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das Unrecht begangen hatte. Daneben aber sollte ihn eine willkürliche öffentliche Strafe treffen (r). Aber gerade hier ist es auch recht einleuchtend, daß nicht eine einfache Rechtsverlegung vorliegt, sondern daß vielmehr zwei ganz verschiedene Rechtsverlchungen in einer und derselben materiellen Handlung vereinigt sind, deren jede ihre volle Strafe verdient (Note q). Denn der Zollpächter verleßte erstlich das Recht der Privatperson, welcher er willkürlich Geld abnahm, zweitens aber das Staatsinteresse, welches stets durch ungerechte Ausübung der vom Staat übertragenen Befugnisse gefährdet wird. Diese zweifache Beziehung der Handlung wird auch in der angeführten Stelle (Note r) deutlich unterschieden und anerkannt.

Die öffentliche Strafe, die jezt neben die Privatstrafe, je nach der Wahl des Verlezten, gestellt wurde, scheint dem Bedürfniß dieser neueren Zeit mehr entsprochen zu haben, als die Privatstrafe. Wenigstens bemerken die alten Juristen, daß die öffentliche nun häufiger zur Anwendung komme (s). So erscheint also das alte System der Privatstrafen gewissermaßen als absterbend.

(s) L. 92 de furtis (47. 2).

furti plerumque criminaliter
agi, et eum, qui agit, in crimen
subscribere"
L. 45 de

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(r) L 9 § 5 de publicanis (39.4).,,Quod illicite publice,,Meminisse oportebit, nunc privatimque exactum est, cum altero tanto passis injuriam exsolvitur: per vim vero extortum cum poena tripli restituitur. Amplius extra ordinem plectuntur; alterum enim utilitas privatorum, alterum vigor publicae disciplinae postulat".

injur. (47.10). ,,De injuria

nunc extra ordinem ex causa et persona statui solet“..

In dieser Gestalt finden wir die Privatstrafen im Justinianischen Recht, mit dessen Quellen sie herüber nach Deutschland gekommen find.

In Deutschland nun war von sehr alter Zeit her ein System von Privatstrafen in viel größerer Ausdehnung, als bei den Römern, angewendet worden. Die alten Völkergefeße enthalten großentheils Listen von Strafgeldern, augenscheinlich dazu bestimmt, die Privatrache abzuwenden. Diese Compositionen der Völkergeseße sind unzweifelhaft schon früh außer Gebrauch gekommen. Dagegen hat sich hier fortschreitend ein System des Criminalrechts, gegründet auf öffentliche Strafen, ausgebildet; in der ersten Hälfte des sechszehnten Jahrhunderts durch ein großes Reichsgeseß, seitdem durch wetteifernde Gefeßgebung einzelner Staaten. Daneben aber wurde der Criminalprozeß ausgebildet, gegründet auf die Thätigkeit der öffentlichen Beamten.

In dieser Lage der Sache mußte sich seit langer Zeit die Frage aufdrängen, wie sich das oben dargestellte System der Römischen Privatstrafen, verbunden mit dem Wahlrecht des Verlezten, verhalte zu der einheimischen Criminalgefeßgebung, die sich in einer ganz anderen Richtung bewegt.

Diese Frage nach der fortwährenden Geltung der Römischen Privatstrafen, die von jeher als lebhafte Streitfrage behandelt worden ist, soll nunmehr untersucht werden.

S. 84.

II. Delict. B. Privatstrafe. Heutiges Recht.

Schriftsteller (a):

THOMASIUS de usu actionum poenalium. Halae 1693. (Diss. Vol. 1 N. 20.)

GONNE de poenis lucro actoris cedentibus. Erlangae 1747.

Glück B. 3 S. 551.

GRUNER de poenis Romanorum privatis. Lips. 1805.

Der Streit betrifft nicht die einseitigen Strafklagen: so ist z. B. die heutige Gültigkeit der actio L. Aquiliae, insofern durch fie der reine Schadensersaß gefordert wird, nie bezweifelt worden (b). Der Streit betrifft also nur die

(a) Die drei ersten unter diesen Schriftstellern verneinen die heutige Gültigkeit der Privatstrafen, der vierte bejaht sie (doch mit Einschränkungen).

