Page images
PDF
EPUB

Siebentes Capitel.

Literal contrak t. 1

Die Literalobligation ist nicht etwa eine eigenthümliche Vertragsurkunde oder ein selbständiger Contrakt, sondern das Grundwesen derselben besteht in dem Eintragen eines Postens in das Hausbuch, wie man in der neueren Zeit allgemein anerkannt hat. Jeder Römer führte für alle Einnahmen und Ausgaben sein Hausbuch, codex, aus mehren tabulae bestehend (Sen. de brev. vit. 13.), darum sowohl tabulae als codex expensi et accepti genannt, Cic. p. Rosc. C. 1. 2. 3. Verr. II, 76. 2 Im Buche selbst waren zwei Rubriken, für Einnahme, acceptum, und für Ausgabe, expensum, wie Plin. h. n. II, 7. klar sagt: utramque paginam facit. 3 Dieses Buch haben wir uns nicht als ein Conto

1 Brisson., de formul. VI, c. 109. Salmas., de usur. c. 6. 17. und de modo usur. c. 10 f. (heftig getadelt von D. Herald., obss. iur. Att. et Rom. Paris 1650. c. 11 f.). Sigon., de iudic. I, 5. Menard., ad Cic. p. Rosc. Com. Gundlingiana, XL, Halle 1727, p. 410–444. Heinecc., synt. p. 581-587. L. Harscher v. Almendingen, in Grolmans Magaz. I, p. 319 -336. II, 178 ff. 213 ff. E. Gans, Scholien, p. 419-427. v. Savigny, in Abh. der Berl. Akad. 1818, p. 289-306. und verm. Schr. I, p. 205 -261. System V, p. 527 ff. A. Z. Hanlo, de nom. obl. Amst. 1825. N. München, Cic. or. p. Rosc. Com. Col. 1829, p. 15-30. A. Wunderlich, de ant. lit. obl. Gott. 1832. Walter, R G II, p. 215 ff. Cic. p. Rosc. C. ed. Schmidt. Jen. 1839, p. 14-21. und Rec. von Huschke, in krit. Jahrb. 1840, p. 481-499. Keller, in Sell, Jahrb. Braunschw. 1841, I, p. 93-115. H. Schüler, die Lit.-Obl. Bresl. 1842. Schilling, p. 317-327. Danz, R. G. II, p. 109–121. H. R. Gneist, die form. Verträge. Berlin 1845, p. 321-514. Heimbach, v. Creditum, p. 309-370. E. Pagenstecher, de lit. oblig. Heidelb. 1851. Einert, Wesen u. Form d. Literalcontr. in Tauchnitz Zeitschr. Leipz. 1852, XI, p. 1--102.

Andere Bezeichnungen sind: tabulae schlechtweg, Cic. p. Cael. 7. Verr. I, 23. p. Rosc. C. 1. 2., commentarius, Cic. ad Att. VII, 3., codex, Cic. p. Rosc. C. 2., domestica ratio. Ps. Asc. Verr. p. 175. und literae domesticae rationis, ibid. p. 176 Or., codex rationum (von einem Bankier), Dig. II, 13, 1. 10. §. 2., auch breviariae rationes, Dig. XXXIII, 8, 1. 26. Ps. Asc. p. 175.

Diese Stelle lässt die Meinung derer geradezu als verwerflich erscheinen, welche annehmen (Schüler, p. 27. Heimbach, p. 362 ff.), dass die Einnahme- und Ausgabeposten untermischt in einer Reihe nach der chronologischen Aufeinanderfolge eingetragen worden wären, indem sie nur die Zahlenreihen des acceptum und expensum von einander

correntbuch zu denken, sondern als ein Cassabuch des Hausvaters, welches in chronologischer Ordnung alle Einnahmen und Ausgaben des Inhabers enthielt und welches, wenn man die beiden Reihen der Einnahme und Ausgabe summirte und mit einander verglich (Bilance), den Cassenbestand angab. 2

trennen. — Auf diese beiden Paginae deutet Cic. p. Caec. 6. in den Worten expensa lata und accepta relata, auch p. Font. 2. Verr. I, 36. und Dig. II, 14, 1. 47. §. 1. ratio accepti atque expensi. Bei Cic. or. 47. tab. accepti ist nur die eine pagina gemeint.

