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er glaube an Menschheit unter ihnen. So tritt er unbewehrt vor und haranguiert sie, die vor anderen ihres Geschlechtes so ausgezeichnet seien, dafs sie nicht blofs mit Geschrei in den Lüften hin und her führen, sondern durch die himmlische Gabe der Rede sich zu versammeln und gemeinschaftlich zu handeln vermöchten. Immer aber sei es lobenswürdig, die Erinnerungen derer anzuhören, die einem schnell gefafsten Entschlufs eine bessere Richtung zu geben wüfsten. In der That seien sie jetzt in Gefahr, sich selbst einen grofsen Schaden zu thun, indem sie aus Mifsverständnis auf den Tod ihrer nächsten Verwandten und besten Freunde sännen, die gar nicht Menschen, sondern in der Mause befindliche Vögel seien, sein Gefährte der otahaitische Mistfinke, er selbst der grofse Hosenkackerling von den Freundschaftsinseln. Von Seefahrern mitgebracht, habe man sie in Europa dem Publikum in Käfigen zur Schau gestellt. Da sei ihnen die Albernheit und Untüchtigkeit dieses Volkes täglich in die Augen gefallen, das seine verräterisch zugewandte Herrschaft so mifsbrauche und dem ersten Volke der Vögel, dem vom Schicksal bestimmt sei, im Himmel und auf Erden zu gebieten, vorenthalte. Und dasselbe Unrecht widerfahre ihnen von den Göttern, die auf ihren, der Vögel, natürlichen Thronen säfsen, während sie wie armselige Vertriebene behandelt würden. Schon die captatio benevolentiæ, mit der Treufreund begonnen, hat ihres Eindrucks auf den Kindessinn seines Publikums nicht verfehlt; je dreister und unsinniger darauf seine Lügen, desto gröfser und allgemeiner ihre Wirkung. Mit Siegeszuversicht schreitet er nun dazu, das Recht der Vögel auf Herrschaft zu beglaubigen. Dass sie nach dem uralten Schicksal das Älteste seien, lehre der Dichter Periplektomenes (er bedient sich eines beliebigen griechischen Namens), indem er sage, alles Leben sei aus einem Ur-Ei entsprossen: das müsse natürlich ein Vogel gelegt haben. Wenn jener dann fortfahre, die ursprüngliche Liebe habe sich mit den Fittichen darauf gesenkt und über den ruhenden inneren Geburten gebrütet, so könne die Liebe Fittiche nur von den Vögeln hergenommen haben, die also älter gewesen sein müfsten als sie selbst. So würden denn auch die uralten Götter und Göttinnen, die Nacht, der Erebus, die Erde, weil sie von den Vögeln herkämen, von den Dichtern mit Flügeln eingeführt.

Auch die Zeit, d. i. Saturnus, habe Flügel. Dem zweiten Geschlecht der herrschenden Götter seien sie allerdings versagt geblieben; aber es habe Vögel zu seinen Günstlingen genommen, um ihnen das Recht auf die Herrschaft vergessen zu machen, ferner dem Siege, den Horen, dem Schlafe, wie dem Kuppelboten Merkur Schwingen zu verschaffen gewufst. Amor endlich, der Herr der Götter und Menschen, sei unstreitig ein Vogel und setze die uralte Gewalt ihres Geschlechtes fort. Was aber ihre Feinde, die Menschen, betreffe, so beneideten diese sie um das Vermögen des Fliegens und beugten sich, ohne es zu wissen, vor dem uralten Recht ihrer Herrschaft, wenigstens im Bilde. So habe man in Rom den Adler auf die Feldzeichen und den Senat mit dem Volke in einem demütigen Monogramm (S. P. Q. R.) zu seinen Fülsen gesetzt. Im Norden sehe man jetzt sein Bild an allen Landstrafsen, und, wenn Fürsten sich und die Ihrigen recht auszeichnen wollten, trügen sie irgend einen Vogel auf der Brust. Die Gewalt allerdings hätten die Vögel den Menschen gelassen; aber ihr Vaterland, das mittelweltische Reich der Luft, sei ihnen geblieben. Hier also müsse, um die gebührende Herrschaft wieder zu erlangen, mit vereinten Kräften von ihnen das grofse Werk begonnen, eine Stadt gegründet, mit einer festen Mauer der ganze Äther umgeben, eine regulierte Miliz zur Besetzung der Grenzen eingerichtet, eine Accise angelegt und so den Göttern und Menschen die Nahrung erschwert werden. Zu jenen lasse man keine Opfergerüche hinauf, ohne dafs sie Transito bezahlten; Jupiter verabfolge man keine Blitze aus dem Ätna ohne schweren Impost; übrigens seien die Himmlischen, schläfrig und aller Mühe entwöhnt, leicht zu überwinden. Die Menschen aber hätten genug unter sich zu kriegen; widersetzten sie sich, so begegneten sie einer überlegenen Macht; ergäben sie sich, sollten sie es wohl haben, indem man den Göttern den Regen abhandle, grofse Cisternen anlege und ihn an die Irdischen vereinzele, wenn es Dürrung gebe. Dies nur eine Skizze des grofsen Planes. Die Vögel sind aufser sich vor Vergnügen. Sofort soll das Werk unternommen werden, Treufreund, der es erfunden, es ausführen, ihr Ratgeber, Leiter und Heerführer sein; er soll sie regieren; Hoffegut, der sich auf die im Staatswesen unentbehrliche Kunst des Pfeifens versteht, Archiv f. n. Sprachen. XCIII.

