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ebenfalls für Saladin statt mit der Geschichte für Raimund von Antiochia zur Last legt. Das letzte hat zum Gegenstande einige sagenhafte Einzelzüge, mit denen die wirklich geschichtlichen Thatsachen ausgeschmückt worden sind, insbesondere die Umwandlung einer in Palästina vollbrachten Waffenthat Richards I. von England und weniger Gefährten in den frühzeitig malerisch dargestellten und zum Ruhme der Franzosen und Flamänder gewendeten pas Saladin, dessen Schauplatz schliefslich sogar die englische Küste wird.

Berlin.

Adolf Tobler.

Systematisches Verzeichnis der Programmabhandlungen, Dissertationen und Habilitationsschriften aus dem Gebiete der romanischen und englischen Philologie, sowie der allgemeinen Sprach- und Litteraturwissenschaft und der Pädagogik und Methodik. Von Hermann Varnhagen. Zweite vollständig umgearbeitete Auflage. Besorgt von Johannes Martin. Leipzig, C. A. Kochs Verlagsbuchhandlung (J. Sengebusch), 1893. 296 S. 8. M. 4.

Über dieses vortrefflich angelegte, überaus gediegen ausgeführte und bei näherer Kenntnisnahme mehr und mehr als unentbehrlich sich herausstellende Hilfsmittel plante ich den Fachgenossen eine ausführliche Besprechung vorzulegen, die zugleich sämtliche Einzelkorrekturen und die durch schrittweise vorschreitende Nachprüfung erstandenen Nachträge enthalten sollte. Im Laufe solcher aufmerksamen Durcharbeitung ergab sich jedoch so mancherlei, was zu bemerken, beziehentlich hinzuzufügen wäre, und namentlich eine Anzahl grundsätzlicher Einwände, die sich auf Auswahl und bibliographische Gruppierung erstrecken, dafs ich, zumal durch anderweitige äufsere Hindernisse mit veranlafst, den Abschlufs dieser Kritik hinausschieben mufs. Da ich es aber als ein Unrecht gegenüber dem Buche sowohl wie auch dem Publikum des 'Archivs' vor dessen Forum ja diese Schrift eher als anderwärtshin gehört — betrachten würde, wenn ich mein Referat einfach liegen liefse, so begnüge ich mich heute mit einer kurzen Anzeige. Es sei hier hervorgehoben, dass weder die soeben gestreiften allgemeinen Einwürfe, noch die nachweisbaren Lücken, selbst falls letztere noch so zahlreich wären, den ganz erheblichen Wert dieses wahrhaft gehaltvollen Nachschlagewerkchens beeinträchtigen könnten. Jeder Neuphilolog, der sich über die einer bestimmten Sprach- oder Litteraturerscheinung gewidmeten Veröffentlichungen zu unterrichten wünscht oder gar selbständig offene Probleme unserer Wissenschaft lösen will, findet bei Varnhagen-Martin Auskunft auf die Vorfragen der Materialbeschaffung und wird bald diesen übersichtlichen, grofs gedruckten Band regelmässig zu Rate ziehen. Näheres baldigst

hierselbst.

München.

Ludwig Fränkel.

Jahrbuch der Grillparzer - Gesellschaft. Red. von Carl Glossy. II. Bd. 1892. III. Bd. 1893. IV. Bd. 1894.

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Der II. Jahrgang enthält: 1) Originale über 'Grillparzers Beamtenlaufbahn', 71 Aktenstücke, 61 amtliche Berichte Grillparzers, 19 Tagebuchblätter; 2) Briefe von Grillparzer, 14 an Zahl, aus Privatbesitz oder der k. k. Hofbibliothek stammend. Der III. Jahrgang enthält: 1) A. Sauer, Ein treuer Diener seines Herrn. 2) J. Minor, Grillparzer als Lustspieldichter und 'Weh dem, der lügt'. 3) M. Necker, Ernst Freiherr von Feuchtersleben, der Freund Grillparzers. 4) Aus dem Grillparzer-Archiv: Tagebuchblätter. 5) Briefe von Caroline Pichler an Therese Huber. 6) E. Kilian, Miscelle zum zweiten Teil der Vliefs-Trilogie. 7) H. Hango, Prolog zur Ahnfrau-Feier. 8) Berichtigungen und Nachträge. Der IV. Jahrgang enthält: 1) J. Volkelt, Grillparzer als Dichter des Zwiespaltes zwischen Gemüt und Leben. 2) H. Lorm, Grillparzers 'Der arme Spielmann'. 3) A. Sauer, Briefe von Katharina Fröhlich an ihre Schwestern. 4) R. Batka, Grillparzer und der Kampf gegen die deutsche Oper in Wien. 5) C. Glossy, Briefe von Ferdinand Raimund an Toni Wagner. 6) M. Necker, Franz Nissel. 7) Fr. Ilwof, Ein Brief Grillparzers an K. G. Ritter von Leitner. 8) L. A. Frankl, Fr. Grillparzer an Anast. Grün. 9) R. Zimmermann, Aus Gesprächen mit Grillparzer. 10) L. A. Frankl, Prolog zu Grillparzers Ahnfrau. Jeder Band schliefst mit einem Jahresbericht der GrillparzerGesellschaft von E. Reich. Ein Mitgliederverzeichnis derselben ist dem III. Jahrgang einverleibt, dem IV. als besonderes Heft beigegeben; danach hat sie etwa 812 Mitglieder, wovon 28, also der neunundzwanzigste Teil, aufserösterreichische Deutsche sind; unter diesen wieder zählen fünf Berliner. Die Anmerkungen und Einleitungen endlich stammen meist von C. Glossy; nur zu II, 2 von A. Daubrawa, zu III, 1 und IV, 3 von A. Sauer, zu IV, 4 von R. Batka.