(b) Zwar bestreitet THOMASIUS C. 3 § 15 die Gültigkeit der doli actio, aber nicht als einer Strafklage', da sie ja auf reine Entschädigung geht, sondern aus dem

irrigen Grunde, daß sie blos neben den stricti juris actiones gegolten hätte, die wir nicht mehr haben. Er übersteht, daß diese Klage gar nicht blos auf Contractsverhältnisse anwendbar ist, sondern auf jeden Betrug, wodurch ein Anderer, auch unabhängig von irgend einem Contracte, in Nachtheil versezt wird.

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Privatstrafen. Er betrifft also auch nicht einige Klagen, die zwar den doppelten Werth einfordern, aber nicht als Strafe, sondern als ein, in besonderer und positiver Weise, abgeschäßtes Intereffe. Dahin gehört die actio de tigno juncto gegen den redlichen Besizer des in einem Gebäude enthaltenen fremden Baumaterials (c). Eben so die actio de rationibus distrahendis, die als reine Interessenflage dem Betheiligten zur Wahl gestellt ist neben der actio tutelae (d), ganz unabhängig von den daneben noch möglicherweise geltenden Strafklagen. Diese Klagen also könnten noch jezt angewendet werden, ohne Rücksicht auf die Entscheidung des hier vorliegenden Streites.

Dasselbe muß behauptet werden von den Popularklagen, die zwar auch wahre Strafklagen sind, und zwar zweiseitige Strafklagen, aber gar nicht auf Obligationen beruhen (§ 83), also nicht in dasjenige. Gebiet gehören, auf welchem wir uns mit der ganzen gegenwärtigen Untersuchung befinden. Von diesen aber muß aus folgendem Grunde behauptet werden, daß an eine heutige Anwendung derselben

(c) L. 8 10 de adqu. rer. dom. (41. 1), L. 23 § 6 de R. V. (6. 1). Gegen den unredlichen Befizer ist es eine Strafklage. L. 1.2 de tigno juncto (47.3). Vgl. WESTENBERG de causis oblig. Diss. 6 C. 2. 3. Der Vorwurf der Härte gegen den redlichen Befißer wird dadurch beseitigt, daß es dem Besizer frei

steht, das Material heraus zu nehmen und abzuliefern, wenn er die Kosten daran wenden will.

(d) L. 1 § 19-23 L. 2 de tutelae (27.3), L. 55 §. 1 de admin. (26.7). Vgl. System B.5 S. 58. 59. Es ist merkwürdig, daß die beiden hier zusammengestellten Klagen aus den Zwölf Tafeln herrühren.

gar nicht gedacht werden kann. Sie hängen unauflöslich zusammen mit einem publicistischen Verhältniß der Römischen Bürger, wovon sich in unseren heutigen Verfassungen (mögen fie monarchische oder republikanische seyn) keine Spur findet. In ihnen stellte gleichsam jeder Römische Bürger einen Staatsanwalt vor, der im öffentlichen Intereffe eine Geldstrafe verfolgte, und dem dafür, als eine Art von Besoldung für diese öffentliche Thätigkeit, der Gewinn der eingeklagten Summe gestattet war.

Wenn wir nun auch die hier aufgestellten Gränzen der vorliegenden Streitfrage anerkennen, so bleibt noch immer der Umfang und die Wichtigkeit derselben so erheblich, daß sie bedeutender erscheint, als die meisten anderen Controversen, die im Gebiete des heutigen Römischen Rechts erhoben zu werden pflegen.

Die Gründe, welche von den Vertheidigern der beiden extremen Meinungen aufgestellt zu werden pflegen, haben eine so abstracte Natur, daß sie nicht geeignet sind, eine überzeugende endliche Entscheidung herbei zu führen.

Die Vertheidiger der heutigen Geltung der Römischen Privatstrafen berufen sich zunächst auf die, von keiner Seitc bezweifelte, Aufnahme des Römischen Privatrechts im Ganzen (e); die Frage ist aber gerade die, ob im vorliegenden Fall Grund zu einer Ausnahme von dieser Regel vorhanden seyn möge. Sie berufen sich ferner auf ein

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(e) GRUNER p. 38.

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