Ein solches stellt die obligatorischen Verhältnisse des Schreibers mit jeder einzelnen Person dar, dergestalt, dass für jede Person, mit welcher der Inhaber in geschäftlicher Verbindung steht, eine besondere Seite mit 2 Abtheilungen (Haben und Soll) bestimmt ist. Das Zusammenziehen der einzelnen Posten und jeder Abtheilung und das Vergleichen der beiden Columnen (Bilance ziehen) ergiebt den Saldo, welchen der Inhaber oder die andere Person gut hat oder schuldig ist. Ein solches Institut passt aber nur für grosse Kaufleute, nicht für jeden Hausvater, auch zeigt expensum und acceptum auf ein Cassabuch hin. Darum ist diese Erklärung (von Niebuhr, zu Cic. p. Font. 2. Unterholzner, p. 259. Beier, zu de offic. II, p. 432. Kraut, de arg. p. 92 f. Wunderlich, p. 20.) zu verwerfen und nur so viel zuzugeben, dass alle Bankiers und Wechsler dergleichen Contocorrentbüchern neben ihren Cassabüchern hatten.

2 Dieses machte zuerst vorzüglich Keller klar, dessen Erklärung v. Savigny billigt, verm. Schr. I, p. 238 ff., im Wesentlichen auch Heimbach, p. 358. Ueber die Details der inneren Einrichtung ist uns aber vieles unklar. Wir wissen nur, dass es heilige Pflicht war, die Bücher mit der grössten Gewissenhaftigkeit zu führen, Cic. p. Rosc. C. 2. Verr. I, 23. p. Clu. 30. und nicht eingetragene Summen (pecuniae extraordinariae, Cic. p. Font. 3. p. Rosc. C. 1.) bezeichnet Cicero als schimpflich, weil man voraussetzte, dass man nur bei unmoralischem Gewinn oder unmoralischen Ausgaben zur Verschweigung dieser Posten Veranlassung hätte, Cic. Verr. I, 23. 39. Huschke, Rec. p. 488 f. Heimbach, p. 363 f. Bei dem Eintragen der Posten war ein besonderer ordo (d. h. chronologische und wahrscheinlich auch sachliche Reihenfolge) zu beobachten, wie sowohl der Ausdruck extraordinarius zeigt, als Cic. p. Rosc. C. 2. quid attinet codicem instituere, conscribere, ordinem conservare, und illae (tabulae) in ordinem confectae. 3. cum ceteru nomina in ordinem referebas, was identisch ist mit cetera nomina in codicem ace, et exp. digesta habes. Verr. III, 75. Omnia ordine reluta atque confecta. Der ordo wurde befolgt, wenn man, wie es in der Regel geschah, alle Monat die Posten aus dem Brouillon (Kladde, Strazze) adversaria, in das Hauptbuch hinübertrug. Cic. p. Rosc. C. 2 f. quid est quod negli genter scribamus adversaria? quid est quod diligenter conficiamus_tabulas? quia haec sunt menstrua, illae sunt aeternae; haec delentur statim, illae

Bei jedem Posten war das Datum angegeben (Cic. Verr. II, 77. ex consulum mensiumque ratione 76. I, 10. 23. vgl. Dig. II, 13, 1. 1. §. 2. rationes cum die et consule edi debent 1. 4 pr. 1. 6. §. 6.), ferner die Person, von der man empfangen oder welcher man gegeben hatte und davon hatte der ganze Posten den Namen nomen empfangen, s. v. a. Personaleintrag. Ps. Asc. Verr. I, 10. §. 28. p. 165. Or. (tituli debitor). Neben der Bezeichnung der Summe durfte auch der Grund nicht fehlen, warum man gegeben oder erhalten hatte. 2

[ocr errors]

servantur sancte; haec parvi temporis memoriam, illae perpetuae existimationis fidem et religionem amplectuntur; haec sunt disiecta, illae in ordinem confeciae cett.

[ocr errors]