1) Im I. Jahr

Wir beginnen mit einigen allgemeinen Bemerkungen. gang war noch allein Grillparzer vertreten. Jetzt ist das erweiterte Programm 'Grillparzer und sein Jahrhundert' zur Ausführung gekommen. Denn E. von Feuchtersleben (III, 3), C. Pichler (III, 5), K. Fröhlich (IV, 3), F. Raimund (IV, 5), Fr. Nissel (IV, 6) sind besprochen oder haben gesprochen. Dazu kommt, dass unter den Besprechenden selber Dichter sind, der greise H. Lorm (IV, 2) und der jüngst verschiedene L. A. Frankl (IV, 8. 10). Lorm hat sichtlich aus eigener innerer Erfahrung geschrieben; soweit wir wissen, hat er sie unter Leiden gewonnen und sich gegen Leiden mit Kraft behauptet. So mag er mit Grillparzer und seinem Spielmann eine gewisse Verwandtschaft fühlen und in ihnen fast unmerklich eigene Züge schildern. Ist diese Beobachtung richtig, so hat er in jener einen Arbeit einen zweifachen Beitrag zum Jahrbuch geliefert. Frankl starb am 13. März 1894 im Alter von 84 Jahren. Man sagt von ihm, er verdanke seinen Ruhm mehr den Eigenschaften des Menschen als denen des Dichters. In einer Stadt, wo 'getaufte und ungetaufte Judenfamilien überall in den besten Zirkeln des Mittelstandes aufgenom

men sind', wie die Pichler 1821 schrieb (III, 305) und es auch nach Jahren noch war, wo ferner die Regierung den jüdischen Liebling der Wiener bei der Enthüllung des Schillerdenkmals 1876 in den erblichen Adelstand erheben konnte, wo endlich zur Feier eines Jubiläums des grössten Dichters der Nation ein Jude erlesen wird den Prolog zu schreiben, da ist dergleichen an sich denkbar. Auch seine Gedichte rechtfertigen das Urteil; sie sind glatt und wohlklingend, oft geradezu von musikalischem Reiz, z. B. 'Ihr Gebet', aber meist nicht tief an Inhalt oder neu in der Form. Sicher aber der besten eines ist der hier gebotene Prolog zur Ahnfrau. 2) Vermifst haben wir eine Bibliographie, wie sie das Goethe-Jahrbuch bringt. Nachgerade werden die Schriften über Grillparzer und seine Zeitgenossen so zahlreich, die Aufsätze stehen in Zeitschriften so zerstreut, dafs es schwer wird der Litteratur zu folgen. Da also einmal ein solches Centralorgan wie dieses Jahrbuch existiert, so gebe es alljährlich eine knappe Übersicht über Titel und Inhalt der betreffenden Arbeiten. Es wäre z. B. wirklich nicht zu verwundern, wenn dem Leser des Batkaschen Aufsatzes (IV, 4) die Skizze der La Mara über 'Grillparzer und die Tonkunst' (Vom Fels zum Meer 1892 93, Heft 5) entginge. 3) Wünschen würden wir in solchem Jahrbuch auch einmal einen Überblick über alle Dichtern zu Ehren begründeten Stiftungen. Sie geben ein Bild der Verehrung, die man dem Toten zollt, und der Nachwirkung, die er auch äufserlich übt. Um z. B. Tiedge und seinen Kreis zu kennen, muss man das Album der Tiedge-Stiftung (Dresden 1843, I) gelesen haben; um seine Beliebtheit wie die ihm geweihte Opferfreudigkeit zu überschauen, muss man unter anderem die Höhe des gesammelten Vermögens, das schon vor sechs Jahren über 650000 Mark betragen haben soll, erfahren haben. Solcher Überblick müfste auch die Dichter und die Werke nennen, die durch einen Preis ausgezeichnet sind, und würde dadurch auch die Aufnahme aufserösterreichischer Stiftungen rechtfertigen. So ist erst eben wieder der Preis der Bauernfeld - Stiftung ausgeschrieben worden. 4) Warnen möchten wir vor Überschätzung. Sie kann sich auf doppelte Weise zeigen, durch Übergehen der Schwächen und durch Übertreiben der Vorzüge. Wenn mimosenhafte Empfindlichkeit, barsche Abweisung von Beweisen der Liebe, rücksichtslose Nichtachtung der Gefühle anderer bei Grillparzer so grell sich zeigt, wie aus den rührenden Briefen der K. Fröhlich (IV, 3) ersichtlich wird, so mufs das, wenn auch in vornehmer Form, doch deutlich und unumwunden ausgesprochen werden. Schon um des Dichters selbst willen. Denn Schwächen sind der Schatten, der das Licht hebt; durch sie gewinnt man oft erst die rechte Ahnung von den Vorzügen des Menschen, die rechte Achtung vor ihnen. Man mufs gerade bei Grillparzer das volle Mafs dieser unseligen Empfindlichkeit erfassen, um die Kraft, die sich gegen sie wehrte, und die Leistungen, die er ihr abtrotzte, ebenso voll bewundern zu können. Wenn andererseits Österreicher neben Grillparzer 'all die anderen stolzen Namen unserer heimischen Litteratur von Collin und Schreyvogel an' rühmen, wenn Holtey den Dichter Raimund den 'Schiller der Lokalstücke', andere wie