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ihnen pfeifen: so dürften sie hoffen, den stolzen Göttern, den stolzeren Menschen gleich zu sein.

Goethe hat dem Stücke, um es den Anschauungen der modernen Welt näher zu bringen, von vornherein eine Wendung vom Politischen hinweg nach dem Litterarischen gegeben. Bei Aristophanes kommen die beiden Abenteurer aus dem Staate der Geschworenen, bei ihm aus einem Lande, wo jedermann schriftstellert. Den Tereus-Wiedehopf ersetzt er daher durch den malkontenten Kritikus Schuhu und stellt ihm den nachplappernden empfindsamen Leser-Papagei zur Seite. Bei dem ersteren hat er wohl zunächst Klopstock vor Augen gehabt, der ihm (8. Mai 1776) wegen seiner Lebensführung eine taktlose Strafpredigt gehalten und auf dem ersten Entwurf des Bildes zum Neuesten aus Plundersweilern ebenfalls in der Gestalt jenes Nachtvogels figuriert, vielleicht auch wohl Bodmer, der einst über seine entarteten Jünger, Klopstock selbst und später Wieland, über dessen Oberon er sich wie der Schuhu über eine Fackel entsetzt' (Goethe an Lav., 3. Juli 1780), den Stab gebrochen hatte. Die lustigen Kumpane ziehen den mürrischen Sittenrichter mit den leichtfertigsten Äufserungen über ihr Ideal von Wohlleben auf. Aber der Charakter des Schuhu, wenn er als Repräsentant des ganzen einseitig negierenden Kritikerwesens erscheinen sollte, bedurfte noch ergänzender Züge, wie sie sich in Nicolai und anderen darstellten und bereits im Dilettant und Kritiker' (1773) in ähnlicher Weise persifliert waren, so dafs die Satire nicht ausschliesslich eine Persönlichkeit trifft. Übrigens aber führt die Umbildung der Aristophanischen Fabel einen entschiedenen Nachteil mit sich. Das Stück, das bei dem griechischen Dichter aus einem Guls gearbeitet und so folgerecht durchgeführt ist, wie keines seiner übrigen Dramen, zerfällt bei Goethe in zwei nur in lockerem Zusammenhang stehende Teile. Der Schuhu verschwindet vom Schauplatz, nachdem sein letztes Auftreten dazu gedient hat, die Ansammlung der Tagvögel zu motivieren. Nur sein Rüstzeug wird anfänglich noch von den beiden Freunden zur Abwehr gegen die Feinde verwendet, bis Treufreund sich auf die Waffe der Überredungsgabe zu beschränken beschliefst und dann erst auf den Gedanken seines luftigen Projekts verfällt. Hier nun geht der Dichter im wesentlichen auf die Ideen seines Vorgängers

ein, die er lustig ausspinnt und variiert, und steckt der Satire als neues Ziel die Leichtgläubigkeit und Verführbarkeit der grofsen Menge. Man verdient wenig Dank von den Menschen,' schreibt er am 19. September 1786 in der Italienischen Reise, 'wenn man ihr inneres Bedürfnis erhöhen, ihnen eine grofse Idee von ihnen selbst geben, ihnen das Herrliche eines wahren, edlen Daseins zum Gefühl bringen will. Aber, wenn man die Vögel belügt, Märchen erzählt, von Tag zu Tag ihnen forthelfend sie verschlechtert, da ist man ihr Mann, und darum gefällt sich die neuere Zeit in so viel Abgeschmacktem.'

