeneas in Italien an bis auf seine Zeiten (Ennius

starb 169 v. Chr.) in grofsartigem Römersinne behandelt. Diesen Beispielen folgend hatten andere Römer es versucht, einzelne Abschnitte der römischen Geschichte episch zu hehandeln, oder sich ganz der annalistischen Form des Ennius angeschlossen. Waren die Gesänge des Naevius und Ennius, wie sich aus den erhaltenen Resten erkennen läfst, weiter nichts als versificierte Geschichte, so scheinen auch ihre Nachfolger, von deren Werken sich fast nichts erhalten hat, über diesen Begriff des Epos nicht hinausgekommen zu sein. Der Ruhm, unter den Römern das Wesen des Epos zuerst richtig erkannt zu haben, gebührt dem Vergil. Wohl fesselte auch ihn der schon durch die rauhen Klänge an die kräftige Vorzeit erinnernde Ton des Naevius, wohl rifs auch ihn der grofsartige, durch die edelste Begeisterung für die Grofsthaten der Römer erzeugte Schwung des Ennius hin, aber doch konnten seinem höheren Kunstverständnisse die Vorzüge des Homer nicht verborgen bleiben, und seinen reineren Geschmack mufste die rohe Gewalt, welche seine Vorgänger der Sprache angethan hatten, aufs tiefste verletzen. Als er sich daher zu einem Epos entschlofs, da setzte er sich das höchste Ziel und wollte ein Werk liefern, das zur Verherrlichung des Römertums mehr beitragen sollte, als das Bellum Punicum des Naevius und die Annales des Ennius, in Anlage und Durchführung aber die Vorzüge der Ilias und Odyssee vereinigte. Darum wählte er den Trojaner Aeneas, dessen Landung in Latium schon von seinen Vorgängern besungen war, zum Helden seines Epos; denn in seiner durch die Sage verherrlichten pietas und virtus fand er den Grundtypus des Römercharakters vollständig ausgeprägt. Dabei bot ihm die Form, welche Homer dem Epos gegeben hatte, alle Mittel (Prophezeiungen, Gang in die Unterwelt u. s. w.), die Gröfse des zur Weltherrschaft bestimmten Römervolkes im allgemeinen, wie in seinen Haupthelden zu verherrlichen. Dazu kam, dafs die Wahl des Aeneas, in dessen Sohn lulus das Julische Geschlecht seinen Stammheros verehrte, dem Dichter die passendste Gelegenheit gab, auf Octavian als den Mann hinzuzeigen, der vom Schicksal auserkoren sei, die Gröfse und Hoheit des Römernamens ihrem Gipfel zuzuführen und durch Beendigung der Bürgerkriege die Römer ihrer Weltherrschaft froh werden zu lassen. Benutzte der Dichter endlich die Lokalität der gewählten Handlung, um sein beschreibendes Talent in Ausmalung von Gegenden, die allen Römern bekannt und wert waren, zu bewähren, und die Zeit, in welche er sein Epos verlegte, um den Ursprung berühmter Geschlechter in die graue Vorzeit zurückzu

leiten, dieselben in ihren Ahnherren zu ehren, und römischen Sitten und Gebräuchen in jener troischen Zeit ihren Ursprung und damit ehrwürdigen Charakter zu geben, so durfte er hoffen, seinen Römern ein von echt vaterländischer Gesinnung getragenes Epos zu schaffen, auf das sie mit eben solchem Stolze blicken könnten, wie die Griechen auf die Gesänge ihres Homer.

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Indem nun Vergil den Aeneas besingen wollte, führte ihn das Schicksal seines Helden zur Einteilung seines Stoffes in zwei Hälften, von denen die eine die Irrfahrten des Aeneas, die andere seine Kämpfe um den Besitz des ihm vom Schicksal angewiesenen Latiums umfasste, und somit zur Nachahmung der Odyssee in jenem, der Ilias in diesem Teile. Während er in der ersten Hälfte seinen Stoff meist aus den griechischen Epikern, welche den troischen Sagenkreis in seinem ganzen Umfange bearbeitet hatten, zog, fand er in der zweiten vielfache Gelegenheit, von seiner Belesenheit in der römischen Litteratur Gewinn zu ziehen; denn das meiste von dem, was Vergil über die Kämpfe des Aeneas in Latium und von den hier bereits ansässigen Völkerschaften erzählt, ist nicht des Dichters Erfindung, sondern Resultat der Forschungen, welche besonders der ältere Cato in den Origines (s. Nep. Cat. c. 3) und der gelehrte, 27 v. Chr. gestorbene Altertumsforscher Varro in vielen Schriften (z. B. den libris antiquitatum rerum humanarum, de vita populi rom., gente pop. rom., de familiis troianis cet.) angestellt hatten. Offenbar war daher Homer in Bezug auf den Stoff im Vorteil gegen Vergil; denn während der trojanische Krieg im Munde des griechischen Volkes lebte und die Helden desselben durch die Sage schon zu scharf ausgeprägten Charakteren gestaltet waren, kannten wohl fast nur gelehrte Altertumsforscher die Sage von den Irrfahrten und Kämpfen des Aeneas, und es galt jahrelanges Studium und mannigfache Kombinationen, um Ordnung und Zusammenhang in Notizen, die sich vielfach widersprachen, zu bringen. Um so mehr mufs man das Talent des Vergil bewundern, der es verstand, den verworrenen und widerstrebenden Stoff zur Einheit eines abgerundeten Epos zu verarbeiten, und man wird, zumal wenn man bedenkt, dafs er durch den Tod verhindert wurde, die letzte nachbessernde Hand an sein Werk zu legen, es ihm gerne nachsehen, dafs er in manchen Punkten, besonders in dem Interesse, das der Hauptheld erweckt, sowie überhaupt in der Charakteristik, sein grofses Vorbild, den Homer, nicht erreicht hat.

Auch in seiner Darstellung zeigt sich bei aller Nachahmung

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