der den Nestroy den 'Wiener Aristophanes' nennen, so heifst das doch wohl magnis componere parva. Auch ruhig urteilenden Österreichern wird das zu viel, z. B. A. Sauer (Litt. C.-Bl. 1893, Heft 21). Am 23. September 1890 wurden die Gebeine Nestroys umgebettet und auf einem sechsspännigen Gala - Trauerwagen von Währingen zum Centralfriedhofe gebracht; G. Freytag dagegen behauptet in seinen Erinnerungen (S. 185): Nestroy war nur ein grofser Schwätzer, aber kein Komiker.' Hier ist wohl auf beiden Seiten übertrieben.

Es seien nun einige Bemerkungen zu einzelnen Teilen der Jahrbücher gestattet. — 1) Grillparzers Amtliche Berichte (II, 1) zeugen von der aufserordentlichen Sorgfalt seiner amtlichen Thätigkeit. Sie wird ihm wie mancher andere Vorzug seines Charakters nachdrücklich auch in einer Reihe von 'Akten' bezeugt (XIII. XVII. XL. LV. LXII. LXIII, 5. LXV. LXX). Unter diesen Akten sind auch diejenigen charakteristisch, welche seine zahlreichen und vielfordernden Urlaubsgesuche betreffen (XIX. XXII ff. XXV ff. XXVIII f. XXXIV. XLVII ff. LXIV). Sie bezeugen den Langmut und das Wohlwollen der Vorgesetzten. Bedeutende und eigenmächtige Urlaubsüberschreitungen werden rundweg genehmigt; zweimal hat Graf Chorinsky 'ein weiteres Verfahren gegen Grillparzer unterlassen, dessen Rechtfertigung blofs zur Nachricht genommen und den Akten beigelegt' (II, 272). Dies entzieht dem Ausdrucke, der von und mit Grillparzer über seinen Eintritt in die Archivstelle gebraucht wird, als sei damit 'des Menschen Sohn um 30 Silberlinge verkauft' (II, S. XXVI, nach einem Ausdruck aus den Tagebuchblätten: S. 250), die Berechtigung. Bekanntlich hat Goethe mehr als einmal die Körperlänge der Rekruten gemessen. 2) Die Abhandlungen (III und IV) sind durchweg vortrefflich. Selbst nebensächliche Bemerkungen wie über Grillparzers Vater (III, 24) oder seinen Patriotismus (III, 36) sind treffend oder fesselnd. Bei Autoren wie Sauer oder Minor ist das nicht auffallend. Eine Freude aber ist es, dafs Sauers 1893 ausgesprochener Wunsch (Litt. C.-Bl. 21), dem Namen M. Necker öfter auf litterarischem Gebiet zu begegnen, hier so schnell wie gut Erfüllung gefunden hat. Einen besonderen Reiz werden stets die musikalischen Beziehungen, Erlebnisse oder Ansichten der Grillparzerschen Familie haben. Nicht als ob hier besonders Tiefes oder Neues zu erwarten wäre, sondern weil sich gerade hier pathologisch und psychologisch eigenartige Erscheinungen bieten, wie sie auch Grillparzers armer Spielmann ist. Das macht den Aufsatz von Batka (IV, 4) interessant. Wer kennt z. B. nicht die derbe Art, wie Grillparzer Richard Wagner abthut! Und derselbe Grillparzer ist es, der das armselige Surrogat musikalischer Charakteristik, das Wagnersche Leitmotiv, so zu sagen erfindet (IV, S. 137). Interessant müfsten auch die Kompositionen von Grillparzers Bruder sein, von denen die Musikalienhandlung leider kein Exemplar mehr besitzt. Kann sie niemand dem Referenten verschaffen? 3) Hervorragende Bedeutung haben die Briefe. Von denen des Dichters (II, 2) sind die bedeutendsten Nr. 1 (an Raimund), IV, IX (über Vischers Ästhetik). Eine erquickende Lek