Dafs übrigens Goethe an eine Fortsetzung der Vögel gedacht habe, nachdem er die obersten Spitzen oder den Rahm der Aristophanischen Komödie abgeschöpft' (an Frau von Stein, 14. Juni 1780), ist nicht wohl anzunehmen.

Zeitgeschichtliche Lustspiele.

Noch zweimal bediente sich unser Dichter der dramatischen Form zu satirischen Zwecken, als ihm ein paar neue Spielarten des proteischen Schwindlerwesens unter der Firma Menschen oder Völker beglückender Tendenzen entgegentraten, und zwar nunmehr, wo er mit der Leitung des 1791 eröffneten Weimarer Hoftheaters betraut war, in zwei für die Aufführung auf diesem verfassten bühnengerechten Lustspielen, während die Fastnachtsspiele natürlich nicht für die Bühne gedacht und die phantastischen Komödien für ein Liebhabertheater und ein exklusives Publikum gedichtet waren.

Der Grofskophta. Ein Lustspiel in fünf Aufzügen. (1791.)

Unter den kühnen Phantasten und absichtlichen Schwärmern, die während der in den letzten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts grassierenden Epidemie der Geheimorden überall auftauchten und frech zudringlich mit eitlen Vorspiegelungen und Hirngespinsten sich Einfluss zu verschaffen wufsten (Camp. in Fr., Hempelsche Ausg. S. 172), war der hervorragendsten einer der Arzt, Naturforscher, Alchymist und Geisterbeschwörer Cagliostro, der als Wiederhersteller der alten ägyptischen Maurerei den Titel Grofskophta angenommen hatte: 'ein merkwürdiger Mensch,' schreibt

Goethe am 18. März 1781 an Lavater, 'und doch Stocknarr, mit Kraft und Lump so nah verwandt.' Immerhin verlor er ihn nicht aus den Augen; sein Interesse an ihm wuchs, als er, wenn auch unschuldigerweise, 1785 in den bekannten Halsbandprozess verwickelt wurde, und in Palermo, seinem Geburtsort, stellte er im April 1787 Nachforschungen über seine Familie an, deren Ergebnisse er in der Italienischen Reise mitgeteilt hat. Als dann die Revolution zum Ausbruch kam, erschienen ihm die Narrheiten des Mannes in grellerem Lichte, 'Verbrechen und Halbverbrechen gegen die Majestät, alle zusammen wirksam genug, um den schönsten Thron der Welt zu erschüttern, als direkte und indirekte Folgen' derselben (Camp. in Fr. a. a. O.). Um sich einigen Trost und Unterhaltung zu verschaffen, suchte der Dichter diesem Ungeheuren eine heitere Seite abzugewinnen und ging 1789 daran, den Gegenstand in Form einer komischen Oper (wie er sie ursprünglich auch dem Triumph der Empfindsamkeit zugedacht) rhythmisch zu behandeln. Da aber kein froher Geist über dem Ganzen waltete, geriet es ins Stocken. Es entstammen dieser ersten Bearbeitung die beiden von Reichardt komponierten Kophtischen Lieder, die im Geiste des Schelmen gedichtet von Fr. Vischer (G.-J. IV, S. 40) nicht als Rhabarberblüten der verbitterten Stimmung Goethes bezeichnet werden durften. Um jedoch nicht alle Mühe zu verlieren, führte der Dichter den 'seine innere sittliche Natur überwältigenden, widerspenstigen Stoff' in einem prosaischen Lustspiel aus, von dessen Aufführung durch die neue Schauspielergesellschaft er sich Wirkung zu versprechen glaubte (Camp. in Fr. a. a. O.).

Das Stück allerdings führte seinen Titel, der Goethen, wenn nicht alles, doch das Meiste zu sagen und was Neues und Abenteuerliches zu haben schien (an Herder, 5. September 1791), doch im Grunde mit Unrecht; denn die Halsbandaffaire macht seine eigentliche Handlung aus, der der Grofskophta fern bleibt, wenn er auch der Marquise zur Bethörung des Domherrn die Hand bietet und der Charlatan und die Hochstaplerin verwandte Seelen sind, die einander verstehen, ohne zu sprechen, und einander helfen ohne Abrede. Aber den Dichter reizt es besonders, auf die schlau berechnende effektvolle Methode der Mystifikationen des Grafen möglichst scharfe Schlaglichter fallen zu lassen, was ihn

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