1 Nomen 1) Posten sowohl auf der einen als auf der anderen Seite, Cic. p. Quinct. 4. 11. p. Rosc. C. 1. Darum heisst nomen facere ganz allgemein vom Creditor und Debitor Posten eintragen, Cic. de off. III, 14. (vom creditor). Verr. II, 76 f. (vom debitor). Verr. I, 36. p. Rosc. C. 1. refert nomina in codices. ad Att. XIII, 14. (Anspielung). Dig. XV, 1, 1. 4. §. 1. Ueber nomen facere im engeren Sinne als Schliessung einer Literalobligation, s. unten. Zuweilen ist die Bedeutung zweifelhaft. Auch scribere und perscribere nomen ist ganz allgemein gesagt, Cic. p. Rosc. C. 1. Vgl. Dig. XXVI, 7, 1. 9. §. 7 2) Eingeschriebenes Darlehn (Liv. XXVI, 36.) und allgemein jede beliebige Schuldforderung, Cic. ad Att. V, 21. VI, 2. XII, 47. 51. XIII, 3. 29. XIV, 18. Colum. I, 7. Petron. 117. Daher nomen explicare, solvere, persolvere, expedire, reddere, die Schuld abtragen, Cic. p. Planc. 28. ad Att. VI, 2. XIII, 29. XVI, 6. Sen. de const. sap. 13. Dig. XIV, 6, 1. 1 pr. XXX, 1, 1. 44. §. 5. XXXII, 1, 1. 59. in nomine oder nominibus collocare Dig. XXVI, 7, 1. 58. §. 3. XXXV, 2, 1.89., nomina vendere (Schuldforderungen verkaufen) Dig. XVIII, 4, 1. 4. 6. 1. 14 pr. 1. 17., in nominibus habere Dig. XL, 7, 1. 40. §. 8. oder quae in nominibus sunt im Gegensatz zu den anderen Vermögensstücken oder auch zu dem baaren Geld, Cic. Top. 3. Quint. V, 11, 33. Dig. XXIX, 2,1. 37. XXVII, 9, 1. 5. §. 9. S. Schilling, p. 324 f. Heimbach, Cred. p. 338 ff. Heumann, Handlex. Nomen. 3) Niemals heisst nomen s. v. a. Schuldschein, wie mehre Erklärer zu Hor. sat. I, 2, 16 f. nomina sectatur cet. und ep. II, 1, 105. cautos nominibus rectis expendere nummos. behauptet haben. An der ersten Stelle heisst es: Fufidius jagt nach den Schuldposten Unmündiger, die er gern eintragen möchte, d. h. er sucht sie zu seinen Schuldnern zu machen. Die zweite Stelle ist zu erklären: Vor Alters war es Sitte Geld hinzugeben, welches gesichert war durch ordentlich und regelmässig eingetragene Posten, d. i. durch richtige Buchung. Die nähere Nachweisung s. in Berlin. Zeitschr. f. Gymnas. VII, 4, p. 299 f.

Cic. Verr. I, 57 fin. p. Font. 3. ratio literarum confectioque tabularum habet hanc vim, ut ex acceptis et datis quidquid fingatur aut surri

Nach diesen allgemeinen Grundzügen wenden wir uns zu dem Besonderen. Es ist unzweifelhaft: I. dass alle baaren Einnahmen und Ausgaben eingetragen wurden: A) Einnahme auf der Seite des Empfangenhabens (acceptum), Dig. XXXIII, 2, 1. 32. §. 4., z. B. die zurückgezahlten Capitalien und eingenommenen Zinsen, Plin. ep. II, 4. Dig. XVII, 1, l. 22. §. 8. II, 5, 1. 38., erhaltene Erbschaften, Dig. XXXII, 1, 1. 29. §. 2., die Revenuen des Grundbesitzes, Dig. XXXII, 1, 1. 91. §. 3. XL, 7, 1. 40 pr., die Miethgelder von vermietheten Häusern und Bädern (pensiones, mercedes), Dig. XXXII, 1, 1. 91. §. 4. und 6., Geld für verkaufte Gegenstände, Cic. Verr. IV, 6. 12., baar empfangene Geschenke (Cic. Verr. I, 39., Bestechungsgelder), Darlehn und Schuldposten aus beliebigen obligatorischen Verhältnissen, welche man dem debitor gut schreibt, Dig. XXXIII, 8, 1.26. B) Die Seite der Aus

piatur aut non constet appareat etc., nemlich die Hausbücher der Personen, welche mit Fonteius in Beziehung auf Staatsgelder zu thun gehabt hatten, sollen dessen Unschuld darthun, was aber nicht möglich wäre, wenn die Posten nicht genau detaillirt gewesen wären. Allzugrosse Kürze der Angaben galt für verdächtig, Cic. Verr. I, 14., auch später vorgenommene Radirungen und Correkturen, Cic. Verr. II, 76. I, 36. Wenn aber ein Posten erst später eingetragen werden konnte (z. B. bei streitigen Abrechnungen mit einer Person), so pflegte der Hausvater, um dem Vorwurf unordentlicher Buchführung oder dem crimen extraordinariae pecuniae zu entgehen, der Nota vorzumerken A. F. P. R. oder A. G. P. R. ante factum (oder gestum) post relatum, Cic. de or. II, 69. Front. ep. I, 5. Huschke, in Zeitschr. f. Civilr. u. Proz. N. F. XIV, p. 1-17.