türe bilden die Briefe der Pichler (III, 5), z. B. die trefflichen Worte über 'unseren trefflichen Grillparzer' (S. 281), die köstlich mütterliche Art mit jungen Männern zu verkehren (S. 291), die grofsmütterliche Erfahrung 'kleine Kinder treten uns auf die Schleppe, grofse aufs Herz' (S. 295), die feine Ablehnung alles Klatsches (S. 312); das alles macht diese Briefe überaus anmutig. Da sie obenein eine Fülle guter Bemerkungen über Zeitgenossen enthalten, wie Grillparzer, Zimmermann, Raupach, Kleist, so befindet man sich bei dieser Lektüre gleichsam in der allerbesten Gesellschaft. Es ist nicht unwichtig zu erwähnen, dafs an dieselbe Adressatin Th. Huber von Alb. Leitzmann jetzt auch 15 noch ungedruckt gewesene Briefe ihres ersten Gatten Forster und ein eben solcher Herders und seiner Caroline herausgegeben sind. Nicht minder freundlich muten uns Katharinas Briefe (IV, 3) an. Überhaupt gewinnt man aus der Lektüre all dieser unmittelbaren Herzensergüsse den Eindruck, dafs die Frauen jener Kreise und Zeiten an Gemüt und Willen gesunder waren als die Männer. Recht lebhaft drängt sich diese Bemerkung auf, wenn man mit den Briefen der Frauen die Briefe Raimunds (IV, 5) vergleicht. Ihre Zärtlichkeit ist rührend, die Sprache der Treue echt, der Stil oft von poetischem Zauber. Aber über allem liegt der trübe Nebel des Mifsmuts, der Dämmer des Unfertigen. Der Schreiber leidet, aber ohne Kraft, ohne Ziel, ohne Hoffnung. Den Mann mag man lieben, achten oder bedauern, in keinem noch so beschränkten Sinne darf man Schillers Namen neben den seinen stellen. 4) Von gröfster Wichtigkeit sind die Tagebuchblätter (II, 1. III, 4). Soweit sie auf sein Amt sich beziehen (II), enthalten sie nichts als Klagen. Die anderen Blätter aber (III) sind reich an Wechsel und tief an Inhalt. So spricht Grillparzer über seine geringe Anlage zum Lustspiel (S. 101), seine Unfähigkeit einen Freund zu finden (S. 101), seine Eifersucht (S. 103), seine religiöse Entwickelung (S. 115), Schiller und Goethe (S. 127 ff.), seine Träume (S. 144. 145. 180. 220), Frau Daffinger (S. 171. 172. 176. 179. 203), Kathy Fröhlich (S. 145. 151. 152. 159. 160. 169. 181. 182. 186. 197. 236). So zerbricht er sich den Kopf oder quält sein Gemüt mit Zergliederung seines 'Karakters' (S. 107), Nachlassen seiner Fähigkeit zu empfinden (S. 124), Zerwürfnissen mit Freund Altmüller (S. 125 ff.), Selbstmordgedanken (S. 125. 130), seiner nie weichenden Melancholie (S. 127), der niederdrückenden Erinnerung an Weimar (S. 178), dem bösen Klang oder der Etymologie seines 'verfluchten' Namens (S. 180. 199. 223; vgl. II, 226. 285. III, 265). Der Dramatiker zeigt sich bald in einer scharfen Beobachtung (S. 111), bald in der lebhaften, fast dialogischen Sprache (S. 113). Man staunt über die umfangreiche und wirkungsvolle Lektüre, lernt den Dichter schätzen als Kenner und Ausüber der Musik, verfolgt ihn bei der Arbeit, der Liebe, der Erholung, ja sogar auf der Jagd (S. 184. 192) und bei einem Spiele Karten (S. 191). Man erhält Gelegenheit eigentümliche Parallelen zu ziehen. Mit Lessing teilt er die Vorliebe für Sternes Sentimental Journey (S. 119); wollte auch ein Gegenstück zum Laokoon schreiben: 'Rossini oder über die Grenzen der Musik und Poesie' (Sämmtl. Werke XIIa, 205).

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