1 Acceptum ferre und referre hatte einen doppelten Gebrauch. Es bezeichnete theils die Handlung des Gläubigers, wodurch er die ihm zurückgezahlte Schuld eintrug und somit als erloschen bezeichnete (z. B. Cic. p. Caec. 6. Plin. ep. II, 4.), als auch die des Schuldners, welcher das Schuldcapital als empfangen einschrieb, Liv. XXVI, 36. ut nec triumviri accipiundo nec scribae referundo sufficerent (Triumviri und Schreiber hatten alle Hände voll zu thun, jene mit Annahme, diese mit Eintragung der geliehenen Gelder). Den Gesetzen der Sprache nach konnte acceptum ferre nur heissen das Empfangene eintragen, acc. referre aber das Zurückempfangene, das schon einmal Eingeschriebene eintragen, also war Letzteres passender für den befriedigten Gläubiger, welcher die Schuld löschte, Ersteres für den Schuldner, welcher den Empfang in seinem Buche gleichsam bescheinigte. Vgl. Menard, Gundling, Wunderlich, p. 21., Schmidt, p. 37., Huschke, p. 493. Doch wird der Sprachgebrauch nicht immer genau beobachtet, so steht Plin. ep. II, 4. ferun

gabe (expensum) umfasste alle möglichen Baarausgaben, wie bezahlte Kaufgelder, Cic. Verr. I, 23. V, 19., gemachte Geschenke, Cic. p. Clu. 12. ad Att. II, 4. (sogar Bestechungsgelder, Cic. Verr. I, 49.39. p. Clu. 30. vgl. p. Flacc. 19. Verr. II, 7., p. Clu. 14.), getilgte Schulden, bezahlte Zinsen und ausgeliehene Capitalien (nomina arcaria, d. h. die ex arca, aus der Casse, also baar gegebene Darlehn, welche als Beweis der gemachten Zahlung 1 ebenfalls gebucht werden. Mit diesen hängen die Calendaria zusammen). 2

tur accepta (statt ref.), Dig. XXXII, 1, l. 29. §. 2. retulisset (statt tulisset), Liv. XXVI, 36. u. s. w.

Es konnte daher Gai. III, 131 f. mit Recht sagen: in his (nom. arcar.) enim rei (oder rerum statt rebus, was der Cod. hat), non lit. obl. consistit - arcaria nomina nullam facere obligationem, sed obligationis factae testimonium praebere. Liv. VI, 20. quibus sine fenore expensas pecunias tulisset, d. h. denen er ohne Zins Geld vorgestreckt hatte, XXXV, 7. ut in socios nomina transcriberent, d. h. dass man das Darlehn als an socii gemacht eintrug, Cic. Verr. II, 70. 86. ad Att. X, 15. cui expensum tulerit. scheint auch ein gewöhnliches Darlehn zu verstehen zu seyn; desgleichen VII, 3 fin. Plaut. Truc. I, 1, 52 f. tabulis pro ubi aera perscribantur usuraria. Hist. bell. Alex. 49. Gell. XIV, 2. Ascon. in Cornel. p. 57 Or. Von solchen Capitalien sagt Cic. Top. 3. quae in nominibus fuerunt und identisch an in tabulis debeatur im Gegensatz zu dem baar daliegenden Geld. Die Zahlungen ex urca (Dig. XIII, 5, 1. 26. Cic. p. Font. 2. Spangenberg, tabulae neg. p. 244) werden auch genannt de domo (Sen. ep. 26. Dig. XII, 1, 40.), oder ex arca domoque rel cista, im Gegensatz zu der durch Verweisung an den Bankier gemachten Zahlung (per mensae scripturam), Donat. ad Ter. Phorm. V, 7, 29. Adelph. II, 4, 13. Schol. ad Hor. Sat. II, 3, 66-76. s. unten. Heimbach, p. 314-321. 370-376.

2 Calendarium hicss das Buch, in welchem man die zinstragenden Capitalien eintrug (namentlich die nomina arcaria, doch nicht einschliesslich) nebst dem Betrag der Zinsen. Es war also ein Auszug aus dem Hausbuch und hiess calendarium, weil die meisten derartigen Geschäfte und Zinszahlungen an den Calenden gemacht wurden (s. p. 637.), oder dass das Buch nach den 12 Monats calenden 12 Paginae hatte, Sen. ep. 87. magnus calendarii liber volvitur (zur Bezeichnung eines reichen Mannes), de ben. VII, 10. I, 2. VI, 40. Davon heisst calendarium exercere Geld ausleihen und dieses eintragen, Dig. XXXII, 1, l. 41. §. 6. 1. 34. §. 1. Auch Communen hatten solche Calendaria, Orell. inscr. 62. Cod. IV, 31, 1. 3. Goth. ad C. Th. XII, 11. Dig. L, 4, 1. 18. §. 2. Wenn ein Herr seinem Sklaven Auftrag gab, in irgend einer Gegend für den Herrn Capitalien anzulegen und die Zinsen zu erheben u. s. w., heisst calendarium das von dem Verwalter zu führende Buch. Dig. XII, 1, 1. 41. qui

« PreviousContinue »